Wie oft wurde ich bin dann mal weg verkauft?

Drei Millionen mal ist Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg“ seit seinem Erscheinen am 22. Mai 2006 verkauft worden. Seitdem steht es fast ständig an der Spitze der Sachbuch-Bestsellerliste, nur wenige Wochen verdrängt von Papst Benedikts „Jesus“-Buch und eine Woche lang von Gerhard Schröders Memoiren. Mittlerweile ist es auch schon ins Niederländische und neuerdings ins Französische (unter dem Titel „Je pars!“) übersetzt.

Der Piper-Verlag war nach eigenem Bekunden vom ungeheuren Erfolg des Buches überrascht – wahrscheinlich genauso wie der Dumont-Verlag neuerdings von den Verkaufszahlen Charlotte Roches oder seinerzeit Rowohlt von Daniel Kehlmanns Hit „Die Vermessung der Welt“. Die wirklichen Volksbücher lassen sich nicht planen, denn sie machen häufig erst Bedürfnisse und Sehnsüchte sichtbar, die weit unterhalb der Wahrnehmungsschwelle offizieller Kulturkaufleute und Kulturerklärer schon längere Zeit gereift sind. Nur rückblickend lässt sich dann doch mancherlei erklären.

Triviale Wanderromantik der Mittelalterromane

Die Jakobsweg-Mode hat keineswegs erst mit Hape Kerkeling begonnen. Der TV-Entertainer selbst empfing seine Anregungen von Shirley MacLaine. Die zur wiedergeburtsgläubigen Esoterikerin gewandelte Schauspielerin veröffentlichte 2000 ihr Buch „The Camino“. Doch auch dies war nicht der erste neuere Bestseller, der auf dem alten Pilgerpfad entstand.

Der Vorreiter der Jakobsweg-Welle war der ebenso viel verachtete wie viel gelesene Paulo Coelho. Der begab sich bereits 1986 auf den 800 Kilometer langen „Camino Frances“, jenes Endstück der aus ganz Europa herführenden Pilgerpfade, das von Frankreich bis zur Kathedrale in Santiago de Compostela am Atlantik führt, die die Gebeine des Heiligen Jakobus birgt. Nach eigenen Angaben war die Pilgerschaft der Wendepunkt seines Lebens. Bereits 1987 erschien Coelhos Erfahrungsbericht in Buchform.


Abseits der Hochliteratur gab es also schon länger eine neu erblühte, volkstümliche Jakobswegromantik, die auch durch die vielen trivialen, aber erfolgreichen Mittelalterromane vorbereitet wurde, deren Regale in den Buchhandlungen mittlerweile breiter sind als die mit den Krimis. Wenn sich die schöne Kaufmannstochter Tilly in Iny Lorentz' Roman „Die Pilgerin“ (erschienen Ende 2006) auf den Jakobsweg begibt, dann könnte das zwar eine nachträgliche Reaktion des geschäftstüchtigen Autorenduos auf den Erfolg von Kerkelings ein halbes Jahr zuvor erschienenem Buch sein. Muss es aber nicht.

In der Krise packt einen leicht die Wanderlust

Der letzte Beweis dafür, dass der Jakobsweg schon länger ein Thema war: Bereits Hannes Stöhrs 2005 entstandener Episodenfilm „One Day in Europe“ zeigt einen tragischen ungarischen Jakobswegpilger, der sich vor der Kathedrale von Santiago de Compostela die Kamera mit den unersetzlichen Fotos seiner Wanderschaft stehlen lässt.

All das erklärt trotzdem noch nicht, warum Kerkelings Buch sich häufiger verkauft hat als die genannten Werke zusammen. Es musste schon noch etwas anderes hinzukommen. Die Popularität des nach Thomas Gottschalk und Günter Jauch bekanntesten deutschen Fernsehentertainers sollte man natürlich nicht unterschätzen, aber auch nicht überbewerten.

Wichtiger war wohl, dass es in Deutschland eine lange Tradition literarischer Wanderungen gibt, die in der sich nach Entschleunigung sehnenden hektischen Gegenwart eine erstaunliche Renaissance erlebt hat. Wenn Deutsche in der Krise sind (wie Kerkeling, dem kurz vor Reisebeginn ein Hörsturz und eine Gallenoperation zu schaffen machten), dann bekommen sie Wanderlust.

Gespräche mit Gott auf dem Fußmarsch

Die Ahnenreihe beginnt im 18. Jahrhundert mit Johann Gottfried Seumes „Spaziergang nach Syrakus“, setzt sich fort mit Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts“ und Heines „Harzreise“ und kommt in der Gegenwart an mit Werner Herzogs Wintermarsch nach Paris 1974 („Gehen im Eis“) und Michael Holzachs „Deutschland umsonst“ aus dem Jahre 1982. Auch Wolfgang Büschers Bücher wären wohl kaum so schön und erfolgreich, wenn er seine Reisen nach Moskau und durch Deutschland im Jeep statt zu Fuß zurückgelegt hätte.

Inwieweit sich hinter Kerkelings Erfolg tatsächlich eine neu erwachte Sehnsucht nach alteuropäischer Spiritualität verbirgt, ist viel diskutiert worden. Beim Autor selbst ist sie durchaus vorhanden. Kerkeling und seine Wandergefährtinnen fragen sich bei einer weinseligen Pilgerrunde: „Hat Gott eigentlich auf dem Weg mit euch gesprochen?“ Es dauert, bis jemand antwortet: „Sure he did!“, sagt Sheelagh. Klar, hat er. Dann gestehen es alle. Und die Fragestellerin, Evi aus Schweden, strahlt: „Ja, wenn er zu einem spricht, dann ist man zunächst so voller Freude... aber dann kommen einem die Zweifel. Bin ich verrückt, bilde ich mir das ein, halte ich mich für was Besonderes? Aber dann, wenn man es weiter zulässt, geschehen unglaublich Dinge! Wunder!“

Und wunderschön ist ohnehin Kerkelings Erklärung für die Diskrepanz zwischen der Herrlichkeit Gottes und der Banalität und Gemeinheit seines irdischen Bodenpersonals: „Gott ist für mich so eine Art hervorragender Film wie ,Ghandi', mehrfach preisgekrönt und großartig! Und die Amtskirche ist lediglich das Dorfkino, in dem das Meisterwerk gezeigt wird. Doch die miese Vorführung ändert überhaupt nichts an der Qualität des Films.“

Erfolgsgeschichte des vereinten Europa

Die zitierten Stellen belegen auch noch einen weiteren Grund für den Erfolg des Kerkeling-Buches. Es ist sehr ansprechend geschrieben in einem warmherzigen, menschenfreundlichen Ton. Die selten auftretende Neigung zum Erbauungsbuch-Stil wird gedämpft durch Humor. Die Prosaskizzen, in denen Kerkeling seine oft skurrilen Kurzbekanntschaften auf dem Jakobsweg schildert, sind urkomisch. Und es gibt ein schlichtes Happy-End, an dem Kerkeling nicht nur Gott und sich selbst, sondern auch neue Freunde fürs Leben gefunden hat. Man fühlt sich auf jeden Fall besser, nachdem man „Ich bin dann mal weg“ gelesen hat.

Aber warum der Jakobsweg? Warum betreten eigentlich all diese neuen Sinnsucher nicht die anderen uralten Pilgerpfade – beispielsweise nach Jerusalem? Es sind vielleicht ähnliche Gründe wie diejenigen, die im Mittelalter zum Aufstieg Santiago de Compostelas als Pilgerziel geführt hatten. Damals war der Weg nach Jerusalem durch die muslimischen Eroberungen versperrt. Heute hat wohl auch kaum jemand Lust, sich zu Fuß durch so wenig menschenfreundliche Gegenden wie den Balkan und den Nahen Osten zu begeben.

Außerdem weiß jeder, der jemals in Jerusalem war, dass sich dort das Christentum in der Gestalt fanatischer und geldgieriger orthodoxer Splittergruppen von seiner verachtenswertesten Seite zeigt. Damit verglichen ist der katholische Kitsch der Kathedrale von Santiago de Compostela geradezu ein Hort aufgeklärter menschenfreundlicher Religiosität. Und um zu Fuß zum Jakobsgrab zu gelangen, muss man immer nur durch zivilisierte Länder wandern, an deren Grenzen meist noch nicht einmal mehr Zöllner den Pass sehen wollen – sogar wenn man von den äußersten Rändern des Kontinents kommt. Die neue Popularität des Jakobswegs ist auch eine Erfolgsgeschichte des vereinten Europa.

Wie lange hat Hape Kerkeling für den Jakobsweg gebraucht?

Mit seinem knallroten, elf Kilo schweren Rucksack lief Hape von St. -Jean-Pied-de-Port nach Santiago de Compostela rund 600 Kilometer in sechs Wochen. Und er besiegte dabei seinen „inneren Schweinehund“. Namensgeber der Route ist der Apostel Jakob, der im Jahre 44 nach Christus hingerichtet wurde.

Hat Hape Kerkeling den Jakobsweg gemacht?

In seinem Buch beschreibt Hape Kerkeling die Erlebnisse seiner Pilgerreise nach Santiago de Compostela im Jahr 2001. Auslöser für die Entscheidung, den Jakobsweg zu gehen, waren gesundheitliche Probleme, die ihm wohl auf die Psyche geschlagen sind.

Ist Hape Kerkeling an Parkinson erkrankt?

Der an Parkinson erkrankte Schauspieler und Kabarettist sitzt nach einer Blutvergiftung aktuell im Rollstuhl, ließ sich aber den Weg über den Roten Teppich nicht nehmen – lachend, Hoffnung ausstrahlend. Dann kam sein großer Moment: Die Überreichung des Ehrenpreises beim Deutschen Comedypreis.

Wo wurde gedreht Ich bin dann mal weg?

Das Filmteam drehte in Berlin, Brandenburg sowie an Originalschauplätzen entlang des Jakobsweges: Roncesvalles, Saint-Jean-Pied-de-Port, Pamplona, Picos, León, Ponferrada, Castrillo, Acebo und Santiago de Compostela.