Ist die Ukraine in der NATO

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Ist die Ukraine in der NATO

Demonstrant am ukrainischen Unabhängigkeitstag am 24. August

Foto: IMAGO/Beata Zawrzel / IMAGO/NurPhoto

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Immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten: So lautete angeblich Albert Einsteins Definition von Wahnsinn. Ob der Satz wirklich von Einstein stammt, ist umstritten, doch er beschreibt treffend die Politik der Nato gegenüber Russland und der Ukraine.

Immer wieder hat die Allianz in den vergangenen 15 Jahren die Bestrebungen der Ukraine begrüßt, dem Militärbündnis beizutreten. Und immer wieder haben die Nato-Mitglieder, allen voran Deutschland und Frankreich, den Beitrittsprozess anschließend verschleppt – in der irrigen Erwartung, mit dieser Politik ließe sich Russland kooperationsbereit stimmen.

Sogar nach der russischen Invasion in Georgien im Jahr 2008 und der Annexion der Krim im Jahr 2014 glaubte die Nato immer noch, Russland werde sein Verhalten schon noch ändern, wenn die Nato bei ihrer Hinhaltetaktik gegenüber der Ukraine bleibt, siehe Einsteins Definition von Wahnsinn. Anstatt selbstkritisch zu konstatieren, dass sich Rücksicht auf Moskau nicht ausgezahlt.

Alte Annahmen sind widerlegt

Spätestens mit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist die Politik der Nato jedoch hinfällig. Es ist ein Fehler, der Ukraine eine Mitgliedschaft im Bündnis unter Verweis auf russische Sensibilitäten und die Stabilität der euro-atlantischen Sicherheitsordnung zu verweigern. Vielmehr muss es jetzt das Ziel sein, die politische Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine unter neuen geopolitischen Bedingungen langfristig zu sichern. Das kann nur eine umgehende Vollmitgliedschaft der Ukraine in der Nato leisten. Jede Verzögerung würde Russland nur nutzen, die Ukraine weiter zu zerstören.

Drei Gründe für die Aufnahme Kiews

Die Nato-Mitglieder werden, erstens, auf nicht absehbare Zeit mit einem aggressiven russischen Nationalismus konfrontiert sein. Dieser wird die euro-atlantische Sicherheitsordnung immer wieder herausfordern und zum Ziel haben, die Ukraine politisch und militärisch zu destabilisieren, ja an Russland anzugliedern. Es wäre naiv zu glauben, dass sich dieses Bestreben des Kremls durch einen Waffenstillstand oder einen russisch-ukrainischen Friedensvertrag ändert.

Vorstellungen von friedlicher Koexistenz zwischen Russland und dem Westen verkennen den revisionistischen Charakter des russischen Regimes: Präsident Putin lehnt die Aufnahme von Ländern des postsowjetischen Raums in die Nato ab, weil die Allianz (und damit der Westen) seinem imperialen Projekt der Wiederherstellung eines großrussischen Reichs entgegensteht – und nicht, weil er die Sicherheit Russlands gefährdet sieht.

Vor diesem Hintergrund kommt zweitens der Frage zentrale Bedeutung zu, wie die politische Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine über den gegenwärtigen Krieg hinaus gesichert werden kann. Noch setzten die Nato-Staaten alles daran, einen Sieg Russlands zu verhindern. Dass Bundeskanzler Scholz zugleich die Notwendigkeit von Sicherheitsgarantien für die Ukraine bereits anerkannt hat und Deutschland an deren Gewährung beteiligen möchte, illustriert: Weder ein Waffenstillstand noch ein militärischer Sieg der Ukraine – wie immer dieser aussehen mag – wird als ausreichend angesehen, um den Fortbestand des Landes sicherzustellen.

Drittens weiß man in Berlin ebenso wie in Washington, Brüssel und Kiew, dass die Europäische Union, die der Ukraine im Juni dieses Jahres den Kandidatenstatus zuerkannt hat, nicht in der Lage sein wird, die Sicherheit des Landes zu gewährleisten. Die EU verfügt zwar über eine Beistandspflicht, die manche Juristen gar für verbindlicher halten als Artikel 5 des Nato-Vertrags. Doch verfügt die EU nicht über die gleiche Abschreckungsfähigkeit wie die Nato. Gemäß ihrer DNA ist die EU auf die Prävention, die Bewältigung und das Management von Krisen und Konflikten außerhalb Europas ausgerichtet, nicht auf die Verteidigung des eigenen Territoriums.

Die Gründe gegen einen Beitritt sind schwach

Gegen eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine werden oft drei Argumente vorgetragen: Die Nato solle nur Länder aufnehmen, die keine ungelösten Territorialkonflikte in die Allianz hineintragen. Die Ukraine sei nicht reif für einen Beitritt, da der Einfluss von Oligarchen auf die Politik groß, das politische System instabil und das Land in weiten Teilen korrupt sei. Und schließlich, so argumentieren Gegner, werde die Allianz durch eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine in einen Krieg mit Russland hineingezogen. Doch bei Lichte betrachtet tragen diese Argumente nicht.

Als die Bundesrepublik im Jahr 1955 der Allianz beitrat, war auch sie geteilt – bis 1990 war ein großer Teil Deutschlands faktisch von der Sowjetunion besetzt. Gleichwohl stand die Teilung Deutschlands weder einer Verankerung der Bundesrepublik in der Nato noch ihrem sicherheitspolitischen Engagement im Weg.

Ähnliches ist auch für die Ukraine zu erwarten: Gerade ein Land mit Territorialkonflikten hat Interesse an einer funktionierenden Nato und wird entsprechende militärische Beiträge leisten. Auch für die russisch besetzten Gebiete der Ukraine passt die historische Analogie: Zwar müsste die Nato die Teilung vorläufig akzeptieren, würde sie aber nicht anerkennen und langfristig auf die Wiederherstellung der territorialen Integrität des Landes hinarbeiten.

Schon früher haben nicht nur perfekt funktionierende Demokratien einen Platz in der Allianz erhalten: Spanien stand bei seinem Beitritt im Jahr 1982 am Ende einer jahrelangen Militärdiktatur. Auch die ersten Nato-Mitglieder aus Mittel- und Osteuropa hatten ihre inneren Transformationsprozesse bei Weitem nicht abgeschlossen, als sie im Jahr 1999 beitraten. In beiden Fällen hatte die Nato den Beitrittswunsch als Hebel genutzt, um Anpassungsprozesse an politische und militärische Standards zu erreichen. Diesen Einfluss könnte sie auch auf die Ukraine ausüben.

Und schließlich geht auch das Argument fehl, eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine führe die Allianz zwangsläufig in einen Krieg gegen Russland. Zum einen verbleiben Form und Umfang des Beistands für einen Nato-Verbündeten im Entscheidungsbereich der nationalen Regierungen. Entscheidend ist aber etwas anderes: Die Funktion von Militärallianzen wie der Nato ist, Aggressoren durch die Androhung von militärischer Gewalt abzuschrecken. Deutschland profitiert davon seit fast 70 Jahren. Wer Angst hat, die Ukraine zu verteidigen, muss sich fragen lassen, wie ernst es ihm ist mit seiner Bereitschaft, Polen oder den baltischen Staaten beizustehen, die als Nato-Mitglieder ebenfalls Ziele des russischen Revisionismus sind.

Alternative Sicherheitsgarantien sind zu vage

In der internationalen Diplomatie wird derzeit darüber diskutiert, ob westliche Staaten der Ukraine einige rechtsverbindliche Sicherheitsgarantien geben sollten, die jenen der Nato entsprächen und die die Neutralität des Landes absichern würden. Die G7-Staaten haben bereits ihre Bereitschaft bekundet, Zusagen für Kiew abzugeben. Solange aber keine westliche Regierung Details auszuführen bereit ist, stellt sich die Frage, wie wirksam solche angeblichen Garantien in Wahrheit sind. Dass der Kreml von seiner imperialistischen Politik ablassen wird, nur weil die Bundesregierung der Ukraine in aller Unbestimmtheit ihre Unterstützung zusagt, ist schwer vorstellbar.

Die Determinanten der euro-atlantischen Sicherheitsordnung haben sich fundamental verändert. In diesem neuen geopolitischen Umfeld führt an der Nato-Mitgliedschaft der Ukraine kein Weg vorbei.

Wer gehört zur NATO 2022?

30 Mitgliedstaaten – Diese Länder sind in der Nato.
Griechenland (seit 1952).
Türkei (seit 1952).
Deutschland (seit 1955).
Spanien (seit 1982).
Polen (seit 1999).
Tschechien (seit 1999).
Ungarn (seit 1999).
Bulgarien (seit 2004).

Wer ist für einen NATO Beitritt der Ukraine?

Unterzeichnet haben sie die Staats- und Regierungschefs der drei baltischen Länder, Polens, Rumäniens, Tschechiens, der Slowakei sowie Montenegros und Nordmazedoniens. Russland solle sich sofort aus allen besetzten ukrainischen Gebieten zurückziehen.

Was hat die Ukraine mit der NATO zu tun?

Das NATO-Bündnis verurteilt den Angriff Russlands und unterstützt die verhängten Sanktionen gegenüber Russland. Da die Ukraine aber kein Mitglied der NATO ist, greift das Bündnis nicht militärisch auf ukrainischem Boden ein.

Ist die Ukraine bei der EU?

Status als EU-Bewerberland Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 23. Juni 2022 haben die EU-Führungsspitzen der Ukraine den Status eines EU-Bewerberlandes verliehen.