New york city deutsche vor gericht

Mit einer Kombination aus dreisten Lügen und gefälschten Dokumenten soll eine Deutsche sich in New York ein luxuriöses Leben ermogelt haben. Jetzt steht Anna Sorokin in den USA vor Gericht

New york city deutsche vor gericht
Dirk Hautkapp
28.03.2019 | Stand 28.03.2019, 09:07 Uhr

Washington. In einer der schönsten Szenen des Kinofilms „Catch me if you can" läuft der Hochstapler und Scheckbetrüger Frank Abagnale, der von Leonardo di Caprio gespielt wird, breit grinsend in Piloten-Uniform neben sechs adretten Stewardessen am Arm über den Flughafen. So gelingt ihm das geräuschlose Passieren der Kontrollen.

Die Deutschrussin Anna Sorokin, die sich in New York mehr als 200.000 Dollar erschwindelte, muss nun für mindestens vier Jahre ins Gefängnis. Mitangeklagt war aber auch die Society, die ihren Märchen auf den Leim ging.

Von Marc Pitzke

09.05.2019, 21.43 Uhr

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Der Vorname stimmte. Anna.

Alles andere war erfunden. Der Nachname, die reichen Eltern, das Millionenerbe, das kommen würde, gleich, morgen, demnächst, ganz bestimmt.

Anna Sorokin heißt sie. Nicht "Anna Delvey". Das war eine fiktive Person, in deren glamouröse Haut sie schlüpfte, irgendwo zwischen Eschweiler, wo sie aufwuchs, und New York City, wo ihr Abenteuer nun so unglamourös endete.

Es endete in einem spartanischen Verhandlungssaal des State Supreme Courts in Lower Manhattan. Zu vier bis zwölf Jahren Haft verurteilte US-Richterin Diane Kiesel die Deutschrussin am Donnerstag wegen schweren Diebstahls und "Leistungserschleichung" - Klartext: Hochstapelei.

Sorokin - die hier seit Oktober 2017 in U-Haft sitzt - entschuldigte sich vor Gericht, doch Kiesel zeigte sich unbeeindruckt und "fassungslos über das Ausmaß der Täuschung durch die Angeklagte".

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Teuer, aber dezent: Anna Sorokin vor Gericht

Foto: Richard Drew/ DPA

Schuldig gesprochen wurde sie schon vor zwei Wochen. Im vierwöchigen Prozess wurde nicht nur über die 28-jährige "Möchtegern-Gesellschaftsdame" ("New York Post") verhandelt, sondern gewissermaßen auch über jene Gesellschaft, die sich von ihr derart übers Ohr hauen ließ - freudig, willig, Kreditkarte gezückt.

Justizverfahren werden oft zu sozialen Metaphern überhöht. In diesem Fall aber ist die Symbolik tatsächlich so durchschaubar wie die Filterfotos in Sorokins sorgsam kuratierten Instagram-Profil, das übrigens weiter online ist .

Sorokin kam mittellos nach New York, doch überzeugte bald jeden, dass sie sehr bemittelt war. Eines dieser Trust-Fund-Babys, dessen schwammige Herkunft nicht weiter stört in dieser geldfixierten Society. Im Gegenteil: Märchen gehören hier zum Gründungsmythos.

"Fake it till you make it"

Sie bezirzte Bekannte und Banken, ihr Hunderttausende Dollar zu "leihen", wohnte in Luxushotels und speiste in Nobelrestaurants, ohne je zu zahlen, flog in den Privatjets anderer und trug geklaute Gucci-Kleider. Ihr Verteidiger Todd Spodek bemühte vor Gericht die Frank-Sinatra-Ode an New York ("If I can make it there, I'll make it anywhere") - sowie das Motto vieler Influencer: "Fake it till you make it."

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New York, New York: "If I can make it there, I'll make it anywhere"

Foto: Mike Segar/ REUTERS

Tu so, bis du so wirst. Der Leitsatz machte die Kardashians berühmt und Donald Trump zum "Selfmade"-Krösus und Präsidenten. So enthüllte die "New York Times" ausgerechnet diese Woche, dass Trumps Firmen in neun Jahren 1,2 Milliarden Dollar verloren - "das meiste davon gehörte anderen ". "So ein kühner Geschäftsmann!", urteilte Trumps Haussender Fox News begeistert.

Auch Sorokin war kühn, doch das Urteil ein anderes. Das Gericht sprach sie schuldig, bis zu 275.000 Dollar erschwindelt zu haben. Für einen geplatzten Millionenkredit hingegen machte man sie nicht haftbar.

All das diente, so die Staatsanwaltschaft, einem Traum, den so viele haben - der "Fantasie eines extravaganten Lebensstils über ihre eigenen Verhältnisse".

Richtige Storys, richtiger Look

Sorokins wahre Verhältnisse? Laut US-Medienberichten arbeitete ihr Vater früher als Lastwagenfahrer und ist heute selbstständig. Sie kam in Moskau zur Welt, zog nach Deutschland, Gymnasium in Eschweiler, College in London, dann Berlin, schließlich Paris. Dort machte sie ein Praktikum beim Kultmagazin "Purple" - und wurde "Anna Delvey".

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Fashion Show vor Gericht: Anna Sorokin alias "Anna Delvey"

Foto: Richard Drew/ DPA

Deren Vater war ein Oligarch. Oder Diplomat. Oder Antiquitätenhändler. Oder Solarunternehmer. Je nachdem, wen man fragte. Sie selbst hatte als Erbin jedenfalls Anspruch auf 60 Millionen Euro, die irgendwo in der Schweiz schlummerten und alsbald angezapft werden könnten. Ehrenwort.

Mit solchen Storys und dem richtigen Look (teuer, dezent, Céline-Brille) parlierte sie sich in die besten Kreise und die feinsten Fünf-Sterne-Suiten, nur um schnell wieder umzuziehen, wenn die Rechnung fällig wurde - zum Beispiel 11.518,59 Dollar für nur zehn Tage im noblen Beekman-Hotel.

Sorokin shoppte an der Fifth Avenue, verkehrte im Restaurant Le Coucou, zeigte sich auf der Fashion Week, der Art Basel, dem Coachella-Festival. Sie fälschte Bankauszüge und schrieb faule Schecks. Sie bezirzte den Sohn des Stararchitekten Santiago Calatrava, einen Privatklub an der Park Avenue für sie zu entwerfen. Anna-Delvey-Stiftung sollte der heißen, und an den Wänden sollten Werke von Jeff Koons und Damien Hirst hängen - Künstler, die ihre Karrieren einst ebenfalls aus dem Nichts geschaffen hatten.

Netflix-Serie über Sorokin-Saga geplant

"Anna kannte jeden", sagte Neff Davis, die Concierge des Hotels 11 Howard, dem "New York Magazine", das Sorokin letztes Jahr als erstes öffentlich enttarnte . Davis hatte sich mit "Anna Delvey" angefreundet und ist eines von vielen Opfern, die den Fall jetzt ihrerseits vermarkten: Die Hobbyfilmemacherin fungiert als "Beraterin" einer geplanten Netflix-Serie über die Sorokin-Saga, produziert von "Grey's Anatomy"-Schöpferin Shonda Rhimes.

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7000 Dollar pro Nacht: Lustreise nach Marrakesch

Foto: TMN

Ein anderes Opfer war Rachel Williams, Fotoredakteurin. Die ließ sich von Sorokin auf eine Lustreise nach Marrakesch locken, für 7000 Dollar pro Nacht, die sie am Ende selbst zahlen musste. "Das traumatischste Erlebnis, das ich je hatte", sagte sie vor Gericht, das ihr aber keine Wiedergutmachung zusprach. Doch auch Williams darf sich trösten: Sie hat einen lukrativen Buchdeal abgeschlossen, und an ihrem Leidensbericht in "Vanity Fair" hat sich HBO die Rechte gesichert, für angeblich 35.000 Dollar.

Nachverfolgen lässt sich die Saga bis heute auf Instagram, wo "Anna Delvey" ihr Leben dokumentiert hat. Hinzu kommt ein Fanprofil über ihre "Gerichtslooks ": Für ihre Auftritte als Angeklagte engagierte sie eine bekannte Stylistin, die allerdings oft Probleme hatte, die Designermode rechtzeitig ins Gefängnis zu liefern.

Auch damit ist es nun vorbei. Sorokin muss ihre Haft in den USA absitzen und soll anschließend wegen Visaverstoßes nach Deutschland abgeschoben werden.