Europa steht heute am Wendepunkt. Zwar hat es seine Finanz- und Schuldenkrise überwunden. Aber die grundlegenden Geburtsfehler des Euro sind noch nicht behoben. Selten in den letzten 70 Jahren war die politische Konstellation für grundlegende Reformen Europas günstiger, aber auch selten war die Dringlichkeit für Reformen größer als heute. Es ist eine Chance für Deutschland, Verantwortung für Europa zu übernehmen und für den Euro, seine Rolle als Sündenbock während der Krise abzulegen, die zum Teil als ungerechtfertigte Anklage anzusehen ist. Show
Trotz wichtiger Reformen in den vergangenen Jahren – wie der Schaffung des Fiskalpakts, der europäischen Bankenunion und des Rettungsmechanismus ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) – bleiben die Reformen unvollständig und die Währungsunion verletzlich. Der Streit um die richtige Krisenpolitik hat Europa gespalten und zum Aufstieg der Populisten beigetragen. Deutschland wird in manchen Ländern eine große Verantwortung für die Krise gegeben – meist zu Unrecht, aber manchmal auch zu Recht, z. B. als die Bundesregierung Griechenland im Jahr 2015 aus dem Euro drängen wollte. Dieser Artikel schaut kritisch auf die 20 Jahre des Euro und korrigiert falsche Mythen. Er setzt sich vor allem mit der von manchen in Deutschland hervorgebrachten Kritik am Euro auseinander. Und er zeigt die notwendigen Reformen auf, um den Euro nachhaltig zu machen und künftige Krisen zu vermeiden beziehungsweise deren Kosten zu verringern. Die erste Dekade des Euro – Überwindung der Skepsis, Integration und WachstumFür die Schaffung des Euro sprachen und sprechen nicht nur politische, sondern auch überzeugende ökonomische Gründe. Die wissenschaftliche Forschung belegt, dass die gemeinsame Währung zu einem deutlichen Anstieg des Handels führt und damit zu einer höheren Wirtschaftsleistung und mehr Wohlstand.1 Aber der Nutzen des Euro hat auch andere Dimensionen: Eine gemeinsame Währung verstärkt und intensiviert den Wettbewerb zwischen Unternehmen und führt damit zu mehr Vielfalt und niedrigeren Preisen.2 Ein weiterer Vorteil einer Währungsunion ist die Finanzmarktintegration.3 Genauso wie für den Handel von Gütern und Dienstleistungen ist auch die Mobilität von Kapital über Grenzen hinweg enorm wichtig und vorteilhaft. Die Möglichkeit, Ersparnisse oder Investitionen international zu diversifizieren, bringt sowohl privaten Haushalten als auch Unternehmen große Vorteile, denn es erlaubt ihnen, sich gegen negative Entwicklungen abzusichern, das Risiko zu reduzieren und die Renditen zu erhöhen.4 Kurzum, der Euro ist eine notwendige Voraussetzung für einen funktionierenden europäischen Binnenmarkt für Güter, Dienstleistungen und Kapital.5 Eine wirklich neue, globale Währung zu sein, ist ein weiterer wichtiger Nutzen des Euro. Auch wenn die Deutsche Mark vor 1999 eine wichtige regionale Rolle in Europa gespielt hat, so war sie keine globale Währung.6 Der Euro dagegen wird sehr viel stärker von Unternehmen und auf Finanzmärkten genutzt, als dies für die Deutsche Mark je der Fall war. Diese globale Akzeptanz des Euro bedeutet, dass auch deutsche Unternehmen zunehmend Güter und Dienstleistungen in Euro kaufen oder verkaufen können. Dies reduziert die Unsicherheit über die Kosten und Erlöse, und fördert Investitionen und Wachstum. Die Rolle des Euro als eine internationale Währung hat nicht nur wirtschaftliche Vorteile für die Länder dieses Währungsraums, sondern sichert ihnen auch einen wichtigen geopolitischen Einfluss. Der Euro ermöglicht allen Ländern der Eurozone, sich in der einheimischen Währung zu finanzieren. Länder ohne eigene globale Währung sind auf Finanzströme in anderen Währungen angewiesen, und daher sehr viel stärker der Volatilität globaler Finanzmärkte ausgesetzt. Vor allem in Krisenzeiten bietet sie große Vorteile. Aufgrund ihrer Stabilität und der Liquidität der Finanzmärkte flüchten Investoren weltweit gerade dann in globale Währungen. Daher gelang es den USA und der Eurozone, also den Wirtschaftszonen mit den beiden einzigen globalen Währungen, während der globalen Finanzkrise zwischen 2007 und 2009 Kapital aus dem Ausland anzuziehen und damit die negativen Konsequenzen der Krise zumindest etwas abzufedern. Die Entwicklung vor der Finanz- und StaatsschuldenkriseDie erste Dekade des Euro wurde praktisch von allen als großer wirtschaftspolitischer Erfolg gewertet. Die Kritiker im In- wie Ausland verstummten, als die 2000er Jahre in den meisten europäischen Ländern einen wirtschaftlichen Aufschwung brachten. Vor allem die ärmeren Länder der Eurozone aus Südeuropa konnten sich über hohe Kapitalzuflüsse freuen. Diese Investitionen in den Peripherieländern waren genau das, was sich viele von der Währungsunion erhofft hatten. Der Konvergenzprozess bescherte den schwächeren Ländern hohe Kapitalzuflüsse, einen Boom an Investitionen und eine gestärkte Nachfrage. Durch den Euro waren Investitionen in Ländern wie Portugal und Griechenland sehr viel attraktiver geworden. Denn die Angleichung dieser Länder an die Verhältnisse in Deutschland und den stärkeren nordeuropäischen Ländern führte zu einer zum Teil deutlich höheren Rendite. Der Erfolg des Euro und die starken Kapitalflüsse und Investitionen machten die aufholenden Länder auch anfällig für eine eventuelle Krise, in der ein Ausbleiben der Kapitalflüsse zu einer starken Abschwächung der Wirtschaft führen würde. Die globale Finanzkrise der Jahre 2007/2008 war die tiefste Krise seit der Großen Depression der 1930er Jahre. Die Finanzkrise zeigte, dass viele dieser Angleichungserwartungen übertrieben oder falsch, viele der Investitionen und Ausgaben in Südeuropa zum Teil exzessiv und fehlgeleitet waren. Entstanden war eine riesige Blase etwa im spanischen Immobilienmarkt und auf den irischen Finanzmärkten. Der Wirtschaftseinbruch ließ diese Blasen platzen und die Finanzierungskosten für viele Unternehmen und private Haushalte in untragbare Höhe schnellen. Mehrere große Geschäftsbanken im gesamten Euroraum mussten starke Verluste verkraften und von den Staaten des Euroraums rekapitalisiert werden. Durch die Belastungen der Rezession und der Bankenrettung für die Staatshaushalte wurde die Finanzkrise zu einer Staatsschuldenkrise. Auch die gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichte im Euroraum waren in den Boomjahren 2003 bis 2007 deutlich größer geworden. Die Leistungsbilanz, in der sich die Nettoersparnis einer Volkswirtschaft spiegelt, war um das Jahr 2000 herum in den meisten Ländern ausgeglichen. Das änderte sich während der ersten zehn Jahre des Euro dramatisch. Länder wir Portugal, Spanien, Irland und Griechenland verzeichneten große Importzuwächse, während die Exporte in die Eurozone und den Rest der Welt nur moderat stiegen. In Deutschland passierte genau das Gegenteil. Während das Land im Jahr 2000 ein geringes Leistungsbilanzdefizit aufwies, stiegen die Exporte vor allem nach Südeuropa in der Folgezeit dramatisch an. Bis 2007 hatte Deutschland einen Leistungsbilanzüberschuss von mehr als 6 % des Bruttoinlandsprodukts angehäuft. Dieser Überschuss war nahezu komplett im Handel mit anderen Euroländern entstanden. Der Euro als Sündenbock für die Finanz- und StaatsschuldenkriseDie beschriebenen Verwerfungen und Folgen der Finanzkrise wurden dem Euro zugeschrieben und aus der Finanz- und Staatsschuldenkrise wurde die „Euro-Krise“. Doch ist der Euro wirklich der Schuldige? Sicherlich hat er es leichter gemacht, Kapital in Südeuropa zu investieren. Der Euro, und damit der Wegfall von Währungsrisiken, hat diese Investitionen attraktiver erscheinen lassen und damit hat er zu den Ungleichgewichten der Leistungsbilanzen beigetragen. Das Absinken der Zinsen hat Staaten, Unternehmen und private Haushalte verleitet, riskante Entscheidungen zu treffen. Allerdings steht die gemeinsame Währung nur dafür, dass ein investierter Euro auch in Euro und keiner anderen Währung zurückgezahlt wird. Das Versprechen hat der Euro im Übrigen gehalten. Dass Investments riskant sind und sich unter Umständen nicht rentieren, kann eine gemeinsame Währung nicht verhindern. Die Verantwortung für die Investitionen tragen die Investierenden selbst. Die gemeinsame Währung des Euroraums hat auch nicht die Finanzkrise verursacht, sondern Finanzinstitute, die langfristige und, wie sich im Nachhinein herausstellte, überbewertete Wertpapiere mit kurzfristigen Krediten kauften. Da in den 1990er Jahren eine Wirtschaftskrise in den nun erlebten Ausmaßen ausgeschlossen wurde, war das System der gemeinsamen Währung auf die Finanzkrise nicht ausreichend vorbereitet. Allerdings reagierten die Länder des Euroraums schnell, unter anderem mit der Schaffung des Rettungsschirms. Es ist deshalb falsch, die Finanzkrise als „Euro-Krise“ zu bezeichnen. In Bezug auf die Staatsschuldenkrise wird häufig argumentiert, dass der Euro die Euroländer in ein enges wirtschaftspolitisches Korsett zwingt, das ihnen die Möglichkeit nimmt, ihre Wirtschaftspolitik auf die eigenen Bedürfnisse abzustimmen. Hätten die Krisenländer ihre eigene Währung, so wird weiter argumentiert, dann könnten sie diese abwerten, so an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen, ihre Exporte steigern und mehr Beschäftigung und Wachstum generieren. Stellt ein Austritt einzelner Länder aus dem Währungsverbund eine Lösung für die Staatsschuldenkrise dar? Ein Ende des Euro als Ende der Probleme?Für manchen mag diese Logik recht schlüssig klingen, denn viele der südeuropäischen Länder haben eine solche Strategie der wiederholten Abwertung der eigenen Währung in den vergangenen Jahrzehnten häufig betrieben, um ihre Wettbewerbsfähigkeit kurzfristig zu schützen. Das Argument aber, nur eine Abwertung der Währung könne den Krisenländer langfristig und permanent wieder zu mehr Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum verhelfen, ist falsch. Denn dieser Vorschlag lässt die Ursache der Probleme außer Acht: Die größte Herausforderung für ausnahmslos alle europäischen Krisenländer ist heute die Umsetzung von institutionellen und Strukturreformen. Eine eigene Währung und ihr Wertverfall würden solche Strukturreformen nicht ersetzen und nicht leichter machen. Im Gegenteil: Der unvermeidliche wirtschaftliche Kollaps würde den Regierungen für viele Jahre noch weniger wirtschaftspolitischen Spielraum lassen, als sie heute haben. Es gibt zusätzlich einen fundamentalen Unterschied zwischen einer Abwertung der eigenen, existierenden Währung und der Aufgabe und Konvertierung des Euro in eine andere Währung. Zwar würde die neue nationale Währung massiv abwerten, die Unternehmen könnten nun einen großen Teil ihrer Einnahmen aber nur in dieser neuen, schwächeren Währung erhalten. Die Schulden und Kredite müssten jedoch weiterhin in Euro bedient werden. Die Unternehmen wären mit ihrer neuen, schwachen Währung also nicht in der Lage, ihre Schulden zu begleichen. Dasselbe würde für Arbeitnehmer gelten, die ihre Gehälter nun in der neuen Währung erhalten, jedoch Schulden nach wie vor in Euro zurückzahlen müssen. Die Konsequenzen wären Staatsbankrotte und eine Insolvenz-Welle bei Unternehmen und privaten Haushalten. Es ist nicht schwer, sich auszumalen, was dies für Beschäftigung und Wachstum bedeuten würde. Die Erfahrung Indonesiens zeigt, wie extrem schmerzvoll Finanzkrisen sein können: Obwohl Indonesien sowohl über eine eigene Währung verfügte als auch sehr viel geringere wirtschaftliche Probleme hatte als viele der europäischen Krisenländer Europas heute, brach das Wirtschaftswachstum während der Finanzkrise 1997 bis 1998 um mehr als 20 % ein. Damit war der Rückgang in einem einzigen Jahr etwa so groß wie der, den Griechenland über die letzten fünf Jahre hinnehmen musste. Viele derer, die sich für einen Austritt Griechenlands aus dem Euro aussprechen, argumentieren, dass die Krise nicht mehr schlimmer für Griechenland werden kann. Die Erfahrung anderer Länder zeigt überdeutlich, dass dies falsch ist – ein Austritt aus dem Euro würde für die betroffenen Länder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem noch viel tieferen Kollaps und einer noch größeren Tragödie für Menschen und Wirtschaft führen. Auch in Deutschland würde solch ein Kollaps der Krisenländer unweigerlich zu einer tiefen Rezession führen. Deutschland ist nicht nur durch seine große Offenheit und seinen intensiven Handel eng mit den Ländern der Eurozone verbunden, auch deutsche Investoren und Unternehmen haben riesige Investitionen in diesen Ländern getätigt. Ein sehr großer Teil dieser Investitionen würde sich in massive Verluste verwandeln. Das unausweichliche Resultat wären ein Einbruch der Wirtschaftsleistung, niedrigere Einkommen und ein starker Anstieg der Arbeitslosigkeit in Deutschland. Als Fazit gilt: weder ist der Euro für die Finanz- und Staatsschuldenkrise verantwortlich, noch würde ein Ende des Währungsraums bzw. der Austritt einzelner Länder aus diesem, die Krise lösen. Deswegen bleibt nur der Weg nach Vorne und damit weitere Reformen, die den Euro vor zukünftigen Krisen besser schützen können. Dies erfordert, dass wirtschaftspolitische Entscheidungen auf europäischer Ebene besser koordiniert werden, vor allem in den Bereichen Finanzmärkte, Banken und Fiskalpolitik. Anstatt die Krise ständig als „Euro-Krise“ zu titulieren und das Ende des Euro herbeizureden, sollten alle Anstrengungen unternommen werden, seine Geburtsfehler zu beheben. Der Euro ist nicht das Problem, sondern die Lösung vieler ProblemeWas ist zu tun, wie müssen diese Reformen aussehen? Eine Gruppe von 14 deutschen und französischen Wirtschaftswissenschaftlern7 hat ein Reformprogramm vorgelegt, wie Deutschland und Frankreich zusammenfinden und Europa gemeinsam reformieren können. Die Essenz dieses Reformprogramms ist es, die nationale Eigenverantwortung zu stärken, um gleichzeitig eine bessere Koordinierung der Wirtschaftspolitik und mehr Solidarität zu ermöglichen. Es geht nicht um mehr Vergemeinschaftung und Haftung aller für die Fehler einzelner, sondern um klügere Regeln gekoppelt an eine effektive Risikoteilung und -reduzierung. Ein solches Reformprogramm will die Eigenverantwortung nationaler Regierungen und gleichzeitig die Marktdisziplin stärken, indem es die existierenden Fiskalregeln durch eine neue, bessere Regel ersetzt. Den geltenden Regeln fehlt es an Flexibilität in schlechten und an Biss in guten Zeiten. Nach der neuen Regel sollen die Staatsausgaben auf lange Sicht nicht schneller wachsen dürfen als die nominale Wirtschaftsleistung, und langsamer in Ländern, die Schulden abbauen müssen. Eine solche Regel erlaubt eine stärker antizyklische Fiskalpolitik, weil sie mehr Disziplin in guten Zeiten verlangt, aber auch mehr Flexibilität in schlechten Zeiten ermöglicht. Überwacht werden sollen diese Regeln durch unabhängige nationale Fiskalräte und einen gemeinsamen europäischen Fiskalrat. Regierungen, die diese Regeln verletzen und ihre Ausgaben stärker steigern, müssen dies durch nachrangige Staatsanleihen finanzieren, die im Falle eines ESM-Rettungsprogramms verlängert werden. Die entstehende Marktdisziplin wäre viel effektiver als die derzeitige Androhung von Strafen, die zudem zu heftigen Konflikten innerhalb der Eurozone geführt haben. Hiermit einhergehen sollte eine geordnete Schuldenrestrukturierung von Ländern, die zwar keine Automatismen, aber dafür klare Regeln enthalten sollte, wie private Gläubiger in Krisen beteiligt werden und an welche Bedingungen ESM-Kredite geknüpft sind. Das Reformprogramm spricht sich auch für eine bessere Risikoteilung aus, allerdings sollte diese vorrangig durch private Kapitalmärkte und nicht durch eine Fiskalunion zustande kommen. Ein zentrales Element dabei sollte es sein, die Abhängigkeit zwischen Staaten und ihren Banken durch eine stärkere Eigenkapitalhinterlegung von Staatsanleihen und einer gemeinsamen Einlagensicherung zu durchbrechen. Das schafft Anreize für Banken, weniger einheimische Staatsanleihen zu kaufen und ihre Portfolios international zu diversifizieren. Die Bankenaufsicht muss den Druck erhöhen, existierende faule Kredite abzubauen und die Regulierung strenger zu gestalten. Hinzukommen sollte eine synthetische Anleihe aller Länder des Euroraums, die zwar eine Alternative zu nationalen Staatsanleihen bietet, aber auch keinerlei Solidarhaftung der Mitgliedstaaten enthalten darf. Nur im Extremfall einer tiefen Wirtschaftskrise sollte ein gemeinsamer, durch Beiträge finanzierter Fonds einzelnen Mitgliedsländern finanzielle Unterstützung gewähren. Ein solcher Fonds sollte keine Verschuldungsfazilität enthalten. Die Essenz dieses Reformprogramms ist es, die Eigenverantwortung nationaler Regierungen zu stärken und gleichzeitig die Koordinierung der Wirtschaftspolitik zu verbessern. Es erfordert keinen großen Wurf, der auf die Vergemeinschaftung von Risiken abzielt. Das Reformprogramm beinhaltet eine Reihe von moderaten und realistischen Reformschritten, die in ihrer Gesamtheit die Währungsunion vollenden und nachhaltig machen. Die unterschiedlichen Positionen in Deutschland und Frankreich sind keine Widersprüche, sondern komplementäre Elemente eines notwendigen Reformprogramms. Die neue Bundesregierung sollte die historische Chance nutzen und die ausgestreckte Hand des französischen Präsidenten Macron ergreifen, um zusammen Europa zu reformieren und den Euro nachhaltig zu machen. Dies erfordert keine politische Union, eine Reihe von gezielten und realistischen Reformen sind ausreichend, um den Euro wieder zu der Erfolgsgeschichte zu machen, der er von Anfang an war.
Zwei Programme erlauben der Europäischen Zentralbank (EZB),1 Staatsanleihen von Ländern des Euroraums zu kaufen: die „Geldpolitischen Outright-Geschäfte“ (Outright Monetary Transactions, OMTs) und das „Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors“ (Public Sector Purchase Programme, PSPP). Kauft die EZB Staatsanleihen eines Landes im Rahmen der OMTs, agiert sie als Lender of Last Resort, also als Kreditgeber der letzten Instanz für dieses Land. Die OMTs sind damit ein Instrument zur Vermeidung einer mit hohen Kosten verbundenen Systemkrise in der Form eines ungeordneten Staatsbankrotts und/oder eines ungeordneten Auseinanderbrechens der Währungsunion. Vor diesem Hintergrund werden die OMTs in diesem Beitrag grundsätzlich positiv beurteilt. Das PSPP setzt die EZB als Instrument des Quantitative Easing ein. Sie kauft im großen Umfang Staatsanleihen mit dem Ziel, eine, gemessen an dem Ziel der EZB, zu niedrige Inflationsrate zu erhöhen. Das Instrument des Quantitative Easing wird in diesem Beitrag insbesondere aufgrund seiner unerwünschten Nebenwirkungen eher kritisch gesehen. Die EZB als Lender of Last Resort für StaatenIm Frühjahr 2010 wurde die prekäre Lage des griechischen Staatshaushalts immer offensichtlicher. Die Kreditwürdigkeit Griechenlands wurde immer stärker infrage gestellt, sodass der griechische Staat zunehmend Schwierigkeiten bekam, sich am Kapitalmarkt zu finanzieren. Die Wahrscheinlichkeit eines Staatsbankrotts wurde relativ hoch eingeschätzt. Eine Insolvenzordnung für Staaten, die näher regelt, wie im Euroraum mit insolventen Staaten umzugehen ist, gab (und gibt) es nicht. Es bestand folglich die Gefahr eines ungeordneten griechischen Staatsbankrotts. Dies wäre unweigerlich mit einem Austritt Griechenlands aus der Währungsunion verbunden gewesen. Der Staat hätte nicht mehr die Möglichkeit gehabt, seine öffentlichen Ausgaben wie Rentenzahlungen, Gehälter für im öffentlichen Dienst Beschäftigte und Sozialausgaben in Euro zu tätigen. Damit hätte der griechische Staat wieder eine eigene Währung drucken müssen, um überhaupt das öffentliche Leben in Griechenland aufrechtzuerhalten. Ein Staatsbankrott ist mit immensen wirtschaftlichen und sozialen Kosten, häufig auch mit politischen Instabilitäten verbunden. Insbesondere bei einem ungeordneten Staatsbankrott wäre jedoch nicht nur Griechenland mit großen Problemen konfrontiert gewesen, sondern es bestand die Gefahr, dass andere Länder angesteckt worden wären. Unsicherheiten, Informationsprobleme darüber, inwiefern Länder wie Portugal, Spanien und Italien ihre Schulden weiterhin vereinbarungsgemäß bedienen können, ließ auch die Zinssätze auf diese Staatsanleihen steigen. Dies verschlechterte die Haushaltslage dieser Länder weiter. Es bestand mithin nicht nur die Gefahr eines ungeordneten griechischen Staatsbankrotts, sondern auch die einer Systemkrise in Form eines ungeordneten Auseinanderfallens der Europäischen Währungsunion. Dies wäre mit gravierenden Kosten für die gesamte Volkswirtschaft des Euroraums verbunden gewesen. Vor diesem Hintergrund wurden im Mai 2010 von den Mitgliedsländern der Währungsunion ein finanzielles Hilfsprogramm für Griechenland und ein Schutzschirm für den Euroraum beschlossen. Letzterer ermöglichte und ermöglicht gegen wirtschaftspolitische Auflagen die Unterstützung von Mitgliedsländern, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind. Ferner begann im Frühjahr 2010 die EZB im Rahmen des neu eingeführten Securities Market Programme (SMP) mit dem Ankauf von griechischen, italienischen, portugiesischen und spanischen Staatsanleihen. An Auflagen waren diese Käufe nicht geknüpft. Im Jahr 2012, als sich die Krise im Euroraum erneut zuspitzte, wurde das SMP durch ein neues Programm zum Ankauf von Staatsanleihen, die OMTs, ersetzt. Dieses Programm ermöglicht der EZB den Ankauf von Staatsanleihen von sogenannten Programmländern, d. h. von Ländern, die unter dem europäischen Rettungsschirm stehen. Finanzielle Hilfen im Rahmen dieses Rettungsschirms, und damit dann auch der Ankauf von Staatsanleihen im Rahmen der OMTs, sind an wirtschaftspolitische Auflagen geknüpft. Zum 31.12.2012 betrug der Bestand an Staatsanleihen, die im Rahmen des SMP gekauft wurden, 218 Mrd. Euro,2 im Rahmen der OMTs hat die EZB bis November 2018 keine Anleihen erworben. Die EZB begründete die Einführung beider Programme damit, die geldpolitische Transmission aufrechterhalten zu wollen. Diese würde durch Spannungen an den Märkten für Staatsanleihen erheblich behindert.3 In Bezug auf die OMTs geht sie explizit auf die Vermeidung einer potenziellen Systemkrise ein: „mit den OMT [steht] ein hochwirksamer Sicherungsmechanismus zur Vermeidung destruktiver Szenarien, die gravierende Herausforderungen für die Preisstabilität im Euro-Währungsgebiet beinhalten könnten … zur Verfügung.“4 Mögliche Wertpapierkäufe im Rahmen der OMTs sollen demnach eine mit extrem hohen Kosten verbundene Systemkrise verhindern. Vor diesem Hintergrund sind mögliche Wertpapierankäufe der EZB im Rahmen der OMTs als positiv zu bewerten. Die Zentralbank agiert als Feuerwehr, indem sie als Lender of Last Resort für Staaten zur Verfügung steht. Aufgrund ihrer grundsätzlich unbegrenzten finanziellen Ressourcen ist die Zentralbank die einzige Institution, die diese Funktion glaubwürdig übernehmen kann. Diese Funktion ist mit Kosten verbunden. Spiegeln die relativ hohen Renditen der entsprechenden Staatsanleihen nicht nur die in einer Krise in der Regel stark ausgeprägten Unsicherheiten und Informationsprobleme wider, sondern eine tatsächlich relativ niedrige Kreditwürdigkeit des jeweiligen Landes, subventioniert die EZB über den Ankauf der Staatsanleihen die Staatshaushalte der entsprechenden Länder. Damit bewegt sich die Geldpolitik nah an der Fiskalpolitik. Diese ist jedoch eine Kernaufgabe demokratisch gewählter Regierungen, nicht von unabhängigen Zentralbanken. Es würde ein Demokratiedefizit vorliegen. Auch kann die EZB an Glaubwürdigkeit verlieren – agiert sie tatsächlich als Lender of Last Resort zur Verhinderung einer Systemkrise oder will sie möglicherweise doch die Staatshaushalte entlasten? Die Glaubwürdigkeit einer Zentralbank ist jedoch entscheidend für die Wirksamkeit geldpolitischer Maßnahmen. Ferner kann ein Verlust an Glaubwürdigkeit eine Gefahr für die Unabhängigkeit einer Zentralbank darstellen.5 Weiterhin können die als Folge der Wertpapierankäufe gesunkenen Zinsen den Druck auf Regierungen vermindern, notwendige strukturelle Reformen durchzuführen. Bei den OMTs ist jedoch zu berücksichtigen, dass die EZB nur Staatsanleihen der Länder kauft, die finanzielle Hilfen aus dem Europäischen Rettungsfonds erhalten. Diese Hilfen sind zum einen demokratisch legitimiert und zum anderen an Reformauflagen geknüpft. Die möglichen Demokratiedefizite und der nachlassende Reformdruck bei einem Einsatz als Lender of Last Resort dürften somit nicht so stark ausgeprägt sein. In dem Moment einer akuten Krise, wenn eine Systemkrise in Form eines ungeordneten Staatsbankrotts und/oder eines ungeordneten Auseinanderbrechens der Währungsunion droht, sind die Kosten eines Lender-of-Last-Resort-Einsatzes in Kauf zu nehmen. Es ist jedoch zu überlegen, inwiefern die institutionellen Rahmenbedingungen so durchgesetzt bzw. gestaltet werden können, dass sowohl diese Kosten, als auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Zentralbank überhaupt als Lender of Last Resort agieren muss, minimiert werden. Für letzteres ist es wichtig, bestehende fiskalische Regeln, wie beispielsweise die des Stabilitäts- und Wachstumspakts, durchzusetzen, damit die Staatshaushalte solide und damit weniger schockanfällig sind. Auch die Möglichkeit eines geordneten Staatsbankrotts würde die Wahrscheinlichkeit des notwendigen Agierens der EZB als Lender of Last Resort für Staaten reduzieren. Es ist deshalb zu überlegen, inwiefern der institutionelle Rahmen im Euroraum um eine Insolvenzordnung für Staaten erweitert werden kann. Auch ist in Erwägung zu ziehen, der EZB explizit das Mandat zu geben, bei Gefahr einer Systemkrise als Lender of Last Resort für Staaten agieren zu können. Dies würde die Stabilität der Währungsunion als Ganzes erhöhen, aber auch die Glaubwürdigkeit der EZB stärken, da sie dann gegebenenfalls auf einer eindeutigen gesetzlichen Grundlage agiert. Quantitative EasingDas gesetzlich verankerte, vorrangige Ziel der EZB ist die Gewährleistung von Preisniveaustabilität. Vor diesem Hintergrund strebt die EZB eine Inflationsrate von unter, aber nahe 2 % an. Von Januar 2013 bis Januar 2015 sank die Inflationsrate nahezu kontinuierlich von 2 % auf -0,6 %. Problematisch werden sinkende Inflationsraten, wenn sie in einer gefährlichen, sich selbst verstärkenden Deflation münden. Dies ist der Fall, wenn weiterhin sinkende Preise erwartet und damit Konsum- und Investitionsausgaben in die Zukunft verschoben werden. Die Nachfrage und damit auch die gesamtwirtschaftliche Produktion sinken, die Arbeitslosigkeit steigt. Die Preise gehen aufgrund der sinkenden Nachfrage weiter zurück – ein Teufelskreis. Die akute Gefahr einer gefährlichen, sich selbst verstärkenden Deflation wurde zwar auch zu Beginn des Jahres 2015 nicht gesehen, aber die EZB schätzt grundsätzlich eine zu niedrige Inflationsrate über einen zu langen Zeitraum als problematisch ein und will mögliche Deflationsgefahren im Keim ersticken. Neben der niedrigen Inflationsrate sprach auch das weitere makroökonomische Umfeld im Euroraum zu Beginn des Jahres 2015 (niedriges Wirtschaftswachstum, hohe Arbeitslosigkeit, schwache Kreditvergabe) für eine weitergehende expansive Geldpolitik. Die von der EZB gesetzten Zinssätze hatten jedoch bereits nahezu ihre effektive Untergrenze erreicht. So lag der Hauptrefinanzierungszinssatz der EZB bei 0,05 %, der Zinssatz auf die Einlagefazilität war mit -0,02 bereits im negativen Bereich. Signifikate Zinssenkungen der EZB zur Stimulierung der Wirtschaft waren somit nicht mehr möglich. Deshalb beschloss die EZB im Januar 2015 das Expanded Asset Purchase Programme (EAPP), ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren. Im Rahmen dieser, auch als Quantitative Easing bezeichneten geldpolitischen Maßnahme kauft die EZB seit März 2015 monatlich im großen Umfang Wertpapiere an. Ende Oktober 2018 betrug der Bestand an Wertpapieren, die die EZB im Rahmen des EAPP erworben hat, 2 547 Mrd. Euro. Rund 82 % hiervon sind Staatsanleihen.6 Ziel dieses Programms ist es, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, die sich aus dem privaten Konsum, den privaten Investitionen, den Staatsausgaben und dem Außenbeitrag zusammensetzt, zu stimulieren und damit die Inflationsrate zu erhöhen. Entscheidend ist, dass der Ankauf der Staatsanleihen zu steigenden Kursen und damit zu sinkenden Renditen dieser Anleihen führt. Damit kann das geldpolitische Instrument des Quantitative Easing über verschiedene Transmissionskanäle auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage wirken. Im Folgenden werden diese kurz beschrieben7 und gegebenenfalls Probleme skizziert, die die Wirksamkeit des entsprechenden Kanals im Euroraum einschränken:
Es gibt demnach nicht den einen Transmissionskanal, über den Quantitative Easing auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage im Euroraum und damit auf die Preise wirkt. Vielmehr existiert eine Vielzahl von Kanälen, von denen ein Großteil im Euroraum seine Wirksamkeit jedoch nur beschränkt entfalten kann. Es gibt eine Reihe von Studien, die untersuchen, wie die makroökonomischen Effekte von Quantitative Easing im Euroraum insgesamt einzuschätzen sind. Diese Studien identifizieren grundsätzlich positive Effekte sowohl auf die Inflation als auch auf das reale Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Diese Studien sind jedoch noch mit erheblichen Unsicherheiten belastet, und kommen demnach bezüglich des Ausmaßes des Effekts zu unterschiedlichen Ergebnissen.14 Die EZB z. B. schätzt den Effekt kumuliert über die Jahre 2016 bis 2020 auf die Inflationsrate und das reale BIP-Wachstum auf jeweils 1,9 Prozentpunkte, pro Jahr im Durchschnitt also auf knapp 0,4 Prozentpunkte.15 Mit dem geldpolitischen Instrument des Quantitative Easing sind erhebliche Risiken und unerwünschte Nebenwirkungen verbunden:16
Dem in verschiedenen Studien identifizierten positiven Effekt des Quantitative Easing auf die Preise stehen somit erhebliche Kosten gegenüber. Bei Staatsanleihekäufen im Rahmen der OMTs ist die Abwendung einer mit hohen Kosten verbundenen Systemkrise das Ziel, und die EZB ist die einzige Institution, die die entsprechende Funktion eines Lender of Last Resort glaubwürdig übernehmen kann. Bei den Staatsanleihekäufen im Rahmen des Quantitative Easing ist es das Ziel, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu stimulieren, um die relativ stark von ihrem Zielwert nach unten abweichende Inflationsrate zu erhöhen. Zu bedenken ist, dass eine gefährliche, sich selbst verstärkende Deflation nicht gegeben war und ist. Da die Geldpolitik auch ohne Quantitative Easing bereits extrem expansiv ausgerichtet war und ist, kann, insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Kosten, die mit dem Instrument des Quantitative Easing verbunden sind, möglicherweise stärker auf andere Politikbereiche zurückgegriffen werden, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu stimulieren. FazitDie möglichen Ankäufe von Staatsanleihen durch die EZB im Rahmen der OMTs sind grundsätzlich positiv zu bewerten. Die EZB agiert als Lender of Last Resort für Staaten und kann somit einer mit hohen Kosten verbundenen Systemkrise entgegenwirken. Der institutionelle Rahmen sollte jedoch erweitert werden (Insolvenzordnung für Staaten, explizites Lender-of-Last-Resort-Mandat), sodass die entsprechenden Kosten und die Wahrscheinlichkeit, dass die EZB als Lender of Last Resort agieren muss, minimiert werden. Das Wertpapierankaufprogramm PSPP, unter dem die EZB seit März 2015 im großen Umfang Staatsanleihen kauft, ist insbesondere aufgrund der starken unerwünschten Nebenwirkungen eher kritisch einzuschätzen.
Der Vertrag von Maastricht verpflichtet die Europäische Zentralbank (EZB) im Artikel 127 (1) auf das „vorrangige Ziel […], die Preisstabilität zu gewährleisten.“ Der Vertrag schreibt der EZB eine eindeutige Zielhierarchie vor, räumt ihr aber Unabhängigkeit ein sowohl bei der Konkretisierung dieses Ziels als auch bei den Entscheidungen darüber, welche Instrumente sie einsetzen sollte, um Preisstabilität zu erreichen. Bereits im Oktober 1998, noch vor der Einführung des Euro Anfang 1999, konkretisierte der EZB-Rat eine quantitative Definition des Ziels der Preisstabilität: „eine jährliche Wachstumsrate des harmonisierten Verbraucherpreisindex für die Euro-Zone von mittelfristig unter 2 %.“ Furcht vor DeflationAls sich Anfang des neuen Jahrtausends mit einem starken Einbruch der Aktienmärkte – zunächst in den USA, dann weltweit – eine nachhaltige Rezession ankündigte, verbreitete sich die Sorge vor den Gefahren einer deflationären Spirale. Angestoßen von den Erfahrungen in Japan seit Anfang der 1990er Jahre, wurde der EZB damals vorgeworfen, die von ihr selbst gewählte Definition der Preisstabilität sei asymmetrisch; sie unterschätze die Gefahren einer Deflation, die vor allem in einem so heterogenen Wirtschaftsraum wie dem Euroraum gravierende Folgen haben könne. So formulierte etwa Hans-Werner Sinn in seinem Aufsatz „Die rote Laterne“1: „Eine Deflation […] wäre eine fatale Entwicklung für Deutschland, weil ein Anstieg der Realzinsen und der Reallöhne die ohnehin alarmierende Zahl der Insolvenzen noch weiter erhöhen würde. Eine geringe Inflation ist unschädlich, eine geringe Deflation wäre hingegen eine Katastrophe. Diese Asymmetrie wird manchmal übersehen [...], sie verbietet es, nur den Durchschnitt in den Blick zu nehmen und besonders ehrgeizige Stabilitätsziele zu verfolgen.“2 Er forderte deshalb: „Die EZB sollte eine Inflationsrate von 2,5 Prozent für den Durchschnitt der Euro-Länder anpeilen und dabei zugleich darauf achten, dass kein Land in den Bereich einer Inflationsrate von weniger als 1,5 Prozent gedrückt wird.“ Der EZB-Rat gab damals zwar nicht dem Drängen nach, die selbst gewählte Zielgröße anzuheben; er präzisierte im Zuge einer Überprüfung der geldpolitischen Strategie am 8. Mai 2003 aber, dass die EZB mittelfristig eine Inflation von unter, aber nahe 2 % anstrebe. Die ersten zehn Jahre schien die EZB-Politik eine echte Erfolgsgeschichte zu werden. Im Durchschnitt war die Inflationsrate im gesamten Euroraum viel niedriger als zu Zeiten der Deutschen Bundesbank; sie lag fast punktgenau bei nur etwas über 2 % – trotz starker Heterogenität über die einzelnen Staaten hinweg. Die Inflationsrate in Deutschland lag zwischen 1999 und 2008 bei 1,7 %, in den Boom-Regionen der Peripherie war sie dagegen weit höher. Mit Ausbruch der Finanzkrise hat sich das Bild jedoch stark verändert: In der Zeit von 2009 bis 2017 bewegte sich die Inflation im gesamten Euroraum im Durchschnitt bei nur 1,2 % und lag damit weit unter der Zielgröße von „unter, aber nahe 2 %“. Gravierender noch: Die Inflationsraten verharrten in nahezu allen Staaten des Euroraums auf niedrigen Werten – selbst in Deutschland, dem Land, das sich nach der Finanzkrise relativ rasch erholte, war die Rate seit 2009 im Durchschnitt auch nicht höher als 1,2 %. Der Anpassungsprozess der relativen Preise, der die Peripheriestaaten wieder wettbewerbsfähig machen könnte, konnte deshalb ohne eine starke Deflation in diesen Ländern nicht in Gang kommen. Hans-Werner Sinns Prophezeiung einer „Katastrophe“ erwies sich im Nachhinein somit für die Peripheriestaaten als durchaus zutreffend. Niedrigzinspolitik der Fed und der Bank of EnglandDie Finanzkrise stellte die EZB vor schwere Zerreißproben. Sowohl die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) als auch die Bank of England haben im Herbst 2008 nicht nur ihre Leitzinsen rasch fast auf null gesenkt, sondern zudem mit einer Vielzahl historisch ungewöhnlicher Maßnahmen experimentiert, die auf den ersten Blick in eklatantem Widerspruch zu den traditionellen Vorstellungen von solider Geldpolitik zu stehen scheinen. Weil sie die Zinsen nicht weiter senken konnten, versuchten sie, die Krise mit unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen zu bekämpfen. Die Geldbasis (die Bereitstellung von Liquidität) wurde in den USA und Großbritannien massiv ausgeweitet; der Ankauf von Wertpapieren hat die Zentralbankbilanzen entsprechend stark verlängert. Zudem wurde die Kommunikationsstrategie explizit darauf ausgerichtet, der Öffentlichkeit klar (im Sinne einer „Forward Guidance“) zu signalisieren, es sei beabsichtigt, ihre unkonventionellen Maßnahmen auf längere Zeit beizubehalten. Die transparente Verpflichtung, die Leitzinsen über einen ausgedehnten Zeitraum bis weit in die Zukunft hin niedrig zu halten, sollte dazu beitragen, sowohl die langfristig erwarteten Zinssätze als auch deren Volatilität nachhaltig zu senken. Die Politik der Fed orientiert sich dabei eng an theoretischen Modellansätzen, die den optimalen dynamischen Zinspfad für den Fall charakterisieren, dass die Zinssätze am kurzen Ende an der effektiven Untergrenze angelangt sind.3 Die zentrale Botschaft dieser Modellansätze besteht darin, die Zentralbank sollte ihren Leitzins möglichst rasch aggressiv auf die Untergrenze senken, um die Deflationsgefahr wirksam zu bekämpfen und sich zudem darauf verpflichten, die Zinsen anhaltend auch noch dann auf niedrigem Niveau zu lassen, wenn sich die Wirtschaft wieder erholt hat. Gelingt es mit einer solchen Verpflichtung, glaubwürdig die Erwartung anhaltend niedriger Zinsen zu vermitteln, können die Finanzierungsbedingungen nachhaltig verbessert werden und so eine rasche Erholung gewährleisten. Anfänglich zögerliche Reaktion der EZBIm Gegensatz zur aggressiven Politik von Fed und Bank of England zeigte sich die EZB anfangs eher zögerlich. Noch im Lauf des Jahres 2011 erhöhte sie den Leitzins wieder von 1 % auf 1,5 %. Sie war zudem anfangs bestrebt, die Ausweitung der Geldbasis möglichst bald wieder zurückzufahren. Zwar leitete sie eine Vielzahl von Stützungsmaßnahmen ein (wie etwa die Umstellung der Liquiditätsversorgung auf längerfristige Refinanzierungsgeschäfte und die Ausweitung des Pools zulässiger Kreditsicherheiten); diese waren zunächst aber von vornherein ausdrücklich nur auf einen begrenzten Zeitraum angelegt. Während sich die konjunkturelle Entwicklung in vielen anderen Industriestaaten ab 2011 allmählich beruhigte, kam es im Euroraum nochmals zu einem weiteren massiven Einbruch. Erst mit dem Ausbruch dieser Eurokrise begann auch die EZB vehement mit dem Einsatz unkonventioneller Maßnahmen – etwa dem Rückgriff auf Forward Guidance mit der Zusicherung ab Juli 2013, der „EZB Rat geh[e] davon aus, dass die Leitzinsen für längere Zeit auf dem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau bleiben werden“. Weil aber die wirtschaftliche Aktivität im Euroraum trotz niedriger Zinsen zunächst eher verhalten blieb, entschied sich der EZB-Rat, im Juni 2014 negative Einlagenzinsen und gezielte langfristige Refinanzierungsgeschäfte von bis zu vier Jahren einzuführen. Anfang 2015 startete die EZB schließlich ein monatliches Aufkaufprogramm von Staats- und Unternehmensanleihen der Euroländer in massivem Umfang. Mit diesen Entscheidungen hat sie letztlich einen deutlichen Strategiewechsel zu einer expliziten Politik der quantitativen Lockerung (der aktiven Vorgabe von Liquiditätszielen) eingeleitet. Kritik an unkonventioneller GeldpolitikAngesichts zahlreicher Maßnahmen, die scheinbar im Widerspruch zum Standardrepertoire traditioneller Geldpolitik standen, sah sich die EZB vor allem in der deutschen Öffentlichkeit starker Kritik ausgesetzt. In vielen Medien wurde der Vorwurf laut, sie verlasse den bewährten Tugendpfad der Deutschen Bundesbank. Tatsächlich jedoch bedeuten die unkonventionellen Maßnahmen keineswegs einen Paradigmenwechsel; sie stehen vielmehr in der Tradition einer stabilitätsorientierten Geldpolitik mit dem Ziel, Preisstabilität im Sinn einer Inflation von knapp unter 2 % durchzusetzen. Die EZB orientiert sich bei ihren jüngsten Maßnahmen zur quantitativen Lockerung stark an der in den USA nach 2008 betriebenen Geldpolitik – im Bestreben, die dort erreichten Erfolge auf den Euroraum zu übertragen. Auch in den USA und England wurden die Maßnahmen der Zentralbanken von Anfang an sehr kontrovers diskutiert. Kritiker forderten dort schon 2008 lautstark eine sofortige Umkehr. Sie warnten davor, die Ausweitung der Geldbasis führe zwangsläufig zu hoher Inflation; zudem brächten die niedrigen Zinsen Gefahren für die Finanzmarktstabilität. Gerade in den USA erwiesen sich die neuen Instrumente jedoch als überraschend erfolgreich. Sie leisteten einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Erholung, ohne dass bislang schädliche Nebenwirkungen erkennbar werden. Die Deflationsgefahr wurde erfolgreich abgewendet; die Inflationsraten blieben seitdem bemerkenswert stabil. Neue TransmissionsmechanismenTheoretisch spielen dabei vor allem zwei Transmissionskanäle eine wichtige Rolle: Zum einen der Signalkanal (die Veränderung der Markterwartungen über den beabsichtigten zukünftigen geldpolitischen Pfad), zum anderen der Portfoliokanal: Die direkten Käufe bestimmter Wertpapiere verändern die relativen Preise verschiedener Vermögenswerte. Mit der Absenkung der langfristigen Zinsen erhöhen sich dann auch andere Vermögenswerte und stimulieren so Inflation und Konsum. In einfachen Standardmodellen ist der Portfoliokanal unwirksam. Sie gehen von der Annahme aus, auf modernen Kapitalmärkten bestehe perfekte Arbitragemöglichkeit zwischen allen Wertpapieren (etwa zwischen kurz- und langfristigen Staatsanleihen). In der Realität erweist sich diese Annahme jedoch offensichtlich als nicht zutreffend. Ökonometrische Studien der Politik der Fed zeigen, dass die unkonventionellen Maßnahmen einen signifikanten Beitrag zur Senkung der langfristigen Zinsen (um etwa 100 Basispunkte) und der Risikoprämien leisteten.4 Dabei erweist sich der Signalcharakter als entscheidend: Die stärksten Effekte sind unmittelbar zum Zeitpunkt der Ankündigung der ersten Maßnahmen messbar, zum Zeitpunkt der Durchführung der tatsächlichen Käufe lassen sich dagegen eher schwächere Effekte messen. Zudem scheinen weitere Maßnahmen, die später zusätzlich angekündigt wurden, weniger durchschlagend zu wirken. Mit dem massiven Einsatz unkonventioneller Maßnahmen hat sich auch im Euroraum die Wirtschaftsaktivität stabilisiert. Da viele Maßnahmen parallel eingeführt wurden, ist es kaum möglich, die Auswirkung einzelner Programme wie die Einführung von Negativzinsen oder die Einleitung der Politik quantitativer Lockerung zu messen. Ökonometrische Studien weisen aber darauf hin, dass alle Maßnahmen zusammengenommen zu einer signifikanten Stabilisierung der Finanzmarktvariablen (von Vermögenspreisen, langfristigen Zinsen und Zinsaufschlägen) führten. Im Lauf des Jahres 2014 hatten sich die Inflationserwartungen merklich abgesenkt; dies deutete auf die Gefahr gefährlicher Zweitrundeneffekte hin zu einer deflationären Spirale. Ereignisstudien zeigen, dass sich die langfristigen Inflationserwartungen seit der Ankündigung des Aufkaufprogramms merklich stabilisiert haben und somit die Glaubwürdigkeit des von der EZB formulierten Inflationsziels gestärkt wurde.5 Die gesamte Zinsstrukturkurve hat sich seit der Einführung negativer Einlagenzinsen und dem Wertpapier-Aufkaufprogramm signifikant nach unten verschoben. Der Rückgang und die Konvergenz der längerfristigen Kreditzinsen über den gesamten Euroraum sind ein Indiz dafür, dass sich der Transmissionsmechanismus der Geldpolitik, der in der Eurokrise stark gestört war, allmählich wieder etwas erholt hat. Allerdings liegt der Aufschlag der Kreditzinsen über den Leitzins immer noch wesentlich höher als vor Ausbruch der Finanzkrise. Dies könnte bedeuten, dass trotz aller Stimulierungsmaßnahmen der Transmissionsmechanismus im Vergleich zu den Zeiten vor der Krise weniger effektiv ist. Dies mag zum einen an verschärften Regulierungsmaßnahmen liegen, die Risiken im Bankensektor mindern sollen, die aber die Kreditvergabe eher dämpfen und damit in der kurzen Frist gegenläufig zu den unkonventionellen Maßnahmen wirken. Zum anderen könnte es auch ein Indiz dafür sein, dass die Effektivität der Geldpolitik angesichts der effektiven Zinsuntergrenze trotz einer Vielzahl koordinierter unkonventioneller Maßnahmen niedriger ist als in normalen Zeiten. Herausforderungen bleiben bestehenDies deutet darauf hin, dass die Herausforderungen, vor die sich die EZB seit der Finanzkrise gestellt sieht, auch in Zukunft die Geldpolitik weiterhin belasten werden. Mit dem Rückgang sowohl von Inflationsraten wie realen Wachstumsraten sind die Nominalzinsen im Lauf der letzten 20 Jahre weltweit stetig gesunken. Damit steigt aber die Gefahr, dass Geldpolitik als Stabilisierungsinstrument in ihren Wirkungsmöglichkeiten stark eingeschränkt wird, weil sie immer häufiger an die effektive Zinsuntergrenze stößt und sich deshalb gezwungen sieht, zu unkonventionellen Mitteln Zuflucht zu nehmen. Während der langen Phase der großen Mäßigung – der in aller Welt geringen Schwankungen der wirtschaftlichen Aktivität von Mitte der 1980er Jahre bis zum Jahr 2007 – wurde diese Gefahr als sehr gering eingeschätzt. Ökonometrische Forschungsarbeiten, die sich auf Daten in diesem Zeitraum stützten, ergaben eine vernachlässigbare Wahrscheinlichkeit, dass die Zinsuntergrenze eine bindende Restriktion darstellt. Die jüngsten Erfahrungen seit der Finanzkrise haben zu einem drastischen Umdenken geführt. Obwohl in den USA schon seit Oktober 2014 ein Ausstieg aus den unorthodoxen Maßnahmen eingeleitet wurde, bleiben die langfristigen Nominalzinsen weiterhin niedrig. Damals begann die Fed, ihr Programm der quantitativen Lockerung zu beenden. Sie hielt zunächst ihre Bilanzsumme unverändert; nur auslaufende Wertpapiere wurden durch neue ersetzt. Dann leitete sie einen langsamen Anstieg der Zinsen ein. Schließlich begann sie damit, allmählich ihre Bilanzsumme wieder zurückzufahren, indem auslaufende Wertpapiere nicht mehr ersetzt wurden. Trotz steigender Zinsen am kurzen Ende bewegen sich aber auch dort die durchschnittlich erwarteten langfristigen Zinsen bislang kaum nach oben. Auch die von den Entscheidungsträgern der Fed selbst angestellten Langfristprognosen bleiben verhalten. Während die Zinsen am langen Ende in den USA zwischen 1965 und 2000 im Durchschnitt bei 7 % lagen, verharrt die Medianprognose über den langfristigen Leitzins auch im September 2018 bei nur 3 %. Damit wird der Spielraum für Zinssenkungen in Rezessionsphasen aber stark eingeschränkt. Weil hier alternative Stabilisierungsmechanismen (wie etwa fiskalische Transfers oder eine Arbeitslosenversicherung auf supra-nationaler Ebene) kaum greifen, ist diese Gefahr im Euroraum noch erheblich gravierender. Angesichts dieser Problematik liegt es nahe, auf den Vorschlag zurückzugreifen, die durchschnittlich angestrebte Inflationsrate nicht zu niedrig anzusetzen. Würde die EZB in Zukunft eine Inflationsrate von 2,5 % bis 3 % für den Durchschnitt der Euroländer anpeilen, könnte sie der Gefahr entkommen, allzu häufig in ihren Wirkungsmöglichkeiten durch die effektive Zinsuntergrenze beschränkt zu werden. So ließe sich der Zwang vermeiden, in Zukunft immer wieder auf die so kontrovers diskutierten Instrumente unkonventioneller Geldpolitik zurückgreifen zu müssen.
Die Europäische Zentralbank (EZB) wurde zum 1. Juni 1998 gegründet. Damit verblieben noch sieben Monate bis zu dem Zeitpunkt, an dem die neue Institution die geldpolitische Verantwortung für die neue Währung übernehmen würde. Erst wenige Wochen zuvor hatten die Staats- und Regierungschefs die Entscheidung über die Besetzung des Direktoriums (Präsident, Vizepräsident und vier weitere Mitglieder) sowie die am Euro teilnehmenden Länder getroffen. Der neue Währungsraum stellte in jeder Hinsicht eine Terra Incognita dar. Für die EZB und ihre künftige Geldpolitik resultierte daraus ein ungewöhnliches Maß an Unsicherheit.1
Dieses extreme Ausmaß an Unsicherheit galt es zu berücksichtigen. Schon deshalb schied Inflation Targeting, das zunehmend als „State of the Art“ angesehen wurde, für die EZB als Option aus. Ich habe in dieser Zeit mit führenden Vertretern dieser Strategie diskutiert und sie nicht zuletzt gefragt, wie wir uns auf eine Inflationsprognose, das Fundament des Inflation Targeting, verlassen könnten, wenn weder verlässliche Daten, Parameter oder Modelle verfügbar wären. So lagen etwa stark divergierende Schätzungen der Europäischen Kommission, des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und von uns selbst über die Produktionslücke vor. Auf die Frage, mit welcher Begründung wir uns für einen dieser Werte entscheiden sollten, habe ich erwartungsgemäß nie eine Antwort erhalten.2 Die stabilitätsorientierte geldpolitische StrategieAls Direktoriumsmitglied, zuständig für die Generaldirektionen Volkswirtschaft und Forschung, fiel mir die Aufgabe zu, die Geldpolitik der EZB vorzubereiten. Für eine intensive, offene Diskussion wählte ich eine Gruppe von Mitarbeitern aus, die auf dem Gebiet der monetären Theorie hervorragend ausgewiesen waren. Als Erstes war die Frage zu klären, ob vor dem Hintergrund des beschriebenen hohen Maßes an Unsicherheit die EZB ihre Geldpolitik nicht einfach mit einem Prozess von Versuch und Irrtum beginnen sollte. Diese Option hätte jedoch den Eindruck einer gewissen Ratlosigkeit erwecken, zu anhaltenden Irritationen in der Öffentlichkeit und insbesondere auf den Finanzmärkten führen können, und schied deshalb schnell aus dem Kreis der Lösungen aus. Die neue Notenbank konnte nicht auf einen Track Record vergangener erfolgreicher Politik verweisen. Damit stellte sich das Problem des Vertrauens in die neue Notenbank als ganz besondere Herausforderung. Was lag daher näher, als den Euro in der Tradition der stabilen nationalen Währungen, vor allem der D-Mark, und deren Notenbanken, vorab der Deutschen Bundesbank, zu präsentieren? Mit dem Ziel, die hohe Glaubwürdigkeit der Bundesbank so weit wie nur möglich auf die EZB zu übertragen, hatte ich mich noch als Bundesbanker dafür ausgesprochen, die EZB solle – wie die Bundesbank – ein Geldmengenziel ankündigen, wegen der möglichen Unsicherheiten allerdings mit einigen Vorkehrungen.3 In der konkreten Verantwortung für die neue Währung habe ich mich dann eindeutig gegen ein Geldmengenziel entschieden. Maßgeblich waren dafür theoretische Überlegungen und meine praktischen Erfahrungen in der Bundesbank. Der Übergang von den nationalen Währungen zum Euro verkörperte den Extremfall eines Regimewechsels im Sinne Robert Lucas‘ mit möglicherweise gravierenden Strukturbrüchen, die die Basis für ein Geldmengenziel gefährden bzw. sogar zerstören könnten.4 Als zuständiges Mitglied im Direktorium der Deutschen Bundesbank musste ich immer wieder gegenüber der Öffentlichkeit erklären, warum wir ein Geldmengenziel verfehlt hatten, es aber trotzdem sinnvoll war, an dieser Strategie grundsätzlich festzuhalten. Wäre dieser Fall nach der Einführung des Euro eingetreten, was mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, hätte eine derartige Erklärung kaum überzeugend ausfallen können. Die EZB hätte dann möglicherweise schon bald nach dem Start ihre Geldmengenstrategie für gescheitert erklären müssen, mit schlichtweg katastrophaler Beschädigung ihrer Glaubwürdigkeit. Gleich beim ersten Treffen der genannten Gruppe machte ich meinen Mitarbeitern klar, dass entgegen dem, was sie von mir möglicherweise erwarteten, ein Geldmengenziel für mich nicht infrage käme. Diese Aussage überraschte sie wohl ähnlich wie später die Mitglieder des EZB-Rates. „Geld“ – im weitesten Sinne – sollte jedoch in der geldpolitischen Strategie eine wichtige Rolle spielen. Muss es nicht verwundern, dass nach weitverbreiteter, wenn nicht herrschender Auffassung „Geld“ in Konzeptionen der „Geld“(!)-politik nicht in einer aktiven Rolle gesehen wird?5 Die Gegenposition hat der langjährige Gouverneur der Bank of England, Mervyn King, auf einen einfachen Nenner gebracht: No money – no inflation.6 Parallel zur Diskussion mit meinen Mitarbeitern hatte ich führende Experten aus der ganzen Welt – mit ganz unterschiedlichen Auffassungen – eingeladen, um mit ihnen die Probleme zu diskutieren, vor denen die EZB bei der Entwicklung einer geldpolitischen Strategie stand.7 Als Ergebnis dieser Arbeit konnte ich dann die stabilitätsorientierte geldpolitische Strategie präsentieren, die vom Direktorium und dem Rat der EZB angenommen und am gleichen Tag, dem 13. Oktober 1998, der Öffentlichkeit bekanntgegeben wurde.8 Diese Entscheidung enthielt drei Elemente:
In dem mit Beginn der Währungsunion veröffentlichten Monatsbericht erschienen verschiedene Beiträge, in denen die Strategie eingehend erläutert wurde. Diese wurde bald als „Zwei-Säulen-Strategie“ bekannt, mit der monetären Analyse als der ersten und der ökonomischen Analyse als der zweiten Säule. „Die Fülle der eingehenden Informationen wird in der Strategie der EZB gewissermaßen in zwei Kanäle geleitet … die zwei Säulen-Strategie gibt einen Rahmen, innerhalb dessen die Informationen zunächst in den beiden Säulen überprüft und bewertet, und schließlich miteinander verglichen, gegebenenfalls gegeneinander abgewogen werden. Dieses Cross-Checking endet in einer Einschätzung, die alle relevanten Informationen berücksichtigt sowie in ihrer unterschiedlichen Bedeutung und den verschiedenen Zeitdimensionen angemessen bewertet.“9 Dabei deckt die ökonomische Analyse den kurz- bis mittelfristigen Zeitraum ab, während der Schwerpunkt der monetären Analyse den mittel- bis langfristigen Gefährdungen der Preisstabilität gilt. Auch in dieser klar strukturierten Erfassung der für die Gesamteinschätzung wichtigen Zuordnung unterschiedlicher Zeithorizonte liegt ein meist unterschätzter bzw. ignorierter Vorteil der EZB-Strategie. Auf der Basis dieser umfassenden und geordneten Analyse war die EZB in der Lage, geldpolitische Entscheidungen zu treffen, die weitgehend Zustimmung fanden. Gleichwohl schlug ich nach Ablauf der ersten drei Jahre vor, die Strategie zu evaluieren. Das Ergebnis dieser Überprüfung, der zahlreiche interne Studien zugrunde lagen,10 bestätigte den Erfolg der Strategie und endete in der einstimmigen Überzeugung, die Geldpolitik auch in Zukunft auf dieser Basis zu führen. Folgende Modifikationen wurden vorgenommen:
Eine unveränderte geldpolitische Strategie bedeutet keineswegs, dass nicht laufend daran gearbeitet wird. Das geschah von Anfang an. So wurden etwa die Projektionen zur wirtschaftlichen Entwicklung ständig überarbeitet, das Spektrum der Messung der Inflationserwartungen erweitert etc. Eine beeindruckende Veröffentlichung dokumentiert eine Vielzahl einschlägiger Studien.11 Die Vertiefung und Erweiterung der monetären Analyse gilt etwa dem Zusammenhang zwischen der monetären Entwicklung und Vermögenspreisen, der Risiken für die Finanzstabilität und schlägt sich in Modellen nieder, welche die Ausbreitung finanzieller Schocks erklären. Es ist erstaunlich – um es bei diesem Ausdruck zu belassen –, dass der Mainstream diese wichtige Publikation (wie viele andere einschlägige Arbeiten) einfach ignoriert. Es besteht offensichtlich, aus welchen Gründen auch immer, kein Interesse, sich mit Argumenten auseinanderzusetzen, die nicht ins Konzept des Inflation Targeting passen. Eine überlegene StrategieDie geldpolitische Strategie wurde zunächst im Hinblick auf die besonderen Herausforderungen entwickelt, die aus dem Start in einen neuen Währungsraum resultierten. Kritik aus dem akademischen Bereich konnte nicht ausbleiben. Die Argumente waren zum Teil völlig konträr. Als einzige Notenbank der Welt stellte sich die EZB den „Watchers“ aus allen Bereichen, von der Wissenschaft bis zu den Bankvolkswirten und Journalisten.12 Die entsprechende Konferenz, die bis heute jedes Jahr stattfindet, hat wesentlich zur Klärung offener Fragen beigetragen. „In such a situation adopting an eclectic monetary policy strategy is an act of intellectual and professional honesty, for which the ECB deserves praise, rather than blame. At the same time, such a strategy deprives the ECB‘s policy-makers of the possibility of enjoying what we would call in French a ‚confort intellectual‘.“13 Die geldpolitische Strategie der EZB hat sich aber nicht nur als geeignet erwiesen, die schwierige Startphase zu meistern, diese Strategie war von Anfang an auch als eine zukunftsweisende Konzeption angelegt. Keine andere Strategie berücksichtigt in vergleichbarer Weise alle relevanten Informationen und bringt sie in einer konsistenten, strukturierten Analyse zusammen, die die Grundlage für geldpolitische Entscheidungen bildet. In vielen Diskussionen mit Kollegen aus anderen Notenbanken und der Wissenschaft habe ich immer betont: Die EZB-Strategie stellt nicht den Anspruch, der Weisheit letzter Schluss zu sein, doch ist sie der Versuch, ökonomische und monetäre Analysen in einem Cross-Checking zu verbinden. Das Inflation Targeting, das nach wie vor weithin als „State of the Art“ der Geldpolitik gilt, kann diesem Anspruch nicht gerecht werden.14 Nach all den Wandlungen, die dieser Ansatz im Laufe der Zeit durchgemacht hat, steht am Ende ein Konzept, das nicht weit von Beliebigkeit entfernt ist. Vor allem aber bleibt die Frage, wie eine Strategie der richtige Wegweiser für die Geldpolitik sein kann, in der monetäre Faktoren im weitesten Sinne keine aktive Rolle spielen.15
Welche Vorteile bringt die Einführung des Euros für die Bürger?Mit ihm können Sie in 19 europäischen Ländern bezahlen ohne Geld umtauschen oder Wechselgebühren bezahlen zu müssen. Durch den Euro werden Reisen in Länder des Euroraums nicht nur bequemer und günstiger, er vereinfacht auch andere Lebensaspekte.
Welche Vorteile und Nachteile bringt die Einführung des Euros?Pro Euro:. Durch den Wegfall von Umtausch- und Absicherungskosten spart die Industrie Geld.. Anfallende Transaktionskosten ohne Euro sind erheblich.. Deutsche Unternehmen sparen im Außenhandel jährlich Milliarden ein.. Bei Reisen ins europäische Ausland fallen Wechselgebühren weg.. Wann und warum wurde der Euro eingeführt?Der Euro wurde 1999 zunächst nur als Buchgeld eingeführt. Die Ausgabe als Bargeld an die Endverbraucher begann am 1. Januar 2002. Die ehemaligen Landeswährungen sind keine gültigen gesetzlichen Zahlungsmittel mehr.
Welche Rolle spielt der Euro in der Welt?Ein weiteres Indiz für die starke internationale Stellung des Euro ist die Entwicklung hin zur weltweit zweitwichtigsten Reservewährung nach dem US -Dollar. Staaten in aller Welt wollen ihre Fremdwährungsreserven auch in Euro halten, da der Euro stabil, liquide und weithin einsetzbar ist.
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