Welcher Fakt über Depeche Mode stimmt nicht?

„Und, hast du Karten?“ – Eine Frage, die mir seit ungefähr 4 Monaten ständig gestellt wird. Es geht um Depeche Mode, denn die bringen bekanntlich im März 2013 ihr neues Album „Delta Machine“ heraus und sind passend dazu wieder auf großer Tournee. Und so ein richtiger Fan besucht natürlich auch jedes mögliche Konzert. Sagt man. Stimmt aber nicht ganz.

Seit ebenfalls 4 Monaten stelle ich mir die Frage: „Soll ich hingehen?“ Vielleicht wird das einige überraschen, dass diese Frage überhaupt aufkommt. Ich liebe die Band, die mich nun schon fast mein ganzes Leben begleitet. Ich liebe auch Konzerte in kleinen Clubs oder überschaubaren Hallen, Konzerte in großen Stadien mag ich nicht. Glaube ich zumindestens. Ich habe hier zwei Erinnerungen. Das Konzert 2010 war schrecklich, ich habe mich nicht wohl gefühlt, dabei schwebte doch über meinem Konzertbesuch 1990 ein Heiligenschein. Warum ist das so? Ich habe versucht herauszufinden, warum ich nicht gerne in Stadien gehen, warum ich Depeche Mode so großartig finde und wie das damals war, bei meinen ersten Berührungen mit der Band.  Und vor allem: Warum bin ich so hin- und her gerissen? Vielleicht findet sich der ein oder andere wieder, kann nachvollziehen was ich meine und pflichtet mir bei, oder widerspricht mir energisch. Unsere Erinnerung sind trügerisch, man kann sie verfälschen, manipulieren und filtern.

People are People – Höchstwahrscheinlich glorifizierte Erinnerungsfetzen

Die Geschichte beginnt auf dem Fußboden meines Kinderzimmers. Wie so oft sitze ich hier mit meiner Schwester nach der Schule herum und baue ganze Städte aus unzähligen bunten Plastiksteinen, bin Architekt, Ingenieur und Landschaftsgestalter in einem. Es ist früher Nachmittag, im Radio läuft – wie so oft – WDR 1, so wie der Sender für junge Musik genannt wurde, noch bevor man ihn Einslive taufte. Die Sendung „Hit Chip“s, die um kurz nach Eins startete, war jugendliches Pflichtprogramm, denn hier wurden die deutsche Charts in aufsteigender Reihenfolge zum Besten gegeben. Es ist irgendein regnerischer Tag im April 1984, ich bin 9, meine Schwester ist 17 Jahre alt. Ich glaube, zu dieser Zeit beginnt meine musikalische Prägung. Oftmals habe ich keine Ahnung was da im Radio gespielt wird, wie das Lied heißt oder wer die Band ist, die dort vom Moderator angepriesen wird. Meine Schwester ist besser informiert, singt sogar schon Texte mit, ich steige meistens beim Refrain mit ein, obwohl ich nicht wirklich weiß, was ich da singe. Ich trällere, was ich höre und das klingt manchmal echt schräg. Doch einen Namen sollte ich mir merken, an diesem Tag im April.

Gerade noch malträtierte ein gewisser Freddy Mercury das Mikrofon mit seiner unglaublichen Stimme (Radio Ga Ga – Queen), da wird er schon von einer kreischenden Frau abgelöst (Cindy Lauper – Girls Just want to Have Fun), während ich gerade eine hochkomplexe Fußgängerbrücke entwickle und verzweifelt die letzte Stütze suche, die das Bauwerk halten soll. Der Moderator kündigt Depeche Mode an, die mit ihrem Song „People are People“ gerade erst die Spitze der deutschen Charts erklommen haben. Ich bin begeistert. Genauso muss Musik für mich klingen, habe ich gedacht. Dieser Song ist untrennbar mit Erinnerungen verbunden, die sich wie ein Videoclip in meinem Kopf manifestieren. Während der 3:40 des Songs sehe ich mein Kinderzimmer, die Stadt die wir bauten, meine Schwester, die Poster an den Wänden und sehe, wie der Regen an die Fensterscheiben prasselt.

Welcher Fakt über Depeche Mode stimmt nicht?

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Depeche Mode sollte mich in den folgenden Jahren nicht mehr loslassen. Sie begleiten mein Kindheit, meine Jugend und sind auch dabei, als ich erwachsen werde. Mir gefällt fast alles. Ich liebe ihre Musik, die Texte, die Videos, das Styling und auch die Fans dieser Band. Ihr Album „Black Celebration“ aus dem Jahre 1986 ist eines der ersten selbst gekauften Alben, das ich mir von meinem Taschengeld zusammengespart habe. „Music for the Masses“ liegt 1987 unter dem Weihnachtsbaum und begleitet mich als Kassettenversion auf Schritt und Tritt. Der Walkman macht es möglich. Ich glaube, wenn ich mein Leben an mir Revue passieren lassen möchte, muss ich nur eine Auswahl an Depeche Mode Songs in chronologischer Reihenfolge abspielen. Meine Erinnerung macht den Rest.

Den Wunsch, Depeche Mode live zu sehen, habe ich erstmals 1986. Am 11.Mai geben sie ein Konzert in der Düsseldorfer Phillipshalle, so viel habe ich mitbekommen. Doch natürlich scheitert das Vorhaben an meinem Geldbeutel und (oder vor allem) an der elterlichen Fürsorge. Keine Chance meinen Willen zu bekommen. Im April 1987 versuche ich es ein weiteres Mal und schaffe es immerhin bis vor die Essener Grugahalle. Ich finde allein schon die Atmosphäre berauschend, vor der Halle tummeln sich unzählige Grufties, Waver und sonstiges Subkulturelles Klientel, damals konnte ich das freilich noch nicht so zuordnen. Obwohl Depeche Mode sehr deutlich im Mainstream angekommen sind, ist vom Mainstream selbst relativ wenig zu sehen. Das Konzert selber besuche ich nicht, ich genieße das Konzert vor der Halle. Denn aufgrund schlechter Isolierung kann man den lauteren Stücken problemlos folgen.

Am 8. Oktober 1990 ist es dann soweit, mein Lehrlingsgehalt macht die Reise nach Frankfurt und den Besuch der Festhalle möglich. Das neue Album „Violator“ ist großartig ich habe nur Augen für die Bühne und für Martin Gore, meine Umwelt nehme ich überhaupt nicht mehr wahr, fragt mich nicht, mit wem ich dort gewesen bin. Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht glorifiziere ich auch die Erinnerung an diesen Augenblick und verwische damit die Realität. Es ist wohl so, dass man seine Jugend oftmals schöner empfindet als sie eigentlich war, denn die Erinnerungen daran sind meist intensiver und prägender als die, die während des Erwachsenseins im Alltag, der eigenen Verantwortung und Existenz ertrinken. Als Jugendlicher hat man weniger Sorgen, weil die Eltern meistens für den sicheren Rahmen sorgen.

Zurück zu DM. War das Konzert nun großartig? Ich war dabei! Allein das scheint zu zählen. Das Album „Songs of Faith and Devotion“ habe ich noch verschlungen, „Ultra“, „Exciter“ und „Playing the Angel“ gefallen mir nicht mehr so sehr. Ich besuche kaum noch Konzerte meiner Lieblingsbands, zu Depeche Mode gehe ich gar nicht mehr. Warum das so ist, sollte ich mir 2010 erst wieder in Erinnerung rufen.

Tour of the Universe – Massenweise egomanische Individualisten

Ein kalter und regnerischer Tag im Februar 2010, fast so wie an dem Tag im April, als der Regen gegen die Scheiben prasselte. Eigentlich war das Ganze für Juni 2009 geplant, leider musste sich Dave Gahan einer Operation unterziehen, eine Magen-Darm-Entzündung entpuppte sich als Blasentumor und so wurden einige Konzerte abgesagt oder verschoben. Anfang Februar 2010 beginnt meine Vorfreude auf die endlich stattfindenden Nachholkonzerte. Seit einer Weile rede ich von nichts anderem mehr, Depeche Mode hier und Depeche Mode dort und das obwohl ich das Album „Sounds of the Universe“ eigentlich „nur gut“ und nicht überragend finde. Den Film zu „101“ gucke ich noch am Vorabend zum x-ten mal. Das Rosebowl-Stadium ist zum Bersten gefüllt, rund 60.000 Menschen zelebrieren 1988 die jungen Briten. Ist der Moment der Massenhysterie, das gemeinsame schwenken der Arme oder das gruppendynamische Gefühl ein Teil von etwas ganz besonderem zu sein?

Welcher Fakt über Depeche Mode stimmt nicht?
Ich habe mich informiert, der beste Weg in die Düsseldorfer-Esprit Arena ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln, da das riesige Stadion einen eigenen Bahnhof besitzt. Wie praktisch. Je näher wir der Veranstaltung kommen, desto unbehaglicher wird mir. Bei der Fahrkartenkontrolle wird man noch als Mensch abgefertigt, bei einer solchen Veranstaltung regelt man nur noch Besucherströme. Wie eine Herde Kühe lenkt man den Besucher durch Gatter, Absperrungen und Ketten aus Ordnern in Richtung des Stadions. Straßenbahnen und Züge entleeren sich wie Zahnpastatuben, die man in der Faust zusammenquetscht. Es gilt mehr als 50.000 Menschen ohne Gefahr für Leib und Leben zu koordinieren. Das Individuum wird unwichtig. Es sind einfach so viele Menschen, die offenbar nur eines wollen: einen guten Platz beim Konzert. Niemand schaut nach links oder rechts, keiner nach unten oder oben. Immer nach vorne, je näher wie dem ausgewiesenen Innenraum des Stadions kommen, desto schlimmer wird es. Ellbogen und Rücksichtslosigkeit, ein wortkarger Kampf um den besten Platz und die beste Sicht.

Und überall Brezelverkäufer, Ein-Mann-Barkeeper mit Bierrucksäcken und Merchandise-Stände. Das obligatorische Tour-Shirt für schlappe 25€. Zusammen mit der Eintrittskarte also rund 100€ pro Person. „Hoffentlich fängt das Konzert bald an.„, denke ich mir und ertrage die furchtbar klingende Vorband mit Würde (das lag aber nicht an der Band, sondern an überforderten Ton-Ingenieuren) Umbaupause. Das Gedränge wird dichter, nochmals strömen Menschen in den Innenraum. Du kannst Dir nicht mehr aussuchen, wer um Dich herum ist. Deine gefühlte Intim-Zone wird dauerhaft und unausweichlich durchbrochen.

Der gefühlte Höhepunkt. Die Band spielt ihre Hymne „Never let me down again“, endlich kann ich mich ein wenig entspannen. Dachte ich. Wäre da nicht dieser Brezelverkäufer, der mitten im Lied an mir vorbei will. Ich sehe ihn natürlich nicht, bin hin und weg. Er benutzt seiner dämlich Hupe, guckt böse und versucht sich vor mir vorbeizudrängen. Ich glaube ich meine ganze Anspannung in meiner Mimik kompensiert, ihn angeschaut und unhöflich darum gebeten lieber umzukehren. Sorry Brezelverkäufer, nichts für ungut. Die Entspannung ist erstmal wieder ruiniert.

Ich warte. Ich warte geduldig auf das Gefühl, das ich mir erhofft habe. Ein Teil von etwas Besonderem zu sein. Das Gefühl bleibt aus. Alles ist Routine, geplant durchdacht und organisiert. Ich habe mich schon immer gefragt, warum bei Konzerte mittlerweile keine Arme mehr in die Luft gestreckt werden, sondern Handys, Fotoapparate und Kameras. Man macht Bilder und Videoaufnahmen von einem winzig kleinen Dave Gahan der später scheppernd durch die Lautsprecher kracht. Womöglich, weil viele mein Gefühl teilen. Sie machen Aufnahmen um das „Besondere“ später zu erleben. Keiner kann genießen, krampfhaft versucht man die Kamera gerade zu halten. In 5 Jahren sind die schlechten Erinnerungen verflogen. Das Video wird zu etwas besonderem erhoben, glorifiziert, schöngeredet. Solange, bis man wieder Lust hat auf ein Konzert zu gehen.

Everything counts – Zwischen alten Erinnerungen und frischen Gedanken

Ich wollte eigentlich nicht mehr auf ein Konzert in Stadien. Nicht das mich jemand falsch versteht, ich liebe Konzerte. Es sind die kleinen Veranstaltungen in kleinen Räumen oder Hallen bei denen es nicht darum geht möglichst weit vorne zu stehen oder seinen Platz zu verteidigen. Ich war bei Anne Clark, DAF, No More, Faun, Diary of Dreams, Broilers und vielen anderen. Alle hatten das „Besondere“, ohne das ich es erwartet hätte. Niemand drängelte, niemand drückte, kaum jemand hielt eine Kamera in die Luft. Man konnte sich bewegen. Vor dem Eingang keine Schlange und trotzdem gut besucht.

Aber gut, ich bin nicht so naiv zu glauben, dass Depeche Mode jemals wieder in solch einem Ambiente spielen. Seit Mitte der 80er füllen sie ganze Stadien und das wird sich sicherlich nicht ändern. Denn mittlerweile vereinen die nicht mehr ganz so jungen Briten einen breiten Schnitt durch Gesellschaft und Altersklassen vor der Bühne. Depeche Mode sind Mainstream und wenn ich ehrlich bin, das war noch nie anderes. Doch ich finde sie eben toll, kenne die meisten Texte auswendig, habe alle Alben, pflege die T-Shirts der Band mit Leidenschaft, kenne alle Biografien und Bücher.

Verdammt! Ich hatte gehofft ich könnte mich während des Schreibens zu einer Entscheidung durchringen. Depeche Mode bringt im März ihr neues Album heraus, die ersten Ausschnitte daraus klingen großartig. Endlich wieder ein paar Songs mit Dampf und sattem Sound. Seit dem 5. September läuft bereits der Vorverkauf für die entsprechende Tournee. Seit Wochen holt man mir das Ereignis zwanghaft in Erinnerung. Alle Freunde wissen, ich liebe Depeche Mode und alle fragen natürlich, ob ich hingehe. Gute Karten gibt es für schlappe 90€, seit Einführung der Front-of-Stage Idee verdienen sich Konzertveranstalter eine goldene Nase. Neulich sah ich eine Reportage über einen „Devotee“. So werden die ganz besonderen Fans der Band genannt. Der 39-jährige Jörg Uhlenbruch, von dem berichtet wird, war schon 72 mal auf einem Depeche Mode Konzert. Es ist mir schleierhaft, wie er das geschafft hat.

Am Alter kann es also nicht liegen. Ich hatte eigentlich gedacht, das Gedränge hätte mir früher nichts ausgemacht und erst mit zunehmendem Alter würde mir Massenveranstaltungen unangenehm werden, doch daran liegt es nicht. Ich glaube, ich habe mich immer schon unwohl gefühlt, wenn viele Menschen auf einem Haufen zusammenkommen und sich nicht mehr wie Menschen verhalten, sondern wie eine Herde. Ich versuche mich krampfhaft an 1990 zu erinnern und bin erstaunt, wie wenig ich von dem Ereignis noch abrufen kann, offensichtlich gab es da etwas zu verdrängen.  Unsere Erinnerungen haben ihr eigenes Leben und nicht den Hauch einer Ahnung, was Objektivität ist.

Aber was mache ich jetzt? Ich hatte gehofft, wenn ich das Problem aussitze, sind die Karten weg und ich habe eine Ausrede. Und neulich bietet mir ein Arbeitskollege zwei Karten zum Verkaufspreis an. So ein Mist. Should i stay, or should i go?

Was ist bei Depeche Mode passiert?

Das Depeche-Mode-Gründungsmitglied Fletcher war am 26. Mai überraschend an einem Riss in der Hauptschlagader gestorben. Der 61-jährige Gore sagte über den Albumtitel, er klinge zwar morbide. Aber die Band interpretiere ihn nach dem Motto "Lebe jeden Tag in vollen Zügen".

Wie nennen sich die Fans von Depeche Mode?

Depeche Mode lockt Freitag und Samstag insgesamt rund 90.000 Menschen in Düsseldorfs seit Monaten ausverkaufte LTU arena, und der "schwarze Schwarm", wie die Musiker selbst liebevoll den Kern ihrer dunkel gekleideten Fan-Gemeinde nennen, erobert die Rhein-Metropole.

Was bedeutet Depeche Mode auf Deutsch?

Der Bandname ist einem französischen Modemagazin mit dem Namen „Dépêche Mode“ entliehen und heißt auf Deutsch so viel wie „schnelle Mode“. Sänger Dave Gahan gefiel der Name, weil er gut klingen würde.

Hat Depeche Mode gecovert?

Der Song “Personal Jesus” handelt von der Beziehung zwischen Elvis und Priscilla Presley. Beim Songwriting hat sich Martin Gore von Priscillas Autobiographie “Elvis and me” inspirieren lassen. Country-Star Johnny Cash hat den Song von Depeche Mode später gecovert - ohne bei der Band um Erlaubnis zu fragen.

Werden Depeche Mode weitermachen?

Depeche Mode legen nach — und kündigen nach der Zusatzshow in Berlin nun auch ein weiteres Konzert in Frankfurt für das Jahr 2023 an. Foto: AFP via Getty Images, JOHN MACDOUGALL.