Warum ist Österreich nicht in der NATO

Die Debatte um Österreichs Neutralität hält an. Jetzt stellt sich die Frage, ob das Land der Nato beitreten sollte. Die Regierung lehnt das ab. Doch was macht sie bei der Entscheidung so sicher?

Die Nato-Osterweiterung ist dem russischen Staatschef Wladimir Putin zuwider. Der Angriffskrieg auf die Ukraine ist deshalb auch eine Antwort auf die "westliche Bedrohung" und sollte zeigen: Russland kann sein Hoheitsgebiet auch erweitern. Doch das ist nach hinten losgegangen. Während der russische Blitzsieg nach fast drei Monaten Krieg ausbleibt, erhält das transatlantische Militärbündnis Zuwachs. Finnland und Schweden wollen dazustoßen. Man könnte auch von einer Norderweiterung sprechen. Dem russischen Aggressor dürfte das sauer aufstoßen.

Eine Süderweiterung kommt dagegen wohl nicht zustande, wenn man den Worten des österreichischen Bundeskanzlers Karl Nehammer (ÖVP) glauben darf. Der wird seit Kriegsbeginn nicht müde zu betonen, dass die Neutraliät Teil der österreichischen Identität sei.

Warum ist Österreich nicht in der NATO

Dass die Debatte um den Nato-Beitritt trotz aller Bemühungen, diese im Keim zu ersticken, nun wieder aufflammt, verdankt Österreich einem offenen Brief von 55 Intellektuellen, Politikern und ehemaligen Diplomaten. "Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist nicht nur ein Verbrechen und eine Tragödie, sondern auch der letzte Warnruf an die freie Welt, der auch Österreich angehört", heißt es darin. Sie fodern deshalb "eine Debatte ohne Scheuklappen" über Österreichs Neutralität. Man möge doch einen Nato-Beitritt überdenken, lautet die Botschaft.

Die Regierung ist da anderer Meinung. Die Neutralität habe seit jeher gute Dienste geleistet, weshalb Nehammer die Diskussion bereits Anfang März für beendet erklärte. Unterstützt wird er nicht nur von der Opposition. Auch die Bevölkerung kann sich hinter der Entscheidung des Kanzlers versammeln. Laut einer Umfrage von Anfang März ist 91 Prozent der befragten Bürger die österreichische Neutralität "sehr wichtig" oder "eher wichtig". Bei einer Volksabstimmung fiele das Ergebnis also eindeutig aus.

Was nicht bedeute, dass Österreich nicht "vollumfänglich solidarisch" mit der Ukraine wäre, wie Kanzler Nehammer sagt. Und genau hier wird klar: So neutral ist Österreich gar nicht, das viel beschworene Konzept birgt Konflikpotenzial.

Wie Russland österreichische Entscheidungen lenkt

Wegen seiner Abhängigkeit von russischem Gas, will es sich Österreich nicht mit Russland verscherzen. Immerhin bezieht die Alpenrepublik 80 Prozent seiner Gaslieferungen von dort – die Verträge laufen, ähnlich wie in Deutschland, noch über Jahrzehnte. Würde Russland den Gashahn zudrehen, hätte das massive wirtschaftliche Folgen, mutmaßt die österreichische Presse.

Warum ist Österreich nicht in der NATO

Womöglich gehörte Österreich deshalb zu jenen Ländern, die Russlands Bedingung zunächst folgen und die Energielieferungen in Rubel bezahlen wollten – was den ehemaligen Europaratsvorsitzenden Donald Tusk die bissige Frage "Sind sie noch immer in der Euro-Zone oder in der Rubel-Zone?" entlockte.

Jenseits der wirtschaftlichen Gründe überwiegt jedoch ein ganz anderer Punkt: Den Österreichern ist es gesetzlich verboten, sich in zwischenstaatliche Kriege militärisch einzumischen. Das Land darf also weder Waffen liefern, noch sich einem militärischen Bündnis anschließen. Österreich agiert damit nach russischem Diktat. 1955 hatten die Sowjetunion der Alpenrpublik den Truppenabzug sowie Sicherheitsgarantien zugesagt. Vorausgesetzt, Österreich wahrt eine Neutralität wie die Schweiz. Die Vereinbarung wurde im Moskauer Memorandum festgehalten und hat heute Verfassungsrang. Damit haben sich beide Staaten abgesichert. Oder?

Zumindest am Beispiel der Ukraine hat Russland hinlänglich gezeigt, dass es sich ungern an Verträge aus vergangenen Zeiten hält. Im Budapester Memorandum von 1994 hatte unter anderem Russland eingewilligt, die ukrainische Integrität zu wahren, wenn das Land keine Atomwaffen bei sich stationiert. Fast 30 Jahre später kennt man so etwas wie staatliche Integrität im Kreml offenbar nicht mehr. Könnte das auch Österreich drohen?

Aufrüstung statt Trittbrettfahrer

Nein, ist sich Österreichs europapolitischer Sprecher Michel Reimon sicher. Anders als Finnland, das eine mehr als 1000 Kilometer lange Grenze mit Russland teilt, ist Österreich von Nato-Staaten umgeben und deshalb "doch relativ sicher". Sollte Russland Österreich angreifen, müsste es das Hoheitsgebiet von Nato-Staaten verletzen. Dann würde der Bündnisfall eintreten. Österreich befindet sich in dieser Hinsicht in einer bequemen Lage.

Warum ist Österreich nicht in der NATO

Um jedoch nicht als sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer daherzukommen, plant das Land nun, sein Heer besser auszurüsten. Es werde nämlich "die Situation kommen, wo Österreich außenpolitische Interessen hat und die Unterstützung der Nachbarstaaten braucht", sagte Reimon. Nun also die Aufrüstung – nach Schweizer Vorbild. Jährlich nutzt Österreich 0,6 Prozent seines Bruttoinlandproduktes für Verteidigungsausgaben. Das sind 2,7 Milliarden Euro. Die Schweiz gibt doppelt so viel aus. Weil die österreichische Regierung für diese Summe aber keine Mehrheit im Parlament findet, plant man nun, ein Prozent des Bruttoinlandproduktes in das Militär zu investieren.

Das scheint dringend nötig, wie eine aktuelle Umfrage des Online Research Institut Marketagent unter 500 Österreichern zu Ansehen und Aufgaben der heimischen Streitkräfte ergab. Im Vergleich zu den letzten zehn Jahren hat das Heer an Bedeutung gewonnen. Zwei Drittel der Befragten sind aber der Meinung, dass das dieser Truppenteil kaputtgespart wurde. Sieben von zehn Befragten glauben, dass Österreich bewaffnete Streitkräfte benötigt und befürworten eine Erhöhung des Heeresbudgets.

Die Neutralität vielleicht doch überdenken?

Jenseits der militärischen Aufrüstung muss sich Österreich jedoch auch seiner Rolle als EU-Mitglied fügen und zumindest die erlassenen Sanktionen gegen Russland mittragen. Zuletzt wurde bekanntgegeben, dass die Alpenrepublik bislang 254 Millionen Euro von russischen Oligarchen eingefroren hat. Die Gelder waren auf 97 Konten geparkt, wie das Kanzleramt in Wien berichtete.

Krieg in Europa Angriffe, Flüchtende, Gas-Lieferungen: Grafiken zum Konflikt in der Ukraine

37 Bilder 13.12.2022

"Wenn russische Oligarchen oder deren Organisationen den Krieg gegen die Ukraine unterstützen, machen sie sich mitschuldig an den Gräueltaten, die dort passieren", sagte Bundeskanzler Karl Nehammer.

Zutreffen dürfte diese Aussage auch auf Österreich. Die identitätsstiftende Neutralität ist ein russisches Diktat. Russlands ist damit ein Teil der österreichischen Identität. Von Neutralität kann aus dieser Perspektive schwerlich gesprochen werden. Wie kann ein Land neutral sein, wenn ihm die Neutralität von einem anderen Land, noch dazu eine Weltmacht und Kriegspartei, diktiert wird? Am Ende bleibt eine Erkenntnis, die der ehemalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bereits 2001 formulierte: Nämlich, dass "die alten Schablonen Lipizzaner, Mozartkugeln und Neutralität, (...) in der komplexen Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts nicht mehr greifen".

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Kann Österreich der NATO beitreten?

Eine alleinige WEU-Mitgliedschaft Österreichs ohne gleichzeitigen Beitritt zur NATO wird auch, wie zahlreiche Experten in der parlamentarischen Enquete ,Perspektiven der europäischen Sicherheitsstruktur und die Rolle Österreichs' eindeutig dargelegt haben, nicht möglich sein.

Sind Österreich in der NATO?

Österreich hat, wie auch andere neutrale und bündnisfreie Staaten (u.a. Finnland, Irland, Schweden, Schweiz), seine Beziehungen zur NATO ausgebaut. So nimmt Österreich seit 1995 an der Partnerschaft für den Frieden ( PfP ) und seit 1997 am Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat (EAPC) teil.

War Österreich Mal in der NATO?

Im Februar 1995 unterzeichnete Österreich das "Rahmendokument" der NATO -Partnerschaft für den Frieden ("Partnership for Peace" / PfP) und ist seither PfP-Partner.

Ist Österreich neutral wie die Schweiz?

Als dauernde Neutralität bezeichnet man eine durch völkerrechtlichen Vertrag oder durch Erklärung und allgemeine Anerkennung entstandene grundsätzliche Verpflichtung eines Staates zu einer neutralen Außenpolitik. Im Fall der Schweiz und Österreichs sprach man lang von immerwährender Neutralität.