Kind schlägt wenn es Willen nicht bekommt

Wenn dein Kleinkind haut, dann musst du doch irgendwie deine Grenzen klarmachen, oder? Ich sage: Nein, musst du nicht. Lass mich erklären. Eine Einladung zum Gedankenexperiment.

So viele Kleinkinder drücken ihre Aggressionen körperlich aus. Sie beißen, hauen, kratzen, treten. Wir wissen heute, dass sie das tun, da das Hirn noch über keine andere Impulskontrolle verfügt. Da sind Wut, Trauer, Frust… und das muss raus.

Den Weg wählt das Kind nicht bewusst – er „passiert“.

Nun sind wir uns hoffentlich einig, wenn ich sage, dass weder Zurückhauen, noch dem Kind die Schuld an den Gefühlen des Erwachsenen geben („Das macht Mama traurig!“) gangbare Lösungen sind. Wenn ich nun weiter sage, dass wir Eltern auch hier liebevoll begleiten sollten – denn nochmal: Das Kind kann nicht anders! – tauchen schon die ersten Fragen auf. Es ist so unglaublich schwer, weil Aggression in unserer Gesellschaft verpönt ist. Dieser Tatsache Schulden wir auch, dass die meisten von uns so unfähig sind, selbst mit ihr umzugehen. Wir haben es nicht gelernt. Dank der gängigen Erziehung blieb uns das verwehrt. Aggression gilt als etwas „Böses“. Als etwas, das man nicht haben will… eine ungesunde Einstellung.

In der Not deines Kindes geht es nicht um dich!

Eltern sagen oftmals, wenn ich vom „Begleiten“ und „Worte geben“ spreche: „Aber ich muss meinem Kind schon zeigen, dass ich das nicht will! Ich halte es und sage ernst und deutlich Nein!“ Das kann man machen, es hat jedoch nichts mit liebevollem Begleiten zu tun. Und mir geht es darum, dass uns als Eltern das bewusst wird, damit wir informierte Entscheidungen hinsichtlich unseres eigenen Verhaltens treffen können: Das deutliche „Nein!“ oder auch ein „Hör auf!“ der Erwachsenen ist egoistisch angesichts der Tatsache, dass das Kind sich in einer Notsituation befindet. Nochmal: Es handelt nicht bewusst, sondern aus einer Not heraus. Fokussiere ich mich als Erwachsener nun lediglich auf das Klarmachen meiner Grenzen, geht’s jedoch plötzlich um mich: den Elternteil, und darum, wie er sich fühlt und was er will. Es geht nicht mehr primär darum, das Kind zu unterstützen, Worte für seine Gefühle zu finden und es auch in diesem Wutanfall zu begleiten. Der Punkt ist: Grenzen aufzuzeigen ändert nichts an der Not des Kindes.

Darüber, wie wir die Gefühle unserer Kinder unbewusst verleugnen und der einfache Weg, damit aufzuhören, habe ich schon einmal geschrieben.

Kindliches Schlagen, Kratzen, Beißen hat mit der Gewalt, die du verurteilst, gar nichts zu tun.

Liest du diese Zeilen, denkst du dir vielleicht: „Aber ich muss meinem Kind doch klarmachen, dass ich das nicht will!“ Dann erscheint es dir womöglich sinnvoll, nicht direkt in, sondern nach so einer Szene mit dem Kind zu reden. Ich glaube mittlerweile jedoch, dass auch das nicht unbedingt sinnvoll ist. Denn was passiert, ist folgendes: Das Kind tickt bei der nächsten Gelegenheit wieder aus, haut und kratzt wieder… wie das nunmal so ist, in der „Trotzphase“. Und noch bevor es wieder ganz bewusst ist, fühlt es sich schon richtig schlecht. Denn es weiß ja nun: Es hat etwas getan, das du nicht willst, und es weiß auch, dass es nicht anders konnte. Es hat dir wehgetan und dich vielleicht traurig gemacht. Merkst du, dass es wieder um dich geht? Und nicht um die Not des Kindes? „Oh nein, ich habe alles kaputt gemacht! Und dabei wollte ich das gar nicht! Ich will nicht, dass du böse auf mich bist! Aber ich weiß doch auch nicht,….“ Schluchzender O-Ton einer nicht mal Vierjährigen. Schlecht, klein und falsch fühlen ist da vorprogrammiert.

Welches Ich sucht das Gespräch?

Grundsätzlich zu thematisieren, wie Wut sich anfühlen, was man tun oder lassen kann – natürlich kann man das machen. Und auch erklären, was man selbst möchte und was man nicht zulässt. Aber es kommt ganz entscheidend auf das WIE an: Hast du eine Unterhaltung, teilst du dich mit? Ist es ein Austausch, ein Miteinanderreden und bist du offen für die Eindrücke und Erfahrungen deines Kindes? Bist du interessiert an seinem Erleben? Oder beschämst du dein Kind und stellst dich als Opfer dar, das ja so arm ist und dessen Grenzen nicht gewahrt werden, wenn dein kleines Kind hinhaut? Ist zweites der Fall, lade ich dich ein, zu überprüfen, ob du gerade wirklich als der Erwachsene sprichst, der sein Kind liebt und bestmöglich begleiten will und auch seine Not in der Ausnahmesituation sieht… oder ob da doch eher dein kindliches, gekränktes Ich spricht, das glaubt, jetzt Mal „Klartext“ reden zu müssen.


 

Vorleben reicht aus!

Ich verstehe, vielen Eltern ist es wichtig, dieses Verhalten ihres Kindes mit dem Kind zu besprechen. Und es ist ja schon wunderbar, wenn es uns gelingt, das in Ruhe zu tun. Also mit bedacht, ohne Schuldzuweisungen oder das Kind zu schmälern, in einer entspannten Minute. Ich glaube aber mittlerweile in der Tat, dass auch das nicht nötig ist, sondern es wirklich „nur“ darum geht, das Kind in der Situation zu begleiten, wenn es langsam lernt, immer besser mit seinen Emotionen umzugehen. Diesen Lernprozess des Gehirns kann ich mit Worten nicht beschleunigen.

Ich bin davon überzeugt, dass es völlig ausreicht, auch hier vorzuleben. Vorzuleben

  • wie wir selbst Konflikte lösen
  • wie wir unsere Wut bändigen
  • wie wir mit unseren Aggressionen umgehen.

Sollten wir bei diesen Gedanken feststellen, dass wir selbst manchmal Kastentüren zuschlagen, die Tasche in die Ecke knallen, aufstampfen wie Rumpelstilzchen, laut in den Polster schreien,… gerade dann sollten wir umso mehr Verständnis für unsere Kinder aufbringen.

Unser Hirn wäre ja theoretisch schon imstande dazu, anders zu tun. Ist es aber offenbar nicht immer. Wieso gehen wir dann mit Kindern so streng ins Gericht? Wieso erwarten wir hier – wie so oft – Funktionieren, wo wir selbst es doch nicht tun? Es geht nicht darum, unangenehme Gefühle zu unterdrücken, sondern einen konstruktiven Umgang damit zu erlernen. Und hier brauchen uns unsere Kinder, um ihnen zu zeigen, wie das geht.

Nachtrag // Was ich ganz bewusst betonen will: Es geht in diesem ganzen Artikel um ein schlagendes Kind und einen Erwachsenen. Nicht um einen Vorschlag, was zu tun oder zu lassen ist, wenn das Kind andere Kinder haut. 

Es geht nicht darum, unangenehme Gefühle zu unterdrücken, sondern einen konstruktiven Umgang damit zu erlernen. Und hier brauchen uns unsere Kinder, um ihnen zu zeigen, wie das geht.

Komm wieder ins Vertrauen!

Ich möchte dich hier ganz bewusst ins Vertrauen holen. Erinnern an den Glauben daran, dass dein Kind nichts gegen dich tut, sondern immer nur für sich. Daran, dass dieser Schritt notwendig ist für seine Entwicklung und diese schwierigen Situationen entsprechend temporär sind. Dein Kind wird andere Wege finden. Und ich will aufzeigen, dass bei jedem Erklären des eigenen Standpunktes, bei jedem Halten und „Nein!“ sagen… die Angst die Zügel hält.

Ich glaube ich weiß, was du nun denkst. Und ich bitte dich, für einen kurzen Moment zumindest: Hinterfrage dein „Was? Na also ich lass mich doch sicher nicht hauen! Ich bin doch nicht blöd! Niemand darf mich hauen!“ Denn ich glaube, diese Meinung gründet nicht im Leben mit Kind. Du hast sie dir lange vorher angeeignet. Und bisher hat sie auch gepasst. Jetzt tut sie das nicht mehr.

3 Arten zu reagieren nach Jesper Juul

Jesper Juul beschreibt in seinem Buch „Aggression“ drei Wege, wie Eltern aufs hauende Kind reagieren können. Im ersten Fall sagt der Elternteil „Das macht mich traurig“, womit wir die Verantwortung für unser Wohlbefinden auf unser Kleinkind übertragen. Eine Last, die kein Kind tragen müssen sollte. Oftmals befindet sich hinter derlei Aussagen nicht einmal ein echtes Gefühl, sondern sie haben das Ziel der unmittelbaren Verhaltensänderung. Macht dich das Hauen wirklich, ehrlich traurig, so gilt es für dich als Elternteil, dir dein eigenes Großwerden anzusehen und zu erforschen, warum dieser unkontrollierte Ausdruck deines Kindes diese so starken Gefühle in dir auslöst.

Der zweite Weg, den Juul beschreibt, ist jener, dem ich mich in dem Artikel gewidmet habe. Der Elternteil sagt „Ich will das nicht“, und zeigt seine persönlichen Grenzen auf. Hier gibt Juul eben zu bedenken, dass es sich einzig um das Befinden des Erwachsenen dreht – nicht um das des Kindes. Reagieren wir so, lernen Kinder etwas über uns, nicht aber über sich und ihre Emotionen.

Natürlich können wir Eltern also so reagieren, aber wenn wir sehen, dass wir bei Juuls dritter Variante unser Kind in seinen starken Gefühlen an die Hand nehmen und als Leuchtturm den Weg leuchten, wollen wir vielleicht darauf verzichten oder zumindest – nachdem wir unsere Grenzen abgesteckt haben – entsprechend agieren: Bei der dritten Variante benennt der Elternteil die kindlichen Gefühle: „Ich sehe, du bist wütend/enttäuscht/traurig.“ Ich kann dann versuchen, dem, was gerade passiert ist, Worte zu geben. Wir helfen unseren Kindern so dabei, zu verstehen, was da gerade in ihnen ist und geben ihnen eben, wie gesagt, Worte, die sie selbst gebrauchen können, um genau das immer besser auszudrücken.

Kindliches Hauen ist nicht „Gewalt“

Ich glaube, wenn wir die Beziehung zu unseren Kindern mit Liebe und bewusst gestalten, müssen wir nicht einmal hier, in so herausfordernden Situationen, Grenzen aufzeigen. Wir müssen nicht uns selbst in den Mittelpunkt stellen, sondern können sogar jetzt das Kind sehen, das uns gerade braucht.

Dass Gewalt nicht toll ist, kriegt das Kind mit, wenn wir es vorleben. Ich halte es aber für essentiell zu erkennen, dass ein schlagendes, kratzendes Kind in einem völlig natürlichen und entwicklungsbedingten Wutanfall nicht gewalttätig ist. Nicht in dem Sinn, den wir sonst verstehen, wenn wir von Gewalt reden.

Dein Kind wird andere Wege der Impulskontrolle erlernen. Wir dürfen auch hier begleiten.

Lass los. Öffne dein Herz, stell das Gelernte hinten an.


Meine Gedanken. Was denkst du?

Wenn dein Kind andere Kinder haut, beißt, zwickt… findest du in meinem dreiteiligen Video über Konflikt, Wut und Aggression qualifizierte Lösungen vom Profi.

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Kind schlägt wenn es Willen nicht bekommt

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  • „ICH TU ETWAS, DAS ICH NICHT FÜHL!“ – ÜBER GEWALT AN KINDERN
  • Video: GERALD HÜTHER ÜBER MOMENTE GELINGENDER BEZIEHUNGEN (EINE NEUE BEZIEHUNGSKULTUR, UM DIE WELT ZU VERÄNDERN)
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  • Video: ANDRÉ STERN IM GESPRÄCH ÜBER EINE NEUE HALTUNG: „KINDER TRAGEN DIE POTENZIALE DER WELT IN IHREN HÄNDEN“
  • RESILIENZ: VOM IMMUNSYSTEM DER KINDERSEELEN UND WIE WIR ES STÄRKEN KÖNNEN (TEIL 1 VON 3)
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Foto via stocksnap.io

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Wie reagieren Wenn ein Kind schlägt?

Sie müssen sofort ernst, aber gelassen klarmachen, dass Sie Schläge nicht dulden. Also laut und bestimmt "Nein" sagen, dem Kind in die Augen schauen und seinen Arm festhalten. Auch für Kompromisse sind Kinder aufnahmebereit, sie können auch eine Regel wie "Lieber laut reden statt treten" schon verstehen.

Warum schreit mein Kind wenn es seinen Willen nicht bekommt?

Trotzphase - das sollten Sie wissen: Die Trotzphase gilt als ein wichtiger Schritt in der emotionalen Entwicklung eines Kindes - der eigene Wille ist erwacht, aber das Kind stößt in seinem Können an Grenzen. Wutanfälle können die Folge sein. Dahinter steckt oft nicht mehr als Traurigkeit und Verzweiflung.

Was tun wenn das Kind die Mütter schlägt?

Das Schlagen sofort und möglichst schon im Ansatz unterbinden! Dafür braucht es wenig bis gar keiner Worte, aber Entschlossenheit im Handeln und klares Auftreten. Bei kleineren Kindern hilft es, dem Kind möglichst ruhig und vorsichtig die Hände festzuhalten. Dabei aber dem Kind nicht weh tun!

Was ist das Schwierigste Alter bei Kindern?

«Das erste Jahr ist am anstrengendsten. Zwar schlafen die Babys viel, aber bis sich die Verdauung reguliert und man das Baby besser kennt, vergehen ein paar Monate. Ausserdem finde ich den Übergang vom Stillen, über den Brei bis hin zur festen Nahrung mühsam.