Was bedeuten die geschlechter auf facebook

In diesem Monat hat Facebook damit Schlagzeilen gemacht, die binäre Geschlechtsdefinition aufzubrechen und – bei englischer Spracheinstellung – insgesamt 58 Optionen für die Definition der persönlichen Genderidentität anzubieten. Agender, Cisgender Woman, Genderqueer, Neutrois und Trans Person sind nur eine kleine Auswahl. Der Vorstoß hat sowohl positive als auch skeptische Reaktionen mit sich gebracht. Revolutionärer Vorstoß, PR-Masche oder die Möglichkeit, noch mehr persönliche Daten zu sammeln?

Wir wollten dazu die Meinung von jemandem hören, der sich mit dem Thema auskennt und haben mit Faustin Vierrath von TransInterQueer e.V. gesprochen. TransInterQueer ist ein Verein von und für trans-, intergeschlechtliche und queer lebende Menschen. Er bietet psychosoziale und rechtliche Beratung, Fortbildungsangebote und kulturelle Veranstaltungen, betreibt ein Radio und ein Archiv. Auf politischer Ebene und in Wissenschaftskontexten setzt er sich für die Selbstbestimmung, Entpathologisierung und Gleichberechtigung trans- und intergeschlechtlicher sowie queer lebender Menschen in Berlin und darüber hinaus ein und kooperiert dabei u.a. mit der Internationalen Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen (OII-Deutschland), Queer Leben e.V. und Transgender Europe (TGEU).

 

Facebook hat letzte Woche angekündigt, dass man – mit englischen Spracheinstellungen – zwischen über 50 Gendern wählen kann. Welche Reaktionen gab es dazu im queer/feministischen Umfeld?

Faustin Vierrath: Zunächst ist alles zu begrüßen, was zu Bewusstsein bringt, dass die Zwei-Geschlechter-Ordnung nicht – bzw. nur durch systematisches Unsichtbarmachen unzähliger Identitäten wie Körper – funktioniert. Die neuen Optionen erlauben einer Reihe von Nutzer_innen, sich auf der Plattform nun so selbstverständlich zu zeigen wie diejenigen, die sich durch „male“ oder „female“ treffend beschrieben fühlen. Viele andere bleiben dagegen weiter außen vor, d.h. der Sprung von zwei auf fünfzig verschiebt das Problem nur. Die naheliegendste Frage ist darum, warum die neue „custom“-Option nicht einfach ihrer Bezeichnung entsprechend ganz für User-eigene Einträge geöffnet wird. Aber das hätte dem Unternehmen vermutlich weniger Publicity beschert.

Lassen sich ohne weiteres die gewählten ~50 Optionen aus der Genderforschung ableiten? Kann man überhaupt festlegen, wie viele Gender es gibt?

Faustin Vierrath: Nein, über die Legitimität von Geschlechteridentitäten zu entscheiden, ist auch nicht Aufgabe der Geschlechterforschung. Meines Wissens ist die Liste, die Facebook nun anbietet, in Zusammenarbeit mit US-amerikanischen LGBT-Organisationen entstanden – und wohl auch darum so eurozentristisch und ignorant gegenüber den Ausdrucksweisen von Inter-Personen. Die Zahl existierender Geschlechter festlegen zu wollen, ist immer willkürlich. Persönlich tippe ich auf gut 7 Milliarden, mit steigender Tendenz.

Wie siehst du die Beschränkung auf die Pronomen „he“, „she“, „they“? Müsste man nicht auch genderneutrale Pronomen wie „ze“ oder „hir“ aufnehmen?

Faustin Vierrath: „They“ wird tatsächlich auch in queeren Communities von vielen als neutrales Singular-Pronomen verstanden und geschätzt. Gegenüber ze/hir u.ä. hat es den schwer einholbaren Vorteil, bereits relativ bekannt und für die Mehrheitsgesellschaft weniger anstößig zu sein als Neuschöpfungen. Im deutschen Sprachraum ist die Lage noch schwieriger, hier hat es noch kein genderneutraler Vorschlag über kleinste Kreise hinaus geschafft. An zu viel Neutralität kann Facebook im Übrigen kein Interesse haben, solange das Unternehmen mit geschlechtsspezifisch geschalteten Werbeanzeigen Geld verdient.

Welchen Einfluss kann die Entscheidung Facebooks auf die Akzeptanz von nicht-normativen Genderidentitäten in der Gesellschaft haben? Könnte das auch Einfluss auf die Debatte um binäre Genderangaben auf offiziellen Dokumenten, wie Ausweisen, nehmen?

Faustin Vierrath: Zumindest zeigt hier ein Unternehmen mit beispielloser Macht über Markt und Köpfe, wie leicht sich das binäre Schema aufbrechen lässt. Dass das zugleich demokratietheoretisch hoch problematisch ist, steht außer Frage. In jedem Fall wird es interessant sein, die Reaktionen der Mehrheitsgesellschaft zu beobachten:  Schließlich kommt der Vorstoß zu einem Zeitpunkt, wo noch nicht ausgemacht ist, ob sich Rücksicht auf die Interessen gender-nonkonformer Menschen wirtschaftlich auszahlt – und wo nicht nur in Baden-Württemberg der Kampfbegriff von der „Tyrannei der Minderheit“ wieder salonfähig wird, wenn es gilt, LGBTI–Emanzipation einzudämmen.

Gibt es oder gab es in Deutschland auch Bemühungen, binäre Geschlechterdefinitionen aufzuweiten, online oder offline? Wenn ja, konnten in dieser Hinsicht bereits Erfolge erzielt werden? Gibt es auch hier „Vorreiter“?

Faustin Vierrath: Es gibt tatsächlich eine langsam wachsende Zahl von Unternehmen, die ihren Kund_innen freistellen, ob sie mit „Sehr geehrte Frau Müller“ oder neutral mit „Sehr geehrte/r Ines Müller“ oder „Guten Tag, Ines Müller“ angeschrieben werden möchten. Zu häufig noch steht aber der nicht-binär verortete Mensch dem Argument gegenüber, „die Software“ zwinge zu einer Entscheidung für männlich oder weiblich, auch wenn kein sachlicher Grund dafür ersichtlich ist, überhaupt das Geschlecht abzufragen.

Vergangenes Jahr hat die Bundesrepublik mit der vermeintlichen Einführung eines dritten Geschlechts international Schlagzeilen gemacht. Tatsächlich birgt der entsprechende Bundestagsbeschluss für intergeschlechtliche Menschen mehr Risiken als Vorteile in puncto Selbstbestimmung und Schutz vor Menschenrechtsverletzungen, wie Intersex-Verbände überzeugend dargelegt haben.

Natürlich gibt es auf politischer Ebene auch Initiativen, so etwas wie ein amtlich vermerktes Geschlecht ganz abzuschaffen und sich auf diese Weise gleich einer Reihe von Problemen zu entledigen. Sie stoßen aber noch auf erhebliche Denkbarrieren. Solange es den politischen Willen gibt, sogenannte gleichgeschlechtliche gegenüber verschiedengeschlechtlichen Partnerschaften schlechterzustellen, ist dieser Weg ohnehin versperrt.

Was ist das 72 Geschlechter?

Üblich und anerkannt sind hier ganze 60: Androgyner Mensch, Androgyn, Bigender, Weiblich, Frau zu Mann, Gender variabel, Genderqueer, Intersexuell (oder auch inter*), Männlich, Mann zu Frau, Weder-noch, Geschlechtslos, Nicht-binär, Weitere, Pangender, Trans, Transweiblich, Transmännlich, Transmann, Transmensch, ...

Was genau ist das dritte Geschlecht?

Als drittes Geschlecht werden Personen bezeichnet oder bezeichnen sich Personen selbst, die sich nicht in das binäre Geschlechtssystem „männlich“ und „weiblich“ einordnen lassen (wollen). Das „dritte Geschlecht“ gilt mittlerweile als Variante der nichtbinären Geschlechtsidentitäten.

Welche 6 Geschlechter gibt es?

Seit Mitte September 2020 gibt es nun sechs Optionen zur Geschlechtseintragung: weiblich, männlich, inter, divers, offen oder „keine Angabe“.

Was bedeutet männlich weiblich oder divers?

Das Wort „divers“ kommt aus der lateinischen Sprache. Es bedeutet zum Beispiel „abweichend“ oder „verschieden“. Mit dem Begriff ist also gemeint: Eine Person mit dem Eintrag „divers“ hat ein Geschlecht, dass sie vom männlichen oder weiblichen unterscheidet.