Wer ist der teuerste Anwalt der Welt?

Beim Flug von Los Angeles nach New York fühlte sich David Boies zum ersten Mal wie ein Popstar. Ein junger Mann drehte sich permanent nach ihm um und fragte schließlich: "Hey, sind Sie der Napster-Anwalt?" Boies nickte. Da stand der Junge auf und rief in den Flieger hinein: "Hey, Leute, der Napster-Anwalt ist auf unserem Flugzeug!" Spontan brach Jubel und Applaus in der Economy Class aus. "Es war unglaublich", sagt Boies, "und mir wurde klar, ich bin auf der richtigen Seite - und die Plattenindustrie hat ein größeres Problem, als sie ahnt."

Dabei glauben momentan viele, dass eher die Musiktauschbörse Napster in Bedrängnis ist. Seit Montag läuft der erste große Prozess um Urheberrechte im Internet vor einem amerikanischen Berufungsgericht. Bislang trafen die drei Richter keine Entscheidung zu einem Antrag des Verbandes der US-Plattenindustrie, der das Verbot von Napster vorsieht. Die Musiktauschbörse hat über 20 Millionen User, die kostenlos MP3-Musikformate herunterladen können - ein Dorn im Auge der Industrie, die dafür auch von ihnen Geld sehen will.

Seit Montag legt nun David Boies seine Argumente dafür vor, dass Napster völlig legal handelt. Die schmutzige Schlacht um die Zukunft der digitalen Musik läuft bereits seit Dezember 1999. Runde eins ging an die Plattenindustrie: Sie erreichte Ende Juli eine einstweilige Verfügung, die die sofortige Einstellung Napsters verlangte. Doch dann schaltete sich David Boies ein, der erst wenige Wochen davor engagiert worden war: Nur zwei Tage später erreichte der Anwalt aus New York beim Berufungsgericht die Aufhebung der Verfügung. Sie gilt bis zum Urteil. Bis dahin zeigt sich Boies weiter siegesgewiss: "Ich habe einen Vier-Punkte-Plan - wenn Napster nur einen davon gewinnt, bleibt sie bestehen."

Ist dies der Optimismus eines Anwalts für seinen Klienten? Vielleicht. Vielleicht hat David Boies aber auch den Schlachtplan im Kopf, aus dem er tatsächlich als Sieger hervorgeht. Denn Erfolgsstrategien sind seine Stärke. In der Branche gilt er als der Mann, der das Unmögliche schaffen kann. Das bewies er mit seinem bislang wohl größten Bravourstück: Im Kartellverfahren gegen Microsoft war David Boies der Staatsanwalt und erwarb sich während des Prozesses den Beinamen "Microsoft-Schlächter". Experten sagen, dass die Zerstückelung des Computergiganten ein Verdienst des 59-jährigen Anwalts ist. Millionen TV-Zuschauer sahen, wie Boies im Kreuzverhör den sonst sehr selbstsicheren Bill Gates demontierte. Anschließend jammerte der reichste Mann der Welt über das Zusammentreffen: "Er hat mich angegriffen, er war gemein zu mir. Er verwirrt alle. Das ist natürlich sein Job. Er ist nur viel extremer als andere Anwälte."

In der Tat macht Boies seine Arbeit sehr gründlich. Im selben Verfahren legte der Senior Vice President von Microsoft, James Allchin, 19 Gründe vor, warum es für den Kunden eine "Bereicherung" sei, dass Microsoft seinen Internet-Explorer mit dem Windows-Programm gekoppelt anbietet. Im Kreuzverhör zwang Boies ihn, 19 Mal zuzugeben, dass dieselbe "Bereicherung" auch eingetreten wäre, hätten die Kunden die Chance gehabt, die Programme getrennt herunterzuladen. Prozessbeobachter beschrieben das Szenario mit einem Wort: "Brillant". Es gilt als beinahe wahrscheinlich, dass der Microsoft-Prozess einen anderen Verlauf genommen hätte, wenn Boies nicht im Spiel gewesen wäre.

"Es gibt weltweit keine andere Kanzlei, die so viele große Fälle bearbeitet wie wir." Große Selbstsicherheit und eine Spur Exzentrik sind David Boies Markenzeichen. Das "National Law Journal" nennt Boies den "Michael Jordan des Gerichtssaals" und erklärte ihn 1999 zum "Anwalt des Jahres". Das Magazin "Vanity Fair" betitelt ihn als "greatest trial lawyer alive" (etwa der größte lebende Prozessanwalt). Und wie bei jedem anderen Superstar haften unglaubliche Legenden an ihm. So heißt es, er würde seine Plädoyers nie schriftlich vorbereiten, sondern frei rezitieren. Häufig soll er sich die letzten Details erst im Taxi auf dem Weg zum Gericht vorlegen lassen. Überdies habe er ein fotografisches Gedächtnis und die Fähigkeit, gleichzeitig mehrere Gespräche führen zu können.

Sogar die Tatsache, dass Boies im Gerichtssaal preiswerte Anzüge vom Kaufhaus Macys, schwarze Turnschuhe und nur eine 35-Dollar-Timex-Uhr trägt, wird als blankes Kalkül ausgelegt. Ein ehemaliger Kollege sagt über Boies: "Nichts ist bei ihm dem Zufall überlassen. Er hat die Strategie eines Schachspielers. Er setzt ein paar Züge, kalkuliert aber schon die nächsten 15 Schritte voraus. Wenn die anderen angreifen, ist er schon ein paar Schritte weiter - und setzt am Ende seinen Gegner schachmatt."

David Boies zeigt sich, darauf angesprochen, amüsiert. Er war eine Woche mit zwei seiner sechs Kinder in Aspen (Colorado) Wandern, ist braun gebrannt, erholt und gut gelaunt. Er trinkt Coca-Cola Light in seinem Zweitbüro in der Lexington Avenue in Manhattan und lacht über die "Kleidungsstrategie". "Turnschuhe, ach ja", sagt er und kommt um seinen Bürotisch herum und zeigt sie her, "ich trage diese schwarzen Schuhe, die fast wie normale Schuhe aussehen, weil sie bequem sind und ich viel unterwegs bin." Aber irgendetwas muss er doch haben, was andere nicht haben? "Ich denke, ich bin ein Glückskind", sagt er lächelnd, "Glück gehört einfach dazu. Aber auch viel harte Arbeit, und natürlich braucht man auch eine Strategie. Allerdings darf man eines nicht unterschätzen - ich bin mit einem fantastischen Team gesegnet."

Falsche Bescheidenheit? "Er ist ein exzentrisches Genie", sagt jedenfalls sein ehemaliger Boss von der Anwaltskanzlei Cravath. Boies tut die Dinge nur auf seine Art. Und das ist nicht immer angenehm. Wenn er im Gerichtssaal aufsteht und zum Zeugen geht, den er vernehmen wird, summen die Reporter im Saal schon mal die Angriffsmelodie aus der "Weiße Hai". Selten ist sein nächster Schritt vorhersehbar, Prinzipien sind für ihn wichtiger, als einer bestimmten Linie zu folgen.

Das bekam auch seine ehemalige Kanzlei zu spüren. Die hoch angesehene Kanzlei Cravath, Swaine & Moore aus New York engagierte den begabten Yale-Studenten direkt nach seinem Abschluss. Bereits sechs Jahre später wurde der junge Mann aus Marengo (US-Staat Illinois) im Alter von 31 Jahren zum jüngsten Partner der Firma gekürt. Die Kanzlei ließ ihn viele ihrer großen Kunden betreuen, Boies enttäuschte dabei nie. Jedoch wollte er nicht jeden Fall bearbeiten, war manchmal einige Tage lang aus dem Büro verschwunden. Als er einen Sorgerechtsprozess für einen Freund übernahm, der seine Gage nicht zahlen konnte, kostete das Cravath vier Millionen Dollar in Zeit und Gehalt, die er in der Zwischenzeit hätte erarbeiten können.

Als vor drei Jahren Boies Cravath schließlich verließ, wurde er in der Branche abgeschrieben - denn freiwillig war noch kein Partner gegangen. Doch da hatte man Boies unterschätzt. Zu dem Bruch war es gekommen, weil Boies George Steinbrenner, den Besitzer der Baseball-Mannschaft Yankees, in seiner Klage gegen die Major League Baseball als Mandanten übernommen hatte. Doch das passte Cravath-Großkunde Time Warner (Budget 20 Millionen Dollar im Jahr) nicht, der als Besitzer der Mannschaft Atlanta Braves einer der Angeklagten war - und er pochte auf Interessenkonflikt. "Cravath verlangte allen Ernstes, ich solle meinen Mandanten fallen lassen", sagt Boies, "doch das verstieß gegen mein Berufsethos - deshalb habe ich gekündigt und meine eigene Kanzlei gegründet."

Dreist legte er den Hauptsitz seiner Kanzlei auch noch ins verschlafene Armonk (US-Staat New York), etwa eine Stunde von Manhattan entfernt, um "nicht jeden Tag so lange zur Arbeit fahren zu müssen". Ein Unding in der Anwaltsbranche. Jetzt muss jeder, der Boies engagieren möchte, den langen Weg zu ihm machen, denn nur selten ist er im Zweitbüro in Manhattan zu finden, geschweige denn in seinen Zweigstellen in Washington DC, Florida und New Hampshire. In nur drei Jahren ist seine Firma auf 90 Anwälte angewachsen, Boies Jahreseinkommen liegt bei zwei Millionen Dollar - plus einem Prozentsatz aus dem Verfahren. Zu seinen Mandanten gehören derzeit so prominente Namen wie Calvin Klein und Donald Trump, und täglich kommen neue Anfragen. Auch der deutsche Konzern Bayer kam in seine Gunst - Boies holte ihm den Namen "Bayer" zurück, der in den USA nicht geschützt war.

"Ich kann mir meine Klienten aussuchen - das ist ein Luxus", sagt Boies zufrieden, "Große Firmen sind lukrativer, und eine Anwaltskanzlei ist ein Business. Natürlich hat jeder ein Recht auf einen Anwalt - aber nicht jeder hat ein Anrecht auf mich." Dass es ihm nur ums Geld geht, streitet Boies allerdings ab. "Napster hätte ich auch angenommen, wenn sie mich nicht hätten bezahlen können", sagt er und fügt lächelnd hinzu: "Zum Glück können sie sich mein hohes Gehalt leisten. Wichtig ist für mich, dass ich an die Sache glaube. Bei Napster geht es nicht nur darum, eine Firma zu verteidigen, sondern um die Freiheit des Internet."

Große Worte, große Sache - doch kann David (Boies) wirklich auch in diesem Fall den Goliath (Plattenindustrie) besiegen? "Man darf sich von der Frage, ob man gewinnt oder verliert, nicht abhängig machen", sagt Boies und nimmt gelassen einen Schluck von seiner Cola Light, "manchmal kann eine Niederlage mehr bewirken als ein Sieg. Ich habe selbst Napster-Piraten in meiner Familie. Mein 15-jähriger Sohn ist ein großer Fan und sehr begeistert davon, dass ich den Fall betreue. Und meine 17-jährige Tochter ist glücklich, dass Papi Calvin Klein vertritt - was will ich mehr?"

Wie viel verdient der teuerste Anwalt?

Die höchsten Einkommen unter den angestellten Rechtsanwälten können die Partner einer Großkanzlei verbuchen – in Top-Kanzleien laut „Perspektive Jura 2022“ im Schnitt etwa eine halbe Million Euro.

Wer ist der erfolgreichste Anwalt?

Das Handelsblatt hat am 25. Juni 2021 in Kooperation mit dem US-Verlag Best Lawyers die aktuelle Ausgabe des Rankings ‚Deutschlands beste Anwälte' veröffentlicht. Gleiss Lutz wurde im Arbeitsrecht als ‚Kanzlei des Jahres' ausgezeichnet.

Wer ist der beste Anwalt der Schweiz?

Die Anwälte des Jahres Schweiz 2018.