Denn wir waren nie wie alle und deshalb werden wir nie fallen zieh für dich in den Krieg

The Project Gutenberg EBook of Klingsors letzter Sommer, by Hermann Hesse

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Title: Klingsors letzter Sommer
       Kinderseele / Klein und Wagner / Klingsors letzter Sommer

Author: Hermann Hesse

Release Date: March 15, 2013 [EBook #42338]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KLINGSORS LETZTER SOMMER ***




Produced by Jens Sadowski





Denn wir waren nie wie alle und deshalb werden wir nie fallen zieh für dich in den Krieg

Klingsors letzter Sommer Erz�hlungen von Hermann Hesse

1920
S. Fischer / Verlag / Berlin

Von diesem Werk wurden f�r Hermann Hesse 100 numerierte
Exemplare auf holzfreiem Papier abgezogen, die mit
seiner Unterschrift nur vom Dichter selbst (Wohnsitz:
Montagnola, Schweiz) zu beziehen sind

Erste bis zehnte Auflage
Alle Rechte, besonders das der �bersetzung, vorbehalten
Copyright S. Fischer, Verlag, Berlin

Kinderseele

Manchmal handeln wir, gehen aus und ein, tun dies und das, und es ist alles leicht, unbeschwert und gleichsam unverbindlich, es k�nnte scheinbar alles auch anders sein. Und manchmal, zu anderen Stunden, k�nnte nichts anders sein, ist nichts unverbindlich und leicht, und jeder Atemzug, den wir tun, ist von Gewalten bestimmt und schwer von Schicksal.

Die Taten unseres Lebens, die wir die guten nennen und von denen zu erz�hlen uns leicht f�llt, sind fast alle von jener ersten, „leichten“ Art, und wir vergessen sie leicht. Andere Taten, von denen zu sprechen uns M�he macht, vergessen wir nie mehr, sie sind gewisserma�en mehr unser als andere, und ihre Schatten fallen lang �ber alle Tage unseres Lebens.

Unser Vaterhaus, das gro� und hell an einer hellen Stra�e lag, betrat man durch ein hohes Tor, und sogleich war man von K�hle, D�mmerung und steinern feuchter Luft umfangen. Eine hohe, d�stere Halle nahm einen schweigsam auf, der Boden von roten Sandsteinfliesen f�hrte leicht ansteigend gegen die Treppe, deren Beginn zuhinterst tief im Halbdunkel lag. Viele tausend Male bin ich durch dies hohe Tor eingegangen, und niemals hatte ich acht auf Tor und Flur, Fliesen und Treppe; dennoch war es immer ein �bergang in eine andere Welt, in „unsere“ Welt. Die Halle roch nach Stein, sie war finster und hoch, hinten f�hrte die Treppe aus der dunklen K�hle empor und zu Licht und hellem Behagen. Immer aber war erst die Halle und die ernste D�mmerung da: etwas von Vater, etwas von W�rde und Macht, etwas von Strafe und schlechtem Gewissen. Tausendmal ging man lachend hindurch. Manchmal aber trat man herein und war sogleich erdr�ckt und zerkleinert, hatte Angst, suchte rasch die befreiende Treppe.

Als ich elf Jahre alt war, kam ich eines Tages von der Schule her nach Hause, an einem von den Tagen, wo Schicksal in den Ecken lauert, wo leicht etwas passiert. An diesen Tagen scheint jede Unordnung und St�rung der eigenen Seele sich in unserer Umwelt zu spiegeln und sie zu entstellen. Unbehagen und Angst beklemmen unser Herz, und wir suchen und finden ihre vermeintlichen Ursachen au�er uns, sehen die Welt schlecht eingerichtet und sto�en �berall auf Widerst�nde.

�hnlich war es an jenem Tage. Von fr�h an bedr�ckte mich — wer wei� woher? vielleicht aus Tr�umen der Nacht — ein Gef�hl wie schlechtes Gewissen, obwohl ich nichts Besonderes begangen hatte. Meines Vaters Gesicht hatte am Morgen einen leidenden und vorwurfsvollen Ausdruck gehabt, die Fr�hst�cksmilch war lau und fad gewesen. In der Schule war ich zwar nicht in N�te geraten, aber es hatte alles wieder einmal trostlos, tot und entmutigend geschmeckt und hatte sich vereinigt zu jenem mir schon bekannten Gef�hl der Ohnmacht und Verzweiflung, das uns sagt, da� die Zeit endlos sei, da� wir ewig und ewig klein und machtlos und im Zwang dieser bl�den, stinkenden Schule bleiben werden, Jahre und Jahre, und da� dies ganze Leben sinnlos und widerw�rtig sei.

Auch �ber meinen derzeitigen Freund hatte ich mich heute ge�rgert. Ich hatte seit kurzem eine Freundschaft mit Oskar Weber, dem Sohn eines Lokomotivf�hrers, ohne recht zu wissen, was mich zu ihm zog. Er hatte neulich damit geprahlt, da� sein Vater sieben Mark im Tag verdiene, und ich hatte aufs Geratewohl erwidert, der meine verdiene vierzehn. Da� er sich dadurch hatte imponieren lassen, ohne Einw�nde zu machen, war der Anfang der Sache gewesen. Einige Tage sp�ter hatte ich mit Weber einen Bund gegr�ndet, indem wir eine gemeinsame Sparkasse anlegten, aus welcher sp�ter eine Pistole gekauft werden sollte. Die Pistole lag im Schaufenster eines Eisenh�ndlers, eine massive Waffe mit zwei bl�ulichen Stahlrohren. Und Weber hatte mir vorgerechnet, da� man nur eine Weile richtig zu sparen brauche, dann k�nne man sie kaufen. Geld gebe es ja immer, er bekomme sehr oft einen Zehner f�r Ausg�nge, oder sonst ein Trinkgeld, und manchmal finde man Geld auf der Gasse, oder Sachen mit Geldeswert, wie Hufeisen, Bleist�cke und anderes, was man gut verkaufen k�nne. Einen Zehner hatte er auch sofort f�r unsere Kasse hergegeben, und der hatte mich �berzeugt und mir unseren ganzen Plan als m�glich und hoffnungsvoll erscheinen lassen.

Indem ich an jenem Mittag unsere Hausflur betrat und mir in der kellerig k�hlen Luft dunkle Mahnungen an tausend unbequeme und hassenswerte Dinge und Weltordnungen entgegenwehten, waren meine Gedanken mit Oskar Weber besch�ftigt. Ich f�hlte, da� ich ihn nicht liebte, obwohl sein gutm�tiges Gesicht, das mich an eine Waschfrau erinnerte, mir sympathisch war. Was mich zu ihm hinzog, war nicht seine Person, sondern etwas anderes, ich k�nnte sagen sein Stand — es war etwas, das er mit fast allen Buben von seiner Art und Herkunft teilte: eine gewisse freche Lebenskunst, ein dickes Fell gegen Gefahr und Dem�tigung, eine Vertrautheit mit den kleinen praktischen Angelegenheiten des Lebens, mit Geld, mit Kaufl�den und Werkst�tten, Waren und Preisen, mit K�che und W�sche und dergleichen. Solche Knaben wie Weber, denen die Schl�ge in der Schule nicht weh zu tun schienen und die mit Knechten, Fuhrleuten und Fabrikm�dchen verwandt und befreundet waren, die standen anders und gesicherter in der Welt, als ich; sie waren gleichsam erwachsener, sie wu�ten, wieviel ihr Vater im Tag verdiene, und wu�ten ohne Zweifel auch sonst noch vieles, worin ich unerfahren war. Sie lachten �ber Ausdr�cke und Witze, die ich nicht verstand. Sie konnten �berhaupt auf eine Weise lachen, die mir versagt war, auf eine dreckige und rohe, aber unleugbar erwachsene und beinah „m�nnliche“ Weise. Es half nichts, da� man kl�ger war als sie und in der Schule viel mehr wu�te. Es half nichts, da� man besser als sie gekleidet, gek�mmt und gewaschen war. Im Gegenteil, eben diese Unterschiede kamen ihnen zugute. In die „Welt“, wie sie mir in D�mmerschein und Abenteuerschein vorschwebte, schienen mir solche Knaben wie Weber ganz ohne Schwierigkeiten eingehen zu k�nnen, w�hrend mir die „Welt“ so sehr verschlossen war und jedes ihrer Tore durch unendliches �lterwerden, Schulesitzen, durch Pr�fungen und Erzogenwerden m�hsam erobert werden mu�te. Nat�rlich fanden solche Knaben auch Hufeisen, Geld und St�cke Blei auf der Stra�e, bekamen Lohn f�r Besorgungen, kriegten in L�den allerlei geschenkt und gediehen auf jede Weise.

Ich f�hlte dunkel, da� meine Freundschaft zu Weber und seiner Sparkasse nichts war als wilde Sehnsucht nach jener „Welt“. An Weber war nichts f�r mich liebenswert, als sein gro�es Geheimnis, kraft dessen er den Erwachsenen n�her stand als ich, in einer schleierlosen, nackteren, robusteren Welt lebte, als ich mit meinen Tr�umen und W�nschen. Und ich f�hlte voraus, da� er mich entt�uschen w�rde, da� es mir nicht gelingen werde, ihm sein Geheimnis und den magischen Schl�ssel zum Leben zu entrei�en.

Eben hatte er mich verlassen, und ich wu�te, er ging nun nach Hause, breit und beh�big, pfeifend und vergn�gt, von keiner Sehnsucht, von keinen Ahnungen verd�stert. Wenn er die Dienstm�gde und Fabrikler antraf und ihr r�tselhaftes, vielleicht wunderbares, vielleicht verbrecherisches Leben f�hren sah, so war es ihm kein R�tsel und ungeheures Geheimnis, keine Gefahr, nichts Wildes und Spannendes, sondern selbstverst�ndlich, bekannt und heimatlich wie der Ente das Wasser. So war es. Und ich hingegen, ich w�rde immer nebendrau�en stehen, allein und unsicher, voll von Ahnungen, aber ohne Gewi�heit.

�berhaupt, das Leben schmeckte an jenem Tage wieder einmal hoffnungslos fade, der Tag hatte etwas von einem Montag an sich, obwohl er ein Samstag war, er roch nach Montag, dreimal so lang und dreimal so �de als die anderen Tage. Verdammt und widerw�rtig war dies Leben, verlogen und ekelhaft war es. Die Erwachsenen taten, als sei die Welt vollkommen und als seien sie selber Halbg�tter, wir Knaben aber nichts als Auswurf und Abschaum. Diese Lehrer —! Man f�hlte Streben und Ehrgeiz in sich, man nahm redliche und leidenschaftliche Anl�ufe zum Guten, sei es nun zum Lernen der griechischen Unregelm��igen oder zum Reinhalten seiner Kleider, zum Gehorsam gegen die Eltern oder zum schweigenden, heldenhaften Ertragen aller Schmerzen und Dem�tigungen — ja, immer und immer wieder erhob man sich, gl�hend und fromm, um sich Gott zu widmen und den idealen, reinen, edlen Pfad zur H�he zu gehen, Tugend zu �ben, B�ses stillschweigend zu dulden, anderen zu helfen — ach, und immer und immer wieder blieb es ein Anlauf, ein Versuch und kurzer Flatterflug! Immer wieder passierte schon nach Tagen, o schon nach Stunden etwas, was nicht h�tte sein d�rfen, etwas Elendes, Betr�bendes und Besch�mendes. Immer wieder fiel man mitten aus den trotzigsten und adligsten Entschl�ssen und Gel�bnissen pl�tzlich unentrinnbar in S�nde und Lumperei, in Alltag und Gew�hnlichkeiten zur�ck! Warum war es so, da� man die Sch�nheit und Richtigkeit guter Vors�tze so wohl und tief erkannte und im Herzen f�hlte, wenn doch best�ndig und immerzu das ganze Leben (die Erwachsenen einbegriffen) nach Gew�hnlichkeit stank und �berall darauf eingerichtet war, das Sch�bige und Gemeine triumphieren zu lassen? Wie konnte es sein, da� man morgens im Bett auf den Knien oder nachts vor angez�ndeten Kerzen sich mit heiligem Schwur dem Guten und Lichten verb�ndete, Gott anrief und jedem Laster f�r immer Fehde ansagte — und da� man dann, vielleicht blo� ein paar Stunden sp�ter, an diesem selben heiligen Schwur und Vorsatz den elendesten Verrat �ben konnte, sei es auch nur durch das Einstimmen in ein verf�hrerisches Gel�chter, durch das Geh�r, das man einem dummen Schulbubenwitze lieh? Warum war das so? Ging es andern anders? Waren die Helden, die R�mer und Griechen, die Ritter, die ersten Christen — waren diese alle andere Menschen gewesen als ich, besser, vollkommener, ohne schlechte Triebe, ausgestattet mit irgendeinem Organ, das mir fehlte, das sie hinderte, immer wieder aus dem Himmel in den Alltag, aus dem Erhabenen ins Unzul�ngliche und Elende zur�ckzufallen? War die Erbs�nde jenen Helden und Heiligen unbekannt? War das Heilige und Edle nur Wenigen, Seltenen, Auserw�hlten m�glich? Aber warum war mir, wenn ich nun also kein Auserw�hlter war, dennoch dieser Trieb nach dem Sch�nen und Adligen eingeboren, diese wilde, schluchzende Sehnsucht nach Reinheit, G�te, Tugend? War das nicht zum Hohn? Gab es das in Gottes Welt, da� ein Mensch, ein Knabe, gleichzeitig alle hohen und alle b�sen Triebe in sich hatte und leiden und verzweifeln mu�te, nur so als eine ungl�ckliche und komische Figur, zum Vergn�gen des zuschauenden Gottes? Gab es das? Und war dann nicht — ja war dann nicht die ganze Welt ein Teufelsspott, gerade wert, sie anzuspucken?! War dann nicht Gott ein Scheusal, ein Wahnsinniger, ein dummer, widerlicher Hanswurst? — Ach, und w�hrend ich mit einem Beigeschmack von Emp�rerwollust diese Gedanken dachte, strafte mich schon mein banges Herz durch Zittern f�r die Blasphemie!

Wie deutlich sehe ich, nach drei�ig Jahren, jenes Treppenhaus wieder vor mir, mit den hohen, blinden Fenstern, die gegen die nahe Nachbarmauer gingen und so wenig Licht gaben, mit den wei�gescheuerten, tannenen Treppen und Zwischenb�den und dem glatten, harth�lzernen Gel�nder, das durch meine tausend sausenden Abfahrten poliert war! So fern mir die Kindheit steht, und so unbegreiflich und m�rchenhaft sie mir im ganzen erscheint, so ist mir doch alles genau erinnerlich, was schon damals, mitten im Gl�ck, in mir an Leid und Zwiespalt vorhanden war. Alle diese Gef�hle waren damals im Herzen des Kindes schon dieselben, wie sie es immer blieben: Zweifel am eigenen Wert, Schwanken zwischen Selbst�bersch�tzung und Mutlosigkeit, zwischen weltverachtender Idealit�t und gew�hnlicher Sinneslust — und wie damals, so sah ich auch hundertmal sp�ter noch in diesen Z�gen meines Wesens bald ver�chtliche Krankheit, bald Auszeichnung, habe zu Zeiten den Glauben, da� mich Gott auf diesem qualvollen Wege zu besonderer Vereinsamung und Vertiefung f�hren wolle, und finde zu andern Zeiten wieder in alledem nichts als die Zeichen einer sch�bigen Charakterschw�che, einer Neurose, wie Tausende sie m�hsam durchs Leben schleppen.

Wenn ich alle die Gef�hle und ihren qualvollen Widerstreit auf ein Grundgef�hl zur�ckf�hren und mit einem einzigen Namen bezeichnen sollte, so w��te ich kein anderes Wort als: Angst. Angst war es, Angst und Unsicherheit, was ich in allen jenen Stunden des gest�rten Kindergl�cks empfand: Angst vor Strafe, Angst vor dem eigenen Gewissen, Angst vor Regungen meiner Seele, die ich als verboten und verbrecherisch empfand.

Auch in jener Stunde, von der ich erz�hle, kam dies Angstgef�hl wieder �ber mich, als ich in dem heller und heller werdenden Treppenhause mich der Glast�r n�herte. Es begann mit einer Beklemmung im Unterleib, die bis zum Halse emporstieg und dort zum W�rgen oder zu �belkeit wurde. Zugleich damit empfand ich in diesen Momenten stets, und so auch jetzt, eine peinliche Geniertheit, ein Mi�trauen gegen jeden Beobachter, einen Drang zu Alleinsein und Sichverstecken.

Mit diesem �blen und verfluchten Gef�hl, einem wahren Verbrechergef�hl, kam ich in den Korridor und in das Wohnzimmer. Ich sp�rte: es ist heut der Teufel los, es wird etwas passieren. Ich sp�rte es, wie der Barometer einen ver�nderten Luftdruck sp�rt, mit rettungsloser Passivit�t. Ach, nun war es wieder da, dies Uns�gliche! Der D�mon schlich durchs Haus, Erbs�nde nagte am Herzen, riesig und unsichtbar stand hinter jeder Wand ein Geist, ein Vater und Richter.

Noch wu�te ich nichts, noch war alles blo� Ahnung, Vorgef�hl, nagendes Unbehagen. In solchen Lagen war es oft das beste, wenn man krank wurde, sich erbrach und ins Bett legte. Dann ging es manchmal ohne Schaden vor�ber, die Mutter oder Schwester kam, man bekam Tee und sp�rte sich von liebender Sorge umgeben, und man konnte weinen oder schlafen, um nachher gesund und froh in einer v�llig verwandelten, erl�sten und hellen Welt zu erwachen.

Meine Mutter war nicht im Wohnzimmer, und in der K�che war nur die Magd. Ich beschlo�, zum Vater hinauf zu gehen, zu dessen Studierzimmer eine schmale Treppe hinauff�hrte. Wenn ich auch Furcht vor ihm hatte, zuweilen war es doch gut, sich an ihn zu wenden, dem man so viel abzubitten hatte. Bei der Mutter war es einfacher und leichter, Trost zu finden; beim Vater aber war der Trost wertvoller, er bedeutete einen Frieden mit dem richtenden Gewissen, eine Vers�hnung und ein neues B�ndnis mit den guten M�chten. Nach schlimmen Auftritten, Untersuchungen, Gest�ndnissen und Strafen war ich oft aus des Vaters Zimmer gut und rein hervorgegangen, bestraft und ermahnt zwar, aber voll neuer Vors�tze, durch die Bundesgenossenschaft des M�chtigen gest�rkt gegen das feindliche B�se. Ich beschlo�, den Vater aufzusuchen und ihm zu sagen, da� mir �bel sei.

Und so stieg ich die kleine Treppe hinauf, die zum Studierzimmer f�hrte. Diese kleine Treppe mit ihrem eigenen Tapetengeruch und dem trockenen Klang der hohlen, leichten Holzstufen war noch unendlich viel mehr als die Hausflur ein bedeutsamer Weg und ein Schicksalstor; �ber diese Stufen hatten viele wichtige G�nge mich gef�hrt, Angst und Gewissensqual hatte ich hundertmal dort hinaufgeschleppt, Trotz und wilden Zorn, und nicht selten hatte ich Erl�sung und neue Sicherheit zur�ckgebracht. Unten in unsrer Wohnung waren Mutter und Kind zu Hause, dort wehte harmlose Luft; hier oben wohnten Macht und Geist, hier waren Gericht und Tempel und das „Reich des Vaters“.

Etwas beklommen wie immer dr�ckte ich die altmodische Klinke nieder und �ffnete die T�r halb. Der v�terliche Studierzimmergeruch flo� mir wohlbekannt entgegen: B�cher- und Tintenduft verd�nnt durch blaue Luft aus halboffnen Fenstern, wei�e, reine Vorh�nge, ein verlorner Faden von K�lnisch-Wasser-Duft, und auf dem Schreibtisch ein Apfel. — Aber die Stube war leer.

Mit einer Empfindung halb von Entt�uschung und halb von Aufatmen trat ich ein. Ich d�mpfte meinen Schritt und trat nur mit den Zehen auf, so wie wir hier oben manchmal gehen mu�ten, wenn der Vater schlief oder Kopfweh hatte. Und kaum war dies leise Gehen mir bewu�t geworden, so bekam ich Herzklopfen und sp�rte verst�rkt den angstvollen Druck im Unterleib und in der Kehle wieder. Ich ging schleichend und angstvoll weiter, einen Schritt und wieder einen Schritt, und schon war ich nicht mehr ein harmloser Besucher und Bittsteller, sondern ein Eindringling. Mehrmals schon hatte ich heimlich in des Vaters Abwesenheit mich in seine beiden Zimmer geschlichen, hatte sein geheimes Reich belauscht und erforscht und hatte zweimal auch etwas daraus entwendet.

Die Erinnerung daran war alsbald da und erf�llte mich, und ich wu�te sofort: jetzt war das Ungl�ck da, jetzt passierte etwas, jetzt tat ich Verbotenes und B�ses. Kein Gedanke an Flucht! Vielmehr, ich dachte wohl daran, dachte sehnlich und inbr�nstig daran, davonzulaufen, die Treppe hinab und in mein St�bchen oder in den Garten — aber ich wu�te, ich werde das doch nicht tun, nicht tun k�nnen. Innig w�nschte ich, mein Vater m�chte sich im Nebenzimmer r�hren und hereintreten und den ganzen grauenvollen Bann durchbrechen, der mich d�monisch zog und fesselte. O k�me er doch! K�me er doch, scheltend meinetwegen, aber k�me er nur, eh es zu sp�t ist!

Ich hustete, um meine Anwesenheit zu melden, und als keine Antwort kam, rief ich leise: „Papa!“ Es blieb alles still, an den W�nden schwiegen die vielen B�cher, ein Fensterfl�gel bewegte sich im Winde und warf einen hastigen Sonnenspiegel �ber den Boden. Niemand erl�ste mich, und in mir selber war keine Freiheit, anders zu tun, als der D�mon wollte. Verbrechergef�hl zog mir den Magen zusammen und machte mir die Fingerspitzen kalt, mein Herz flatterte angstvoll. Noch wu�te ich keineswegs, was ich tun w�rde. Ich wu�te nur, es w�rde etwas Schlechtes sein.

Nun war ich beim Schreibtisch, nahm ein Buch in die Hand und las einen englischen Titel, den ich nicht verstand. Englisch ha�te ich — das sprach der Vater stets mit der Mutter, wenn wir es nicht verstehen sollten und auch wenn sie Streit hatten. In einer Schale lagen allerlei kleine Sachen, Zahnstocher, Stahlfedern, Stecknadeln. Ich nahm zwei von den Stahlfedern und steckte sie in die Tasche, Gott wei� wozu, ich brauchte sie nicht und hatte keinen Mangel an Federn. Ich tat es nur, um dem Zwang zu folgen, der mich fast erstickt h�tte, dem Zwang, B�ses zu tun, mir selbst zu schaden, mich mit Schuld zu beladen. Ich bl�tterte in meines Vaters Papieren, sah einen angefangenen Brief liegen, ich las die Worte: „es geht uns und den Kindern, Gott sei Dank, recht gut,“ und die lateinischen Buchstaben seiner Handschrift sahen mich an wie Augen.

Dann ging ich leise und schleichend in das Schlafzimmer hin�ber. Da stand Vaters eisernes Feldbett, seine braunen Hausschuhe darunter, ein Taschentuch lag auf dem Nachttisch. Ich atmete die v�terliche Luft in dem k�hlen, hellen Zimmer ein, und das Bild des Vaters stieg deutlich vor mir auf, Ehrfurcht und Auflehnung stritten in meinem beladenen Herzen. F�r Augenblicke ha�te ich ihn und erinnerte mich seiner mit Bosheit und Schadenfreude, wie er zuweilen an Kopfwehtagen still und flach in seinem niederen Feldbett lag, sehr lang und gestreckt, ein nasses Tuch �ber der Stirn, manchmal seufzend. Ich ahnte wohl, da� auch er, der Gewaltige, kein leichtes Leben habe, da� auch ihm, dem Ehrw�rdigen, Zweifel an sich selbst und Bangigkeit nicht unbekannt waren. Schon war mein seltsamer Ha� verflogen, Mitleid und R�hrung folgten ihm. Aber inzwischen hatte ich eine Schieblade der Kommode herausgezogen. Da lag W�sche geschichtet und eine Flasche K�lnisches Wasser, das er liebte; ich wollte daran riechen, aber die Flasche war noch unge�ffnet und fest verst�pselt, ich legte sie wieder zur�ck. Daneben fand ich eine kleine runde Dose mit Mundpastillen, die nach Lakrizen schmeckten, von denen steckte ich einige in den Mund. Eine gewisse Entt�uschung und Ern�chterung kam �ber mich, und zugleich war ich doch froh, nicht mehr gefunden und genommen zu haben.

Schon im Ablassen und Verzichten zog ich noch spielend an einer andern Lade, mit etwas erleichtertem Gef�hl und mit dem Vorsatz, nachher die zwei gestohlenen Stahlfedern dr�ben wieder an ihren Ort zu legen. Vielleicht waren R�ckkehr und Reue m�glich, Wiedergutmachung und Erl�sung. Vielleicht war Gottes Hand �ber mir st�rker als alle Versuchung . . .

Da sah ich mit schnellem Blick noch eilig in den Spalt der kaum aufgezogenen Lade. Ach, w�ren Str�mpfe oder Hemden oder alte Zeitungen darin gewesen! Aber da war nun die Versuchung, und sekundenschnell kehrte der kaum gelockerte Krampf und Angstbann wieder, meine H�nde zitterten, und mein Herz schlug rasend. Ich sah in einer aus Bast geflochtenen, indischen oder sonst exotischen Schale etwas liegen, etwas �berraschendes, Verlockendes, einen ganzen Kranz von wei� bezuckerten, getrockneten Feigen!

Ich nahm ihn in die Hand, er war wundervoll schwer. Dann zog ich zwei, drei Feigen heraus, steckte eine in den Mund, einige in die Tasche. Nun waren alle Angst und alles Abenteuer doch nicht umsonst gewesen. Keine Erl�sung, keinen Trost konnte ich mehr von hier fortnehmen, so wollte ich wenigstens nicht leer ausgehen. Ich zog noch drei, vier Feigen von dem Ring, der davon kaum leichter wurde, und noch einige, und als meine Taschen gef�llt und von dem Kranz wohl mehr als die H�lfte verschwunden war, ordnete ich die �briggebliebenen Feigen auf dem etwas klebrigen Ring lockerer an, so da� weniger zu fehlen schienen. Dann stie� ich, in pl�tzlichem hellem Schrecken, die Lade heftig zu und rannte davon, durch beide Zimmer, die kleine Stiege hinab und in mein St�bchen, wo ich stehen blieb und mich auf meinen kleinen Stehpult st�tzte, in den Knien wankend und nach Atem ringend.

Bald darauf t�nte unsre Tischglocke. Mit leerem Kopf und ganz von Ern�chterung und Ekel erf�llt, stopfte ich die Feigen in mein B�cherbrett, verbarg sie hinter B�chern und ging zu Tische. Vor der E�zimmert�r merkte ich, da� meine H�nde klebten. Ich wusch sie in der K�che. Im E�zimmer fand ich alle schon am Tische warten. Ich sagte schnell Gutentag, der Vater sprach das Tischgebet, und ich beugte mich �ber meine Suppe. Ich hatte keinen Hunger, jeder Schluck machte mir M�he. Und neben mir sa�en meine Schwestern, die Eltern gegen�ber, alle hell und munter und in Ehren, nur ich Verbrecher elend dazwischen, allein und unw�rdig, mich f�rchtend vor jedem freundlichen Blick, den Geschmack der Feigen noch im Munde. Hatte ich oben die Schlafzimmert�r auch zugemacht? Und die Schublade?

Nun war das Elend da. Ich h�tte mir die Hand abhauen lassen, wenn daf�r meine Feigen wieder oben in der Kommode gelegen h�tten. Ich beschlo�, sie fortzuwerfen, sie mit in die Schule zu nehmen und zu verschenken. Nur da� sie wegk�men, da� ich sie nie wieder sehen m��te!

„Du siehst heut’ schlecht aus,“ sagte mein Vater �ber den Tisch weg. Ich sah auf meinen Teller und f�hlte seine Blicke auf meinem Gesicht. Nun w�rde er es merken. Er merkte ja alles, immer. Warum qu�lte er mich vorher noch? Mochte er mich lieber gleich abf�hren und meinetwegen totschlagen.

„Fehlt dir etwas?“ h�rte ich seine Stimme wieder. Ich log, ich sagte, ich habe Kopfweh.

„Du mu�t dich nach Tisch ein wenig hinlegen,“ sagte er. „Wieviel Stunden habt ihr heut nachmittag?“

„Blo� Turnen.“

„Nun, turnen wird dir nicht schaden. Aber i� auch, zwinge dich ein bi�chen! Es wird schon vergehen.“

Ich schielte hin�ber. Die Mutter sagte nichts, aber ich wu�te, da� sie mich anschaue. Ich a� meine Suppe hinunter, k�mpfte mit Fleisch und Gem�se, schenkte mir zweimal Wasser ein. Es geschah nichts weiter. Man lie� mich in Ruhe. Als zum Schlu� mein Vater das Dankgebet sprach: „Herr, wir danken dir, denn du bist freundlich, und deine G�te w�hret ewiglich,“ da trennte wieder ein �tzender Schnitt mich von den hellen, heiligen, vertrauensvollen Worten und von allen, die am Tische sa�en; mein H�ndefalten war L�ge, und meine and�chtige Haltung war L�sterung.

Als ich aufstand, strich mir die Mutter �bers Haar und lie� ihre Hand einen Augenblick auf meiner Stirn liegen, ob sie hei� sei. Wie bitter war das alles!

In meinem St�bchen stand ich dann vor dem B�cherbrett. Der Morgen hatte nicht gelogen, alle Anzeichen hatten recht gehabt. Es war ein Ungl�ckstag geworden, der schlimmste, den ich je erlebt hatte. Schlimmeres konnte kein Mensch ertragen. Wenn noch Schlimmeres �ber einen kam, dann mu�te man sich das Leben nehmen. Man m��te Gift haben, das war das beste, oder sich h�ngen. Es war �berhaupt besser, tot zu sein, als zu leben. Es war ja alles so falsch und h��lich. Ich stand und sann und griff zerstreut nach den verborgenen Feigen und a� davon, eine und mehrere, ohne es recht zu wissen.

Unsre Sparkasse fiel mir in die Augen, sie stand im Bord unter den B�chern. Es war eine Zigarrenkiste, die ich fest zugenagelt hatte; in den Deckel hatte ich mit dem Taschenmesser einen ungef�gen Schlitz f�r die Geldst�cke geschnitten. Er war schlecht und roh geschnitten, der Schlitz, Holzsplitter standen heraus. Auch das konnte ich nicht richtig. Ich hatte Kameraden, die konnten so etwas m�hsam und geduldig und tadellos machen, da� es aussah wie vom Schreiner gehobelt. Ich aber pfuschte immer nur, hatte es eilig und machte nichts sauber fertig. So war es mit meinen Holzarbeiten, so mit meiner Handschrift und meinen Zeichnungen, so war es mit meiner Schmetterlingssammlung und mit allem. Es war nichts mit mir. Und nun stand ich da und hatte wieder gestohlen, schlimmer als je. Auch die Stahlfedern hatte ich noch in der Tasche. Wozu? Warum hatte ich sie genommen — nehmen m�ssen? Warum mu�te man, was man gar nicht wollte?

In der Zigarrenkiste klapperte ein einziges Geldst�ck, der Zehner von Oskar Weber. Seither war nichts dazu gekommen. Auch diese Sparkassengeschichte war so eine meiner Unternehmungen! Alles taugte nichts, alles mi�riet und blieb im Anfang stecken, was ich begann! Mochte der Teufel diese unsinnige Sparkasse holen! Ich mochte nichts mehr von ihr wissen.

Diese Zeit zwischen Mittagessen und Schulbeginn war an solchen Tagen wie heute immer mi�lich und schwer herumzubringen. An guten Tagen, an friedlichen, vern�nftigen, liebenswerten Tagen war es eine sch�ne und erw�nschte Stunde; ich las dann entweder in meinem Zimmer an einem Indianerbuche oder lief sofort nach Tische wieder auf den Schulplatz, wo ich immer einige unternehmungslustige Kameraden traf, und dann spielten wir, schrien und rannten und erhitzten uns, bis der Glockenschlag uns in die v�llig vergessene „Wirklichkeit“ zur�ckrief. Aber an Tagen wie heute — mit wem wollte man da spielen und wie die Teufel in der Brust bet�uben? Ich sah es kommen — noch nicht heute, aber ein n�chstes Mal, vielleicht bald. Da w�rde mein Schicksal vollends zum Ausbruch kommen. Es fehlte ja nur noch eine Kleinigkeit, eine winzige Kleinigkeit mehr an Angst und Leid und Ratlosigkeit, dann lief es �ber, dann mu�te es ein Ende mit Schrecken nehmen. Eines Tages, an gerade so einem Tag wie heute, w�rde ich vollends im B�sen untersinken, ich w�rde in Trotz und Wut und wegen der sinnlosen Unertr�glichkeit dieses Lebens etwas Gr��liches und Entscheidendes tun, etwas Gr��liches, aber Befreiendes, das der Angst und Qu�lerei ein Ende machte, f�r immer. Ungewi� war, was es sein w�rde; aber Phantasien und vorl�ufige Zwangsvorstellungen davon waren mir schon mehrmals verwirrend durch den Kopf gegangen, Vorstellungen von Verbrechen, mit denen ich an der Welt Rache nehmen und zugleich mich selbst preisgeben und vernichten w�rde. Manchmal war es mir so, als w�rde ich unser Haus anz�nden: ungeheure Flammen schlugen mit Fl�geln durch die Nacht, H�user und Gassen wurden vom Brand ergriffen, die ganze Stadt loderte riesig gegen den schwarzen Himmel. Oder zu andern Zeiten war das Verbrechen meiner Tr�ume eine Rache an meinem Vater, ein Mord und grausiger Totschlag. Ich aber w�rde mich dann benehmen wie jener Verbrecher, jener einzige, richtige Verbrecher, den ich einmal hatte durch die Gassen unsrer Stadt f�hren sehen. Es war ein Einbrecher, den man gefangen hatte und in das Amtsgericht f�hrte, mit Handschellen gefesselt, einen steifen Melonenhut schief auf dem Kopf, vor ihm und hinter ihm ein Landj�ger. Dieser Mann, der durch die Stra�en und durch einen riesigen Volksauflauf von Neugierigen getrieben wurde, an tausend Fl�chen, boshaften Witzen und herausgeschrienen b�sen W�nschen vorbei, dieser Mann hatte in nichts jenen armen, scheuen Teufeln geglichen, die man zuweilen vom Polizeidiener �ber die Stra�e begleitet sah und welche meistens blo� arme Handwerksburschen waren, die gebettelt hatten. Nein, dieser war kein Handwerksbursche und sah nicht windig, scheu und weinerlich aus, oder fl�chtete in ein verlegen-dummes Grinsen, wie ich es auch schon gesehen hatte — dieser war ein echter Verbrecher und trug den etwas zerbeulten Hut k�hn auf einem trotzigen und ungebeugten Sch�del, er war bleich und l�chelte still verachtungsvoll, und das Volk, das ihn beschimpfte und anspie, wurde neben ihm zu Pack und P�bel. Ich hatte damals selbst mitgeschrien: „Man hat ihn, der geh�rt geh�ngt!“; aber dann sah ich seinen aufrechten, stolzen Gang, wie er die gefesselten H�nde vor sich her trug, und wie er auf dem z�hen, b�sen Kopf den Melonenhut k�hn wie eine phantastische Krone trug — und wie er l�chelte! und da schwieg ich. So wie dieser Verbrecher aber w�rde auch ich l�cheln und den Kopf steif halten, wenn man mich ins Gericht und auf das Schafott f�hrte, und wenn die vielen Leute um mich her dr�ngten und hohnvoll aufschrien — ich w�rde nicht ja und nicht nein sagen, einfach schweigen und verachten.

Und wenn ich hingerichtet und tot war und im Himmel vor den ewigen Richter kam, dann wollte ich mich keineswegs beugen und unterwerfen. O nein, und wenn alle Engelscharen ihn umstanden und alle Heiligkeit und W�rde aus ihm strahlte! Mochte er mich verdammen, mochte er mich in Pech sieden lassen! Ich wollte mich nicht entschuldigen, mich nicht dem�tigen, ihn nicht um Verzeihung bitten, nichts bereuen! Wenn er mich fragte: „Hast du das und das getan?“ so w�rde ich rufen: „Jawohl habe ich’s getan, und noch mehr, und es war recht, da� ich’s getan habe, und wenn ich kann, werde ich es wieder und wieder tun. Ich habe totgeschlagen, ich habe H�user angez�ndet, weil es mir Spa� machte, und weil ich dich verh�hnen und �rgern wollte. Ja, denn ich hasse dich, ich spucke dir vor die F��e, Gott. Du hast mich gequ�lt und geschunden, du hast Gesetze gegeben, die niemand halten kann, du hast die Erwachsenen angestiftet, uns Jungen das Leben zu versauen.“

Wenn es mir gl�ckte, mir dies vollkommen deutlich vorzustellen und fest daran zu glauben, da� es mir gelingen w�rde, genau so zu tun und zu reden, dann war mir f�r Augenblicke finster wohl. Sofort aber kehrten die Zweifel wieder. W�rde ich nicht schwach werden, w�rde mich einsch�chtern lassen, w�rde doch nachgeben? Oder, wenn ich auch alles tat, wie es mein trotziger Wille war — w�rde nicht Gott einen Ausweg finden, eine �berlegenheit, einen Schwindel, so wie es den Erwachsenen und M�chtigen ja immer gelang, am Ende noch mit einem Trumpf zu kommen, einen schlie�lich doch noch zu besch�men, einen nicht f�r voll zu nehmen, einen unter der verfluchten Maske des Wohlwollens zu dem�tigen? Ach, nat�rlich w�rde es so enden.

Hin und her gingen meine Phantasien, lie�en bald mich, bald Gott gewinnen, hoben mich zum unbeugsamen Verbrecher und zogen mich wieder zum Kind und Schw�chling herab.

Ich stand am Fenster und schaute auf den kleinen Hinterhof des Nachbarhauses hinunter, wo Ger�ststangen an der Mauer lehnten und in einem kleinen winzigen Garten ein paar Gem�sebeete gr�nten. Pl�tzlich h�rte ich durch die Nachmittagsstille Glockenschl�ge hallen, fest und n�chtern in meine Visionen hinein, einen klaren, strengen Stundenschlag, und noch einen. Es war zwei Uhr, und ich schreckte aus den Traum�ngsten in die der Wirklichkeit zur�ck. Nun begann unsre Turnstunde, und wenn ich auch auf Zauberfl�geln fort und in die Turnhalle gest�rzt w�re, ich w�re doch schon zu sp�t gekommen. Wieder Pech! Das gab �bermorgen Aufruf, Schimpfworte und Strafe. Lieber ging ich gar nicht mehr hin, es war doch nichts mehr gutzumachen. Vielleicht mit einer sehr guten, sehr feinen und glaubhaften Entschuldigung — aber es w�re mir in diesem Augenblick keine eingefallen, so gl�nzend mich auch unsre Lehrer zum L�gen erzogen hatten; ich war jetzt nicht imstande, zu l�gen, zu erfinden, zu konstruieren. Besser war es, vollends ganz aus der Stunde wegzubleiben. Was lag daran, ob jetzt zum gro�en Ungl�ck noch ein kleines kam!

Aber der Stundenschlag hatte mich geweckt und meine Phantasiespiele gel�hmt. Ich war pl�tzlich sehr schwach, �berwirklich sah mein Zimmer mich an, Pult, Bilder, Bett, B�cherschaft, alles geladen mit strenger Wirklichkeit, alles Zurufe aus der Welt, in der man leben mu�te, und die mir heut wieder einmal so feindlich und gef�hrlich geworden war. Wie denn? Hatte ich nicht die Turnstunde vers�umt? Und hatte ich nicht gestohlen, j�mmerlich gestohlen, und hatte die verdammten Feigen im B�cherbrett liegen, soweit sie nicht schon aufgegessen waren? Was ging mich jetzt der Verbrecher, der liebe Gott und das J�ngste Gericht an! Das w�rde alles dann schon kommen, zu seiner Zeit — aber jetzt, jetzt im Augenblick war es weit weg und war dummes Zeug, nichts weiter. Ich hatte gestohlen, und jeden Augenblick konnte das Verbrechen entdeckt werden. Vielleicht war es schon so weit, vielleicht hatte mein Vater droben schon jene Schieblade gezogen und stand vor meiner Schandtat, beleidigt und erz�rnt, und �berlegte sich, auf welche Art mir der Proze� zu machen sei. Ach, er war m�glicherweise schon unterwegs zu mir, und wenn ich nicht sofort entfloh, hatte ich in der n�chsten Minute schon sein ernstes Gesicht mit der Brille vor mir. Denn er wu�te nat�rlich sofort, da� ich der Dieb war. Es gab keine Verbrecher in unserm Hause au�er mir, meine Schwestern taten nie so etwas, Gott wei� warum. Aber wozu brauchte mein Vater da in seiner Kommode solche Feigenkr�nze verborgen zu haben?

Ich hatte mein St�bchen schon verlassen und mich durch die hintere Haust�r und den Garten davongemacht. Die G�rten und Wiesen lagen in heller Sonne, Zitronenfalter flogen �ber den Weg. Alles sah jetzt schlimm und drohend aus, viel schlimmer als heut morgen. O, ich kannte das schon, und doch meinte ich es nie so qualvoll gesp�rt zu haben: wie da alles in seiner Selbstverst�ndlichkeit und mit seiner guten Gewissensruhe mich ansah, Stadt und Kirchturm, Wiesen und Weg, Grasbl�ten und Schmetterlinge, und wie alles H�bsche und Fr�hliche, was man sonst mit Freuden sah, nun fremd und verzaubert war! Ich kannte das, ich wu�te, wie es schmeckt, wenn man in Gewissensangst durch die gewohnte Gegend l�uft! Jetzt konnte der seltenste Schmetterling �ber die Wiese fliegen und sich vor meinen F��en hinsetzen — es war nichts, es freute nicht, reizte nicht, tr�stete nicht. Jetzt konnte der herrlichste Kirschbaum mir seinen vollsten Ast herbieten — es hatte keinen Wert, es war kein Gl�ck dabei. Jetzt gab es nichts als fliehen, vor dem Vater, vor der Strafe, vor mir selber, vor meinem Gewissen, fliehen und rastlos sein, bis dennoch unerbittlich und unentrinnbar alles kam, was kommen mu�te.

Ich lief und war rastlos, ich lief bergan und hoch bis zum Walde, und vom Eichenberg nach der Hofm�hle hinab, �ber den Steg und jenseits wieder bergauf und durch W�lder hinan. Hier hatten wir unser letztes Indianerlager gehabt. Hier hatte letztes Jahr, als der Vater auf Reisen war, unsre Mutter mit uns Kindern Ostern gefeiert und im Wald und Moos die Eier f�r uns versteckt. Hier hatte ich einst mit meinen Vettern in den Ferien eine Burg gebaut, sie stand noch halb. �berall Reste von einstmals, �berall Spiegel, aus denen mir ein andrer entgegensah, als der ich heute war! War ich das alles gewesen? So lustig, so zufrieden, so dankbar, so kameradschaftlich, so z�rtlich mit der Mutter, so ohne Angst, so unbegreiflich gl�cklich? War das ich gewesen? Und wie hatte ich so werden k�nnen, wie ich jetzt war, so anders, so ganz anders, so b�se, so voll Angst, so zerst�rt? Alles war noch wie immer, Wald und Flu�, Farnkr�uter und Blumen, Burg und Ameisenhaufen, und doch alles wie vergiftet und verw�stet. Gab es denn gar keinen Weg zur�ck, dorthin, wo das Gl�ck und die Unschuld war? Konnte es nie mehr werden, wie es gewesen war? W�rde ich jemals wieder so lachen, so mit den Schwestern spielen, so nach Ostereiern suchen?

Ich lief und lief, den Schwei� auf der Stirn, und hinter mir lief meine Schuld und lief gro� und ungeheuer der Schatten meines Vaters als Verfolger mit.

An mir vorbei liefen Alleen, sanken Waldr�nder hinab. Auf einer H�he machte ich halt, abseits vom Weg, ins Gras geworfen, mit Herzklopfen, das vom Bergaufw�rtsrennen kommen konnte, das vielleicht bald besser wurde. Unten sah ich Stadt und Flu�, sah die Turnhalle, wo jetzt die Stunde zu Ende war und die Buben auseinanderliefen, sah das lange Dach meines Vaterhauses. Dort war meines Vaters Schlafzimmer und die Schublade, in der die Feigen fehlten. Dort war mein kleines Zimmer. Dort w�rde, wenn ich zur�ckkam, das Gericht mich treffen. — Aber wenn ich nicht zur�ckkam?

Ich wu�te, da� ich zur�ckkommen werde. Man kam immer zur�ck, jedesmal. Es endete immer so. Man konnte nicht fort, man konnte nicht nach Afrika fliehen oder nach Berlin. Man war klein, man hatte kein Geld, niemand half einem. Ja, wenn alle Kinder sich zusammentaten und einander h�lfen! Sie waren viele, es gab mehr Kinder als Eltern. Aber nicht alle Kinder waren Diebe und Verbrecher. Wenige waren so wie ich. Vielleicht war ich der einzige. Aber nein, ich wu�te, es kamen �fters solche Sachen vor wie meine — ein Onkel von mir hatte als Kind auch gestohlen und viel Sachen angestellt, das hatte ich irgendwann einmal erlauscht, heimlich aus einem Gespr�ch der Eltern, heimlich, wie man alles Wissenswerte erlauschen mu�te. Doch das alles half mir nicht, und wenn jener Onkel selber da w�re, er w�rde mir auch nicht helfen! Er war jetzt l�ngst gro� und erwachsen, er war Pastor, und er w�rde zu den Erwachsenen halten und mich im Stich lassen. So waren sie alle. Gegen uns Kinder waren sie alle irgendwie falsch und verlogen, spielten eine Rolle, gaben sich anders, als sie waren. Die Mutter vielleicht nicht, oder weniger.

Ja, wenn ich nun nicht mehr heimkehren w�rde? Es k�nnte ja etwas passieren, ich konnte den Hals brechen oder ertrinken oder unter die Eisenbahn kommen. Dann sah alles anders aus. Dann brachte man mich nach Hause, und alles war still und erschrocken und weinte, und ich tat allen leid, und von den Feigen und allem war nicht mehr die Rede.

Ich wu�te sehr gut, da� man sich selber das Leben nehmen konnte. Ich dachte auch, da� ich das wohl einmal tun w�rde, sp�ter, wenn es einmal ganz schlimm kam. Gut w�re es gewesen, krank zu werden, aber nicht blo� so mit Husten, sondern richtig todkrank, so wie damals, als ich Scharlachfieber hatte.

Inzwischen war die Turnstunde l�ngst vor�ber, und auch die Zeit war vor�ber, wo man mich zu Hause zum Kaffee erwartete. Vielleicht riefen und suchten sie jetzt nach mir, in meinem Zimmer, im Garten und Hof, auf dem Estrich. Wenn aber der Vater meinen Diebstahl schon entdeckt hatte, dann wurde nicht gesucht, dann wu�te er Bescheid.

Es war mir nicht m�glich, l�nger liegenzubleiben. Das Schicksal verga� mich nicht, es war hinter mir her. Ich nahm das Laufen wieder auf. Ich kam an einer Bank in den Anlagen vor�ber, an der hing wieder eine Erinnerung, wieder eine, die einst sch�n und lieb gewesen war und jetzt wie Feuer brannte. Mein Vater hatte mir ein Taschenmesser geschenkt, wir waren zusammen spazierengegangen, froh und in gutem Frieden, und er hatte sich auf diese Bank gesetzt, w�hrend ich im Geb�sch mir eine lange Haselrute schneiden wollte. Und da brach ich im Eifer das neue Messer ab, die Klinge dicht am Heft, und kam entsetzt zur�ck, wollte es erst verheimlichen, wurde aber gleich danach gefragt. Ich war sehr ungl�cklich, wegen dem Messer und weil ich Scheltworte erwartete. Aber da hatte mein Vater nur gel�chelt, mir leicht die Schulter ber�hrt und gesagt: „Wie schade, du armer Kerl!“ Wie hatte ich ihn da geliebt, wieviel ihm innerlich abgebeten! Und jetzt, wenn ich an das damalige Gesicht meines Vaters dachte, an seine Stimme, an sein Mitleid — was war ich f�r ein Ungeheuer, da� ich diesen Vater so oft betr�bt, belogen und heut bestohlen hatte!

Als ich wieder in die Stadt kam, bei der oberen Br�cke und weit von unserm Hause, hatte die D�mmerung schon begonnen. Aus einem Kaufladen, hinter dessen Glast�r schon Licht brannte, kam ein Knabe gelaufen, der blieb pl�tzlich stehen und rief mich mit Namen an. Es war Oskar Weber. Niemand konnte mir ungelegener kommen. Immerhin erfuhr ich von ihm, da� der Lehrer mein Fehlen in der Turnstunde nicht bemerkt habe. Aber wo ich denn gewesen sei?

„Ach nirgends,“ sagte ich, „ich war nicht recht wohl.“

Ich war schweigsam und zur�ckweisend, und nach einer Weile, die ich emp�rend lang fand, merkte er, da� er mir l�stig sei. Jetzt wurde er b�se.

„La� mich in Ruh’,“ sagte ich kalt, „ich kann allein heimgehen.“

„So?“ rief er jetzt. „Ich kann gradeso gut allein gehen wie du, dummer Fratz! Ich bin nicht dein Pudel, da� du’s wei�t. Aber vorher m�chte ich doch wissen, wie das jetzt eigentlich mit unserer Sparkasse ist! Ich habe einen Zehner hineingetan und du nichts.“

„Deinen Zehner kannst du wiederhaben, heut noch, wenn du Angst um ihn hast. Wenn ich dich nur nimmer sehen mu�. Als ob ich von dir etwas annehmen w�rde!“

„Du hast ihn neulich gern genommen,“ meinte er h�hnisch, aber nicht, ohne einen T�rspalt zur Vers�hnung offen zu lassen.

Aber ich war hei� und b�se geworden, alle in mir angeh�ufte Angst und Ratlosigkeit brach in hellen Zorn aus. Weber hatte mir nichts zu sagen! Gegen ihn war ich im Recht, gegen ihn hatte ich ein gutes Gewissen. Und ich brauchte jemand, gegen den ich mich f�hlen, gegen den ich stolz und im Recht sein konnte. Alles Ungeordnete und Finstere in mir str�mte wild in diesen Ausweg. Ich tat, was ich sonst so sorgf�ltig vermied, ich kehrte den Herrensohn heraus, ich deutete an, da� es f�r mich keine Entbehrung sei, auf die Freundschaft mit einem Gassenbuben zu verzichten. Ich sagte ihm, da� f�r ihn jetzt das Beerenessen in unserm Garten und das Spielen mit meinen Spielsachen ein Ende habe. Ich f�hlte mich aufgl�hen und aufleben: ich hatte einen Feind, einen Gegner, einen, der schuld war, den man packen konnte. Alle Lebenstriebe sammelten sich in diese erl�sende, willkommene, befreiende Wut, in die grimmige Freude am Feind, der diesmal nicht in mir selbst wohnte, der mir gegen�berstand, mich mit erschreckten, dann mit b�sen Augen anglotzte, dessen Stimme ich h�rte, dessen Vorw�rfe ich verachten, dessen Schimpfworte ich �bertrumpfen konnte.

Im anschwellenden Wortwechsel, dicht nebeneinander, trieben wir die dunkelnde Gasse hinab; da und dort sah man uns aus einer Haust�re nach. Und alles, was ich gegen mich selber an Wut und Verachtung empfand, kehrte sich gegen den unseligen Weber. Als er damit zu drohen begann, er werde mich dem Turnlehrer anzeigen, war es Wollust f�r mich: er setzte sich ins Unrecht, er wurde gemein, er st�rkte mich.

Als wir in der N�he der Metzgergasse handgemein wurden, blieben gleich ein paar Leute stehen und sahen unserm Handel zu. Wir hieben einander in den Bauch und ins Gesicht und traten mit den Schuhen gegeneinander. Nun hatte ich f�r Augenblicke alles vergessen, ich war im Recht, war kein Verbrecher, Kampfrausch begl�ckte mich, und wenn Weber auch st�rker war als ich, so war ich flinker, kl�ger, rascher, feuriger. Wir wurden hei� und schlugen uns w�tend. Als er mir mit einem verzweifelten Griff den Hemdkragen aufri�, f�hlte ich mit Inbrunst den Strom kalter Luft �ber meine gl�hende Haut laufen.

Und im Hauen, Rei�en und Treten, Ringen und W�rgen h�rten wir nicht auf, uns weiter mit Worten anzufeinden, zu beleidigen und zu vernichten, mit Worten, die immer gl�hender, immer t�richter und b�ser, immer dichterischer und phantastischer wurden. Und auch darin war ich ihm �ber, war b�ser, dichterischer, erfinderischer. Sagte er Hund, so sagte ich Sauhund. Rief er Schuft, so schrie ich Satan. Wir bluteten beide, ohne etwas zu f�hlen, und dabei h�uften unsre Worte b�se Zauber und W�nsche, wir empfahlen einander dem Galgen, w�nschten uns Messer, um sie einander in die Rippen zu jagen und darin umzudrehen, wir beschimpften einer des andern Namen, Herkunft und Vater.

Es war das erste und einzige Mal, da� ich einen solchen Kampf im vollen Kriegsrausch bis zu Ende ausfocht, mit allen Hieben, allen Grausamkeiten, allen Beschimpfungen. Zugesehen hatte ich oft und mit grausender Lust diese vulg�ren, urt�mlichen Fl�che und Schandworte angeh�rt; nun schrie ich sie selber heraus, als sei ich ihrer von klein auf gewohnt und in ihrem Gebrauch ge�bt. Tr�nen liefen mir aus den Augen und Blut �ber den Mund. Die Welt aber war herrlich, sie hatte einen Sinn, es war gut zu leben, gut zu hauen, gut zu bluten und bluten zu machen.

Niemals vermochte ich in der Erinnerung das Ende dieses Kampfes wieder zu finden. Irgendeinmal war es aus, irgendeinmal stand ich allein in der stillen Dunkelheit, erkannte Stra�enecken und H�user, war nahe bei unserm Hause. Langsam floh der Rausch, langsam h�rte das Fl�gelbrausen und Donnern auf, und Wirklichkeit drang st�ckweise vor meine Sinne, zuerst nur vor die Augen. Da der Brunnen. Die Br�cke. Blut an meiner Hand, zerrissene Kleider, herabgerutschte Str�mpfe, ein Schmerz im Knie, einer im Auge, keine M�tze mehr da — alles kam nach und nach, wurde Wirklichkeit und sprach zu mir. Pl�tzlich war ich tief erm�det, f�hlte meine Knie und Arme zittern, tastete nach einer Hauswand.

Und da war unser Haus. Gott sei Dank! Ich wu�te nichts auf der Welt mehr, als da� dort Zuflucht war, Friede, Licht, Geborgenheit. Aufatmend schob ich das hohe Tor zur�ck.

Da mit dem Duft von Stein und feuchter K�hle �berstr�mte mich pl�tzlich Erinnerung, hundertfach. O Gott! O lieber Gott! Es roch nach Strenge, nach Gesetz, nach Verantwortung, nach Vater und Gott. Ich hatte gestohlen. Ich war kein verwundeter Held, der vom Kampfe heimkehrte. Ich war kein armes Kind, das nach Hause findet und von der Mutter in W�rme und Mitleid gebettet wird. Ich war Dieb, ich war Verbrecher. Da droben war nicht Zuflucht, Bett und Schlaf f�r mich, nicht Essen und Pflege, nicht Trost und Vergessen. Auf mich wartete Schuld und Gericht.

Damals in der finstern abendlichen Flur und im Treppenhaus, dessen viele Stufen ich unter M�hen erklomm, atmete ich, wie ich glaube, zum erstenmal in meinem Leben f�r Augenblicke den kalten �ther, die Einsamkeit, das Schicksal. Ich sah keinen Ausweg, ich hatte keine Pl�ne, auch keine Angst, nichts als das kalte, rauhe Gef�hl: „Es mu� sein.“ Am Gel�nder zog ich mich die Treppe hinauf. Vor der Glast�r f�hlte ich Lust, noch einen Augenblick mich auf die Treppe zu setzen, aufzuatmen, Ruhe zu haben. Ich tat es nicht, es hatte keinen Zweck. Ich mu�te hinein. Beim �ffnen der T�r fiel mir ein, wie sp�t es wohl sei?

Ich trat ins E�zimmer. Da sa�en sie um den Tisch und hatten eben gegessen, ein Teller mit �pfeln stand noch da. Es war gegen acht Uhr. Nie war ich ohne Erlaubnis so sp�t heimgekommen, nie hatte ich beim Abendessen gefehlt.

„Gott sei Dank, da bist du!“ rief meine Mutter lebhaft. Ich sah, sie war in Sorge um mich gewesen. Sie lief auf mich zu und blieb erschrocken stehen, als sie mein Gesicht und die beschmutzten und zerrissenen Kleider sah. Ich sagte nichts und blickte niemand an, doch sp�rte ich deutlich, da� Vater und Mutter sich mit Blicken meinetwegen verst�ndigten. Mein Vater schwieg und beherrschte sich; ich f�hlte, wie zornig er war. Die Mutter nahm sich meiner an, Gesicht und H�nde wurden mir gewaschen, Pflaster aufgeklebt, dann bekam ich zu essen. Mitleid und Sorgfalt umgab mich, ich sa� still und tief besch�mt, f�hlte die W�rme und geno� sie mit schlechtem Gewissen. Dann ward ich zu Bett geschickt. Dem Vater gab ich die Hand, ohne ihn anzusehen.

Als ich schon im Bette lag, kam die Mutter noch zu mir. Sie nahm meine Kleider vom Stuhl und legte mir andere hin, denn morgen war Sonntag. Dann fing sie behutsam zu fragen an, und ich mu�te von meiner Rauferei erz�hlen. Sie fand es zwar schlimm, schalt aber nicht und schien ein wenig verwundert, da� ich dieser Sache wegen so sehr gedr�ckt und scheu war. Dann ging sie.

Und nun, dachte ich, war sie �berzeugt, da� alles gut sei. Ich hatte H�ndel ausgefochten und war blutig gehauen worden, aber das w�rde morgen vergessen sein. Von dem andern, dem Eigentlichen, wu�te sie nichts. Sie war betr�bt gewesen, aber unbefangen und z�rtlich. Auch der Vater wu�te also vermutlich noch nichts.

Und nun �berkam mich ein furchtbares Gef�hl von Entt�uschung. Ich merkte jetzt, da� ich seit dem Augenblick, wo ich unser Haus betreten hatte, ganz und gar von einem einzigen, sehnlichen, verzehrenden Wunsch erf�llt gewesen war. Ich hatte nichts anderes gedacht, gew�nscht, ersehnt, als da� das Gewitter nun ausbrechen m�ge, da� das Gericht �ber mich ergehe, da� das Furchtbare zur Wirklichkeit werde und die entsetzliche Angst davor aufh�re. Ich war auf alles gefa�t, zu allem bereit gewesen. Mochte ich schwer gestraft, geschlagen und eingesperrt werden! Mochte er mich hungern lassen! Mochte er mich verfluchen und versto�en! Wenn nur die Angst und Spannung ein Ende nahm!

Statt dessen lag ich nun da, hatte noch Liebe und Pflege genossen, war freundlich geschont und f�r meine Unarten nicht zur Rechenschaft gezogen worden und konnte nun aufs neue warten und bangen. Sie hatten mir die zerrissenen Kleider, das lange Fortbleiben, das vers�umte Abendessen vergeben, weil ich ein wenig m�de war und blutete und ihnen leid tat, vor allem aber, weil sie das andere nicht ahnten, weil sie nur von meinen Unarten, nichts von meinem Verbrechen wu�ten. Es w�rde mir doppelt schlimmgehen, wenn es nun ans Licht kam! Vielleicht schickte man mich, wie man fr�her einmal gedroht hatte, in eine solche Besserungsanstalt, wo man altes, hartes Brot essen und w�hrend der ganzen Freizeit Holz s�gen und Stiefel putzen mu�te, wo es Schlafs�le mit Aufsehern geben sollte, die einen mit dem Stock schlugen und morgens um vier Uhr mit kaltem Wasser weckten. Oder man �bergab mich der Polizei?

Jedenfalls aber, es komme wie es m�ge, lag wieder eine Wartezeit vor mir. Noch l�nger mu�te ich die Angst ertragen, noch l�nger mit meinem Geheimnis herumgehen, vor jedem Blick und Schritt im Hause zittern und niemand ins Gesicht sehen k�nnen.

Oder war es am Ende m�glich, da� mein Diebstahl gar nicht bemerkt wurde? Da� alles blieb, wie es war? Da� ich mir alle diese Angst und Pein vergebens gemacht hatte? — O, wenn das geschehen sollte, wenn dies Unausdenkliche, Wundervolle m�glich war, dann wollte ich ein ganz neues Leben beginnen, dann wollte ich Gott danken und mich dadurch w�rdig zeigen, da� ich Stunde f�r Stunde ganz rein und fleckenlos lebte! Was ich schon fr�her versucht hatte und was mir mi�gl�ckt war, jetzt w�rde es gelingen, jetzt war mein Vorsatz und Wille stark genug, jetzt nach diesem Elend, dieser H�lle voll Qual! Mein ganzes Wesen bem�chtigte sich dieses Wunschgedankens und sog sich inbr�nstig daran fest. Trost regnete vom Himmel, Zukunft tat sich blau und sonnig auf. In diesen Phantasien schlief ich endlich ein und schlief unbeschwert die ganze, gute Nacht hindurch.

Am Morgen war Sonntag, und noch im Bett empfand ich, wie den Geschmack einer Frucht, das eigent�mliche, sonderbar gemischte, im ganzen aber so k�stliche Sonntagsgef�hl, wie ich es seit meiner Schulzeit kannte. Der Sonntagmorgen war eine gute Sache: Ausschlafen, keine Schule, Aussicht auf ein gutes Mittagessen, kein Geruch nach Lehrer und Tinte, eine Menge freie Zeit. Dies war die Hauptsache. Schw�cher nur klangen andere, fremdere, fadere T�ne hinein: Kirchgang oder Sonntagsschule, Familienspaziergang, Sorge um die sch�nen Kleider. Damit wurde der reine, gute, k�stliche Geschmack und Duft ein wenig verf�lscht und zersetzt — so wie wenn zwei gleichzeitig gegessene Speisen, etwa ein Pudding und der Saft dazu, nicht ganz zusammenpa�ten, oder wie zuweilen Bonbons oder Backwerk, die man in kleinen L�den geschenkt bekam, einen fatalen leisen Beigeschmack von K�se oder von Erd�l hatten. Man a� sie, und sie waren gut, aber es war nichts Volles und Strahlendes, man mu�te ein Auge dabei zudr�cken. Nun, so �hnlich war meistens der Sonntag, namentlich wenn ich in die Kirche oder Sonntagsschule gehen mu�te, was zum Gl�ck nicht immer der Fall war. Der freie Tag bekam dadurch einen Beigeschmack von Pflicht und von Langeweile. Und bei den Spazierg�ngen mit der ganzen Familie, wenn sie auch oft sch�n sein konnten, passierte gew�hnlich irgend etwas, es gab Streit mit den Schwestern, man ging zu rasch oder zu langsam, man brachte Harz an die Kleider; irgendein Haken war meistens dabei.

Nun, das mochte kommen. Mir war wohl. Seit gestern war eine Masse Zeit vergangen. Vergessen hatte ich meine Schandtat nicht, sie fiel mir schon am Morgen wieder ein, aber es war nun so lange her, die Schrecken waren fernger�ckt und unwirklich geworden. Ich hatte gestern meine Schuld geb��t, wenn auch nur durch Gewissensqualen, ich hatte einen b�sen, jammervollen Tag durchlitten. Nun war ich wieder zu Vertrauen und Harmlosigkeit geneigt und machte mir wenig Gedanken mehr. Ganz war es ja noch nicht abgetan, es klang noch ein wenig Drohung und Peinlichkeit nach, so wie in den sch�nen Sonntag jene kleinen Pflichten und K�mmernisse mit hineinklangen.

Beim Fr�hst�ck waren wir alle vergn�gt. Es wurde mir die Wahl zwischen Kirche und Sonntagsschule gelassen. Ich zog, wie immer, die Kirche vor. Dort wurde man wenigstens in Ruhe gelassen und konnte seine Gedanken laufen lassen; auch war der hohe, feierliche Raum mit den bunten Fenstern oft sch�n und ehrw�rdig, und wenn man mit eingekniffenen Augen durch das lange d�mmernde Schiff gegen die Orgel sah, dann gab es manchmal wundervolle Bilder; die aus dem Finstern ragenden Orgelpfeifen erschienen oft wie eine strahlende Stadt mit hundert T�rmen. Auch war es mir oft gegl�ckt, wenn die Kirche nicht voll war, die ganze Stunde ungest�rt in einem Geschichtenbuch zu lesen.

Heut nahm ich keines mit und dachte auch nicht daran, mich um den Kirchgang zu dr�cken, wie ich es auch schon getan hatte. So viel klang von gestern abend noch in mir nach, da� ich gute und redliche Vors�tze hatte und gesonnen war, mich mit Gott, Eltern und Welt freundlich und gef�gig zu vertragen. Auch mein Zorn gegen Oskar Weber war ganz und gar verflogen. Wenn er gekommen w�re, ich h�tte ihn aufs beste aufgenommen.

Der Gottesdienst begann, ich sang die Choralverse mit, es war das Lied „Hirte deiner Schafe“, das wir auch in der Schule auswendig gelernt hatten. Es fiel mir dabei wieder einmal auf, wie ein Liedervers beim Singen, und gar bei dem schleppend langsamen Gesang in der Kirche, ein ganz anderes Gesicht hatte als beim Lesen oder Hersagen. Beim Lesen war so ein Vers ein Ganzes, hatte einen Sinn, bestand aus S�tzen. Beim Singen bestand er nur noch aus Worten, S�tze kamen nicht zustande, Sinn war keiner da, aber daf�r gewannen die Worte, die einzelnen, gesungenen, langhin gedehnten Worte ein sonderbar starkes, unabh�ngiges Leben, ja, oft waren es nur einzelne Silben, etwas an sich ganz Sinnloses, die im Gesang selbst�ndig wurden und Gestalt annahmen. In dem Vers „Hirte deiner Schafe, der von keinem Schlafe etwas wissen mag“ war zum Beispiel heute beim Kirchengesang gar kein Zusammenhang und Sinn, man dachte auch weder an einen Hirten noch an Schafe, man dachte durchaus gar nichts. Aber das war keineswegs langweilig. Einzelne Worte, namentlich das „Schla—a—fe“, wurden so seltsam voll und sch�n, man wiegte sich ganz darin, und auch das „mag“ t�nte geheimnisvoll und schwer, erinnerte an „Magen“ und an dunkle, gef�hlsreiche, halbbekannte Dinge, die man in sich innen im Leibe hat. Dazu die Orgel!

Und dann kam der Stadtpfarrer und die Predigt, die stets so unbegreiflich lang war, und das seltsame Zuh�ren, wobei man oft lange Zeit nur den Ton der redenden Stimme glockenhaft schweben h�rte, dann wieder einzelne Worte scharf und deutlich samt ihrem Sinn vernahm und ihnen zu folgen bem�ht war, solange es ging. Wenn ich nur im Chor h�tte sitzen d�rfen, statt unter all den M�nnern auf der Empore. Im Chor, wo ich bei Kirchenkonzerten schon gesessen war, da sa� man tief in schweren, isolierten St�hlen, deren jeder ein kleines festes Geb�ude war, und �ber sich hatte man ein sonderbar reizvolles, vielf�ltiges, netzartiges Gew�lbe, und hoch an der Wand war die Bergpredigt in sanften Farben gemalt, und das blaue und rote Gewand des Heilands auf dem bla�blauen Himmel war so zart und begl�ckend anzusehen.

Manchmal knackte das Kirchengest�hl, gegen das ich eine tiefe Abneigung hegte, weil es mit einer gelben, �den Lackfarbe gestrichen war, an der man immer ein wenig kleben blieb. Manchmal summte eine Fliege auf und gegen eines der Fenster, in deren Spitzbogen blaurote Blumen und gr�ne Sterne gemalt waren. Und unversehens war die Predigt zu Ende, und ich streckte mich vor, um den Pfarrer in seinen engen, dunklen Treppenschlauch verschwinden zu sehen. Man sang wieder, aufatmend und sehr laut, und man stand auf und str�mte hinaus; ich warf den mitgebrachten F�nfer in die Opferb�chse, deren blecherner Klang so schlecht in die Feierlichkeit pa�te, und lie� mich vom Menschenstrom mit ins Portal ziehen und ins Freie treiben.

Jetzt kam die sch�nste Zeit des Sonntags, die zwei Stunden zwischen Kirche und Mittagessen. Da hatte man seine Pflicht getan, man war im langen Sitzen auf Bewegung, auf Spiele oder G�nge begierig geworden, oder auf ein Buch, und war v�llig frei bis zum Mittag, wo es meistens etwas Gutes gab. Zufrieden schlenderte ich nach Hause, angef�llt mit freundlichen Gedanken und Gesinnungen. Die Welt war in Ordnung, es lie� sich in ihr leben. Friedfertig trabte ich durch Flur und Treppe hinauf.

In meinem St�bchen schien Sonne. Ich sah nach meinen Raupenk�sten, die ich gestern vernachl�ssigt hatte, fand ein paar neue Puppen, gab den Pflanzen frisches Wasser.

Da ging die T�r.

Ich achtete nicht gleich darauf. Nach einer Minute wurde die Stille mir sonderbar; ich drehte mich um. Da stand mein Vater. Er war bla� und sah gequ�lt aus. Der Gru� blieb mir im Halse stecken. Ich sah: er wu�te! Er war da. Das Gericht begann. Nichts war gut geworden, nichts abgeb��t, nichts vergessen! Die Sonne wurde bleich, und der Sonntagmorgen sank welk dahin.

Aus allen Himmeln gerissen starrte ich dem Vater entgegen. Ich ha�te ihn, warum war er nicht gestern gekommen? Jetzt war ich auf nichts vorbereitet, hatte nichts bereit, nicht einmal Reue und Schuldgef�hl. — Und wozu brauchte er oben in seiner Kommode Feigen zu haben?

Er ging zu meinem B�cherschrank, griff hinter die B�cher und zog einige Feigen hervor. Es waren wenige mehr da. Dazu sah er mich an, mit stummer, peinlicher Frage. Ich konnte nichts sagen. Leid und Trotz w�rgten mich.

„Was ist denn?“ brachte ich dann heraus.

„Woher hast du diese Feigen?“ fragte er, mit einer beherrschten, leisen Stimme, die mir bitter verha�t war.

Ich begann sofort zu reden. Zu l�gen. Ich erz�hlte, da� ich die Feigen bei einem Konditor gekauft h�tte, es sei ein ganzer Kranz gewesen. Woher das Geld dazu kam? Das Geld kam aus einer Sparkasse, die ich gemeinsam mit einem Freunde hatte. Da hatten wir beide alles kleine Geld hineingetan, das wir je und je bekamen. �brigens — hier war die Kasse. Ich holte die Schachtel mit dem Schlitz hervor. Jetzt war blo� noch ein Zehner darin, eben weil wir gestern die Feigen gekauft hatten.

Mein Vater h�rte zu, mit einem stillen, beherrschten Gesicht, dem ich nichts glaubte.

„Wieviel haben denn die Feigen gekostet?“ fragte er mit der zu leisen Stimme.

„Eine Mark und sechzig.“

„Und wo hast du sie gekauft?“

„Beim Konditor.“

„Bei welchem?“

„Bei Haager.“

Es gab eine Pause. Ich hielt die Geldschachtel noch in frierenden Fingern. Alles an mir war kalt und fror.

Und nun fragte er, mit einer Drohung in der Stimme: „Ist das wahr?“

Ich redete wieder rasch. Ja, nat�rlich war es wahr, und mein Freund Weber war im Laden gewesen, ich hatte ihn nur begleitet. Das Geld hatte haupts�chlich ihm, dem Weber, geh�rt, von mir war nur wenig dabei.

„Nimm deine M�tze,“ sagte mein Vater, „wir wollen miteinander zum Konditor Haager gehen. Er wird ja wissen, ob es wahr ist.“

Ich versuchte zu l�cheln. Nun ging mir die K�lte bis in Herz und Magen. Ich ging voran und nahm im Korridor meine blaue M�tze. Der Vater �ffnete die Glast�r, auch er hatte seinen Hut genommen.

„Noch einen Augenblick!“ sagte ich, „ich mu� noch schnell hinausgehen.“

Er nickte. Ich ging auf den Abtritt, schlo� zu, war allein, war noch einen Augenblick gesichert. O, wenn ich jetzt gestorben w�re!

Ich blieb eine Minute, blieb zwei. Es half nichts. Man starb nicht. Es galt standzuhalten. Ich schlo� auf und kam. Wir gingen die Treppe hinunter.

Als wir eben durchs Haustor gingen, fiel mir etwas Gutes ein, und ich sagte schnell: „Aber heut ist ja Sonntag, da hat der Haager gar nicht offen.“

Das war eine Hoffnung, zwei Sekunden lang. Mein Vater sagte gelassen: „Dann gehen wir zu ihm in die Wohnung. Komm.“

Wir gingen. Ich schob meine M�tze gerade, steckte eine Hand in die Tasche und versuchte neben ihm daher zu gehen, als sei nichts Besonderes los. Obwohl ich wu�te, da� alle Leute mir ansahen, ich sei ein abgef�hrter Verbrecher, versuchte ich doch mit tausend K�nsten, es zu verheimlichen. Ich bem�hte mich, einfach und harmlos zu atmen; es brauchte niemand zu sehen, wie es mir die Brust zusammenzog. Ich war bestrebt, ein argloses Gesicht zu machen, Selbstverst�ndlichkeit und Sicherheit zu heucheln. Ich zog einen Strumpf hoch, ohne da� er es n�tig hatte, und l�chelte, w�hrend ich wu�te, da� dies L�cheln furchtbar dumm und k�nstlich aussehe. In mir innen, in Kehle und Eingeweiden, sa� der Teufel und w�rgte mich.

Wir kamen am Gasthaus vor�ber, beim Hufschmied, beim Lohnkutscher, bei der Eisenbahnbr�cke. Dort dr�ben hatte ich gestern abend mit Weber gek�mpft. Tat nicht der Ri� beim Auge noch weh? Mein Gott! Mein Gott!

Willenlos ging ich weiter, unter Kr�mpfen um meine Haltung bem�ht. An der Adlerscheuer vorbei, die Bahnhofstra�e hinaus. Wie war diese Stra�e gestern noch gut und harmlos gewesen! Nicht denken! Weiter! Weiter!

Wir waren ganz nahe bei Haagers Haus. Ich hatte in diesen paar Minuten einige hundertmal die Szene voraus erlebt, die mich dort erwartete. Nun waren wir da. Nun kam es.

Aber es war mir unm�glich, das auszuhalten. Ich blieb stehen.

„Nun? Was ist?“ fragte mein Vater.

„Ich gehe nicht hinein,“ sagte ich leise.

Er sah zu mir herab. Er hatte es ja gewu�t, von Anfang an. Warum hatte ich ihm das alles vorgespielt und mir so viel M�he gegeben? Es hatte ja keinen Sinn.

„Hast du die Feigen nicht bei Haager gekauft?“ fragte er.

Ich sch�ttelte den Kopf.

„Ach so,“ sagte er mit scheinbarer Ruhe. „Dann k�nnen wir ja wieder nach Hause gehen.“

Er benahm sich anst�ndig, er schonte mich auf der Stra�e, vor den Leuten. Es waren viele Leute unterwegs, jeden Augenblick wurde mein Vater gegr��t. Welches Theater! Welche dumme, unsinnige Qual! Ich konnte ihm f�r diese Schonung nicht dankbar sein.

Er wu�te ja alles! Und er lie� mich tanzen, lie� mich meine nutzlosen Kapriolen vollf�hren, wie man eine gefangene Maus in der Drahtfalle tanzen l��t, ehe man sie ers�uft. Ach, h�tte er mir gleich zu Anfang, ohne mich �berhaupt zu fragen und zu verh�ren, mit dem Stock �ber den Kopf gehauen, das w�re mir im Grunde lieber gewesen als diese Ruhe und Gerechtigkeit, mit der er mich in meinem dummen L�gengespinst einkreiste und langsam erstickte. �berhaupt, vielleicht war es besser, einen groben Vater zu haben, als so einen feinen und gerechten. Wenn ein Vater, so wie es in Geschichten und Trakt�tchen vorkam, im Zorn oder in der Betrunkenheit seine Kinder furchtbar pr�gelte, so war er eben im Unrecht, und wenn die Pr�gel auch weh taten, so konnte man doch innerlich die Achseln zucken und ihn verachten. Bei meinem Vater ging das nicht, er war zu fein, zu einwandfrei, er war nie im Unrecht! Ihm gegen�ber wurde man immer klein und elend.

Mit zusammengebissenen Z�hnen ging ich vor ihm her ins Haus und wieder in mein Zimmer. Er war noch immer ruhig und k�hl, vielmehr er stellte sich so, denn in Wahrheit war er, wie ich deutlich sp�rte, sehr b�se. Nun begann er in seiner gewohnten Art zu sprechen.

„Ich m�chte nur wissen, wozu diese Kom�die dienen soll? Kannst du mir das nicht sagen? Ich wu�te ja gleich, da� deine ganze h�bsche Geschichte erlogen war. Also wozu die Faxen? Du h�ltst mich doch nicht im Ernst f�r so dumm, da� ich sie dir glauben w�rde?“

Ich bi� weiter auf meine Z�hne und schluckte. Wenn er doch aufh�ren wollte! Als ob ich selber gewu�t h�tte, warum ich ihm diese Geschichte vorlog! Als ob ich selber gewu�t h�tte, warum ich nicht mein Verbrechen gestehen und um Verzeihung bitten konnte! Als ob ich selber auch nur gewu�t h�tte, warum ich diese unseligen Feigen stahl! Hatte ich das denn gewollt, hatte ich es denn mit �berlegung und Wissen und aus Gr�nden getan?! Tat es mir denn nicht leid? Litt ich denn nicht mehr darunter als er?

Er wartete und machte ein nerv�ses Gesicht voll m�hsamer Geduld. Einen Augenblick lang war mir selbst die Lage vollkommen klar, im Unbewu�ten, doch h�tte ich es nicht wie heut mit Worten sagen k�nnen. Es war so: Ich hatte gestohlen, weil ich trostbed�rftig in Vaters Zimmer gekommen war und es zu meiner Entt�uschung leer gefunden hatte. Ich hatte nicht stehlen wollen. Ich hatte, als der Vater nicht da war, nur spionieren wollen, mich unter seinen Sachen umsehen, seine Geheimnisse belauschen, etwas �ber ihn erfahren. So war es. Dann lagen Feigen da, und ich stahl. Und sofort bereute ich, und den ganzen Tag gestern hatte ich Qual und Verzweiflung gelitten, hatte zu sterben gew�nscht, hatte mich verurteilt, hatte neue, gute Vors�tze gefa�t. Heut aber — ja, heut war es nun anders. Ich hatte diese Reue und all das nun ausgekostet, ich war jetzt n�chterner, und ich sp�rte unerkl�rliche, aber riesenstarke Widerst�nde gegen den Vater und gegen alles, was er von mir erwartete und verlangte.

H�tte ich ihm das sagen k�nnen, so h�tte er mich verstanden. Aber auch Kinder, so sehr sie den Gro�en an Klugheit �berlegen sind, stehen einsam und ratlos vor dem Schicksal.

Steif vor Trotz und verbissenem Weh schwieg ich weiter, lie� ihn klugreden und sah mit Leid und seltsamer Schadenfreude zu, wie alles schief ging und schlimm und schlimmer wurde, wie er litt und entt�uscht war, wie er vergeblich an alles Bessere in mir appellierte.

Als er fragte: „Also hast du die Feigen gestohlen?“, konnte ich nur nicken. Mehr als ein schwaches Nicken brachte ich auch nicht �ber mich, als er wissen wollte, ob es mir leid tue. — Wie konnte er, der gro�e, kluge Mann, so unsinnig fragen! Als ob es mir etwa nicht leid getan h�tte! Als ob er nicht h�tte sehen k�nnen, wie mir das Ganze weh tat und das Herz umdrehte! Als ob es mir m�glich gewesen w�re, mich etwa gar noch meiner Tat und der elenden Feigen zu freuen!

Vielleicht zum erstenmal in meinem kindlichen Leben empfand ich fast bis zur Schwelle der Einsicht und des Bewu�twerdens, wie namenlos zwei verwandte, gegeneinander wohlgesinnte Menschen sich mi�verstehen und qu�len und martern k�nnen, und wie dann alles Reden, alles Klugseinwollen, alle Vernunft blo� noch Gift hinzugie�t, blo� neue Qualen, neue Stiche, neue Irrt�mer schafft. Wie war das m�glich? Aber es war m�glich, es geschah. Es war unsinnig, es war toll, es war zum Lachen und zum Verzweifeln — aber es war so.

Genug nun von dieser Geschichte! Es endete damit, da� ich �ber den Sonntagnachmittag in der Dachkammer eingesperrt wurde. Einen Teil ihrer Schrecken verlor die harte Strafe durch Umst�nde, welche freilich mein Geheimnis waren. In der dunkeln, unbenutzten Bodenkammer stand n�mlich tief verstaubt eine Kiste, halb voll mit alten B�chern, von denen einige keineswegs f�r Kinder bestimmt waren. Das Licht zum Lesen gewann ich durch das Beiseiteschieben eines Dachziegels.

Am Abend dieses traurigen Sonntags gelang es meinem Vater, kurz vor Schlafengehen mich noch zu einem kurzen Gespr�ch zu bringen, das uns vers�hnte. Als ich im Bette lag, hatte ich die Gewi�heit, da� er mir ganz und vollkommen verziehen habe — vollkommener als ich ihm.

Klein und Wagner

I

Im Schnellzug, nach den raschen Handlungen und Aufregungen der Flucht und der Grenz�berschreitung, nach einem Wirbel von Spannungen und Ereignissen, Aufregungen und Gefahren, noch tief erstaunt dar�ber, da� alles gut gegangen war, sank Friedrich Klein ganz und gar in sich zusammen. Der Zug fuhr mit seltsamer Gesch�ftigkeit — nun wo doch keine Eile mehr war — nach S�den und ri� die wenigen Reisenden eilig an Seen, Bergen, Wasserf�llen und andern Naturwundern vor�ber, durch bet�ubende Tunnels und �ber sanft schwankende Br�cken, alles fremdartig, sch�n und etwas sinnlos, Bilder aus Schulb�chern und aus Ansichtskarten, Landschaften, die man sich erinnert einmal gesehen zu haben, und die einen doch nichts angehen. Dieses war nun die Fremde, und hierher geh�rte er nun, nach Hause gab es keine R�ckkehr. Das mit dem Geld war in Ordnung, es war da, er hatte es bei sich, alle die Tausenderscheine, und trug es jetzt wieder in der Brusttasche verwahrt.

Den Gedanken, da� ihm jetzt nichts mehr geschehen k�nne, da� er jenseits der Grenze und durch seinen falschen Pa� vorl�ufig vor aller Verfolgung und allem Verdacht gesichert sei, diesen angenehmen und beruhigenden Gedanken zog er zwar immer wieder hervor, voll Verlangen sich an ihm zu w�rmen und zu s�ttigen; aber dieser h�bsche Gedanke war wie ein toter Vogel, dem ein Kind in die Fl�gel bl�st. Er lebte nicht, er tat keine Auge auf, er fiel einem wie Blei aus der Hand, er gab keine Lust, keinen Glanz, keine Freude her. Es war seltsam, es war ihm dieser Tage schon mehrmals aufgefallen: er konnte durchaus nicht denken, an was er wollte, er hatte keine Verf�gung �ber seine Gedanken, sie liefen wie sie wollten, und sie verweilten trotz seinem Str�uben mit Vorliebe bei Vorstellungen, die ihn qu�lten. Es war, als sei sein Gehirn ein Kaleidoskop, in dem der Wechsel der Bilder von einer fremden Hand geleitet wurde. Vielleicht war es nur die lange Schlaflosigkeit und Erregung, er war ja auch schon l�ngere Zeit nerv�s. Jedenfalls war es h��lich, und wenn es nicht bald gelang, wieder etwas Ruhe und Freude zu finden, war es zum Verzweifeln.

Friedrich Klein tastete nach dem Revolver in seiner Manteltasche. Das war auch so ein St�ck, dieser Revolver, das zu seiner neuen Ausr�stung und Rolle und Maske geh�rte. Wie war es im Grunde l�stig und ekelhaft, all das mit sich zu schleppen und bis in den d�nnen vergifteten Schlaf hinein bei sich zu tragen, ein Verbrechen, gef�lschte Papiere, heimlich eingen�htes Geld, den Revolver, den falschen Namen. Es schmeckte so nach R�ubergeschichten, nach einer schlechten Romantik, und es pa�te alles so gar nicht zu ihm, zu Klein, dem guten Kerl. Es war l�stig und ekelhaft, und nichts von Aufatmen und Befreiung dabei, wie er es erhofft hatte.

Mein Gott, warum hatte er eigentlich das alles auf sich genommen, er, ein Mann von fast vierzig Jahren, als braver Beamter und stiller harmloser B�rger mit gelehrten Neigungen bekannt, Vater von lieben Kindern? Warum? Er f�hlte: ein Trieb mu�te dagewesen sein, ein Zwang und Drang von gen�gender St�rke, um einen Mann wie ihn zu dem Unm�glichen zu bewegen — und erst wenn er das wu�te, wenn er diesen Zwang und Trieb kannte, wenn er wieder Ordnung in sich hatte, erst dann war etwas wie Aufatmen m�glich.

Heftig setzte er sich aufrecht, dr�ckte die Schl�fen mit den Daumen und gab sich M�he zu denken. Es ging schlecht, sein Kopf war wie von Glas, und ausgeh�hlt von Aufregungen. Erm�dung und Mangel an Schlaf. Aber es half nichts, er mu�te nachdenken. Er mu�te suchen, und mu�te finden, er mu�te wieder einen Mittelpunkt in sich wissen und sich selber einigerma�en kennen und verstehen. Sonst war das Leben nicht mehr zu ertragen.

M�hsam suchte er die Erinnerungen dieser Tage zusammen, wie man kleine Porzellanscherben mit einer Pinzette zusammenpickt, um den Bruch an einer alten Dose wieder zu kitten. Es waren lauter kleine Splitter, keiner hatte Zusammenhang mit den andern, keiner deutete durch Struktur und Farbe aufs ganze. Was f�r Erinnerungen! Er sah eine kleine blaue Schachtel, aus der er mit zitternder Hand das Amtssiegel seines Chefs herausnahm. Er sah den alten Mann an der Kasse, der ihm seinen Scheck mit braunen und blauen Banknoten ausbezahlte. Er sah eine Telephonzelle, wo er sich, w�hrend er ins Rohr sprach, mit der linken Hand gegen die Wand stemmte, um aufrecht zu bleiben. Vielmehr er sah nicht sich, er sah einen Menschen dies alles tun, einen fremden Menschen, der Klein hie� und nicht er war. Er sah diesen Menschen Briefe verbrennen, Briefe schreiben. Er sah ihn in einem Restaurant essen. Er sah ihn — nein, das war kein Fremder, das war er, das war Friedrich Klein selbst! — nachts �ber das Bett eines schlafenden Kindes geb�ckt. Nein, das war er selbst gewesen! Wie weh das tat, auch jetzt wieder in der Erinnerung! Wie weh das tat, das Gesicht des schlafenden Kindes zu sehen und seine Atemz�ge zu h�ren, und zu wissen: nie mehr w�rde man diese lieben Augen offen sehen, nie mehr diesen kleinen Mund lachen und essen sehen, nie mehr von ihm gek��t werden. Wie weh das tat! Warum tat jener Mensch Klein sich selber so weh?

Er gab es auf, die kleinen Scherben zusammen zu setzen. Der Zug hielt, ein fremder gro�er Bahnhof lag da, T�ren schlugen, Koffer schwankten am Wagenfenster vor�ber, Papierschilde blau und gelb riefen laut: Hotel Milano — Hotel Kontinental! Mu�te er darauf achten? War es wichtig? War eine Gefahr? Er schlo� die Augen und sank eine Minute lang in Bet�ubung, schreckte sofort wieder auf, ri� die Augen weit auf, spielte den Wachsamen. Wo war er? Der Bahnhof war noch da. Halt — wie hei�e ich? Zum tausendstenmal machte er die Probe. Also: Wie hei�e ich? Klein. Nein, zum Teufel! Fort mit Klein, Klein existierte nicht mehr. Er tastete nach der Brusttasche, wo der Pa� steckte.

Wie war das alles erm�dend! �berhaupt — wenn man w��te, wie wahnsinnig m�hsam es ist, ein Verbrecher zu sein — —! Er ballte die H�nde vor Anstrengung. Das alles hier ging ihn ja nichts an, Hotel Milano, Bahnhof, Koffertr�ger, das alles konnte er ruhig weglassen — nein, es handelte sich um anderes, um Wichtiges. Um was?

Im Halbschlummer, der Zug fuhr schon wieder, kam er zu seinen Gedanken zur�ck. Es war ja so wichtig, es handelte sich ja darum, ob das Leben noch l�nger zu ertragen sein w�rde. Oder — war es nicht einfacher, dem ganzen erm�denden Unsinn ein Ende zu machen? Hatte er denn nicht Gift bei sich? Das Opium? — Ach nein, er erinnerte sich, das Gift hatte er ja nicht bekommen. Aber er hatte den Revolver. Ja richtig. Sehr gut. Ausgezeichnet.

„Sehr gut“ und „ausgezeichnet“ sagte er laut vor sich hin, und f�gte mehr solche Worte hinzu. Pl�tzlich h�rte er sich sprechen, erschrak, sah in der Fensterscheibe sein entstelltes Gesicht gespiegelt, fremd, fratzenhaft und traurig. Mein Gott, schrie er in sich hinein, mein Gott! Was tun? Wozu noch leben? Mit der Stirn in dies bleiche Fratzenbild hinein, sich in diese tr�be bl�de Scheibe st�rzen, sich ins Glas verbei�en, sich am Glase den Hals abschneiden. Mit dem Kopf auf die Bahnschwelle schlagen, dumpf und dr�hnend, von den R�dern der vielen Wagen aufgewickelt werden, alles zusammen, D�rme und Hirn, Knochen und Herz, auch die Augen — und auf den Schienen zerrieben, zu Nichts gemacht, ausradiert. Dies war das einzige, was noch zu w�nschen war, was noch Sinn hatte.

W�hrend er verzweifelt in sein Spiegelbild starrte, mit der Nase ans Glas stie�, schlief er wieder ein. Vielleicht Sekunden, vielleicht Stunden. Hin und her schlug sein Kopf, er �ffnete die Augen nicht.

Er erwachte aus einem Traum, dessen letztes St�ck ihm im Ged�chtnis blieb. Er sa�, so tr�umte ihm, vorn auf einem Automobil, das fuhr rasch und ziemlich waghalsig durch eine Stadt, bergauf und ab. Neben ihm sa� jemand, der den Wagen lenkte. Dem gab er im Traum einen Sto� in den Bauch, ri� ihm das Steuerrad aus den H�nden und steuerte nun selber, wild und beklemmend �ber Stock und Stein, knapp an Pferden und an Schaufenstern herbei, an B�ume streifend, da� ihm Funken vor den Augen stoben.

Aus diesem Traum erwachte er. Sein Kopf war freier geworden. Er l�chelte �ber die Traumbilder. Der Sto� in den Bauch war gut, er empfand ihn freudig nach. Nun begann er den Traum zu rekonstruieren und �ber ihn nachzudenken. Wie das an den B�umen vorbei gepfiffen hatte! Vielleicht kam es von der Eisenbahnfahrt? Aber das Steuern war, bei aller Gefahr, doch eine Lust gewesen, ein Gl�ck, eine Erl�sung! Ja, es war besser, selber zu steuern und dabei in Scherben zu gehen, als immer von einem andern gefahren und gelenkt zu werden.

Aber — wem hatte er eigentlich im Traum diesen Sto� gegeben? Wer war der fremde Chauffeur, wer war neben ihm am Steuer des Automobils gesessen? Er konnte sich an kein Gesicht, an keine Figur erinnern — nur an ein Gef�hl, eine vage dunkle Stimmung . . . Wer konnte es gewesen sein? Jemand, den er verehrte, dem er Macht �ber sein Leben einr�umte, den er �ber sich duldete, und den er doch heimlich ha�te, dem er doch schlie�lich den Tritt in den Bauch gab! Vielleicht sein Vater? Oder einer seiner Vorgesetzten? Oder — oder war es am Ende —?

Klein ri� die Augen auf. Er hatte ein Ende des verlorenen Fadens gefunden. Er wu�te alles wieder. Der Traum war vergessen. Es gab Wichtigeres. Jetzt wu�te er! Jetzt begann er zu wissen, zu ahnen, zu schmecken, warum er hier im Schnellzug sa�, warum er nicht mehr Klein hie�, warum er Geld unterschlagen und Papiere gef�lscht hatte. Endlich, endlich!

Ja, es war so. Es hatte keinen Sinn mehr, es vor sich zu verheimlichen. Es war seiner Frau wegen geschehen, einzig seiner Frau wegen. Wie gut, da� er es endlich wu�te!

Vom Turme dieser Erkenntnis aus meinte er pl�tzlich weite Strecken seines Lebens zu �berblicken, das ihm seit langem immer in lauter kleine, wertlose St�cke auseinandergefallen war. Er sah auf eine lange durchlaufene Strecke zur�ck, auf seine ganze Ehe, und die Strecke erschien ihm wie eine lange, m�de, �de Stra�e, wo ein Mann allein im Staube sich mit schweren Lasten schleppt. Irgendwo hinten, unsichtbar jenseits des Staubes, wu�te er leuchtende H�hen und gr�ne rauschende Wipfel der Jugend verschwunden. Ja, er war einmal jung gewesen, und kein J�ngling wie alle, er hatte gro�e Tr�ume getr�umt, er hatte viel vom Leben und von sich verlangt. Seither aber nichts als Staub und Lasten, lange Stra�e, Hitze und m�de Knie, nur im vertrocknenden Herzen ein verschlafenes, alt gewordnes Heimweh lauernd. Das war sein Leben gewesen. Das war sein Leben gewesen.

Er blickte durchs Fenster und zuckte erstaunt zusammen. Ungewohnte Bilder sahen ihn an. Er sah pl�tzlich aufzuckend, da� er im S�den war. Verwundert richtete er sich auf, lehnte sich hinaus, und wieder fiel ein Schleier, und das R�tsel seines Schicksals ward ein wenig klarer. Er war im S�den! Er sah Reblauben auf gr�nen Terrassen stehn, goldbraunes Gem�uer halb in Ruinen, wie auf alten Stichen, bl�hende rosenrote B�ume! Ein kleiner Bahnhof schwand vorbei, mit einem italienischen Namen, irgend etwas auf ogno oder ogna.

Soweit vermochte Klein jetzt die Wetterfahne seines Schicksals zu lesen. Es ging fort von seiner Ehe, seinem Amt, von allem, was bisher sein Leben und seine Heimat gewesen war. Und es ging nach S�den! Nun erst begriff er, warum er, mitten in Hetze und Rausch seiner Flucht, jene Stadt mit dem italienischen Namen zum Ziel gew�hlt hatte. Er hatte es nach einem Hotelbuch getan, anscheinend wahllos und auf gut Gl�ck, er h�tte ebenso gut Amsterdam, Z�rich oder Malm� sagen k�nnen. Erst jetzt war es kein Zufall mehr. Er war im S�den, er war durch die Alpen gefahren. Und damit hatte er den strahlendsten Wunsch seiner Jugendzeit erf�llt, jener Jugend, deren Erinnerungszeichen ihm auf der langen �den Stra�e eines sinnlosen Lebens erloschen und verloren gegangen waren. Eine unbekannte Macht hatte es so gef�gt, da� ihm die beiden brennendsten W�nsche seines Lebens sich erf�llten: die l�ngst vergessene Sehnsucht nach dem S�den, und das heimliche, niemals klar und frei gewordene Verlangen nach Flucht und Freiheit aus dem Frohndienst und Staub seiner Ehe. Jener Streit mit seinem Vorgesetzten, jene �berraschende Gelegenheit zu der Unterschlagung des Geldes — all das, was ihm so wichtig erschienen war, fiel jetzt zu kleinen Zuf�llen zusammen. Nicht sie hatten ihn gef�hrt. Jene beiden gro�en W�nsche in seiner Seele hatten gesiegt, alles andre war nur Weg und Mittel gewesen.

Klein erschrak vor dieser neuen Einsicht tief. Er f�hlte sich wie ein Kind, das mit Z�ndh�lzern gespielt und ein Haus dabei angez�ndet hat. Nun brannte es. Mein Gott! Und was hatte er davon? Und wenn er bis nach Sizilien oder Konstantinopel fuhr, konnte ihn das um zwanzig Jahre j�nger machen?

Indessen lief der Zug, und Dorf um Dorf lief ihm entgegen, fremdartig sch�n, ein heiteres Bilderbuch, mit allen den h�bschen Gegenst�nden, die man vom S�den erwartet und aus Ansichtskarten kennt: steinerne sch�n gew�lbte Br�cken �ber Bach und braunen Felsen, Weinbergmauern von kleinen Farnen �berwachsen, hohe schlanke Glockent�rme, die Fassaden der Kirchen bunt bemalt oder von gew�lbten Hallen mit leichten, edlen Bogen beschattet, H�user mit rosenrotem Anstrich und dickgemauerte Arkadenhallen mit dem k�hlsten Blau gemalt, zahme Kastanien, da und dort schwarze Zypressen, kletternde Ziegen, vor einem Herrschaftshaus im Rasen die ersten Palmen kurz und dickst�mmig. Alles merkw�rdig und ziemlich unwahrscheinlich, aber alles zusammen war doch �beraus h�bsch und verk�ndete etwas wie Trost. Es gab diesen S�den, er war keine Fabel. Die Br�cken und Zypressen waren erf�llte Jugendtr�ume, die H�user und Palmen sagten: du bist nicht mehr im Alten, es beginnt lauter Neues. Luft und Sonnenschein schienen gew�rzt und verst�rkt, das Atmen leichter, das Leben m�glicher, der Revolver entbehrlicher, das Ausradiertwerden auf den Schienen minder dringlich. Ein Versuch schien m�glich, trotz allem. Das Leben konnte vielleicht ertragen werden.

Wieder �bernahm ihn die Erschlaffung, leichter gab er sich jetzt hin, und schlief bis es Abend war und der vollt�nende Name der kleinen Hotelstadt ihn weckte. Hastig stieg er aus.

Ein Diener mit dem Schild „Hotel Milano“ an der M�tze redete ihn deutsch an, er bestellte ein Zimmer und lie� sich die Adresse geben. Schlaftrunken taumelte er aus der Glashalle und dem Rauch in den lauen Abend.

„So habe ich mir etwa Honolulu gedacht,“ ging ihm durch den Kopf. Eine phantastisch unruhige Landschaft, schon beinahe n�chtlich, schwankte ihm fremd und unbegreiflich entgegen. Vor ihm fiel der H�gel steil hinab, da lag unten tief geschachtelt die Stadt, senkrecht blickte er auf erleuchtete Pl�tze hinunter. Von allen Seiten st�rzten steile spitze Zuckerhutberge j�h herab in einen See, der am Wiederschein unz�hliger Quailaternen kenntlich wurde. Eine Seilbahn senkte sich wie ein Korb den Schacht hinunter zur Stadt, halb gef�hrlich, halb spielzeughaft. Auf einigen der hohen Bergkegel gl�hten erleuchtete Fenster bis zum Gipfel in launischen Reihen, Stufen und Sternbildern geordnet. Von der Stadt wuchsen die D�cher gro�er Hotels herauf, dazwischen schwarzdunkle G�rten, ein warmer sommerhafter Abendwind voll Staub und Duft flatterte wohlgelaunt unter den grellen Laternen. Aus der wirr durchfunkelten Finsternis am See schwoll taktfest und l�cherlich eine Blechmusik heran.

Ob das nun Honolulu, Mexiko oder Italien war, konnte ihm einerlei sein. Es war Fremde, es war neue Welt und neue Luft, und wenn sie ihn auch verwirrte und heimlich in Angst versetzte, sie duftete doch auch nach Rausch und Vergessen und neuen, unerprobten Gef�hlen.

Eine Stra�e schien ins Freie zu f�hren, dorthin schlenderte er, an Lagerschuppen und leeren Lastfuhrwerken vor�ber, dann bei kleinen Vorstadth�usern vorbei, wo laute Stimmen italienisch schrien und im Hof eines Wirtshauses eine Mandoline schrillte. Im letzten Hause klang eine M�dchenstimme auf, ein Duft von Wohllaut beklemmte ihm das Herz, viele Worte konnte er zu seiner Freude verstehen und den Refrain sich merken:

Mama non vuole, papa ne meno.

Come faremo a fare l’amor?

Es klang wie aus Tr�umen seiner Jugend her. Bewu�tlos schritt er die Stra�e weiter, flo� hingerissen in die warme Nacht, in der die Grillen sangen. Ein Weinberg kam, und bezaubert blieb er stehen: Ein Feuerwerk, ein Reigen von kleinen, gr�n gl�henden Lichtern erf�llte die Luft und das duftende, hohe Gras, tausend Sternschnuppen taumelten trunken durcheinander. Es war ein Schwarm von Leuchtk�fern, langsam und lautlos geisterten sie durch die warm aufzuckende Nacht. Die sommerliche Luft und Erde schien sich phantastisch in leuchtenden Figuren und tausend kleinen beweglichen Sternbildern, auszuleben.

Lange stand der Fremde dem Zauber hingegeben und verga� die �ngstliche Geschichte dieser Reise und die �ngstliche Geschichte seines Lebens �ber der sch�nen Seltsamkeit. Gab es noch eine Wirklichkeit? Noch Gesch�fte und Polizei? Noch Assessoren und Kursberichte? Stand zehn Minuten von hier ein Bahnhof?

Langsam wandte sich der Fl�chtling, der aus seinem Leben heraus in ein M�rchen gereist war, gegen die Stadt zur�ck. Laternen gl�hten auf. Menschen riefen ihm Worte zu, die er nicht verstand. Unbekannte Riesenb�ume standen voll Bl�ten, eine steinerne Kirche hing mit schwindelnder Terrasse �ber dem Absturz, helle Stra�en, von Treppen unterbrochen, flossen rasch wie Bergb�che in das St�dtchen hinab.

Klein fand sein Hotel, und mit dem Eintritt in die �berhellen n�chternen R�ume, Halle und Treppenhaus schwand sein Rausch dahin, und es kehrte die �ngstliche Sch�chternheit zur�ck, sein Fluch und Kainszeichen. Betreten dr�ckte er sich an den wachen, tarierenden Blicken des Concierge, der Kellner, des Liftjungen, der Hotelg�ste vorbei in die �deste Ecke eines Restaurants. Er bat mit schwacher Stimme um die Speisekarte, und las, als w�re er noch arm und m��te sparen, bei allen Speisen sorgf�ltig die Preise mit, bestellte etwas Wohlfeiles, ermunterte sich k�nstlich zu einer halben Flasche Bordeaux, der ihm nicht schmeckte, und war froh, als er endlich hinter verschlossener T�r in seinem sch�bigen kleinen Zimmer lag. Bald schlief er ein, schlief gierig und tief, aber nur zwei, drei Stunden. Noch mitten in der Nacht wurde er wieder wach.

Er starrte, aus den Abgr�nden des Unbewu�ten kommend, in die feindselige D�mmerung, wu�te nicht wo er war, hatte das dr�ckende und schuldhafte Gef�hl, Wichtiges vergessen und vers�umt zu haben. Wirr umhertastend erf�hlte er einen Dr�cker und drehte Licht an. Das kleine Zimmer sprang ins grelle Licht, fremd, �de, sinnlos. Wo war er? B�se glotzten die Pl�schsessel. Alles blickte ihn kalt und fordernd an. Da fand er sich im Spiegel und las das Vergessene aus seinem Gesicht. Ja, er wu�te. Dies Gesicht hatte er fr�her nicht gehabt, nicht diese Augen, nicht diese Falten, nicht diese Farben. Es war ein neues Gesicht, schon einmal war es ihm aufgefallen, im Spiegel einer Glasscheibe, irgendwann im gehetzten Theaterst�ck dieser wahnsinnigen Tage. Es war nicht sein Gesicht, das gute, stille und etwas duldende Friedrich Klein-Gesicht. Es war das Gesicht eines Gezeichneten, vom Schicksal mit neuen Zeichen gestempelt, �lter und auch j�nger als das fr�here, maskenhaft und doch wunderlich durchgl�ht. Niemand liebte solche Gesichter.

Da sa� er im Zimmer eines Hotels im S�den mit seinem gezeichneten Gesicht. Daheim schliefen seine Kinder, die er verlassen hatte. Nie mehr w�rde er sie schlafen, nie mehr sie aufwachen sehen, nie mehr ihre Stimmen h�ren. Er w�rde niemals mehr aus dem Wasserglas auf jenem Nachttisch trinken, auf dem bei der Stehlampe die Abendpost und ein Buch lag, und dahinter an der Wand �berm Bett die Bilder seiner Eltern, und alles, und alles. Statt dessen starrte er hier im ausl�ndischen Hotel in den Spiegel, in das traurige und angstvolle Gesicht des Verbrechers Klein, und die Pl�schm�bel blickten kalt und schlecht, und alles war anders, nichts war mehr in Ordnung. Wenn sein Vater das noch erlebt h�tte!

Niemals seit seiner Jugendzeit war Klein so unmittelbar und so einsam seinen Gef�hlen �berlassen gewesen, niemals so in der Fremde, niemals so nackt und senkrecht unter der unerbittlichen Sonne des Schicksals. Immer war er mit irgend etwas besch�ftigt gewesen, mit etwas anderm als mit sich selbst, immer hatte er zu tun und zu sorgen gehabt, um Geld, um Bef�rderung im Amt, um Frieden im Hause, um Schulgeschichten und Kinderkrankheiten; immer waren gro�e, heilige Pflichten des B�rgers, des Gatten, des Vaters um ihn her gestanden, in ihrem Schutz und Schatten hatte er gelebt, ihnen hatte er Opfer gebracht, von ihnen her war seinem Leben Rechtfertigung und Sinn gekommen. Jetzt hing er pl�tzlich nackt im Weltraum, er allein Sonne und Mond gegen�ber, und f�hlte die Luft um sich d�nn und eisig.

Und das Wunderliche war, da� kein Erdbeben ihn in diese bange und lebensgef�hrliche Lage gebracht hatte, kein Gott und kein Teufel, sondern er allein, er selber! Seine eigene Tat hatte ihn hierher geschleudert, hier allein mitten in die fremde Unendlichkeit gestellt. In ihm selbst war alles gewachsen und entstanden, in seinem eigenen Herzen war das Schicksal gro� geworden, Verbrechen und Auflehnung, Wegwerfen heiliger Pflichten, Sprung in den Weltenraum, Ha� gegen sein Weib, Flucht, Vereinsamung und vielleicht Selbstmord. Andere mochten wohl auch Schlimmes und Umst�rzendes erlebt haben, durch Brand und Krieg, durch Unfall und b�sen Willen anderer — er jedoch, der Verbrecher Klein, konnte sich auf nichts dergleichen berufen, auf nichts hinausreden, nichts verantwortlich machen, h�chstens vielleicht seine Frau. Ja, sie, sie allerdings konnte und mu�te herangezogen und verantwortlich gemacht werden, auf sie konnte er deuten, wenn einmal Rechenschaft von ihm verlangt wurde!

Ein gro�er Zorn brannte in ihm auf, und mit einemmal fiel ihm etwas ein, brennend und t�dlich, ein Kn�uel von Vorstellungen und Erlebnissen. Es erinnerte ihn an den Traum vom Automobil, und an den Sto�, den er seinem Feinde dort in den Bauch gegeben hatte.

Woran er sich nun erinnerte, das war ein Gef�hl, oder eine Phantasie, ein seltsamer und krankhafter Seelenzustand, eine Versuchung, ein wahnsinniges Gel�st, oder wie immer man es bezeichnen wollte. Es war die Vorstellung oder Vision einer furchtbaren Bluttat, die er beging, indem er sein Weib, seine Kinder und sich selbst ums Leben brachte. Mehrmals, so besann er sich jetzt, w�hrend noch immer der Spiegel ihm sein gestempeltes, irres Verbrechergesicht zeigte, — mehrmals hatte er sich diesen vierfachen Mord vorstellen m�ssen, vielmehr sich verzweifelt gegen diese h��liche und unsinnige Vision gewehrt, wie sie ihm damals erschienen war. Genau damals hatten die Gedanken, Tr�ume und qu�lenden Zust�nde in ihm begonnen, so schien ihm, welche dann mit der Zeit zu der Unterschlagung und zu seiner Flucht gef�hrt hatten. Vielleicht — es war m�glich — war es nicht blo� die �bergro� gewordene Abneigung gegen seine Frau und sein Eheleben gewesen, die ihn von Hause fortgetrieben hatte, sondern noch mehr die Angst davor, da� er eines Tages doch noch dies viel furchtbarere Verbrechen begehen m�chte: sie alle t�ten, sie schlachten und in ihrem Blut liegen sehen. Und weiter: auch diese Vorstellung noch hatte eine Vorgeschichte. Sie war zu Zeiten gekommen, wie etwa ein leichter Schwindelanfall, wo man meint, sich fallen lassen zu m�ssen. Das Bild aber, die Mordtat, stammte aus einer besonderen Quelle her! Unbegreiflich, da� er das erst jetzt sah!

Damals, als er zum erstenmal die Zwangsvorstellung vom T�ten seiner Familie hatte, und �ber diese teuflische Vision zu Tode erschrocken war, da hatte ihn, gleichsam h�hnisch, eine kleine Erinnerung heimgesucht. Es war diese: Vor Jahren, als sein Leben anscheinend noch harmlos, ja beinahe gl�cklich war, sprach er einmal mit Kollegen �ber die Schreckenstat eines s�ddeutschen Schullehrers namens W. (er kam nicht gleich auf den Namen), der seine ganze Familie auf eine furchtbar blutige Weise abgeschlachtet und dann die Hand gegen sich selber erhoben hatte. Es war die Frage gewesen, wie weit bei einer solchen Tat von Zurechnungsf�higkeit die Rede sein k�nne, und im weiteren dar�ber, ob und wie man �berhaupt eine solche Tat, eine solche grausige Explosion menschlicher Scheu�lichkeit verstehen und erkl�ren k�nne. Er, Klein, war damals sehr erregt gewesen und hatte gegen einen Kollegen, welcher jenen Totschlag psychologisch zu erkl�ren versuchte, �beraus heftig ge�u�ert: einem so scheu�lichen Verbrechen gegen�ber gebe es f�r einen anst�ndigen Mann keine andere Haltung als Entr�stung und Abscheu, eine solche Bluttat k�nne nur im Gehirn eines Teufels entstehen, und f�r einen Verbrecher dieser Art sei �berhaupt keine Strafe, kein Gericht, keine Folter streng und schwer genug. Er erinnerte sich noch heut genau des Tisches, an dem sie sa�en, und des verwunderten und etwas kritischen Blickes, mit dem jener �ltere Kollege ihn nach diesem Ausbruch seiner Entr�stung gestreift hatte.

Damals nun, als er sich selber zum erstenmal in einer h��lichen Phantasie als M�rder der Seinigen sah und er vor dieser Vorstellung mit einem Schauder zur�ckschreckte, da war ihm dies um Jahre zur�ckliegende Gespr�ch �ber den Verwandtenm�rder W. sofort wieder eingefallen. Und seltsam. Obwohl er h�tte schw�ren k�nnen, da� er damals v�llig aufrichtig seine wahrste Empfindung ausgesprochen habe, war jetzt in ihm innen eine h��liche Stimme da, die ihn verh�hnte und ihm zurief: schon damals, schon damals vor Jahren bei dem Gespr�ch �ber den Schullehrer W. habe sein Innerstes dessen Tat verstanden, verstanden und gebilligt, und seine so heftige Entr�stung und Erregung sei nur daraus entstanden, da� der Philister und Heuchler in ihm die Stimme des Herzens nicht habe gelten lassen wollen. Die furchtbaren Strafen und Foltern, die er dem Gattenm�rder w�nschte, und die entr�steten Schimpfworte, mit denen er dessen Tat bezeichnete, die hatte er eigentlich gegen sich selber gerichtet, gegen den Keim zum Verbrechen, der gewi� damals schon in ihm war! Seine gro�e Erregung bei diesem ganzen Gespr�ch und Anla� war nur daher gekommen, da� in Wirklichkeit er sich selbst sitzen sah, der Bluttat angeklagt, und da� er sein Gewissen zu retten suchte, indem er auf sich selber jede Anklage und jedes schwere Urteil h�ufte. Als ob er damit, mit diesem W�ten gegen sich selbst, das heimliche Verbrechertum in seinem Innern bestrafen oder �bert�uben k�nnte.

Soweit kam Klein mit seinen Gedanken, und er f�hlte, da� es sich da f�r ihn um Wichtiges, ja um das Leben selber handle. Aber es war uns�glich m�hsam, diese Erinnerungen und Gedanken auseinanderzuf�deln und zu ordnen. Eine aufzuckende Ahnung letzter, erl�sender Erkenntnisse unterlag der M�digkeit und dem Widerwillen gegen seine ganze Situation. Er stand auf, wusch sich das Gesicht, ging barfu� auf und ab, bis ihn fr�stelte, und dachte nun zu schlafen.

Aber es kam kein Schlaf. Er lag unerbittlich seinen Empfindungen ausgeliefert, lauter h��lichen, schmerzenden und dem�tigenden Gef�hlen: dem Ha� gegen seine Frau, dem Mitleid mit sich selber, der Ratlosigkeit, dem Bed�rfnis nach Erkl�rungen, Entschuldigungen, Trostgr�nden. Und da ihm f�r jetzt keine andern Trostgr�nde einfielen, und da der Weg zum Verst�ndnis so tief und schonungslos in die heimlichsten und gef�hrlichsten Dickichte seiner Erinnerungen f�hrte, und der Schlaf nicht wieder kommen wollte, lag er den Rest der Nacht in einem Zustande, den er in diesem h��lichen Grad noch nicht gekannt hatte. Alle die widerlichen Gef�hle, die in ihm stritten, vereinigten sich zu einer furchtbaren, erstickenden, t�dlichen Angst, zu einem teuflischen Alpdruck auf Herz und Lunge, der sich immer von neuem bis an die Grenze des Unertr�glichen steigerte. Was Angst war, hatte er ja l�ngst gewu�t, seit Jahren schon, und seit den letzten Wochen und Tagen erst! Aber so hatte er sie noch nie an der Kehle gef�hlt! Zwanghaft mu�te er an die wertlosesten Dinge denken, an einen vergessenen Schl�ssel, an die Hotelrechnung, und daraus Berge von Sorgen und peinlichen Erwartungen schaffen. Die Frage, ob dies sch�bige Zimmerchen f�r die Nacht wohl mehr als dreieinhalb Franken kosten w�rde, und ob er in diesem Fall noch l�nger im Hause bleiben solle, hielt ihn wohl eine Stunde lang in Atem, Schwei� und Herzklopfen. Dabei wu�te er genau, wie dumm diese Gedanken seien, und sprach immer wieder sich selbst vern�nftig und beg�tigend zu, wie einem trotzigen Kind, rechnete sich an den Fingern die v�llige Haltlosigkeit seiner Sorgen vor — vergebens, vollkommen vergebens! Vielmehr d�mmerte auch hinter diesem Tr�sten und Zureden etwas wie blutiger Hohn auf, als sei auch das blo� Getue und Theater, gerade so wie damals sein Getue wegen dem M�rder W. Da� die Todesangst, da� dies grauenhafte Gef�hl einer Umschn�rung und eines Verurteiltseins zu qualvollem Ersticken nicht von der Sorge um die paar Franken oder von �hnlichen Ursachen herkomme, war ihm ja klar. Dahinter lauerte Schlimmeres, Ernsteres — aber was? Es mu�ten Dinge sein, die mit dem blutigen Schullehrer, mit seinen eigenen Mordw�nschen und mit allem Kranken und Ungeordneten in ihm zu tun hatten. Aber wie daran r�hren? Wie den Grund finden? Da gab es keine Stelle in ihm innen, die nicht blutete, die nicht krank und faul und wahnsinnig schmerzempfindlich war. Er sp�rte: Lange war das nicht zu ertragen. Wenn es so weiter ging, und namentlich wenn noch manche solche N�chte kamen, dann wurde er wahnsinnig oder nahm sich das Leben.

Angespannt setzte er sich im Bett aufrecht und suchte das Gef�hl seiner Lage auszusch�pfen, um einmal damit fertig zu werden. Aber es war immer dasselbe: Einsam und hilflos sa� er, mit fieberndem Kopf und schmerzlichem Herzdruck, in Todesbangigkeit dem Schicksal gegen�ber wie ein Vogel der Schlange, festgebannt und von Furcht verzehrt. Schicksal, das wu�te er jetzt, kam nicht von irgendwo her, es wuchs im eigenen Innern. Wenn er kein Mittel dagegen fand, so fra� es ihn auf — dann war ihm beschieden, Schritt f�r Schritt von der Angst, von dieser grauenhaften Angst verfolgt und aus seiner Vernunft verdr�ngt zu werden, Schritt f�r Schritt, bis er am Rande stand, den er schon nahe f�hlte.

Verstehen k�nnen — das w�re gut, das w�re vielleicht die Rettung! Er war noch lange nicht am Ende mit dem Erkennen seiner Lage und dessen, was mit ihm vorgegangen war. Er stand noch ganz im Anfang, das f�hlte er wohl. Wenn er sich jetzt zusammenraffen und alles ganz genau zusammenfassen, ordnen und �berlegen k�nnte, dann w�rde er vielleicht den Faden finden. Das Ganze w�rde einen Sinn und ein Gesicht bekommen und w�rde dann vielleicht zu ertragen sein. Aber diese Anstrengung, dieses letzte Sichaufraffen war ihm zu viel, es ging �ber seine Kr�fte, er konnte einfach nicht. Je angespannter er zu denken versuchte, desto schlechter ging es, er fand statt Erinnerungen und Erkl�rungen in sich nur leere L�cher, nichts fiel ihm ein, und dabei verfolgte ihn schon wieder die qu�lende Angst, er m�chte gerade das Wichtigste vergessen haben. Er st�rte und suchte in sich herum wie ein nerv�ser Reisender, der alle Taschen und Koffer nach seiner Fahrkarte durchw�hlt, die er vielleicht am Hut oder gar in der Hand hat. Aber was half es, das Vielleicht?

Vorher, vor einer Stunde oder l�nger — hatte er da nicht eine Erkenntnis gehabt, einen Fund getan? Was war es gewesen, was? Es war fort, er fand es nicht wieder. Verzweifelnd schlug er sich mit der Faust an die Stirn. Gott im Himmel, la� mich den Schl�ssel finden! La� mich nicht so umkommen, so jammervoll, so dumm, so traurig! In Fetzen gel�st wie Wolkentreiben im Sturm floh seine ganze Vergangenheit an ihm vor�ber, Millionen Bilder, durcheinander und �bereinander, unkenntlich und h�hnend, jedes an irgend etwas erinnernd — an was? An was?

Pl�tzlich fand er den Namen „Wagner“ auf seinen Lippen. Wie bewu�tlos sprach er ihn aus: „Wagner — Wagner.“ Wo kam der Name her? Aus welchem Schacht? Was wollte er? Wer war Wagner? Wagner?

Er bi� sich an den Namen fest. Er hatte eine Aufgabe, ein Problem, das war besser als dies Hangen im Gestaltlosen. Also: Wer ist Wagner? Was geht mich Wagner an? Warum sagen meine Lippen, die verzogenen Lippen in meinem Verbrechergesicht, jetzt in der Nacht den Namen Wagner vor sich hin? Er nahm sich zusammen. Allerlei fiel ihm ein. Er dachte an Lohengrin, und damit an das etwas unklare Verh�ltnis, das er zu dem Musiker Wagner hatte. Er hatte ihn, als Zwanzigj�hriger, rasend geliebt. Sp�ter war er mi�trauisch geworden, und mit der Zeit hatte er gegen ihn eine Menge von Einw�nden und Bedenken gefunden. An Wagner hatte er viel herumkritisiert, und vielleicht galt diese Kritik weniger dem Richard Wagner selbst als seiner eigenen, einstigen Liebe zu ihm? Haha, hatte er sich wieder erwischt? Hatte er da wieder einen Schwindel aufgedeckt, eine kleine L�ge, einen kleinen Unrat? Ach ja, es kam einer um den andern zum Vorschein — in dem tadellosen Leben des Beamten und Gatten Friedrich Klein war es gar nicht tadellos, gar nicht sauber gewesen, in jeder Ecke lag ein Hund begraben! Ja, richtig, also so war es auch mit Wagner. Der Komponist Richard Wagner wurde von Friedrich Klein scharf beurteilt und geha�t. Warum? Weil Friedrich Klein es sich selber nicht verzeihen konnte, da� er als junger Mensch f�r diesen selben Wagner geschw�rmt hatte. In Wagner verfolgte er nun seine eigne Jugendschw�rmerei, seine eigne Jugend, seine eigne Liebe. Warum? Weil Jugend und Schw�rmerei und Wagner und all das ihn peinlich an Verlorenes erinnerten, weil er sich von einer Frau hatte heiraten lassen, die er nicht liebte, oder doch nicht richtig, nicht genug. Ach, und so, wie er gegen Wagner verfuhr, so verfuhr der Beamte Klein noch gegen viele und vieles. Er war ein braver Mann, der Herr Klein, und hinter seiner Bravheit versteckte er nichts als Unflat und Schande! Ja, wenn er ehrlich sein wollte — wieviel heimliche Gedanken hatte er vor sich selber verbergen m�ssen! Wieviel Blicke nach h�bschen M�dchen auf der Gasse, wieviel Neid gegen Liebespaare, die ihm abends begegneten, wenn er vom Amt zu seiner Frau nach Hause ging! Und dann die Mordgedanken. Und hatte er nicht den Ha�, der ihm selber h�tte gelten sollen, auch gegen jenen Schullehrer — — —

Er schrak pl�tzlich zusammen. Wieder ein Zusammenhang! Der Schullehrer und M�rder hatte ja — Wagner gehei�en! Also da sa� der Kern! Wagner — so hie� jener Unheimliche, jener wahnsinnige Verbrecher, der seine ganze Familie umgebracht hatte. War nicht mit diesem Wagner irgendwie sein ganzes Leben seit Jahren verkn�pft gewesen? Hatte nicht dieser �ble Schatten ihn �berall verfolgt?

Nun, Gott sei Dank, der Faden war wieder gefunden. Ja, und �ber diesen Wagner hatte er einst, in langvergangener besserer Zeit, sehr zornig und emp�rt gescholten und ihm die grausamsten Strafen gew�nscht. Und dennoch hatte er sp�ter selber, ohne mehr an Wagner zu denken, denselben Gedanken gehabt und hatte mehrmals in einer Art von Vision sich selber gesehen, wie er seine Frau und seine Kinder ums Leben brachte.

Und war denn das nicht eigentlich sehr verst�ndlich? War es nicht richtig? Konnte man nicht sehr leicht dahin kommen, da� die Verantwortung f�r das Dasein von Kindern einem unertr�glich wurde, ebenso unertr�glich wie das eigene Wesen und Dasein, das man nur als Irrtum, nur als Schuld und Qual empfand?

Aufseufzend dachte er diesen Gedanken zu Ende. Es schien ihm jetzt ganz gewi�, da� er schon damals, als er ihn zuerst erfuhr, im Herzen jenen Wagnerschen Totschlag verstanden und gebilligt habe, gebilligt nat�rlich nur als M�glichkeit. Schon damals, als er noch nicht sich ungl�cklich und sein Leben verpfuscht f�hlte, schon damals vor Jahren, als er noch meinte, seine Frau zu lieben und an ihre Liebe glaubte, schon damals hatte sein Innerstes den Schullehrer Wagner verstanden und seinem entsetzlichen Schlachtopfer heimlich zugestimmt. Was er damals sagte und meinte, war immer nur die Meinung seines Verstandes gewesen, nicht die seines Herzens. Sein Herz — jene innerste Wurzel in ihm, aus der das Schicksal wuchs — hatte schon immer und immer eine andere Meinung gehabt, es hatte Verbrechen begriffen und gebilligt. Es waren immer zwei Friedrich Klein dagewesen, ein sichtbarer und ein heimlicher, ein Beamter und ein Verbrecher, ein Familienvater und ein M�rder.

Damals aber war er im Leben stets auf der Seite des „bessern“ Ich gestanden, des Beamten und anst�ndigen Menschen, des Ehemannes und rechtlichen B�rgers. Die heimliche Meinung seines Innersten hatte er nie gebilligt, er hatte sie nicht einmal gekannt. Und doch hatte diese innerste Stimme ihn unvermerkt geleitet und schlie�lich zum Fl�chtling und Verworfenen gemacht!

Dankbar hielt er diesen Gedanken fest. Da war doch ein St�ck Folgerichtigkeit, etwas wie Vernunft. Es gen�gte noch nicht, es blieb alles Wichtige noch so dunkel, aber eine gewisse Helligkeit, eine gewisse Wahrheit war doch gewonnen. Und Wahrheit — das war es, worauf es ankam. Wenn ihm nur das kurze Ende des Fadens nicht wieder verlorenging!

Zwischen Wachen und Schlaf vor Ersch�pfung fiebernd, immer an der Grenze zwischen Gedanke und Traum, verlor er hundertmal den Faden wieder, fand ihn hundertmal neu. Bis es Tag war und der Gassenl�rm zum Fenster hereinscholl.

II

Den Vormittag lief Klein durch die Stadt. Er kam vor ein Hotel, dessen Garten ihm gefiel, ging hinein, sah Zimmer an und mietete eines. Erst im Weggehen sah er sich nach dem Namen des Hauses um und las: Hotel Kontinental. War ihm dieser Name nicht bekannt? Nicht vorausgesagt worden? Ebenso wie Hotel Milano? Er gab es indessen bald auf, zu suchen, und war zufrieden in der Atmosph�re von Fremdheit, Spiel und eigent�mlicher Bedeutsamkeit, in die sein Leben geraten schien.

Der Zauber von gestern kam allm�hlich wieder. Es war sehr gut, da� er im S�den war, dachte er dankbar. Er war gut gef�hrt worden. W�re dies nicht gewesen, dieser liebenswerte Zauber �berall, dies ruhige Schlendern und Sichvergessenk�nnen, dann w�re er Stunde um Stunde vor dem furchtbaren Gedankenzwang gestanden und w�re verzweifelt. So aber gelang es ihm, stundenlang in angenehmer M�digkeit dahin zu vegetieren, ohne Zwang, ohne Angst, ohne Gedanken. Das tat ihm wohl. Es war sehr gut, da� es diesen S�den gab, und da� er ihn sich verordnet hatte. Der S�den erleichterte das Leben. Er tr�stete. Er bet�ubte.

Auch jetzt am hellen Tage sah die Landschaft unwahrscheinlich und phantastisch aus, die Berge waren alle zu nah, zu steil, zu hoch, wie von einem etwas verschrobenen Maler erfunden. Sch�n aber war alles Nahe und Kleine: ein Baum, ein St�ck Ufer, ein Haus in sch�nen heitern Farben, eine Gartenmauer, ein schmales Weizenfeld unter Reben stehend, klein und gepflegt wie ein Hausgarten. Dies alles war lieb und freundlich, heiter und gesellig, es atmete Gesundheit und Vertrauen. Diese kleine, freundliche, wohnliche Landschaft samt ihren stillheitern Menschen konnte man lieben. Etwas lieben zu k�nnen — welche Erl�sung!

Mit dem leidenschaftlichen Willen, zu vergessen und sich zu verlieren, schwamm der Leidende, auf der Flucht vor den lauernden Angstgef�hlen, hingegeben durch die fremde Welt. Er schlenderte ins Freie, in das anmutige, flei�ig bestellte Bauernland hinein. Es erinnerte ihn nicht an das Land und Bauerntum seiner Heimat, sondern mehr an Homer und an die R�mer, er fand etwas Uraltes, Kultiviertes und doch Primitives darin, eine Unschuld und Reife, die der Norden nicht hat. Die kleinen Kapellen und Bildst�cke, die farbig und zum Teil zerfallend, fast alle von Kindern mit Feldblumen geschm�ckt, �berall an den Wegen zu Ehren von Heiligen standen, schienen ihm denselben Sinn zu haben und vom selben Geist zu stammen wie die vielen kleinen Tempel und Heiligt�mer der Alten, die in jedem Hain, Quell und Berg eine Gottheit verehrten und deren heitere Fr�mmigkeit nach Brot und Wein und Gesundheit duftete. Er kehrte in die Stadt zur�ck, lief unter hallenden Arkaden, erm�dete sich auf rauhem Steinpflaster, blickte neugierig in offene L�den und Werkst�tten, kaufte italienische Zeitungen, ohne sie zu lesen, und geriet endlich m�de in einen herrlichen Park am See. Hier schlenderten Kurg�ste und sa�en lesend auf B�nken, und alte ungeheure B�ume hingen wie in ihr Spiegelbild verliebt �berm schwarzgr�nen Wasser, das sie dunkel �berw�lbten. Unwahrscheinliche Gew�chse, Schlangenb�ume und Per�ckenb�ume, Korkeichen und andre Seltsamkeiten standen frech oder �ngstlich oder trauernd im Rasen, der voll Blumen war, und an den fernen jenseitigen Seeufern schwammen wei� und rosig lichte D�rfer und Landh�user.

Als er auf einer Bank zusammengesunken sa� und nah am Einnicken war, ri� ein fester elastischer Schritt ihn wach. Auf hohen rotbraunen Schn�rstiefeln, im kurzen Rock �ber d�nnen durchbrochenen Str�mpfen lief eine Frau vorbei, ein M�dchen, kr�ftig und taktfest, sehr aufrecht und herausfordernd, elegant, hochm�tig, ein k�hles Gesicht mit geschminkter Lippenr�te und einem hohen dichten Haarbau von hellem, metallischem Gelb. Ihr Blick traf ihn im Vorbeigehen eine Sekunde, sicher und absch�tzend wie die Blicke der Portiers und Boys im Hotel, und lief gleichg�ltig weiter.

Allerdings, dachte Klein, sie hat recht, ich bin kein Mensch, den man beachtet. Unsereinem schaut so eine nicht nach. Dennoch tat die K�rze und K�hle ihres Blickes ihm heimlich weh, er kam sich abgesch�tzt und mi�achtet vor von jemand, der nur Oberfl�che und Au�enseite sah, und aus den Tiefen seiner Vergangenheit wuchsen ihm Stacheln und Waffen empor, um sich gegen sie zu wehren. Schon war vergessen, da� ihr feiner belebter Schuh, ihr so sehr elastischer und sicherer Gang, ihr straffes Bein im d�nnen Seidenstrumpf ihn einen Augenblick gefesselt und begl�ckt hatte. Ausgel�scht war das Rauschen ihres Kleides und der d�nne Wohlgeruch, der an ihr Haar und an ihre Haut erinnerte. Weggeworfen und zerstampft war der sch�ne holde Hauch von Geschlecht und Liebesm�glichkeit, der ihn von ihr gestreift hatte. Statt dessen kamen viele Erinnerungen. Wie oft hatte er solche Wesen gesehn, solche junge, sichere und herausfordernde Personen, seien es nun Dirnen oder eitle Gesellschaftsweiber, wie oft hatte ihre schamlose Herausforderung ihn ge�rgert, ihre Sicherheit ihn irritiert, ihr k�hles, brutales Sichzeigen ihn angewidert! Wie manchmal hatte er, auf Ausfl�gen und in st�dtischen Restaurants, die Emp�rung seiner Frau �ber solche unweibliche und het�renhafte Wesen von Herzen geteilt!

Mi�mutig streckte er die Beine von sich. Dieses Weib hatte ihm seine gute Stimmung verdorben! Er f�hlte sich �rgerlich, gereizt und benachteiligt, er wu�te: wenn diese mit dem gelben Haar nochmals vor�berkommen und ihn nochmals mustern w�rde, dann w�rde er rot werden und sich in seinen Kleidern, seinem Hut, seinen Schuhen, seinem Gesicht, Haar und Bart unzul�nglich und minderwertig vorkommen! Hole sie der Teufel! Schon dies gelbe Haar! Es war falsch, es gab nirgends in der Welt so gelbe Haare. Geschminkt war sie auch. Wie nur ein Mensch sich dazu hergeben konnte, seine Lippen mit Schminke anzumalen — negerhaft! Und solche Leute liefen herum, als geh�rte ihnen die Welt, sie besa�en das Auftreten, die Sicherheit, die Frechheit und verdarben anst�ndigen Leuten die Freude.

Mit den wieder aufwogenden Gef�hlen von Unlust, �rger und Befangenheit kam abermals ein Schwall von Vergangenheit heraufgekocht, und pl�tzlich dazwischen der Einfall: du berufst dich ja auf deine Frau, du gibst ihr ja recht, du ordnest dich ihr wieder unter! Einen Augenblick lang �berflo� ihn ein Gef�hl wie: ich bin ein Esel, da� ich noch immer mich unter die „anst�ndigen Menschen“ rechne, ich bin ja keiner mehr, ich geh�re gerade so wie diese Gelbe zu einer Welt, die nicht mehr meine fr�here und nicht mehr die anst�ndige ist, in eine Welt, wo anst�ndig oder unanst�ndig nichts mehr bedeutet, wo jeder f�r sich das schwere Leben zu leben sucht. Einen Augenblick lang empfand er, da� seine Verachtung f�r die Gelbe ebenso oberfl�chlich und unaufrichtig war wie seine einstige Emp�rung �ber den Schullehrer und M�rder Wagner, und auch seine Abneigung gegen den andern Wagner, dessen Musik er einst als allzu sinnenschw�l empfunden hatte. Eine Sekunde lang tat sein versch�tteter Sinn, sein verlorengegangenes Ich die Augen auf und sagte ihm mit seinem alleswissenden Blick, da� alle Emp�rung, aller �rger, alle Verachtung ein Irrtum und eine Kinderei sei und auf den armen Kerl von Ver�chter zur�ckfalle.

Dieser gute, alleswissende Sinn sagte ihm auch, da� er hier wieder vor einem Geheimnis stehe, dessen Deutung f�r sein Leben wichtig sei, da� diese Dirne oder Weltdame, da� dieser Duft von Eleganz, Verf�hrung und Geschlecht ihm keineswegs zuwider und beleidigend sei, sondern da� er sich diese Urteile nur eingebildet und eingeh�mmert habe, aus Angst vor seiner wirklichen Natur, aus Angst vor Wagner, aus Angst vor dem Tier oder Teufel, den er in sich entdecken konnte, wenn er einmal die Fesseln und Verkleidungen seiner Sitte und B�rgerlichkeit abw�rfe. Blitzhaft zuckte etwas wie Lachen, wie Hohnlachen in ihm auf, das aber alsbald wieder schwieg. Es siegte wieder das Mi�gef�hl. Es war unheimlich, wie jedes Erwachen, jede Erregung, jeder Gedanke ihn immer wieder unfehlbar dorthin traf, wo er schwach und nur zu Qualen f�hig war. Nun sa� er wieder mitten darin und hatte es mit seinem fehlgeratenen Leben, mit seiner Frau, mit seinem Verbrechen, mit der Hoffnungslosigkeit seiner Zukunft zu tun. Angst kam wieder, das allwissende Ich sank unter wie ein Seufzer, den niemand h�rt. O welche Qual! Nein, daran war nicht die Gelbe schuld. Und alles, was er gegen sie empfand, tat ihr ja nicht weh, traf nur ihn selber.

Er stand auf und fing zu laufen an. Fr�her hatte er oft geglaubt, er f�hre ein ziemlich einsames Leben, und hatte sich mit einiger Eitelkeit eine gewisse resignierte Philosophie zugeschrieben, galt auch unter seinen Kollegen f�r einen Gelehrten, Leser und heimlichen Sch�ngeist. Mein Gott, er war nie einsam gewesen! Er hatte mit den Kollegen, mit seiner Frau, mit den Kindern, mit allen m�glichen Leuten geredet, und der Tag war dabei vergangen und die Sorgen ertr�glich geworden. Und auch wenn er allein gewesen war, war es keine Einsamkeit gewesen. Er hatte die Meinungen, die �ngste, die Freuden, die Tr�stungen vieler geteilt, einer ganzen Welt. Stets war um ihn her und bis in ihn hinein Gemeinsamkeit gewesen, und auch noch im Alleinsein, im Leid und in der Resignation hatte er stets einer Schar und Menge angeh�rt, einem sch�tzenden Verband, der Welt der Anst�ndigen, Ordentlichen und Braven. Jetzt aber, jetzt schmeckte er Einsamkeit. Jeder Pfeil fiel auf ihn selber, jeder Trostgrund erwies sich als sinnlos, jede Flucht vor der Angst f�hrte nur in jene Welt hin�ber, mit der er gebrochen hatte, die ihm zerbrochen und entglitten war. Alles, was sein Leben lang gut und richtig gewesen war, war es jetzt nicht mehr. Alles mu�te er aus sich selber holen, niemand half ihm. Und was fand er denn in sich selber? Ach, Unordnung und Zerrissenheit!

Ein Automobil, dem er auswich, lenkte seine Gedanken ab, warf ihnen neues Futter zu; er f�hlte im unausgeschlafenen Sch�del Leere und Schwindel. „Automobil“, dachte er, oder sagte es, und wu�te nicht, was es bedeute. Da sah er, einen Augenblick im Schw�chegef�hl die Augen schlie�end, ein Bild wieder, das ihm bekannt schien, das ihn erinnerte und seinen Gedanken neues Blut zuf�hrte. Er sah sich auf einem Auto sitzen und es steuern, das war ein Traum, den er einmal getr�umt hatte. In jenem Traumgef�hl, da er den Lenker hinabgesto�en und sich selber der Steuerung bem�chtigt hatte, war etwas wie Befreiung und Triumph gewesen. Es gab da einen Trost, irgendwo, schwer zu finden. Aber es gab einen. Es gab, und sei es auch nur in der Phantasie oder im Traum, die wohlt�tige M�glichkeit, sein Fahrzeug ganz allein zu steuern, jeden andern F�hrer hohnlachend vom Bock zu werfen, und wenn das Fahrzeug dann auch Spr�nge machte und �ber Trottoirs oder in H�user und Menschen hineinfuhr, so war es doch k�stlich und war viel besser, als gesch�tzt unter fremder F�hrung zu fahren und ewig ein Kind zu bleiben.

Ein Kind! Er mu�te l�cheln. Es fiel ihm ein, da� er als Kind und J�ngling seinen Namen Klein manchmal verflucht und geha�t hatte. Jetzt hie� er nicht mehr so. War das nicht von Bedeutung — ein Gleichnis, ein Symbol? Er hatte aufgeh�rt, klein und ein Kind zu sein und sich von andern f�hren zu lassen.

Im Hotel trank er zu seinem Essen einen guten, sanften Wein, den er auf gut Gl�ck bestellt hatte und dessen Namen er sich merkte. Wenige Dinge gab es, die einem halfen, wenige, die tr�steten und das Leben erleichterten; diese wenigen Dinge zu kennen war wichtig. Dieser Wein war so ein Ding, und die s�dliche Luft und Landschaft war eines. Was noch? Gab es noch andre? Ja, das Denken war auch so ein tr�stliches Ding, das einem wohltat und leben half. Aber nicht jedes Denken! O nein, es gab ein Denken, das war Qual und Wahnsinn. Es gab ein Denken, das w�hlte schmerzvoll im Unab�nderlichen und f�hrte zu nichts als Ekel, Angst und Lebens�berdru�. Ein anderes Denken war es, das man suchen und lernen mu�te. War es �berhaupt ein Denken? Es war ein Zustand, eine innere Verfassung, die immer nur Augenblicke dauerte und durch angestrengtes Denkenwollen nur zerst�rt wurde. In diesem h�chst w�nschenswerten Zustand hatte man Einf�lle, Erinnerungen, Visionen, Phantasien, Einsichten von besonderer Art. Der Gedanke (oder Traum) vom Automobil war von dieser Art, von dieser guten und tr�stlichen Art, und die pl�tzlich gekommene Erinnerung an den Totschl�ger Wagner und an jenes Gespr�ch, das er vor Jahren �ber ihn gef�hrt hatte. Der seltsame Einfall mit dem Namen Klein war auch so. Bei diesen Gedanken, diesen Einf�llen wich f�r Augenblicke die Angst und das scheu�liche Unwohlsein einer rasch aufleuchtenden Sicherheit — es war dann, als sei alles gut, das Alleinsein war stark und stolz, die Vergangenheit �berwunden, die kommende Stunde ohne Schrecken.

Er mu�te das noch erfassen, es mu�te sich begreifen und lernen lassen! Er war gerettet, wenn es ihm gelang, h�ufig Gedanken von jener Art in sich zu finden, in sich zu pflegen und hervorzurufen. Und er sann und sann. Er wu�te nicht, wie er den Nachmittag verbrachte, die Stunden schmolzen ihm weg wie im Schlaf, und vielleicht schlief er auch wirklich, wer wollte das wissen. Immerzu kreisten seine Gedanken um jenes Geheimnis. Er dachte sehr viel und m�hsam �ber seine Begegnung mit der Gelben nach. Was bedeutete sie? Wie kam es, da� in ihm diese fl�chtige Begegnung, das sekundenkurze Wechseln eines Blickes mit einem fremden, sch�nen, aber ihm unsympathischen Weibe f�r lange Stunden zur Quelle von Gedanken, von Gef�hlen, von Erregungen, Erinnerungen, Selbstpeinigungen, Anklagen wurde? Wie kam das? Ging das andern auch so? Warum hatte die Gestalt, der Gang, das Bein, der Schuh und Strumpf der Gelben ihn einen winzigen Moment entz�ckt? Warum hatte dann ihr k�hl abw�gender Blick ihn so sehr ern�chtert? Warum hatte dieser fatale Blick ihn nicht blo� ern�chtert und aus der kurzen erotischen Bezauberung geweckt, sondern ihn auch beleidigt, emp�rt und vor sich selbst entwertet? Warum hatte er gegen diesen Blick lauter Worte und Erinnerungen ins Feld gef�hrt, welche seiner einstigen Welt angeh�rten, Worte die keinen Sinn mehr hatten, Gr�nde an die er nicht mehr glaubte? Er hatte Urteile seiner Frau, Worte seiner Kollegen, Gedanken und Meinungen seines einstigen Ich, des nicht mehr vorhandenen B�rgers und Beamten Klein, gegen jene gelbe Dame und ihren unangenehmen Blick aufgeboten, er hatte das Bed�rfnis gehabt, sich gegen diesen Blick mit allen erdenklichen Mitteln zu rechtfertigen, und hatte einsehen m�ssen, da� seine Mittel lauter alte M�nzen waren, welche nicht mehr galten. Und aus allen diesen langen, peinlichen Erw�gungen war ihm nichts geworden als Beklemmung, Unruhe und leidvolles Gef�hl des eigenen Unwerts! Nur einen einzigen Moment aber hatte er jenen andren, so sehr zu w�nschenden Zustand wieder empfunden, einen Moment lang hatte er innerlich zu all jenen peinlichen Erw�gungen den Kopf gesch�ttelt und es besser gewu�t. Er hatte gewu�t, eine Sekunde lang: Meine Gedanken �ber die Gelbe sind dumm und unw�rdig, Schicksal steht �ber ihr wie �ber mir, Gott liebt sie, wie er mich liebt.

Woher war diese holde Stimme gekommen? Wo konnte man sie wiederfinden, wie sie wieder herbeilocken, auf welchem Ast sa� dieser seltne, scheue Vogel? Diese Stimme sprach die Wahrheit, und Wahrheit war Wohltat, Heilung, Zuflucht. Diese Stimme entstand, wenn man im Herzen mit dem Schicksal einig war und sich selber liebte; sie war Gottes Stimme, oder war die Stimme des eigenen, wahrsten, innersten Ich, jenseits von allen L�gen, Entschuldigungen und Kom�dien.

Warum konnte er diese Stimme nicht immer h�ren? Warum flog die Wahrheit an ihm immer vorbei wie ein Gespenst, das man nur mit halbem Blick im Vorbeihuschen sehen kann und das verschwindet, wenn man den vollen Blick darauf richtet? Warum sah er wieder und wieder diese Gl�ckspforte offenstehen, und wenn er hineinwollte, war sie doch geschlossen!

In seinem Zimmer aus einem Schlummer aufwachend, griff er nach einem B�ndchen Schopenhauer, das auf dem Tischchen lag und das ihn meistens auf Reisen begleitete. Er schlug blindlings auf und las einen Satz: „Wenn wir auf unsern zur�ckgelegten Lebensweg zur�cksehn und zumal unsre ungl�cklichen Schritte, nebst ihren Folgen, ins Auge fassen, so begreifen wir oft nicht, wie wir haben dieses tun, oder jenes unterlassen k�nnen; so da� es aussieht, als h�tte eine fremde Macht unsre Schritte gelenkt. Goethe sagt im Egmont: Es glaubt der Mensch sein Leben zu leiten, sich selbst zu f�hren; und sein Innerstes wird unwiderstehlich nach seinem Schicksal gezogen.“ — Stand da nicht etwas, was ihn anging? Was mit seinen heutigen Gedanken nah und innig zusammenhing? — Begierig las er weiter, doch es kam nichts mehr, die folgenden Zeilen und S�tze lie�en ihn unber�hrt. Er legte das Buch weg, sah auf die Taschenuhr, fand sie unaufgezogen und abgelaufen, stand auf und blickte durchs Fenster, es schien gegen Abend zu sein.

Er f�hlte sich etwas angegriffen wie nach starker geistiger Anstrengung, aber nicht unangenehm und fruchtlos ersch�pft, sondern sinnvoll erm�det wie nach befriedigender Arbeit. Ich habe wohl eine Stunde oder mehr geschlafen, dachte er, und trat vor den Spiegelschrank, um sein Haar zu b�rsten. Es war ihm seltsam frei und wohl zumute, und im Spiegel sah er sich l�cheln! Sein bleiches, �beranstrengtes Gesicht, das er seit langem nur noch verzerrt und starr und irr gesehen hatte, stand in einem sanften, freundlichen, guten L�cheln. Verwundert sch�ttelte er den Kopf und l�chelte sich selber zu.

Er ging hinab, im Restaurant wurde an einigen Tischen schon soupiert. Hatte er nicht eben erst gegessen? Einerlei, er hatte gro�e Lust, es sofort wieder zu tun, und er bestellte, mit Eifer den Kellner befragend, eine gute Mahlzeit.

„Will der Herr vielleicht heut abend nach Castiglione fahren?“ fragte ihn der Kellner beim Vorlegen. „Es geht ein Motorboot vom Hotel.“

Klein dankte mit Kopfsch�tteln. Nein, solche Hotelveranstaltungen waren nichts f�r ihn. — Castiglione? Davon hatte er schon sprechen h�ren. Es war ein Vergn�gungsort mit einer Spielbank, so etwas wie ein kleines Monte Carlo. Lieber Gott, was sollte er dort tun?

W�hrend der Kaffee gebracht wurde, nahm er aus dem Blumenstrau�, der in einer Kristallvase vor ihm stand, eine kleine wei�e Rose und steckte sie an. Von einem Nebentische her streifte ihn der Rauch einer frisch angez�ndeten Zigarre. Richtig, eine gute Zigarre wollte er auch haben.

Unschl�ssig stieg er dann vor dem Hause hin und her. Ganz gerne w�re er wieder in jene d�rfliche Gegend gegangen, wo er gestern abend beim Gesang der Italienerin und dem magischen Funkentanz der Leuchtk�fer zum erstenmal die s��e Wirklichkeit des S�dens gesp�rt hatte. Aber es zog ihn auch zum Park, an das schattig �berlaubte stille Wasser, zu den seltsamen B�umen, und wenn er die Dame mit dem gelben Haar wieder angetroffen h�tte, so w�rde ihr kalter Blick ihn jetzt nicht �rgern noch besch�men. �brigens — wie unausdenklich lang war es seit gestern! Wie f�hlte er sich in diesem S�den schon heimisch! Wieviel hatte er erlebt, gedacht, erfahren!

Er schlenderte eine Stra�e weit, umflossen von einem guten, sanften Sommerabendwind. Nachtfalter kreisten leidenschaftlich um die eben entz�ndeten Stra�enlaternen, flei�ige Leute schlossen sp�t ihre Gesch�fte zu und klappten Eisenstangen vor die L�den, viele. Kinder trieben sich noch herum und rannten bei ihren Spielen zwischen den kleinen Tischen der Kaffees herum, an denen mitten auf der Stra�e Kaffee und Limonaden getrunken wurden. Ein Marienbild in einer Wandnische l�chelte im Schein brennender Lichter. Auch auf den B�nken am See war noch Leben, wurde gelacht, gestritten, gesungen, und auf dem Wasser schwamm hier und dort noch ein Boot mit hemd�rmeligen Ruderern und M�dchen in wei�en Blusen.

Klein fand leicht den Weg zum Park wieder, aber das hohe Tor stand geschlossen. Hinter den hohen Eisenstangen stand die schweigende Baumfinsternis fremd und schon voll Nacht und Schlaf. Er blickte lang hinein. Dann l�chelte er, und es wurde ihm nun erst der heimliche Wunsch bewu�t, der ihn an diese Stelle vor das verschlossene Eisentor getrieben hatte. Nun, es war einerlei, es ging auch ohne Park.

Auf einer Bank am See sa� er friedlich und sah dem vor�bertreibenden Volk zu. Er entfaltete im hellen Laternenlicht eine italienische Zeitung und versuchte zu lesen. Er verstand nicht alles, aber jeder Satz, den er zu �bersetzen vermochte, machte ihm Spa�. Erst allm�hlich begann er, �ber die Grammatik weg, auf den Sinn zu achten, und fand mit einem gewissen Erstaunen, da� der Artikel eine heftige, erbitterte Schm�hung seines Volkes und Vaterlandes war. Wie seltsam, dachte er, das alles gibt es noch! Die Italiener schrieben �ber sein Volk, genau so wie die heimischen Zeitungen es immer �ber Italien getan hatten, genau so richtend, genau so emp�rt, genau so unfehlbar vom eigenen Recht und fremden Unrecht �berzeugt! Auch da� diese Zeitung mit ihrem Ha� und ihrem grausamen Aburteilen ihn nicht zu emp�ren und zu �rgern vermochte, war ja seltsam. Oder nicht? Nein, wozu sich emp�ren? Das alles war ja die Art und Sprache einer Welt, zu der er nicht mehr geh�rte. Sie mochte die gute, die bessere, die richtige Welt sein — es war nicht mehr die seine.

Er lie� die Zeitung auf der Bank liegen und ging weiter. Aus einem Garten strahlten �ber dicht bl�hende Rosenst�mme hinweg hundert bunte Lichter. Menschen gingen hinein, er schlo� sich an, eine Kasse, Aufw�rter, eine Wand mit Plakaten. Mitten im Garten war ein Saal ohne W�nde, nur ein gro�es Zeltdach, von welchem alle die zahllosen vielfarbigen Lampen niederhingen. Viele halbbesetzte Gartentische f�llten den lustigen Saal; im Hintergrunde silbern, gr�n und rosa in grellen Farben glitzerte �berhell eine schmale erh�hte B�hne. Unter der Rampe sa�en Musikanten, ein kleines Orchester. Beschwingt und licht atmete die Fl�te in die bunte warme Nacht hinaus, die Oboe satt und schwellend, das Cello sang dunkel, bang und warm. Auf der B�hne dar�ber sang ein alter Mann komische Lieder, sein gemalter Mund lachte starr, in seinem kahlen bek�mmerten Sch�del spiegelte das �ppige Licht.

Klein hatte nichts dergleichen gesucht, einen Augenblick f�hlte er etwas wie Entt�uschung und Kritik und die alte Scheu vor dem einsamen Sitzen inmitten einer frohen und eleganten Menge; die k�nstliche Lustbarkeit schien ihm schlecht in den duftenden Gartenabend zu stimmen. Doch setzte er sich, und das aus so vielen buntfarbigen ged�mpften Lampen niederrinnende Licht vers�hnte ihn alsbald, es hing wie ein Zauberschleier �ber dem offenen Saal. Zart und innig gl�hte die kleine Musik her�ber, gemischt mit dem Duft der vielen Rosen. Die Menschen sa�en heiter und geschm�ckt in ged�mpfter Fr�hlichkeit; �ber Tassen, Flaschen und Eisbechern schwebten, von dem milden farbigen Licht hold behaucht und bepudert, helle Gesichter und schillernde Frauenh�te, und auch das gelbe und rosige Eis in den Bechern, die Gl�ser mit roten, gr�nen, gelben Limonaden klangen in dem Bilde festlich und juwelenhaft mit.

Niemand h�rte dem Komiker zu. Der d�rftige Alte stand gleichg�ltig und vereinsamt auf seiner B�hne und sang, was er gelernt hatte, das k�stliche Licht flo� an seiner armen Gestalt herab. Er endete sein Lied und schien zufrieden, da� er gehen konnte. An den vordersten Tischen klatschten zwei, drei Menschen mit den H�nden. Der S�nger trat ab und erschien bald darauf durch den Garten im Saale, an einem der ersten Tische beim Orchester nahm er Platz. Eine junge Dame schenkte ihm Sodawasser in ein Glas, sie erhob sich dabei halb, und Klein blickte hin. Es war die mit den gelben Haaren.

Jetzt t�nte von irgendwo her eine schrille Klingel lang und dringlich, es entstand Bewegung in der Halle. Viele gingen ohne Hut und Mantel hinaus. Auch der Tisch beim Orchester leerte sich, die Gelbe lief mit den andern hinaus, ihr Haar gl�nzte hell noch drau�en in der Gartend�mmerung. An ihrem Tisch blieb nur der alte S�nger sitzen.

Klein gab sich einen Sto� und ging hin�ber. Er gr��te den Alten h�flich, der nickte nur.

„K�nnen Sie mir sagen, was dies Klingeln bedeutet?“ fragte Klein.

„Pause,“ sagte der Komiker.

„Und wohin sind all die Leute gegangen?“

„Spielen. Jetzt ist eine halbe Stunde Pause, und so lange kann man im Kursaal dr�ben spielen.“

„Danke. — Ich wu�te nicht, da� auch hier eine Spielbank ist.“

„Nicht der Rede wert. Nur f�r Kinder, h�chster Einsatz f�nf Franken.“

„Danke sehr.“

Er hatte schon wieder den Hut gezogen und sich umgedreht. Da fiel ihm ein, er k�nnte den Alten nach der Gelben fragen. Der kannte sie.

Er z�gerte, den Hut noch in der Hand. Dann ging er weg. Was wollte er eigentlich? Was ging sie ihn an? Doch sp�rte er, sie ging ihn trotzdem an. Es war nur Sch�chternheit, irgendein Wahn, eine Hemmung. Eine leise Welle von Unmut stieg in ihm auf, eine d�nne Wolke. Schwere war wieder im Anzug, jetzt war er wieder befangen, unfrei, und �ber sich selbst �rgerlich. Es war besser, er ging nach Hause. Was tat er hier, unter den vergn�gten Leuten? Er geh�rte nicht zu ihnen.

Ein Kellner, der Zahlung verlangte, st�rte ihn. Er war ungehalten.

„K�nnen Sie nicht warten, bis ich rufe?“

„Entschuldigen, ich dachte, der Herr wolle gehen. Mir ersetzt es niemand, wenn einer drausl�uft.“

Er gab mehr Trinkgeld, als n�tig war.

Als er die Halle verlie�, sah er aus dem Garten her die Gelbe zur�ckkommen. Er wartete und lie� sie an sich vor�bergehen. Sie schritt aufrecht, stark und leicht wie auf Federn. Ihr Blick traf ihn, k�hl, ohne Erkennen. Er sah ihr Gesicht hell beleuchtet, ein ruhiges und kluges Gesicht, fest und bla�, ein wenig blasiert, der geschminkte Mund blutrot, graue Augen voll Wachsamkeit, ein sch�nes, reich ausgeformtes Ohr, an dem ein gr�ner l�nglicher Stein blitzte. Sie ging in wei�er Seide, der schlanke Hals sank in Opalschatten hinab, von einer d�nnen Kette mit gr�nen Steinen umspannt.

Er sah sie an, heimlich erregt, und wieder mit zwiesp�ltigem Eindruck. Etwas an ihr lockte, erz�hlte von Gl�ck und Innigkeit, duftete nach Fleisch und Haar und gepflegter Sch�nheit, und etwas anderes stie� ab, schien unecht, lie� Entt�uschung f�rchten. Es war die alte, anerzogene und ein Leben lang gepflegte Scheu vor dem, was er als dirnenhaft empfand, vor dem bewu�ten Sichzeigen des Sch�nen, vor dem offenen Erinnern an Geschlecht und Liebeskampf. Er sp�rte wohl, da� der Zwiespalt in ihm selbst lag. Da war wieder Wagner, da war wieder die Welt des Sch�nen, aber ohne Zucht, des Reizenden, aber ohne Verstecktheit, ohne Scheu, ohne schlechtes Gewissen. Da steckte ein Feind in ihm, der ihm das Paradies verbot.

Die Tische in der Halle wurden jetzt von Dienern umgestellt und ein freier Raum in der Mitte geschaffen. Ein Teil der G�ste war nicht wiedergekommen.

„Dableiben,“ rief ein Wunsch in dem einsamen Mann. Er sp�rte voraus, was f�r eine Nacht ihm bevorstand, wenn er jetzt fortging. Eine Nacht wie die vorige, wahrscheinlich eine noch schlimmere. Wenig Schlaf, mit b�sen Tr�umen, Hoffnungslosigkeit und Selbstqu�lerei, dazu das Geheul der Sinne, der Gedanke an die Kette von gr�nen Steinen auf der wei�en und perlfarbigen Frauenbrust. Vielleicht war schon bald, bald der Punkt erreicht, wo das Leben nicht mehr auszuhalten war. Und er hing doch am Leben, sonderbar genug. Ja, tat er das? W�re er denn sonst hier? H�tte er seine Frau verlassen, h�tte er die Schiffe hinter sich verbrannt, h�tte er diesen ganzen b�sartigen Apparat in Anspruch genommen, alle diese Schnitte ins eigene Fleisch, und w�re er schlie�lich in diesen S�den hergereist, wenn er nicht am Leben hinge, wenn nicht Wunsch und Zukunft in ihm waren? Hatte er es nicht heut gef�hlt, klar und wundersch�n, bei dem guten Wein, vor dem geschlossenen Parktor, auf der Bank am Kai?

Er blieb und fand Platz am Tisch neben jenem, wo der S�nger und die Gelbe sa�en. Dort waren sechs, sieben Menschen beisammen, welche sichtlich hier zu Hause waren, gewisserma�en ein Teil dieser Veranstaltung und Lustbarkeit waren. Er blickte best�ndig zu ihnen hin�ber. Zwischen ihnen und den Stammg�sten dieses Gartens bestand Vertraulichkeit, auch die Leute vom Orchester kannten sie und gingen an ihrem Tische ab und zu oder riefen Witze her�ber, sie nannten die Kellner du und mit den Vornamen. Es wurde deutsch, italienisch und franz�sisch durcheinander gesprochen.

Klein betrachtete die Gelbe. Sie blieb ernst und k�hl, er hatte sie noch nicht l�cheln sehen, ihr beherrschtes Gesicht schien unver�nderlich. Er konnte sehen, da� sie an ihrem Tische etwas galt, M�nner und M�dchen hatten gegen sie einen Ton von kameradschaftlicher Achtung. Er h�rte nun auch ihren Namen nennen: Teresina. Er besann sich, ob sie sch�n sei, ob sie ihm eigentlich gefalle. Er konnte es nicht sagen. Sch�n war ohne Zweifel ihr Wuchs und ihr Gang, sogar ungew�hnlich sch�n, ihre Haltung beim Sitzen und die Bewegungen ihrer sehr gepflegten H�nde. An ihrem Gesicht und Blick aber besch�ftigte und irritierte ihn die stille K�hle, die Sicherheit und Ruhe der Miene, das fast maskenhaft Starre. Sie sah aus wie ein Mensch, der seinen eigenen Himmel und seine eigene H�lle hat, welche niemand mit ihm teilen kann. Auch in dieser Seele, welche durchaus hart, spr�de und vielleicht stolz, ja b�se schien, auch in dieser Seele mu�te Wunsch und Leidenschaft brennen. Welcherlei Gef�hle suchte und liebte sie, welche floh sie? Wo waren ihre Schw�chen, ihre �ngste, ihr Verborgenes? Wie sah sie aus, wenn sie lachte, wenn sie schlief, wenn sie weinte, wenn sie k��te?

Und wie kam es, da� sie nun seit einem halben Tage seine Gedanken besch�ftigte, da� er sie beobachten, sie studieren, sie f�rchten, sich �ber sie �rgern mu�te, w�hrend er noch nicht einmal wu�te, ob sie ihm gefalle oder nicht?

War sie vielleicht ein Ziel und Schicksal f�r ihn? Zog eine heimliche Macht ihn zu ihr, wie sie ihn nach dem S�den gezogen hatte? Ein eingeborener Trieb, eine Schicksalslinie, ein lebenslanger unbewu�ter Drang? War die Begegnung mit ihr ihm vorbestimmt? �ber ihn verh�ngt?

Er h�rte ein Bruchst�ck ihres Gespr�chs mit angestrengtem Lauschen aus dem vielstimmigen Geplauder heraus. Zu einem h�bschen, geschmeidigen, eleganten J�ngling mit gewelltem schwarzen Haar und glattem Gesicht h�rte er sie sagen: „Ich m�chte noch einmal richtig spielen, nicht hier, nicht um Pralin�s, dr�ben in Castiglione oder in Monte Carlo.“ Und dann, auf seine Antwort hin, nochmals: „Nein, Sie wissen ja gar nicht, wie das ist! Es ist vielleicht h��lich, es ist vielleicht nicht klug, aber es ist hinrei�end.“

Nun wu�te er etwas von ihr. Es machte ihm gro�es Vergn�gen, sie beschlichen und belauscht zu haben. Durch ein erleuchtetes kleines Fenster hatte er, der Fremde, von au�en her, auf Posten stehend, einen kurzen Sp�herblick in ihre Seele werfen k�nnen. Sie hatte W�nsche. Sie wurde von Verlangen gequ�lt nach etwas, was erregend und gef�hrlich war, nach etwas, an das man sich verlieren konnte. Es war ihm lieb, das zu wissen. — Und wie war das mit Castiglione? Hatte er davon nicht heut schon einmal reden h�ren! Wann? Wo?

Einerlei, er konnte jetzt nicht denken. Aber er hatte jetzt wieder, wie schon mehrmals in diesen seltsamen Tagen, die Empfindung, da� alles, was er tat, h�rte, sah und dachte, voll von Beziehung und Notwendigkeit war, da� ein F�hrer ihn leite, da� lange, ferne Ursachenreihen ihre Fr�chte trugen. Nun, mochten sie ihre Fr�chte tragen. Es war gut so.

Wieder �berflog ihn ein Gl�cksgef�hl, ein Gef�hl von Ruhe und Sicherheit des Herzens, wunderbar entz�ckend f�r den, der die Angst und das Grauen kennt. Er erinnerte sich eines Wortes aus seiner Knabenzeit. Sie hatten, Schulknaben, miteinander dar�ber gesprochen, wie es wohl die Seilt�nzer machen, da� sie so sicher und angstlos auf dem Seil gehen konnten. Und einer hatte gesagt: „Wenn du auf dem Stubenboden einen Kreidestrich ziehst, ist es grade so schwer, genau auf diesem Kreidestrich vorw�rtszugehen, wie auf dem d�nnsten Seil. Und doch tut man es ruhig, weil keine Gefahr dabei ist. Wenn du dir vorstellst, es sei blo� ein Kreidestrich, und die Luft daneben sei Fu�boden, dann kannst du auf jedem Seil sicher gehen.“ Das fiel ihm ein. Wie sch�n war das! War es bei ihm nicht vielleicht umgekehrt? Ging es ihm nicht so, da� er auch auf keinem ebenen Boden mehr ruhig und sicher gehen konnte, weil er ihn f�r ein Seil hielt?

Er war innig froh dar�ber, da� solche tr�stliche Sachen ihm einfallen konnten, da� sie in ihm schlummerten und je und je zum Vorschein kamen. In sich innen trug man alles, worauf es ankam, von au�en konnte niemand einem helfen. Mit sich selbst nicht im Krieg liegen, mit sich selbst in Liebe und Vertrauen leben — dann konnte man alles. Dann konnte man nicht nur seiltanzen, dann konnte man fliegen.

Eine Weile hing er, alles um sich her vergessend, diesen Gef�hlen auf weichen, schl�pfrigen Pfaden der Seele in sich nachtastend wie ein J�ger und Pfadfinder, mit auf die Hand gest�tztem Kopfe wie entr�ckt �ber seinem Tisch. In diesem Augenblick sah die Gelbe her�ber und sah ihn an. Ihr Blick verweilte nicht lang, aber er las aufmerksam in seinem Gesicht, und als er es f�hlte und ihr entgegenblickte, sp�rte er etwas wie Achtung, etwas wie Teilnahme und auch etwas wie Verwandtschaft. Diesmal tat ihr Blick ihm nicht weh, tat ihm nicht Unrecht. Diesmal, so f�hlte er, sah sie ihn, ihn selbst, nicht seine Kleider und Manieren, seine Frisur und seine H�nde, sondern das Echte, Unwandelbare, Geheimnisvolle an ihm, das Einmalige, G�ttliche, das Schicksal.

Er bat ihr ab, was er heut Bittres und H��liches �ber sie gedacht hatte. Aber nein, da war nichts abzubitten. Was er B�ses und T�richtes �ber sie gedacht, gegen sie gef�hlt hatte, das waren Schl�ge gegen ihn selbst gewesen, nicht gegen sie. Nein, es war gut so.

Pl�tzlich erschreckte ihn der Wiederbeginn der Musik. Das Orchester stimmte einen Tanz an. Aber die B�hne blieb leer und dunkel, statt auf sie waren die Blicke der G�ste nach dem leeren Viereck zwischen den Tischen gerichtet. Er erriet, es w�rde getanzt werden.

Aufblickend sah er am Nebentisch die Gelbe und den jungen bartlosen Elegant sich erheben. Er l�chelte �ber sich, als er bemerkte, wie er auch gegen diesen J�ngling Widerst�nde f�hlte, wie er mit Widerwillen seine Eleganz, seine sehr netten Manieren, sein h�bsches Haar und Gesicht anerkannte. Der J�ngling bot ihr die Hand, f�hrte sie in den freien Raum, ein zweites Paar trat an, und nun tanzten die beiden Paare elegant, sicher und h�bsch einen Tango. Er verstand nicht viel davon, aber er sah bald, da� Teresina wunderbar tanze. Er sah: sie tat etwas, was sie verstand und bemeisterte, was in ihr lag und nat�rlich aus ihr herauskam. Auch der J�ngling mit dem gewellten schwarzen Haar tanzte gut, sie pa�ten zusammen. Ihr Tanz erz�hlte den Zuschauern lauter angenehme, lichte, einfache und freundliche Dinge. Leicht und zart lagen ihre H�nde ineinander, willig und froh taten ihre Knie, ihre Arme, ihre F��e und Leiber die zartkr�ftige Arbeit. Ihr Tanz dr�ckte Gl�ck und Freude aus, Sch�nheit, Luxus, gute Lebensart und Lebenskunst. Er dr�ckte auch Liebe und Geschlechtlichkeit aus, aber nicht wild und gl�hend, sondern eine Liebe voll Selbstverst�ndlichkeit, Naivit�t und Anmut. Sie tanzten den reichen Leuten, den Kurg�sten das Sch�ne vor, das in deren Leben lag und das diese selber nicht ausdr�cken und ohne eine solche Hilfe nicht einmal empfinden konnten. Diese bezahlten, geschulten T�nzer dienten der guten Gesellschaft zu einem Ersatz. Sie, die selber nicht so gut und geschmeidig tanzten, die angenehme Spielerei ihres Lebens nicht recht genie�en konnten, lie�en sich von diesen Leuten vortanzen, wie gut sie es hatten. Aber das war es nicht allein. Sie lie�en sich nicht nur eine Schwerelosigkeit und heitere Selbstherrlichkeit des Lebens vorspielen, sie wurden auch an Natur und Unschuld der Gef�hle und Sinne gemahnt. Aus ihrem �berhasteten und �berarbeiteten oder auch faulen und �bers�ttigten Leben, das zwischen wilder Arbeit, wildem Vergn�gen und erzwungener Sanatoriumsp�nitenz pendelte, blickten sie l�chelnd, dumm und heimlich ger�hrt auf den sch�nen Tanz dieser h�bschen und gewandten jungen Menschen wie auf einen holden Lebensfr�hling hin, wie auf ein fernes Paradies, das man verloren hat und von dem man nur noch an Feiertagen den Kindern erz�hlt, an das man kaum mehr glaubt, von dem man aber nachts mit brennendem Begehren tr�umt.

Und nun ging w�hrend des Tanzes mit dem Gesicht der Gelbhaarigen eine Ver�nderung vor, welcher Friedrich Klein mit reinem Entz�cken zuschaute. Ganz allm�hlich und unmerklich, wie das Rosenrot �ber einen Morgenhimmel, kam �ber ihr ernstes, k�hles Gesicht ein langsam wachsendes, langsam sich erw�rmendes L�cheln. Gradaus vor sich hinblickend, l�chelte sie wie erwachend, so als sei sie, die K�hle, erst nun durch den Tanz zum vollen Leben erw�rmt worden. Auch der T�nzer l�chelte, und auch das zweite Paar l�chelte, und auf allen vier Gesichtern war es wunderh�bsch, obwohl es wie maskenhaft und unpers�nlich erschien — aber bei Teresina war es am sch�nsten und geheimnisvollsten, niemand l�chelte so wie sie, so unber�hrt von au�en, so im eigenen Wohlgef�hl von innen her aufbl�hend. Er sah es mit tiefer R�hrung, es ergriff ihn wie die Entdeckung eines heimlichen Schatzes.

„Was f�r wundervolles Haar sie hat!“ h�rte er in der N�he jemand leise rufen. Er dachte daran, da� er dies wundervolle blondgelbe Haar geschm�ht und bezweifelt hatte.

Der Tango war zu Ende, Klein sah Teresina einen Augenblick neben ihrem T�nzer stehen, der ihre linke Hand mit den Fingern noch in Schulterh�he hielt, und sah den Zauber auf ihrem Gesicht nachleuchten und langsam schwinden. Es wurde halblaut geklatscht, und jedermann blickte den beiden nach, als sie mit schwebendem Schritt an ihren Tisch zur�ckkehrten.

Der n�chste Tanz, der nach einer kurzen Pause begann, wurde nur von einem einzigen Paar ausgef�hrt, von Teresina und ihrem h�bschen Partner. Es war ein freier Phantasietanz, eine kleine komplizierte Dichtung, beinahe schon eine Pantomime, die jeder T�nzer f�r sich allein spielte und die nur in einigen aufleuchtenden H�hepunkten und im galoppierend raschen Schlu�satz zum Paartanz wurde.

Hier schwebte Teresina, die Augen voll von Gl�ck, so aufgel�st und innig dahin, folgte mit schwerelosen Gliedern so selig den Werbungen der Musik, da� es still in der Halle wurde und alle hingegeben auf sie schauten. Der Tanz endete mit einem heftigen Wirbel, wobei T�nzer und T�nzerin sich nur mit H�nden und Fu�spitzen ber�hrten und sich, weit hinten�ber h�ngend, bacchantisch im Kreise drehten.

Bei diesem Tanz hatte jedermann das Gef�hl, da� die beiden Tanzenden in ihren Geb�rden und Schritten, in Trennung und Wiedervereinigung, in immer erneutem Wegwerfen und Wiedergreifen des Gleichgewichtes Empfindungen darstellten, die allen Menschen vertraut und zutiefst erw�nscht sind, die aber nur von wenigen Gl�cklichen so einfach, stark und unverbogen erlebt werden: die Freude des gesunden Menschen an sich selber, die Steigerung dieser Freude in der Liebe zum andern, das gl�ubige Einverstandensein mit der eigenen Natur, die vertrauensvolle Hingabe an die W�nsche, Tr�ume und Spiele des Herzens. Viele empfanden f�r einen Augenblick nachdenkliche Trauer dar�ber, da� zwischen ihrem Leben und ihren Trieben so viel Zwiespalt und Streit bestand, da� ihr Leben kein Tanz, sondern ein m�hsames Keuchen unter Lasten war — Lasten, die schlie�lich nur sie selber sich aufgeb�rdet hatten.

Friedrich Klein blickte, w�hrend er dem Tanz folgte, durch viele vergangene Jahre seines Lebens hindurch wie durch einen finstern Tunnel, und jenseits lag in Sonne und Wind gr�n und strahlend das Verlorene, die Jugend, das starke einfache F�hlen, die gl�ubige Bereitschaft zum Gl�ck — und all dies lag wieder seltsam nah, nur einen Schritt weit, durch Zauber herangezogen und gespiegelt.

Das innige L�cheln des Tanzes noch auf dem Gesicht, kam Teresina jetzt an ihm vor�ber. Ihn durchflo� Freude und entz�ckte Hingabe. Und als habe er sie gerufen, blickte sie ihn pl�tzlich innig an, noch nicht erwacht, die Seele noch voll Gl�ck, das s��e L�cheln noch auf den Lippen. Und auch er l�chelte ihr zu, dem nahen Gl�cksschimmer, durch den finstern Schacht so vieler verlorener Jahre.

Zugleich stand er auf, und gab ihr die Hand, wie ein alter Freund, ohne ein Wort zu sagen. Die T�nzerin nahm sie und hielt sie einen Augenblick fest, ohne stehenzubleiben. Er folgte ihr. Am Tisch der K�nstler wurde ihm Platz gemacht, nun sa� er neben Teresina und sah die l�nglichen gr�nen Steine auf der hellen Haut ihres Halses schimmern.

Er nahm nicht an den Gespr�chen teil, von denen er das wenigste verstand. Hinter Teresinas Kopf sah er, im grelleren Licht der Gartenlaternen, die bl�henden Rosenst�mme, dunkle volle Kugeln, abgezeichnet, hier und da von Leuchtk�fern �berflogen. Seine Gedanken ruhten, es gab nichts zu denken. Die Rosenkugeln schaukelten leicht im Nachtwind, Teresina sa� neben ihm, an ihrem Ohr hing glitzernd der gr�ne Stein. Die Welt war in Ordnung.

Jetzt legte Teresina die Hand auf seinen Arm.

„Wir werden miteinander sprechen. Nicht hier. Ich erinnere mich jetzt, Sie im Park gesehen zu haben. Ich bin morgen dort, um die gleiche Zeit. Ich bin jetzt m�de und mu� bald schlafen. Gehen Sie lieber vorher, sonst pumpen meine Kollegen Sie an.“

Da ein Kellner vor�berlief, hielt sie ihn an:

„Eugenio, der Herr will zahlen.“

Er zahlte, gab ihr die Hand, zog den Hut, und ging davon, dem See nach, er wu�te nicht wohin. Unm�glich, jetzt sich in sein Hotelzimmer zu legen. Er lief die Seestra�e weiter, zum St�dtchen und den Vororten hinaus, bis die B�nke am Ufer und die Anlagen ein Ende nahmen. Da setzte er sich auf die Ufermauer und sang vor sich hin, ohne Stimme, verschollene Liederbruchst�cke aus Jugendjahren. Bis es kalt wurde und die steilen Berge eine feindselige Fremdheit annahmen. Da ging er zur�ck, den Hut in der Hand.

Ein verschlafener Nachtportier �ffnete ihm die T�r.

„Ja, ich bin etwas sp�t,“ sagte Klein, und gab ihm einen Franken.

„O, wir sind das gewohnt. Sie sind noch nicht der Letzte. Das Motorboot von Castiglione ist auch noch nicht zur�ck.“

III

Die T�nzerin war schon da, als Klein sich im Park einfand. Sie ging mit ihrem federnden Schritt im Innern des Gartens um die Rasenst�cke und stand pl�tzlich am schattigen Eingang eines Geh�lzes vor ihm.

Teresina musterte ihn aufmerksam mit den hellgrauen Augen, ihr Gesicht war ernst und etwas ungeduldig. Sofort im Gehen fing sie zu sprechen an.

„K�nnen Sie mir sagen, was das gestern war? Wie kommt das, da� wir uns so in den Weg liefen? Ich habe dar�ber nachgedacht. Ich sah Sie gestern im Kursaalgarten zweimal. Das erstemal standen Sie am Ausgang und sahen mich an, Sie sahen gelangweilt oder ge�rgert aus, und als ich Sie sah, fiel mir ein: Dem bin ich schon einmal im Park begegnet. Es war kein guter Eindruck, und ich gab mir M�he, Sie gleich wieder zu vergessen. Dann sah ich Sie wieder, kaum eine Viertelstunde sp�ter. Sie sa�en am Nebentisch und sahen pl�tzlich ganz anders aus, ich merkte nicht gleich, da� Sie derselbe seien, der mir vorher begegnet war. Und dann, nach meinem Tanz, standen Sie auf einmal vor mir und hielten mich an der Hand, oder ich Sie, ich wei� nicht recht. Wie ging das zu? Sie m�ssen doch etwas wissen. Aber ich hoffe, Sie sind nicht etwa gekommen, um mir Liebeserkl�rungen zu machen?“

Sie sah ihn befehlend an.

„Ich wei� nicht,“ sagte Klein. „Ich bin nicht mit bestimmten Absichten gekommen. Ich liebe Sie, seit gestern, aber wir brauchen ja nicht davon zu sprechen.“

„Ja, sprechen wir von anderm. Es war gestern einen Augenblick etwas zwischen uns da, was mich besch�ftigt und auch erschreckt hat, als h�tten wir irgend etwas �hnliches oder Gemeinsames. Was ist das? Und, die Hauptsache: Was war das f�r eine Verwandlung mit Ihnen? Wie war es m�glich, da� Sie innerhalb einer Stunde zwei so ganz verschiedene Gesichter haben konnten? Sie sahen aus wie ein Mensch, der sehr Wichtiges erlebt hat.“

„Wie sah ich aus?“ fragte er kindlich.

„O, zuerst sahen Sie aus wie ein �lterer, etwas vergr�mter, unangenehmer Herr. Sie sahen aus wie ein Philister, wie ein Mann, der gewohnt ist, den Zorn �ber seine eigene Unf�higkeit an andern auszulassen.“

Er h�rte mit gespannter Teilnahme zu und nickte lebhaft. Sie fuhr fort:

„Und dann, nachher, das l��t sich nicht gut beschreiben. Sie sa�en etwas vorgeb�ckt; als Sie mir zuf�llig in die Augen fielen, dachte ich in der ersten Sekunde noch: Herrgott, haben diese Philister traurige Haltungen! Sie hatten den Kopf auf die Hand gest�tzt, und das sah nun pl�tzlich so seltsam aus: es sah aus, als w�ren Sie der einzige Mensch in der Welt, und als sei es Ihnen ganz und gar einerlei, was mit Ihnen und mit der ganzen Welt gesch�he. Ihr Gesicht war wie eine Maske, schauderhaft traurig oder auch schauderhaft gleichg�ltig —“

Sie brach ab, schien nach Worten zu suchen, sagte aber nichts.

„Sie haben recht,“ sagte Klein bescheiden. „Sie haben so richtig gesehen, da� ich erstaunt sein m��te. Sie haben mich gelesen wie einen Brief. Aber eigentlich ist es ja nur nat�rlich und richtig, da� Sie das alles sahen.“

„Warum nat�rlich?“

„Weil Sie, auf eine etwas andere Art, beim Tanzen ganz das gleiche ausdr�cken. Wenn Sie tanzen, Teresina, und auch sonst in manchen Augenblicken, sind Sie wie ein Baum oder ein Berg oder Tier, oder ein Stern, ganz f�r sich, ganz allein, Sie wollen nichts anders sein, als was Sie sind, einerlei ob gut oder b�se. Ist es nicht das gleiche, was Sie bei mir sahen?“

Sie betrachtete ihn pr�fend, ohne Antwort zu geben.

„Sie sind ein wunderlicher Mensch,“ sagte sie dann z�gernd. „Und wie ist das nun: sind Sie wirklich so, wie Sie da aussahen? Ist Ihnen wirklich alles einerlei, was mit Ihnen geschieht?“

„Ja. Nur nicht immer. Ich habe oft auch Angst. Aber dann kommt es wieder, und die Angst ist fort, und dann ist alles einerlei. Dann ist man stark. Oder vielmehr: einerlei ist nicht das Richtige: alles ist k�stlich und willkommen, es sei, was es sei.“

„Einen Augenblick hielt ich es sogar f�r m�glich, da� Sie ein Verbrecher w�ren.“

„Auch das ist m�glich. Es ist sogar wahrscheinlich. Sehen Sie, ein ‚Verbrecher‘, das sagt man so, und man meint damit, da� einer etwas tut, was andre ihm verboten haben. Er selber aber, der Verbrecher, tut ja nur, was in ihm ist. — Sehen Sie, das ist die �hnlichkeit, die wir beide haben: wir beide tun hier und da, in seltnen Augenblicken, das, was in uns ist. Nichts ist seltener, die meisten Menschen kennen das �berhaupt nicht. Auch ich kannte es nicht, ich sagte, dachte, tat, lebte nur Fremdes, nur Gelerntes, nur Gutes und Richtiges, bis es eines Tages damit zu Ende war. Ich konnte nicht mehr, ich mu�te fort, das Gute war nimmer gut, das Richtige war nimmer richtig, das Leben war nicht mehr zu ertragen. Aber ich m�chte es dennoch ertragen, ich liebe es sogar, obwohl es soviel Qualen bringt.“

„Wollen Sie mir sagen, wie Sie hei�en und wer Sie sind?“

„Ich bin der, den Sie vor sich sehen, sonst nichts. Ich habe keinen Namen und keinen Titel und auch keinen Beruf. Ich mu�te das alles aufgeben. Mit mir steht es so, da� ich nach einem langen braven und flei�igen Leben eines Tages aus dem Nest gefallen bin, es ist noch nicht lange her, und jetzt mu� ich untergehen oder fliegen lernen. Die Welt geht mich nichts mehr an, ich bin jetzt ganz allein.“

Etwas verlegen fragte sie: „Waren Sie in einer Anstalt?“

„Verr�ckt, meinen Sie? Nein. Obwohl auch das ja m�glich w�re.“ Er wurde zerstreut, Gedanken packten ihn von innen. Mit beginnender Unruhe sprach er fort: „Wenn man dar�ber redet, wird auch das Einfachste gleich kompliziert und unverst�ndlich. Wir sollten gar nicht davon sprechen! — Man tut das ja auch nur, man spricht nur dann dar�ber, wenn man es nicht verstehen will.“

„Wie meinen Sie das? Ich will wirklich verstehen. Glauben Sie mir! Es interessiert mich sehr.“

Er l�chelte lebhaft.

„Ja, ja. Sie wollen sich dar�ber unterhalten. Sie haben etwas erlebt und wollen jetzt dar�ber reden. Ach, es hilft nichts. Reden ist der sichere Weg dazu, alles mi�zuverstehen, alles seicht und �de zu machen. — Sie wollen mich ja nicht verstehen und auch sich selber nicht! Sie wollen blo� Ruhe haben vor der Mahnung, die Sie gesp�rt haben. Sie wollen mich und die Mahnung damit abtun, da� Sie die Etikette finden, unter der Sie mich einreihen k�nnen. Sie versuchen es mit dem Verbrecher und mit dem Geisteskranken, Sie wollen meinen Stand und Namen wissen. Das alles f�hrt aber nur weg vom Verstehen, das alles ist Schwindel, liebes Fr�ulein, ist schlechter Ersatz f�r Verstehen, ist vielmehr Flucht vor dem Verstehenwollen, vor dem Verstehenm�ssen.“

Er unterbrach sich, strich gequ�lt mit der Hand �ber die Augen, dann schien ihm etwas Freundliches einzufallen, er l�chelte wieder. „Ach sehen Sie, als Sie und ich gestern einen Augenblick lang genau das gleiche f�hlten, da sagten wir nichts und fragten nichts und dachten auch nichts — auf einmal gaben wir einander die Hand, und es war gut. Jetzt aber — jetzt reden wir und denken und erkl�ren — und alles ist seltsam und unverst�ndlich geworden, was so einfach war. Und doch w�re es ganz leicht f�r Sie, mich ebenso gut zu verstehen wie ich Sie.“

„Sie glauben mich so gut zu verstehen?“

„Ja, nat�rlich. Wie Sie leben, wei� ich nicht. Aber Sie leben, wie ich es auch getan habe und wie alle es tun, meistens im Dunkeln und an sich selber vorbei, irgendeinem Zweck, einer Pflicht, einer Absicht nach. Das tun fast alle Menschen, daran ist die ganze Welt krank, daran wird sie auch untergehen. Manchmal aber, beim Tanzen zum Beispiel, geht die Absicht oder Pflicht Ihnen verloren, und Sie leben auf einmal ganz anders. Sie f�hlen auf einmal so, als w�ren Sie allein auf der Welt, oder als k�nnten Sie morgen tot sein, und da kommt alles heraus, was Sie wirklich sind. Wenn Sie tanzen, stecken Sie damit sogar andere an. Das ist Ihr Geheimnis.“

Sie ging eine Strecke weit rascher. Zu �u�erst auf einem Vorsprung �berm See blieb sie stehen.

„Sie sind sonderbar,“ sagte sie. „Manches kann ich verstehen. Aber — was wollen Sie eigentlich von mir?“

Er senkte den Kopf und sah einen Augenblick traurig aus.

„Sie sind es so gewohnt, da� man immer etwas von Ihnen haben will. Teresina, ich will von Ihnen nichts, was nicht Sie selber wollen und gerne tun. Da� ich Sie liebe, kann Ihnen gleichg�ltig sein. Es ist kein Gl�ck, geliebt zu werden. Jeder Mensch liebt sich selber, und doch qu�len sich Tausende ihr Leben lang. Nein, geliebt werden ist kein Gl�ck. Aber lieben, das ist Gl�ck!“

„Ich w�rde Ihnen gern irgendeine Freude machen, wenn ich k�nnte,“ sagte Teresina langsam, wie mitleidig.

„Das k�nnen Sie, wenn Sie mir erlauben, Ihnen irgendeinen Wunsch zu erf�llen.“

„Ach, was wissen Sie von meinen W�nschen!“

„Allerdings, Sie sollten keine haben. Sie haben ja den Schl�ssel zum Paradies, das ist Ihr Tanz. Aber ich wei�, da� Sie doch W�nsche haben, und das ist mir lieb. Und nun wissen Sie: da ist einer, dem macht es Spa�, Ihnen jeden Wunsch zu erf�llen.“

Teresina besann sich. Ihre wachsamen Augen wurden wieder scharf und k�hl. Was konnte er von ihr wissen? Da sie nichts fand, begann sie vorsichtig:

„Meine erste Bitte an Sie w�re die, da� Sie aufrichtig sind. Sagen Sie mir, wer Ihnen etwas von mir erz�hlt hat.“

„Niemand. Ich habe niemals mit einem Menschen �ber Sie gesprochen. Was ich wei� — es ist sehr wenig — wei� ich von Ihnen selbst. Ich h�rte Sie gestern sagen, da� Sie sich w�nschen, einmal in Castiglione zu spielen.“

Ihr Gesicht zuckte.

„Ach so, Sie haben mich belauscht.“

„Ja, nat�rlich. Ich habe Ihren Wunsch verstanden. Weil Sie nicht immer einig mit sich sind, suchen Sie nach Erregung und Bet�ubung.“

„O nein, ich bin nicht so romantisch, wie Sie meinen. Ich suche beim Spiel nicht Bet�ubung, sondern einfach Geld. Ich m�chte einmal reich sein oder doch sorgenfrei, ohne mich daf�r verkaufen zu m�ssen. Das ist alles.“

„Das klingt so richtig, und doch glaube ich es nicht. Aber wie Sie wollen! Sie wissen ja im Grunde ganz gut, da� Sie sich nie zu verkaufen brauchen. Reden wir nicht davon! Aber wenn Sie Geld haben wollen, sei es nun zum Spielen oder sonst, so nehmen Sie es doch von mir! Ich habe mehr, als ich brauche, glaube ich, und lege keinen Wert darauf.“

Teresina zog sich wieder zur�ck.

„Ich kenne Sie ja kaum. Wie soll ich Geld von Ihnen nehmen?“

Er zog pl�tzlich den Hut, wie von einem Schmerz befallen, und brach ab.

„Was haben Sie?“ rief Teresina.

„Nichts, nichts. — Erlauben Sie, da� ich gehe! Wir haben zuviel gesprochen, viel zuviel. Man sollte nie soviel sprechen.“

Und da lief er schon, ohne Abschied genommen zu haben, rasch und wie von Verzweiflung hingeweht durch den Baumgang fort. Die T�nzerin sah ihm mit gestauten, uneinigen Empfindungen nach, aufrichtig verwundert �ber ihn und �ber sich.

Er aber lief nicht aus Verzweiflung, sondern nur aus unertr�glicher Spannung und Gef�lltheit. Es war ihm pl�tzlich unm�glich geworden, noch ein Wort zu sagen, noch ein Wort zu h�ren, er mu�te allein sein, mu�te notwendig allein sein, denken, horchen, sich selber zuh�ren. Das ganze Gespr�ch mit Teresina hatte ihn selbst in Erstaunen gesetzt und �berrascht, die Worte waren ohne seinen Willen so gekommen, es hatte ihn wie ein W�rgen das heftige Bed�rfnis befallen, seine Erlebnisse und Gedanken mitzuteilen, zu formen, auszusprechen, sie sich selber zuzurufen. Er war erstaunt �ber jedes Wort, das er sich sagen h�rte, aber mehr und mehr f�hlte er, wie er sich in etwas hineinredete, was nicht mehr einfach und richtig war, wie er unn�tzerweise das Unbegreifliche zu erkl�ren versuchte — und mit einemmal war es ihm unertr�glich geworden, er hatte abbrechen m�ssen.

Jetzt aber, wo er sich der vergangenen Viertelstunde wieder zu erinnern suchte, empfand er dies Erlebnis freudig und dankbar. Es war ein Fortschritt, eine Erl�sung, eine Best�tigung.

Die Zweifelhaftigkeit, in welche die ganze gewohnte Welt f�r ihn gefallen war, hatte ihn furchtbar erm�det und gepeinigt. Er hatte das Wunder erlebt, da� das Leben am sinnvollsten wird in den Augenblicken, wo alle Sinne und Bedeutungen uns verloren gehen. Immer wieder aber war ihm der peinliche Zweifel gekommen, ob diese Erlebnisse wirklich wesentlich seien, ob sie mehr seien als kleine zuf�llige Kr�uselungen an der Oberfl�che eines erm�deten und erkrankten Gem�tes, Launen im Grunde, kleine Nervenschwankungen. Jetzt hatte er gesehen, gestern abend und heute, da� sein Erlebnis wirklich war. Es hatte aus ihm gestrahlt und ihn ver�ndert, es hatte einen andern Menschen zu ihm hergezogen. Seine Vereinsamung war durchbrochen, er liebte wieder, es gab jemand, dem er dienen und Freude machen wollte, er konnte wieder l�cheln, wieder lachen!

Die Welle ging durch ihn hin wie Schmerz und wie Wollust, er zuckte vor Gef�hl, Leben klang in ihm auf wie eine Brandung, unbegreiflich war alles. Er ri� die Augen auf und sah: B�ume an einer Stra�e, Silberflocken im See, ein rennender Hund, Radfahrer — und alles war sonderbar, m�rchenhaft und beinahe allzu sch�n, alles wie nagelneu aus Gottes Spielzeugschachtel genommen, alles nur f�r ihn da, f�r Friedrich Klein, und er selbst nur dazu da, diesen Strom von Wunder und Schmerz und Freude durch sich hinzucken zu f�hlen. �berall war Sch�nheit, in jedem Dreckhaufen am Weg, �berall war tiefes Leiden, �berall war Gott. Ja, das war Gott, und so hatte er ihn, vor unausdenklichen Zeiten, als Knabe einst empfunden und mit dem Herzen gesucht, wenn er „Gott“ und „Allgegenwart“ dachte. Herz, brich nicht vor F�lle!

Wieder schossen aus allen vergessenen Sch�chten seines Lebens frei gewordene Erinnerungen zu ihm empor, unz�hlbare: an Gespr�che, an seine Verlobungszeit, an Kleider, die er als Kind getragen, an Ferienmorgen der Studentenzeit, und ordneten sich in Kreisen um einige feste Mittelpunkte: um die Gestalt seiner Frau, um seine Mutter, um den M�rder Wagner, um Teresina. Stellen aus klassischen Schriftstellern fielen ihm ein und lateinische Sprichw�rter, die ihn als Sch�ler einst ergriffen hatten, und t�richte sentimentale Verse aus Volksliedern. Der Schatten seines Vaters stand hinter ihm, er erlebte wieder den Tod seiner Schwiegermutter. Alles, was je durch Auge und Ohr, durch Menschen und B�cher, mit Wonne oder Leid in ihn eingegangen und in ihm untergesunken war, alles schien wieder da zu sein, alles zugleich, aufger�hrt und durcheinander gewirbelt, ohne Ordnung, doch voller Sinn, alles wichtig, alles bedeutungsvoll, alles unverloren.

Der Andrang wurde zur Qual, zu einer Qual, die von h�chster Wollust nicht zu unterscheiden war. Sein Herz schlug rasch, Tr�nen standen ihm in den Augen. Er begriff, da� er nahe am Wahnsinn stehe, und wu�te doch, da� er nicht wahnsinnig werden w�rde, und blickte zugleich in dies neue Seelenland des Irrsinns mit demselben Erstaunen und Entz�cken wie in die Vergangenheit, wie in den See, wie in den Himmel: auch hier war alles zauberhaft, wohllaut und voll Bedeutung. Er begriff, warum im Glauben edler V�lker der Wahnsinn f�r heilig galt. Er begriff alles, alles sprach zu ihm, alles war ihm erschlossen. Es gab keine Worte daf�r, es war falsch und hoffnungslos, irgend etwas in Worten ausdenken und verstehen zu wollen! Man mu�te nur offenstehen, nur bereit sein: dann konnte jedes Ding, dann konnte in unendlichem Zug wie in eine Arche Noahs die ganze Welt in einen hineingehen, und man besa� sie, verstand sie und war eins mit ihr.

Trauer ergriff ihn. O, wenn alle Menschen dies w��ten, dies erlebten! Wie wurde drauflos gelebt, drauflos ges�ndigt, wie blind und ma�los wurde gelitten! Hatte er nicht gestern noch sich �ber Teresina ge�rgert? Hatte er nicht gestern noch seine Frau geha�t, sie angeklagt und f�r alles Leid seines Lebens verantwortlich machen wollen? Wie traurig, wie dumm, wie hoffnungslos! Alles war doch so einfach, so gut, so sinnvoll, sobald man es von innen sah, sobald man hinter jedem Ding das Wesen stehen sah, ihn, Gott.

Hier bog ein Weg zu neuen Vorstellungsg�rten und Bilderw�ldern ein. Wendete er sein heutiges Gef�hl der Zukunft zu, spr�hten hundert Gl�ckstr�ume auf, f�r ihn und f�r alle. Sein vergangenes, dumpfes, verdorbenes Leben sollte nicht beklagt, nicht angeklagt, nicht gerichtet werden, sondern erneut und ins Gegenteil verwandelt, voll Sinn, voll Freude, voll G�te, voll Liebe. Die Gnade, die er erlebt, mu�te widerstrahlen und weiter wirken. Bibelspr�che kamen ihm in den Sinn, und alles, was er von begnadeten Frommen und Heiligen wu�te. So hatte es immer begonnen, bei allen. Sie waren denselben harten und finstern Weg gef�hrt worden wie er, feig und voll Angst, bis zur Stunde der Umkehr und Erleuchtung. „In der Welt habet ihr Angst,“ hatte Jesus zu seinen J�ngern gesagt. Wer aber die Angst �berwunden hatte, der lebte nicht mehr in der Welt, sondern in Gott, im tausendj�hrigen Reich.

So hatten alle gelehrt, alle Weisen der ganzen Welt, Buddha und Schopenhauer, Jesus, die Griechen. Es gab nur eine Weisheit, nur einen Glauben, nur ein Denken: das Wissen von Gott in uns. Wie wurde das in den Schulen, Kirchen, B�chern und Wissenschaften verdreht und falsch gelehrt!

Mit weiten Fl�gelschl�gen flog Kleins Geist durch die Bezirke seiner innern Welt, seines Wissens, seiner Bildung. Auch hier, wie in seinem �u�ern Leben, lag Gut um Gut, Schatz um Schatz, Quelle um Quelle, aber jedes f�r sich, abgesondert, tot und wertlos. Nun aber, mit dem Strahl des Wissens, mit der Erleuchtung, zuckte auch hier pl�tzlich Ordnung, Sinn und Formung durch das Chaos, Sch�pfung begann, Leben und Beziehung sprang von Pol zu Pol. Spr�che entlegenster Kontemplation wurden selbstverst�ndlich, Dunkles wurde hell, und das Einmaleins wurde zum mystischen Bekenntnis. Beseelt und liebegl�hend ward auch diese Welt. Die Kunstwerke, die er in j�ngeren Jahren geliebt hatte, klangen mit neuem Zauber herauf. Er sah: die r�tselhafte Magie der Kunst �ffnete sich demselben Schl�ssel. Kunst war nichts andres als Betrachtung der Welt im Zustand der Gnade, der Erleuchtung. Kunst war: hinter jedem Ding Gott zeigen.

Flammend schritt der Beseligte durch die Welt, jeder Zweig an jedem Baume hatte teil an einer Ekstase, strebte edler empor, hing inniger herab, war Sinnbild und Offenbarung. D�nne violette Wolkenschatten liefen �ber den Seespiegel, schaudernd in z�rtlicher S��e. Jeder Stein lag bedeutungsvoll neben seinem Schatten. So sch�n, so tief und heilig liebenswert war die Welt noch nie gewesen, oder nie mehr seit den geheimnisvollen, sagenhaften Jahren der ersten Kindheit. „So ihr nicht werdet wie die Kinder,“ fiel ihm ein, und er f�hlte: ich bin wieder Kind geworden, ich bin ins Himmelreich eingegangen.

Als er M�digkeit und Hunger zu sp�ren begann, fand er sich weit von der Stadt. Nun erinnerte er sich, woher er kam, was gewesen war, und da� er ohne Abschied von Teresina weggelaufen war. Im n�chsten Dorf suchte er ein Wirtshaus. Ein kleiner l�ndlicher Weinschank, mit einem eingepflockten Holztisch im G�rtchen unterm Kirschlorbeer, zog ihn an. Er verlangte Essen, man hatte aber nichts als Wein und Brot. Eine Suppe, bat er, oder Eier, oder Schinken. Nein, es gab solche Sachen hier nicht. Niemand a� hier dergleichen bei der teuren Zeit. Er hatte erst mit der Wirtin, dann mit einer Gro�mutter verhandelt, die auf der Steinschwelle der Haust�r sa� und W�sche flickte. Nun setzte er sich in den Garten untern tiefschattenden Baum, mit Brot und herbem Rotwein. Im Nachbargarten, unsichtbar hinter Reblaub und aufgeh�ngter W�sche, h�rte er zwei M�dchenstimmen singen. Pl�tzlich fuhr ein Wort des Liedes ihm ins Herz, ohne da� er es doch festhalten konnte. Es kam im n�chsten Vers wieder, es war der Name Teresina. Das Lied, ein Couplet von halb komischer Art, handelte von einer Teresina. Er verstand:

La sua mama a la finestra

Con una voce serpentina:

Vieni a casa, o Teresina,

Lasc’ andare quel traditor!

Teresina! Wie liebte er sie! Wie herrlich war es, zu lieben!

Er legte den Kopf auf den Tisch und d�mmerte, schlummerte, ein und erwachte wieder, mehrmals, oftmals. Es war Abend. Die Wirtin kam und stellte sich vor den Tisch, �ber den Gast verwundert. Er legte Geld hin, erbat noch ein Glas Wein, fragte sie nach jenem Liede. Sie wurde freundlich, brachte den Wein und blieb bei ihm stehen. Er lie� sich das ganze Teresina-Lied vorsagen, und hatte gro�e Freude an dem Vers:

Jo non sono traditore

E ne meno lusinghero,

Jo son’ figlio d’un ricco Signore,

Son’ venuto per fare l’amor.

Die Wirtin meinte, jetzt k�nnte er eine Suppe haben, sie koche ohnehin f�r ihren Mann, den sie erwarte.

Er a� Gem�sesuppe und Brot, der Wirt kam heim, an den grauen Steind�chern des Dorfes vergl�hte die sp�te Sonne. Er fragte nach einem Zimmer, es wurde ihm eines angeboten, eine Kammer mit dicken nackten Steinw�nden. Er nahm es. Noch nie hatte er in einer solchen Kammer geschlafen, sie kam ihm vor wie das Gela� aus einem R�uberdrama. Nun ging er durch das abendliche Dorf, fand einen kleinen Kramladen noch offen, bekam Schokolade zu kaufen und verteilte sie an Kinder, die in Mengen durch die Gasse schw�rmten. Sie liefen ihm nach, Eltern gr��ten ihn, jedermann w�nschte ihm gute Nacht, und er gab es zur�ck, nickte allen den alten und jungen Menschen zu, die auf den Schwellen und Vortreppen der H�user sa�en.

Mit Freude dachte er an seine Kammer im Wirtshaus, an diese primitive, h�hlenhafte Unterkunft, wo der alte Kalk von den grauen Mauern bl�tterte und nichts Unn�tzes an den nackten W�nden hing, nicht Bild noch Spiegel, nicht Tapete noch Vorhang. Er lief durch das abendliche Dorf wie durch ein Abenteuer, alles war begl�nzt, alles voll geheimer Versprechung.

In die Osteria zur�ckkehrend, sah er vom leeren und dunkeln Gastzimmer aus Licht in einem T�rspalt, ging ihm nach und kam in die K�che. Der Raum erschien ihm wie eine M�rchenh�hle, das wenige d�nne Licht flo� �ber einen roten steinernen Boden und verlief sich, ehe es die W�nde und Decke erreichte, in dichte warme D�mmerung, und von dem ungeheuer und tiefschwarz herabh�ngenden Rauchfang schien eine unersch�pfliche Quelle von Finsternis auszuflie�en.

Die Frau sa� da mit der Gro�mutter, sie sa�en beide geb�ckt, klein und schwach auf niederen dem�tigen Schemeln, die H�nde auf den Knien ausruhend. Die Wirtsfrau weinte, niemand k�mmerte sich um den Eintretenden. Er setzte sich auf den Rand eines Tisches neben Gem�seresten, ein stumpfes Messer blinkte bleiern auf, im Lichtschein gl�hte blankes Kupfergeschirr rot an den W�nden. Die Frau weinte, die alte Graue stand ihr bei und murmelte mit ihr in der Mundart, er verstand allm�hlich, da� Hader im Hause und der Mann nach einem Streit wieder fortgegangen war. Er fragte, ob er sie geschlagen habe, bekam aber keine Antwort. Allm�hlich fing er an zu tr�sten. Er sagte, der Mann werde gewi� schon bald wiederkommen. Die Frau sagte scharf: „Heut nicht und vielleicht auch morgen nicht.“ Er gab es auf, die Frau setzte sich aufrechter, man sa� schweigend, das Weinen war verstummt. Die Einfachheit des Vorgangs, zu dem keine Worte gemacht wurden, schien ihm wundervoll. Man hatte Streit gehabt, man hatte Schmerz empfangen, man hatte geweint. Jetzt war es vorbei, jetzt sa� man still und wartete. Das Leben w�rde schon weiter gehen. Wie bei Kindern. Wie bei Tieren. Nur nicht reden, nur nicht das Einfache kompliziert machen, nur nicht die Seele nach au�en drehen.

Klein lud die Gro�mutter ein, Kaffee zu kochen, f�r sie alle drei. Die Frauen leuchteten auf, die Alte legte sofort Reisig in den Kamin, es knisterte von brechenden Zweigen, von Papier, von aufprasselnder Flamme. Im j�h aufflammenden Feuerschein sah er das Gesicht der Wirtin, von unten her beleuchtet, etwas vergr�mt und doch beruhigt. Sie schaute ins Feuer, zwischenein l�chelte sie, pl�tzlich stand sie auf, ging langsam zum Wasserhahn und wusch sich die H�nde.

Dann sa�en sie alle drei am K�chentisch und tranken den hei�en schwarzen Kaffee, und einen alten Wacholderlik�r dazu. Die Weiber wurden lebendiger, sie erz�hlten und fragten, lachten �ber Kleins m�hsame und fehlerhafte Sprache. Ihm schien, er sei schon sehr lange hier. Wunderlich, was in diesen Tagen alles Platz hatte! Ganze Zeitr�ume und Lebensabschnitte fanden Raum in einem Nachmittag, jede Stunde schien mit Lebensfracht �berladen. Sekundenlang zuckte Furcht in ihm wetterleuchtend auf, es k�nnte pl�tzlich M�digkeit und Verbrauch der Lebenskraft ihn verhundertfacht �berfallen und ihn aussaugen, wie Sonne einen Tropfen vom Felsen leckt. In diesen sehr fl�chtigen, doch zuweilen wiederkehrenden Augenblicken, in diesem fremden Wetterleuchten sah er sich selbst leben, f�hlte und sah in sein Gehirn und sah dort in beschleunigten Schwingungen einen uns�glich komplizierten, zarten, kostbaren Apparat vor tausendfacher Arbeit vibrieren, wie hinter Glas ein h�chst sensibles Uhrwerk, das zu st�ren ein St�ubchen gen�gt.

Es wurde ihm erz�hlt, da� der Wirt sein Geld in unsichere Gesch�fte stecke, viel au�er Hause sei und da und dort Verh�ltnisse mit Frauen unterhalte. Kinder waren nicht da. W�hrend Klein sich M�he gab, die italienischen Worte f�r einfache Fragen und Ausk�nfte zu finden, arbeitete hinterm Glas das zarte Uhrwerk rastlos in seinem Fieber fort, jeden gelebten Moment sofort in seine Abrechnungen und Abw�gungen einbeziehend.

Zeitig erhob er sich, um schlafen zu gehen. Er gab den beiden Frauen die Hand, der alten und der jungen, die ihn durchdringend ansah, w�hrend die Gro�mutter mit dem G�hnen k�mpfte. Dann tastete er sich die dunkle Steintreppe hinauf, erstaunlich hohe Riesenstufen, in seine Kammer. Dort fand er Wasser in einem Tonkrug bereit, wusch sich das Gesicht, vermi�te einen Augenblick Seife, Hausschuhe, Nachthemd, lag noch eine Viertelstunde im Fenster, auf das granitne Gesimse gest�tzt, zog sich dann vollends aus und legte sich in das harte Bett, dessen grobe Leinwand ihn entz�ckte und einen Schwall von holden l�ndlichen Vorstellungen weckte. War es nicht das einzig Richtige, stets so zu leben, in einem Raum aus vier Steinw�nden, ohne den l�cherlichen Kram der Tapeten, des Schmucks, der vielen M�bel, ohne all das �bertriebene und im Grund barbarische Zubeh�r? Ein Dach �berm Kopf, gegen den Regen, eine einfache Decke um sich, gegen die K�lte, etwas Brot und Wein oder Milch, gegen den Hunger, morgens die Sonne zum Wecken, abends die D�mmerung zum Einschlafen — brauchte der Mensch mehr?

Aber kaum hatte er das Licht gel�scht, so war Haus und Kammer und Dorf in ihm versunken. Er stand wieder am See bei Teresina und sprach mit ihr, konnte sich des heutigen Gespr�ches nur mit M�he erinnern und wurde zweifelhaft, was er ihr eigentlich gesagt habe, ja ob nicht das ganze Gespr�ch nur ein Traum und Phantom von ihm gewesen sei. Die Dunkelheit tat ihm wohl — wei� Gott, wo er morgen aufwachen w�rde?

Ein Ger�usch an der T�r weckte ihn. Leise wurde die Klinke gedreht, ein Faden d�nnen Lichtes sank herein und z�gerte im Spalt. Verwundert und doch im Augenblick wissend, blickte er hin�ber, noch nicht in der Gegenwart. Da ging die T�re auf, mit einem Licht in der Hand stand die Wirtsfrau, barfu�, lautlos. Sie blickte zu ihm her, durchdringend, und er l�chelte und streckte die Arme aus, tief erstaunt, gedankenlos. Da war sie schon bei ihm, und ihr dunkles Haar lag neben ihm auf dem rauhen Kissen.

Sie sprachen kein Wort. Von ihrem Ku� entz�ndet, zog er sie an sich. Die pl�tzliche N�he und W�rme eines Menschen an seiner Brust, der fremde starke Arm um seinen Nacken ersch�tterte ihn seltsam — wie war diese W�rme ihm unbekannt, wie fremd, wie schmerzlich neu war ihm diese W�rme und N�he — wie war er allein gewesen, wie sehr allein, wie lang allein! Abgr�nde und Flammenh�llen hatten zwischen ihm und aller Welt geklafft — und nun war da ein fremder Mensch gekommen, in wortlosem Vertrauen und Trostbed�rfnis, eine arme, vernachl�ssigte Frau, so wie er selbst jahrelang ein vernachl�ssigter und versch�chterter Mann gewesen war, und hing an seinem Hals und gab und nahm und sog mit Gier den Tropfen Wonne aus dem kargen Leben, suchte trunken und doch sch�chtern seinen Mund, spielte mit traurig z�rtlichen Fingern in den seinen, rieb ihre Wange an seiner. Er richtete sich �ber ihrem blassen Gesichte auf und k��te sie auf beide geschlossene Augen, und dachte: Sie glaubt zu nehmen und wei� nicht, da� sie gibt, sie fl�chtet ihre Vereinsamung zu mir und ahnt die meine nicht! Erst jetzt sah er sie, neben der er den ganzen Abend blind gesessen hatte, sah, da� sie lange, schlanke H�nde und Finger hatte, h�bsche Schultern und ein Gesicht voll von Schicksalsangst und blindem Kinderdurst, und ein halb �ngstliches Wissen um kleine, holde Wege und �bungen der Z�rtlichkeit.

Er sah auch und wurde traurig dar�ber, da� er selbst in der Liebe ein Knabe und Anf�nger geblieben war, in langer, lauer Ehe resigniert, sch�chtern und doch ohne Unschuld, begehrlich und doch voll von schlechtem Gewissen. Noch w�hrend er mit durstigen K�ssen an Mund und Brust des Weibes hing, noch w�hrend er ihre Hand z�rtlich und fast m�tterlich auf seinen Haaren f�hlte, empfand er im voraus Entt�uschung und Druck im Herzen, er f�hlte das Schlimme wiederkommen: die Angst, und es durchflo� ihn schneidend kalt die Ahnung und Furcht, da� er tief in seinem Wesen nicht zur Liebe f�hig sei, da� Liebe ihm nur Qual und b�sen Zauber bringen k�nne. Noch ehe der kurze Sturm der Wollust vertobt war, schlug in seiner Seele Bangigkeit und Mi�trauen das b�se Auge auf, Widerwille dagegen, da� er genommen worden sei statt selbst zu nehmen und zu erobern, und Vorgef�hl von Ekel.

Lautlos war die Frau wieder davongeschl�pft, samt ihrem Kerzenlicht. Im Dunkeln lag Klein, und es kam mitten in der S�ttigung der Augenblick, den er schon vorher, schon vor Stunden in so viel ahnenden wetterleuchtenden Sekunden gef�rchtet, der schlimme Augenblick, wo die �berreiche Musik seines neuen Lebens in ihm nur noch m�de und verstimmte Saiten fand und tausend Lustgef�hle pl�tzlich mit M�digkeit und Angst bezahlt werden mu�ten. Mit Herzklopfen f�hlte er alle Feinde auf der Lauer liegen, Schlaflosigkeit, Depression und Alpdruck. Das rauhe Linnen brannte an seiner Haut, bleich sah die Nacht durchs Fenster. Unm�glich, hier zu bleiben und wehrlos den kommenden Qualen standzuhalten! Ach, es kam wieder, die Schuld und Angst kam wieder und die Traurigkeit und die Verzweiflung! Alles �berwundene, alles Vergangene kam wieder. Es gab keine Erl�sung.

Hastig kleidete er sich an, ohne Licht, suchte vor der T�r seine staubigen Stiefel, schlich hinab und aus dem Hause und lief, auf m�den, einsinkenden Beinen, verzweifelt durch Dorf und Nacht davon, von sich selbst verh�hnt, von sich selbst verfolgt, von sich selbst geha�t.

IV

Ringend und verzweifelnd schlug sich Klein mit seinem D�mon. Was ihm seine Schicksalstage an Neuem, an Erkenntnis und Erl�sung gebracht hatten, war in der trunkenen Gedankenhast und Hellsichtigkeit des vergangenen Tages zu einer Welle gestiegen, deren H�he ihm unverlierbar erschienen war, w�hrend er schon wieder aus ihr zu sinken begann. Jetzt lag er wieder im Tal und Schatten, noch k�mpfend, noch heimlich hoffend, aber tief verwundet. Einen Tag lang, einen kurzen, gl�nzenden Tag lang war es ihm gelungen, die einfache Kunst zu �ben, die jeder Grashalm kann. Einen armen Tag lang hatte er sich selbst geliebt, sich selbst als Eines und Ganzes gef�hlt, nicht in feindliche Teile zerspalten, er hatte sich geliebt, und in sich die Welt und Gott, und nichts als Liebe, Best�tigung und Freude war ihm von �berall her entgegengekommen. H�tte gestern ein R�uber ihn �berfallen, ein Polizist ihn verhaftet, es w�re Best�tigung, L�cheln, Harmonie gewesen! Und nun, mitten im Gl�ck war er wieder umgefallen und klein geworden. Er ging mit sich ins Gericht, w�hrend sein Innerstes wu�te, da� jedes Gericht falsch und t�richt sei. Die Welt, welche einen herrlichen Tag lang durchsichtig und ganz von Gott erf�llt gewesen war, lag wieder hart und schwer, und jedes Ding hatte seinen eigenen Sinn, und jeder Sinn widersprach jedem andern. Die Begeisterung dieses Tages hatte wieder weichen, hatte sterben k�nnen! Sie, die heilige, war eine Laune gewesen, und die Sache mit Teresina eine Einbildung, und das Abenteuer im Wirtshaus eine zweifelhafte und anr�chige Geschichte.

Er wu�te bereits, da� das w�rgende Angstgef�hl nur dann verging, wenn er nicht an sich schulmeisterte und Kritik �bte, nicht in den Wunden stocherte, in den alten Wunden. Er wu�te: alles Schmerzende, alles Dumme, alles B�se wurde zum Gegenteil, wenn man es als Gott erkennen konnte, wenn man ihm in seine tiefsten Wurzeln nachging, die weit �ber das Weh und Wohl und Gut und B�se hinauf reichten. Er wu�te es. Aber es war nichts dagegen zu tun, der b�se Geist war in ihm, Gott war wieder ein Wort, sch�n und fern. Er ha�te und verachtete sich, und dieser Ha� kam, wenn es Zeit war, ebenso ungewollt und unabwendbar �ber ihn wie zu andern Zeiten die Liebe und das Vertrauen. Und so mu�te es immer wieder gehen! Immer und immer wieder w�rde er die Gnade und das Selige erleben, und immer wieder das verfluchte Gegenteil, und nie w�rde sein Leben die Stra�e gehen, die sein eigener Wille ihm vorschrieb. Spielball und schwimmender Kork, w�rde er ewig hin und wider geschlagen werden. Bis es zu Ende war, bis einmal eine Welle sich �berschlug und Tod oder Wahnsinn ihn aufnahm. O, m�chte es bald sein!

Zwangsweise kehrten die ihm l�ngst so bitter vertrauten Gedanken wieder, unn�tze Sorgen, unn�tze �ngste, unn�tze Selbstanklagen, deren Unsinn einzusehen nur eine Qual mehr war. Eine Vorstellung kehrte wieder, die er k�rzlich (ihm schien, es seien Monate dazwischen) auf der Reise gehabt hatte: Wie gut es w�re, sich auf die Schienen unter einen Bahnzug zu st�rzen, den Kopf voran! Diesem Bilde ging er begierig nach, atmete es wie �ther ein: den Kopf voran, alles in Splitter und Fetzen gehauen und gemahlen, alles auf die R�der gewickelt und auf den Schienen zu nichts zerrieben! Tief fra� sein Leid sich in diese Visionen ein, mit Beifall und Wollust h�rte, sah und schmeckte er die gr�ndliche Zerst�rung des Friedrich Klein, f�hlte sein Herz und Gehirn zerrissen, verspritzt, zerstampft, den schmerzenden Kopf zerkracht, die schmerzenden Augen ausgelaufen, die Leber zerknetet, die Nieren zerrieben, das Haar wegrasiert, die Knochen, Knie und Kinn zerpulvert. Das war es, was der Totschl�ger Wagner hatte f�hlen wollen, als er seine Frau, seine Kinder und sich selbst im Blut ers�ufte. Genau dies war es. O, er verstand ihn so gut! Er selbst war Wagner, war ein Mensch von guten Gaben, f�hig das G�ttliche zu f�hlen, f�hig zu lieben, aber allzu beladen, allzu nachdenklich, allzu leicht zu erm�den, allzu wohl unterrichtet �ber seine M�ngel und Krankheiten. Was in aller Welt hatte solch ein Mensch, solch ein Wagner, solch ein Klein denn zu tun? Immer die Kluft vor Augen, die ihn von Gott trennte, immer den Ri� der Welt durch sein eignes Herz gehen f�hlend, erm�det, aufgerieben vom ewigen Aufschwung zu Gott, der ewig mit R�ckfall endete — was sollte solch ein Wagner, solch ein Klein anderes tun als sich ausl�schen, sich und alles was an ihn erinnern konnte, und sich zur�ckwerfen in den dunkeln Scho�, aus dem der Unausdenkliche immer und ewig wieder die verg�ngliche Welt der Gestaltungen ausstie�? Nein, es war nichts anderes m�glich! Wagner mu�te gehen, Wagner mu�te sterben, Wagner mu�te sich aus dem Buch des Lebens ausstreichen. Es mochte vielleicht nutzlos sein, sich umzubringen, es mochte vielleicht l�cherlich sein. Vielleicht war alles das ganz richtig, was die B�rger, in jener anderen Welt dr�ben, �ber den Selbstmord sagten. Aber gab es irgend etwas f�r den Menschen in diesem Zustande, das nicht nutzlos, das nicht l�cherlich war? Nein, nichts. Immer noch besser, den Sch�del unter den Eisenr�dern zu haben, ihn krachen zu f�hlen und mit Willen in den Abgrund zu tauchen.

Auf schwankenden Knien hielt er sich Stunde um Stunde rastlos unterwegs. Auf den Schienen einer Bahnlinie, an die der Weg ihn gef�hrt hatte, lag er einige Zeit, schlummerte sogar ein, den Kopf auf dem Eisen, erwachte wieder und hatte vergessen, was er wollte, stand auf, wehte taumelnd weiter, Schmerzen an den Sohlen, Qualen im Kopf, zuweilen fallend, von einem Dorn verletzt, zuweilen leicht und wie schwebend, zuweilen Schritt um Schritt m�hsam bezwingend.

„Jetzt reitet mich der Teufel reif!“ sang er heiser vor sich hin. Reif werden! Unter Qualen fertig gebraten, zu Ende ger�stet werden, wie der Kern im Pfirsich, um reif zu sein, um sterben zu k�nnen!

Ein Funke schwamm hier in seiner Finsternis, an den hing er alsbald alle Inbrunst seiner zerrissenen Seele. Ein Gedanke: es war nutzlos, sich zu t�ten, sich jetzt zu t�ten, es hatte keinen Wert, sich Glied f�r Glied auszurotten und zu zerschlagen, es war nutzlos! Gut aber und erl�send war es, zu leiden, unter Qualen und Tr�nen reif gegoren, unter Schl�gen und Schmerzen fertig geschmiedet zu werden. Dann durfte man sterben, und dann war es ein gutes Sterben, sch�n und sinnvoll, das Seligste der Welt, seliger als jede Liebesnacht: ausgegl�ht und v�llig hingegeben in den Scho� zur�ckzufallen, zum Erl�schen, zum Erl�sen, zur Neugeburt. Solch ein Tod, solch ein reifer und guter, edler Tod allein hatte Sinn, nur er war Erl�sung, nur er war Heimkehr. Sehnsucht weinte in seinem Herzen auf. O, wo war der schmale, schwere Weg, wo war die Pforte? Er war bereit, er sehnte sich mit jeder Zuckung seines von Ermattung zitternden Leibes, seiner von Todespein gesch�ttelten Seele.

Als der Morgen am Himmel aufgraute und der bleierne See im ersten k�hlen Silberblitz erwachte, stand der Gejagte in einem kleinen Kastanienwalde, hoch �ber See und Stadt, zwischen Farnkraut und hohen, bl�henden Spir�en, feucht vom Tau. Mit erloschenen Augen, doch l�chelnd, starrte er in die wunderliche Welt. Er hatte den Zweck seiner triebhaften Irrfahrt erreicht: er war so totm�de, da� die ge�ngstigte Seele schwieg. Und, vor allem, die Nacht war vorbei! Der Kampf war gek�mpft, eine Gefahr war �berstanden. Von der Ersch�pfung gef�llt, sank er wie ein Toter zwischen Farn und Wurzeln auf den Waldboden, den Kopf ins Heidelbeerkraut, vor seinen versagenden Sinnen schmolz die Welt hinweg. Die H�nde ins Gekr�ut geballt, Brust und Gesicht an der Erde, gab er sich hungernd dem Schlafe hin, als sei es der ersehnte letzte.

In einem Traume, von dem nur wenige Bruchst�cke ihm nachher erinnerlich waren, sah er folgendes: An einem Tor, das wie der Eingang zu einem Theater aussah, hing ein gro�er Schild mit einer riesigen Aufschrift: sie hie� (das war unentschieden) entweder „Lohengrin“ oder „Wagner“. Zu diesem Tore ging er hinein. Drinnen war eine Frau, die glich der Wirtsfrau von heute nacht, aber auch seiner eigenen Frau. Ihr Kopf war entstellt, er war zu gro�, und das Gesicht zu einer fratzenhaften Maske ver�ndert. Widerwille gegen diese Frau ergriff ihn m�chtig, er stie� ihr ein Messer in den Leib. Aber eine andere Frau, wie ein Spiegelbild der ersten, kam von hinten �ber ihn, r�chend, schlug ihm scharfe, starke Krallen in den Hals und wollte ihn erw�rgen.

Beim Aufwachen aus diesem tiefen Schlaf sah er verwundert Wald �ber sich und war steif vom harten Liegen, doch erfrischt. Mit leiser Be�ngstigung klang der Traum in ihm nach. Was f�r seltsame, naive und negerhafte Spiele der Phantasie! dachte er, einen Augenblick l�chelnd, als ihm die Pforte mit der Aufforderung zum Eintritt in das Theater „Wagner“ wieder einfiel. Welche Idee, sein Verh�ltnis zu Wagner so darzustellen! Dieser Traumgeist war roh, aber genial. Er traf den Nagel auf den Kopf. Und er schien alles zu wissen! Das Theater mit der Aufschrift „Wagner“ war das nicht er selbst, war es nicht die Aufforderung, in sich selbst einzutreten, in das fremde Land seines wahren Innern? Denn Wagner war er selber — Wagner war der M�rder und Gejagte in ihm, aber Wagner war auch der Komponist, der K�nstler, das Genie, der Verf�hrer, die Neigung zu Lebenslust, Sinnenlust, Luxus — Wagner war der Sammelname f�r alles Unterdr�ckte, Untergesunkene, zu kurz Gekommene in dem ehemaligen Beamten Friedrich Klein. Und „Lohengrin“ — war nicht auch das er selbst, Lohengrin, der irrende Ritter mit dem geheimnisvollen Ziel, den man nicht nach seinem Namen fragen darf? Das weitere war unklar, die Frau mit dem furchtbaren Maskenkopf und die andere mit den Krallen — der Messersto� in ihren Bauch erinnerte ihn auch noch an irgend etwas, er hoffte es noch zu finden — die Stimmung von Mord und Todesgefahr war seltsam und grell vermischt mit der von Theater, Masken und Spiel.

Beim Gedanken an die Frau und das Messer sah er einen Augenblick deutlich sein eheliches Schlafzimmer vor sich. Da mu�te er an die Kinder denken — wie hatte er die vergessen k�nnen! Er dachte an sie, wie sie morgens in ihren Nachthemdchen aus den kleinen Betten kletterten. Er mu�te an ihre Namen denken, besonders an Elly. O, die Kinder! Langsam liefen ihm Tr�nen aus den Augen �ber das �bern�chtige Gesicht. Er sch�ttelte den Kopf, erhob sich mit einiger M�he und begann Laub und Erdkrumen von seinen zerdr�ckten Kleidern zu lesen. Nun erst erinnerte er sich klar dieser Nacht, der kahlen Steinkammer in der Dorfschenke, der fremden Frau an seiner Brust, seiner Flucht, seiner gehetzten Wanderung. Er sah dies kleine, entstellte St�ck Leben an wie ein Kranker die abgezehrte Hand, den Ausschlag an seinem Bein anschaut.

In gefa�ter Trauer, noch mit Tr�nen in den Augen, sagte er leise vor sich hin: „Gott, was hast du noch mit mir im Sinn?“ Aus den Gedanken der Nacht klang nur die eine Stimme voll Sehnsucht in ihm fort: nach Reifsein, nach Heimkehr, nach Sterbend�rfen. War denn sein Weg noch weit? War die Heimat noch fern? War noch viel, viel Schweres, war noch Unausdenkliches zu leiden? Er war bereit dazu, er bot sich hin, sein Herz stand offen: Schicksal, sto� zu!

Langsam kam er durch Bergwiesen und Weinberge gegen die Stadt hinabgeschritten. Er suchte sein Zimmer auf, wusch und k�mmte sich, wechselte die Kleider. Er ging speisen, trank etwas von dem guten Wein, und sp�rte die Erm�dung in den steifen Gliedern sich l�sen und wohlig werden. Er erkundigte sich, wenn im Kursaal getanzt werde, und ging zur Teestunde hin.

Teresina tanzte eben, als er eintrat. Er sah das eigent�mlich gl�nzende Tanzl�cheln auf ihrem Gesicht wieder und freute sich. Er begr��te sie, als sie zu ihrem Tisch zur�ckging, und nahm dort Platz.

„Ich m�chte Sie einladen, heute abend mit mir nach Castiglione zu fahren,“ sagte er leise.

Sie besann sich.

„Gleich heut?“ fragte sie. „Eilt es so sehr?“

„Ich kann auch warten. Aber es w�re h�bsch. Wo darf ich Sie erwarten?“

Sie widerstand der Einladung nicht und nicht dem kindlichen Lachen, das f�r Augenblicke seltsam h�bsch in seinem zerfurchten, einsamen Gesicht hing, wie an der letzten Wand eines abgebrannten und eingerissenen Hauses noch eine frohe bunte Tapete h�ngt.

„Wo waren Sie denn?“ fragte sie neugierig. „Sie waren gestern so pl�tzlich verschwunden. Und jedesmal haben Sie ein anderes Gesicht, auch heute wieder. — Sie sind doch nicht Morphinist?“

Er lachte nur, mit dem seltsam h�bschen und etwas fremdartigen Lachen, bei dem sein Mund und Kinn ganz knabenhaft aussah, w�hrend �ber Stirn und Augen unver�ndert der Dornenreif lag.

„Bitte holen Sie mich gegen neun Uhr ab, im Restaurant des Hotel Esplanade. Ich glaube, um neun geht ein Boot. Aber sagen Sie, was haben Sie seit gestern gemacht?“

„Ich glaube, ich war spazieren, den ganzen Tag, und auch die ganze Nacht. Ich habe eine Frau in einem Dorf tr�sten m�ssen, weil ihr Mann fortgelaufen war. Und dann habe ich mir viel M�he mit einem italienischen Lied gegeben, das ich lernen wollte, weil es von einer Teresina handelt.“

„Was ist das f�r ein Lied?“

„Es f�ngt an: Su in cima di quel boschetto.“

„Um Gottes willen, diesen Gassenhauer kennen Sie auch schon? Ja, der ist jetzt in Mode bei den Ladenm�dchen.“

„O, ich finde das Lied sehr h�bsch.“

„Und eine Frau haben Sie getr�stet?“

„Ja, sie war traurig, ihr Mann war weggelaufen und war ihr untreu.“

„So? Und wie haben Sie sie getr�stet?“

„Sie kam zu mir, um nicht mehr allein zu sein. Ich habe sie gek��t und bei mir liegen gehabt.“

„War sie denn h�bsch?“

„Ich wei� nicht, ich sah sie nicht genau. — Nein, lachen Sie nicht, nicht hier�ber! Es war so traurig.“

Sie lachte dennoch. „Wie sind Sie komisch! Nun, und geschlafen haben Sie �berhaupt nicht? Sie sehen danach aus.“

„Doch, ich habe mehrere Stunden geschlafen, in einem Wald dort oben.“

Sie blickte seinem Finger nach, der in die Saaldecke deutete, und lachte laut.

„In einem Wirtshaus?“

„Nein, im Wald. In den Heidelbeeren. Sie sind schon beinahe reif.“

„Sie sind ein Phantast. — Aber ich mu� tanzen, der Direktor klopft schon. — Wo sind Sie, Claudio?“

Der sch�ne, dunkle T�nzer stand schon hinter ihrem Stuhl, die Musik begann. Am Schlu� des Tanzes ging er.

Abends holte er sie p�nktlich ab und war froh, den Smoking angezogen zu haben, denn Teresina hatte sich �beraus festlich gekleidet, violett mit vielen Spitzen, und sah wie eine F�rstin aus.

Am Strande f�hrte er Teresina nicht zum Kursschiff, sondern in ein h�bsches Motorboot, das er f�r den Abend gemietet hatte. Sie stiegen ein, in der halboffenen Kaj�te lagen Decken f�r Teresina bereit und Blumen. Mit scharfer Kurve schnob das rasche Boot zum Hafen hinaus in den See.

Drau�en in der Nacht und Stille sagte Klein: „Teresina, ist es nicht eigentlich schade, jetzt dort hin�ber unter die vielen Menschen zu gehen? Wenn Sie Lust haben, fahren wir weiter, ohne Ziel, solang es uns gef�llt, oder wir fahren in irgendein h�bsches stilles Dorf, trinken einen Landwein und h�ren zu, wie die M�dchen singen. Was meinen Sie?“

Sie schwieg, und er sah alsbald Entt�uschung auf ihrem Gesicht. Er lachte.

„Nun, es war ein Einfall von mir, verzeihen Sie. Sie sollen vergn�gt sein und haben, was Ihnen Spa� macht, ein andres Programm haben wir nicht. In zehn Minuten sind wir dr�ben.“

„Interessiert Sie denn das Spiel gar nicht?“ fragte sie.

„Ich werde ja sehen, ich mu� es erst probieren. Der Sinn davon ist mir noch etwas dunkel. Man kann Geld gewinnen und Geld verlieren. Ich glaube, es gibt st�rkere Sensationen.“

„Das Geld, um das gespielt wird, braucht ja nicht blo� Geld zu sein. Es ist f�r jeden ein Sinnbild, jeder gewinnt oder verliert nicht Geld, sondern all die W�nsche und Tr�ume, die es f�r ihn bedeutet. F�r mich bedeutet es Freiheit. Wenn ich Geld habe, kann niemand mir mehr befehlen. Ich lebe, wie ich will. Ich tanze, wann und wo und f�r wen ich will. Ich reise, wohin ich will.“

Er unterbrach sie.

„Was sind Sie f�r ein Kind, liebes Fr�ulein! Es gibt keine solche Freiheit, au�er in Ihren W�nschen. Werden Sie morgen reich und frei und unabh�ngig — �bermorgen verlieben Sie sich in einen Kerl, der Ihnen das Geld wieder abnimmt, oder der Ihnen bei Nacht den Hals abschneidet.“

„Reden Sie nicht so scheu�lich! Also: wenn ich reich w�re, w�rde ich vielleicht einfacher leben als jetzt, aber ich t�te es, weil es mir Spa� machte, freiwillig und nicht aus Zwang. Ich hasse Zwang! Und sehen Sie, wenn ich nun mein Geld im Spiel einsetze, dann sind bei jedem Verlust und Gewinn alle meine W�nsche beteiligt, es geht um alles, was mir wertvoll und begehrenswert ist, und das gibt ein Gef�hl, das man sonst nicht leicht findet.“

Klein sah sie an, w�hrend sie sprach, ohne sehr auf ihre Worte zu achten. Ohne es zu wissen, verglich er Teresinas Gesicht mit dem Gesicht jener Frau, von der er im Walde getr�umt hatte.

Erst als das Boot in die Bucht von Castiglione einfuhr, wurde es ihm bewu�t, denn jetzt erinnerte ihn der Anblick des beleuchteten Blechschildes mit dem Stationsnamen heftig an den Schild im Traum, auf welchem „Lohengrin“ oder „Wagner“ gestanden hatte. Genau so hatte jenes Schild ausgesehen, genau so gro�, so grau und wei�, so grell beleuchetet. War dies hier die B�hne, die auf ihn wartete? Kam er hier zu Wagner? Nun fand er auch, da� Teresina der Traumfrau glich, vielmehr den beiden Traumfrauen, deren eine er mit dem Messer totgestochen, deren andre ihn t�dlich mit den Krallen gew�rgt hatte. Ein Schrecken lief ihm �ber die Haut. Hing denn das alles zusammen? Wurde er wieder von unbekannten Geistern gef�hrt? Und wohin? Zu Wagner? Zu Mord? Zu Tod?

Beim Aussteigen nahm Teresina seinen Arm, und so Arm in Arm gingen sie durch den kleinen bunten L�rm der Schiffl�nde, durchs Dorf und in das Kasino. Hier gewann alles jenen halb reizenden, halb erm�denden Schimmer von Unwahrscheinlichkeit, den die Veranstaltungen gieriger Menschen stets da bekommen, wo sie fern den St�dten in stille Landschaften verirrt stehen. Die H�user waren zu gro� und zu neu, das Licht zu reichlich, die S�le zu pr�chtig, die Menschen zu lebhaft. Zwischen den gro�en, finsteren Bergz�gen und dem weiten, sanften See hing der kleine dichte Bienenschwarm begehrlicher und �bers�ttigter Menschen so �ngstlich gedr�ngt, als sei er keine Stunde seiner Dauer gewi�, als k�nne jeden Augenblick etwas geschehen, das ihn wegwischte. Aus S�len, wo gespeist und Champagner getrunken wurde, quoll s��e �berhitzte Geigenmusik heraus, auf Treppen zwischen Palmen und laufenden Brunnen gl�hten Blumengruppen und Frauenkleider durcheinander, bleiche M�nnergesichter �ber offnen Abendr�cken, blaue Diener mit Goldkn�pfen gesch�ftig, dienstbar und vielwissend, duftende Weiber mit s�dlichen Gesichtern bleich und gl�hend, sch�n und krank, und nordische derbe Frauen drall, befehlend und selbstbewu�t, alte Herren wie aus Illustrationen zu Turgenjew und Fontane.

Klein f�hlte sich unwohl und m�de, sobald sie die S�le betraten. Im gro�en Spielsaal zog er zwei Tausenderscheine aus der Tasche.

„Wie nun?“ fragte er. „Wollen wir gemeinsam spielen?“

„Nein, nein, das ist nichts. Jeder f�r sich.“

Er gab ihr einen Schein und bat sie, ihn zu f�hren. Sie standen bald an einem Spieltisch. Klein legte seine Banknote auf eine Nummer, das Rad wurde gedreht, er verstand nichts davon, sah nur seinen Einsatz weggewischt und verschwunden. Das geht schnell, dachte er befriedigt, und wollte Teresina zulachen. Sie war nicht mehr neben ihm. Er sah sie bei einem andern Tisch stehen und ihr Geld wechseln. Er ging hin�ber. Sie sah nachdenklich, besorgt und sehr besch�ftigt aus wie eine Hausfrau.

Er folgte ihr an einen Spieltisch und sah ihr zu. Sie kannte das Spiel und folgte ihm mit scharfer Aufmerksamkeit. Sie setzte kleine Summen, nie mehr als f�nfzig Franken, bald hier bald dort, gewann einige Male, steckte Scheine in ihre perlengestickte Handtasche, zog wieder Scheine heraus.

„Wie geht’s?“ fragte er zwischenein.

Sie war empfindlich �ber die St�rung.

„O, lassen Sie mich spielen! Ich werde es schon gut machen.“ Bald wechselte sie den Tisch, er folgte ihr, ohne da� sie ihn sah. Da sie so sehr besch�ftigt war und seine Dienste nie in Anspruch nahm, zog er sich auf eine Lederbank an der Wand zur�ck. Einsamkeit schlug �ber ihm zusammen. Er versank wieder in Nachdenken �ber seinen Traum. Es war sehr wichtig, ihn zu verstehen. Vielleicht w�rde er nicht oft mehr solche Tr�ume haben, vielleicht waren sie wie im M�rchen die Winke der guten Geister: zweimal, auch dreimal wurde man gelockt, oder wurde gewarnt, war man dann immer noch blind, so nahm das Schicksal seinen Lauf und keine befreundete Macht griff mehr ins Rad. Von Zeit zu Zeit blickte er nach Teresina aus, sah sie an einem der Tische bald sitzen, bald stehen, hell schimmerte ihr gelbes Haar zwischen den Fr�cken.

Wie lang sie mit den tausend Franken ausreicht! dachte er gelangweilt, bei mir ging das schneller.

Einmal nickte sie ihm zu. Einmal, nach einer Stunde, kam sie her�ber, fand ihn in sich versunken und legte ihm die Hand auf den Arm.

„Was machen Sie? Spielen Sie denn nicht?“

„Ich habe schon gespielt.“

„Verloren?“

„Ja. O, es war nicht viel.“

„Ich habe etwas gewonnen. Nehmen Sie von meinem Geld.“

„Danke, heut nicht mehr. — Sind Sie zufrieden?“

„Ja, es ist sch�n. Nun, ich gehe wieder. Oder wollen Sie schon nach Hause?“

Sie spielte weiter, da und dort sah er ihr Haar zwischen den Schultern der Spieler aufgl�nzen. Er brachte ihr ein Glas Champagner hin�ber, und trank selbst ein Glas. Dann setzte er sich wieder auf die Lederbank an der Wand.

Wie war das mit den beiden Frauen im Traum? Sie hatten seiner eigenen Frau geglichen und auch der Frau im Dorfwirtshaus und auch Teresina. Von andern Frauen wu�te er nicht, seit Jahren nicht. Die eine Frau hatte er erstochen, voll Abscheu �ber ihr verzerrtes geschwollenes Gesicht. Die andre hatte ihn �berfallen, von hinten, und erw�rgen wollen. Was war nun richtig? Was war bedeutsam? Hatte er seine Frau verwundet, oder sie ihn? W�rde er an Teresina zugrunde gehen, oder sie an ihm? Konnte er eine Frau nicht lieben, ohne ihr Wunden zu schlagen, und ohne von ihr verwundet zu werden? War das sein Fluch? Oder war das allgemein? Ging es allen so? War alle Liebe so?

Und was verband ihn mit dieser T�nzerin? Da� er sie liebte? Er hatte viele Frauen geliebt, die nie davon erfahren hatten. Was band ihn an sie, die dr�ben stand und das Gl�cksspiel wie ein ernstes Gesch�ft betrieb? Wie war sie kindlich in ihrem Eifer, in ihrer Hoffnung, wie war sie gesund, naiv und lebenshungrig! Was w�rde sie davon verstehen, wenn sie seine tiefste Sehnsucht kannte, das Verlangen nach Tod, das Heimweh nach Erl�schen, nach R�ckkehr in Gottes Scho�! Vielleicht w�rde sie ihn lieben, schon bald, vielleicht w�rde sie mit ihm leben — aber w�rde es anders sein, als es mit seiner Frau gewesen war? W�rde er nicht, immer und immer, mit seinen innigsten Gef�hlen allein sein?

Teresina unterbrach ihn. Sie blieb bei ihm stehen und gab ihm ein B�ndel Banknoten in die Hand.

„Bewahren Sie mir das auf, bis nachher.“

Nach einer Zeit, er wu�te nicht, war es lang oder kurz, kam sie wieder und erbat das Geld zur�ck.

Sie verliert, dachte er, Gott sei Dank! Hoffentlich ist sie bald fertig.

Kurz nach Mitternacht kam sie, vergn�gt und etwas erhitzt. „So, ich h�re auf. Sie Armer sind gewi� m�de. Wollen wir nicht noch einen Bissen essen, eh’ wir heimfahren?“

In einem Speisesaal a�en sie Schinkeneier und Fr�chte und tranken Champagner. Klein erwachte und wurde munter. Die T�nzerin war ver�ndert, froh und in einem leichten s��en Rausch. Sie sah und wu�te wieder, da� sie sch�n war und sch�ne Kleider trug, sie sp�rte die Blicke der M�nner, die von benachbarten Tischen her�ber warben, und auch Klein f�hlte die Verwandlung, sah sie wieder von Reiz und holder Verlockung umgeben, h�rte wieder den Klang von Herausforderung und Geschlecht in ihrer Stimme, sah wieder ihre H�nde wei� und ihren Hals perlfarben aus den Spitzen steigen.

„Haben Sie auch t�chtig gewonnen?“ fragte er lachend.

„Es geht, noch nicht das gro�e Los. Es sind etwa f�nftausend.“

„Nun, das ist ja ein h�bscher Anfang.“

„Ja, ich werde nat�rlich fortfahren, das n�chstemal. Aber das richtige ist es noch nicht. Es mu� auf einmal kommen, nicht tropfenweise.“

Er wollte sagen: „Dann m��ten Sie auch nicht tropfenweise setzen, sondern alles auf einmal“ — aber er stie� statt dessen mit ihr an, auf das gro�e Gl�ck, und lachte und plauderte weiter.

Wie war das M�dchen h�bsch, gesund und einfach in seiner Freude! Vor einer Stunde noch hatte sie an den Spieltischen gestanden, streng, besorgt, faltig, b�se, rechnend. Jetzt sah sie aus, als habe nie eine Sorge sie ber�hrt, als wisse sie nichts von Geld, Spiel, Gesch�ften, als kenne sie nur Freude, Luxus und m�heloses Schwimmen an der schillernden Oberfl�che des Lebens. War das alles wahr, alles echt? Er selbst lachte ja auch, war ja auch vergn�gt, warb ja auch um Freude und Liebe aus heitern Augen — und doch sa� zugleich einer in ihm, der an das alles nicht glaubte, der dem allem mit Mi�trauen und mit Hohn zusah. War das bei andern Menschen anders? Ach, man wu�te so wenig, so verzweifelt wenig von den Menschen! Hundert Jahreszahlen von l�cherlichen Schlachten und Namen von l�cherlichen alten K�nigen hatte man in den Schulen gelernt, und man las t�glich Artikel �ber Steuern oder �ber den Balkan, aber vom Menschen wu�te man nichts! Wenn eine Glocke nicht schellte, wenn ein Ofen rauchte, wenn ein Rad in einer Maschine stockte, so wu�te man sogleich, wo zu suchen sei, und tat es mit Eifer, und fand den Schaden und wu�te, wie er zu heilen war. Aber das Ding in uns, die geheime Feder, die allein dem Leben den Sinn gibt, das Ding in uns, das allein lebt, das allein f�hig ist, Lust und Weh zu f�hlen, Gl�ck zu begehren, Gl�ck zu erleben — das war unbekannt, von dem wu�te man nichts, gar nichts, und wenn es krank wurde, so gab es keine Heilung. War es nicht wahnsinnig?

W�hrend er mit Teresina trank und lachte, stiegen in andern Bezirken seiner Seele solche Fragen auf und nieder, dem Bewu�tsein bald n�her bald ferner. Alles war zweifelhaft, alles schwamm im Ungewissen. Wenn er nur das Eine gewu�t h�tte: ob diese Unsicherheit, diese Not, diese Verzweiflung mitten in der Freude, dieses Denkenm�ssen und Fragenm�ssen auch in andern Menschen so war, oder nur in ihm allein, in dem Sonderling Klein?

Eines fand er, darin unterschied er sich von Teresina, darin war sie anders als er, war kindlich und primitiv gesund. Dies M�dchen rechnete, wie alle Menschen, und wie auch er selbst es fr�her getan hatte, immerzu instinktiv mit Zukunft, mit Morgen und �bermorgen, mit Fortdauer. H�tte sie sonst spielen und das Geld so ernst nehmen k�nnen? Und da, das f�hlte er tief, da stand es bei ihm anders. F�r ihn stand hinter jedem Gef�hl und Gedanken das Tor offen, das ins Nichts f�hrte. Wohl litt er an Angst, an Angst vor sehr vielem, vor dem Wahnsinn, vor der Polizei, der Schlaflosigkeit, auch an Angst vor dem Tod. Aber alles, wovor er Angst empfand, das begehrte und ersehnte er dennoch zugleich — er war voll brennender Sehnsucht und Neugierde nach Leid, nach Untergang, nach Verfolgung, nach Wahnsinn und Tod.

„Komische Welt,“ sagte er vor sich hin, und meinte damit nicht die Welt um ihn her, sondern dies innere Wesen. Plaudernd verlie�en sie den Saal und das Haus, kamen im blassen Laternenlicht an das schlafende Seeufer, wo sie ihren Bootsmann wecken mu�ten. Es dauerte eine Weile, bis das Boot abfahren konnte, und die beiden standen nebeneinander, pl�tzlich aus der Lichtf�lle und farbigen Geselligkeit des Kasinos in die dunkle Stille des verlassenen n�chtlichen Ufers verzaubert, das Lachen von dr�ben noch auf erhitzten Lippen und schon k�hl ber�hrt von Nacht, Schlafn�he und Furcht vor Einsamkeit. Sie f�hlten beide dasselbe. Unversehens hielten sie sich bei den H�nden, l�chelten irr und verlegen in die Dunkelheit, spielten mit zuckenden Fingern einer auf Hand und Arm des andern. Der Bootsmann rief, sie stiegen ein, setzten sich in die Kabine, und mit heftigem Griff zog er den blonden schweren Kopf zu sich her und in die ausbrechende Glut seiner K�sse.

Zwischenein sich erwehrend, setzte sie sich aufrecht und fragte: „Werden wir wohl bald wieder hier her�ber fahren?“

Mitten in der Liebeserregung mu�te er heimlich lachen. Sie dachte bei allem noch ans Spiel, sie wollte wiederkommen und ihr Gesch�ft fortsetzen.

„Wann du willst,“ sagte er werbend, „morgen und �bermorgen und jeden Tag, den du willst.“

Als er ihre Finger in seinem Nacken spielen f�hlte, durchzuckte ihn Erinnerung an das furchtbare Gef�hl im Traum, als das r�chende Weib ihm die N�gel in den Hals krallte.

„Jetzt sollte sie mich pl�tzlich t�ten, das w�re das richtige,“ dachte er gl�hend — „oder ich sie.“

Ihre Brust mit tastender Hand umspannend lachte er leise vor sich hin. Unm�glich w�re es ihm gewesen, noch Lust und Weh zu unterscheiden. Auch seine Lust, seine hungrige Sehnsucht nach der Umarmung mit diesem sch�nen starken Weibe, war von Angst kaum zu unterscheiden, er ersehnte sie wie der Verurteilte das Beil. Beides war da, flammende Lust und trostlose Trauer, beides brannte, beides zuckte in fiebernden Sternen auf, beides w�rmte, beides t�tete.

Teresina entzog sich geschmeidig einer zu k�hnen Liebkosung, hielt seine beiden H�nde fest, brachte ihre Augen nah an seine und fl�sterte wie abwesend: „Was bist du f�r ein Mensch, du? Warum liebe ich dich? Warum zieht mich etwas zu dir? Du bist schon alt und bist nicht sch�n — wie ist das? H�re, ich glaube doch, da� du ein Verbrecher bist. Bist du nicht einer? Ist dein Geld nicht gestohlen?“

Er suchte sich loszumachen: „Rede nicht, Teresina! Alles Geld ist gestohlen, alle Habe ist ungerecht. Ist denn das wichtig? Wir sind alle S�nder, wir sind alle Verbrecher, nur schon weil wir leben. Ist denn das wichtig?“

„Ach, was ist wichtig?“ zuckte sie auf.

„Wichtig ist, da� wir diesen Becher austrinken,“ sagte Klein langsam, „nichts anderes ist wichtig. Vielleicht kommt er nicht wieder. Willst du mit mir schlafen kommen, oder darf ich mit zu dir gehen?“

„Komm zu mir,“ sagte sie leise. „Ich habe Angst vor dir, und doch mu� ich bei dir sein. Sage mir dein Geheimnis nicht! Ich will nichts wissen!“

Das Abklingen des Motors weckte sie, sie ri� sich los, strich sich kl�rend �ber Haar und Kleider. Das Boot lief leise an den Steg, Laternenlichter spiegelten splitternd im schwarzen Wasser. Sie stiegen aus.

„Halt, meine Tasche!“ rief Teresina nach zehn Schritten. Sie lief zum Steg zur�ck, sprang ins Boot, fand auf dem Polster die Tasche mit ihrem Geld liegen, warf dem mi�trauisch blickenden F�hrmann einen der Scheine hin und lief Klein in die Arme, der sie am Kai erwartete.

V

Der Sommer hatte pl�tzlich begonnen, in zwei hei�en Tagen hatte er die Welt ver�ndert, die W�lder vertieft, die N�chte verzaubert. Hei� dr�ngte sich Stunde an Stunde, schnell lief die Sonne ihren gl�henden Halbkreis ab, schnell und hastig folgten ihr die Sterne, Lebensfieber gl�hte hoch, eine lautlose gierige Eile jagte die Welt.

Ein Abend kam, da wurde Teresinas Tanz im Kursaal durch ein rasend hertobendes Gewitter unterbrochen. Lampen erloschen, irre Gesichter grinsten sich im wei�en Flackern der Blitze an, Weiber schrien, Kellner br�llten, Fenster zerklirrten im Sturm.

Klein hatte Teresina sofort zu sich an den Tisch gezogen, wo er neben dem alten Komiker sa�.

„Herrlich!“ sagte er. „Wir gehen. Du hast doch keine Angst?“

„Nein, nicht Angst. Aber du darfst heut nicht mit mir kommen. Du hast drei N�chte nicht geschlafen, und du siehst scheu�lich aus. Bring mich nach Haus, und dann geh schlafen in dein Hotel! Nimm Veronal, wenn du es brauchst. Du lebst wie ein Selbstm�rder.“

Sie gingen, Teresina im geborgten Mantel eines Kellners, mitten durch Sturm und Blitze und aufheulende Staubwirbel durch die leer gefegten Stra�en, hell und frohlockend knallten die prallen Donnerschl�ge durch die aufgew�hlte Nacht, pl�tzlich brauste Regen los, auf dem Pflaster zerspritzend, voll und voller mit dem erl�senden Schluchzen wilder G�sse im dicken Sommerlaub.

Na� und durchsch�ttelt kamen sie in die Wohnung der T�nzerin, Klein ging nicht nach Hause, es wurde nicht mehr davon gesprochen. Aufatmend traten sie ins Schlafzimmer, taten lachend die durchn��ten Kleider ab, durchs Fenster schrillte grell das Licht der Blitze, in den Akazien w�hlte Sturm und Regen sich m�de.

„Wir waren noch nicht wieder in Castiglione,“ spottete Klein. „Wann gehen wir?“

„Wir werden wieder gehen, verla� dich drauf. Hast du Langeweile?“

Er zog sie an sich, beide fieberten, und Nachglanz des Gewitters loderte in ihrer Liebkosung. In St��en kam durchs Fenster die gek�hlte feuchte Luft, mit bittrem Geruch von Laub und stumpfem Geruch von Erde. Aus dem Liebeskampf fielen sie beide schnell in Schlummer. Auf dem Kissen lag sein ausgeh�hltes Gesicht neben ihrem frischen, sein d�nnes trocknes Haar neben ihrem vollen bl�henden. Vor dem Fenster gl�hte das Nachtgewitter in letzten Flammen auf, wurde m�de und erlosch, der Sturm schlief ein, beruhigt rann ein stiller Regen in die B�ume.

Bald nach ein Uhr erwachte Klein, der keinen l�ngern Schlaf mehr kannte, aus einem schweren schw�len Traumgewirre, mit w�stem Kopf und schmerzenden Augen. Regungslos lag er eine Weile, die Augen aufgerissen, sich besinnend, wo er sei. Es war Nacht, jemand atmete neben ihm, er war bei Teresina.

Langsam richtete er sich auf. Nun kamen die Qualen wieder, nun war ihm wieder beschieden, Stunde um Stunde zu liegen, Weh und Angst im Herzen, allein, nutzlose Leiden leiden, nutzlose Gedanken denken, nutzlose Sorgen sorgen. Aus dem Alpdr�cken, das ihn geweckt hatte, krochen schwere fette Gef�hle ihm nach, Ekel und Grauen, �bers�ttigung, Selbstverachtung.

Er tastete nach dem Licht und drehte an. Die k�hle Helligkeit flo� �bers wei�e Kissen, �ber die St�hle voll Kleider, schwarz hing das Fensterloch in der schmalen Wand. �ber Teresinas abgewandtes Gesicht fiel Schatten, ihr Nacken und Haar gl�nzte hell.

So hatte er einst auch seine Frau zuweilen liegen sehen, auch neben ihr war er zu Zeiten schlaflos gelegen, ihren Schlummer beneidend, von ihrem satten zufriedenen Atemholen wie verh�hnt. Nie, niemals war man von seinem N�chsten so ganz und gar, so vollkommen verlassen, als wenn er schlief! Und wieder, wie schon oft, fiel ihm das Bild des leidenden Jesus ein, im Garten Gethsemane, wo die Todesangst ihn ersticken will, seine J�nger aber schlafen, schlafen.

Leise zog er das Kissen mehr zu sich her�ber, samt dem schlafenden Kopf Teresinas. Nun sah er ihr Gesicht, im Schlaf so fremd, so ganz bei sich selbst, so ganz von ihm abgewandt. Eine Schulter und Brust lag blo�, unter dem Leintuch w�lbte sich sanft ihr Leib bei jedem Atemzug. Komisch, fiel ihm ein, wie man in Liebesworten, in Gedichten, in Liebesbriefen immer und immer von den s��en Lippen und Wangen sprach, und nie von Bauch und Bein! Schwindel! Schwindel! Er betrachtete Teresina lang. Mit diesem sch�nen Leib, mit dieser Brust und diesen wei�en, gesunden, starken, gepflegten Atmen und Beinen w�rde sie ihn noch oft verlocken und ihn umschlingen und Lust von ihm nehmen und dann ruhen und schlafen, satt und tief, ohne Schmerzen, ohne Angst, ohne Ahnung, sch�n und stumpf und dumm wie ein gesundes schlafendes Tier. Und er w�rde neben ihr liegen, schlaflos, mit flackernden Nerven, das Herz voll Pein. Noch oft? Noch oft? Ach nein, nicht oft mehr, nicht viele Male mehr, vielleicht keinmal mehr! Er zuckte zusammen. Nein, er wu�te es: keinmal mehr!

St�hnend bohrte er den Daumen in seine Augenh�hle, wo zwischen Auge und Stirn diese teuflischen Schmerzen sa�en. Gewi�, auch Wagner hatte diese Schmerzen gehabt, der Lehrer Wagner. Er hatte sie gehabt, diese wahnsinnigen Schmerzen, gewi� jahrelang, und hatte sie getragen und erlitten, und sich dabei reifen und Gott n�her kommen gemeint in seinen Qualen, seinen nutzlosen Qualen. Bis er eines Tages es nicht mehr ertragen konnte — so wie auch er, Klein, es nicht mehr ertragen konnte. Die Schmerzen waren ja das wenigste, aber die Gedanken, die Tr�ume, das Alpdr�cken! Da war Wagner eines Nachts aufgestanden und hatte gesehen, da� es keinen Sinn habe, noch mehr, noch viele solche N�chte voll Qual aneinander zu reihen, da� man dadurch nicht zu Gott komme, und hatte das Messer geholt. Es war vielleicht unn�tz, es war vielleicht t�richt und l�cherlich von Wagner, da� er gemordet hatte. Wer seine Qualen nicht kannte, wer seine Pein nicht gelitten hatte, der konnte es ja nicht verstehen.

Er selbst hatte vor kurzem, in einem Traum, eine Frau mit dem Messer erstochen, weil ihr entstelltes Gesicht ihm unertr�glich gewesen war. Entstellt war freilich jedes Gesicht, das man liebte, entstellt und grausam aufreizend, wenn es nicht mehr log, wenn es schwieg, wenn es schlief. Da sah man ihm auf den Grund und sah nichts von Liebe darin, wie man auch im eigenen Herzen nichts von Liebe fand, wenn man auf den Grund sah. Da war nur Lebensgier und Angst, und aus Angst, aus dummer Kinderangst vor der K�lte, vor dem Alleinsein, vor dem Tode floh man zueinander, k��te sich, umarmte sich, rieb Wange an Wange, legte Bein zu Bein, warf neue Menschen in die Welt. So war es. So war er einst zu seiner Frau gekommen. So war die Frau des Wirtes in einem Dorf zu ihm gekommen, einst, am Anfang seines jetzigen Weges, in einer kahlen steinernen Kammer, barfu� und schweigend, getrieben von Angst, von Lebensgier, von Trostbed�rfnis. So war auch er zu Teresina gekommen, und sie zu ihm. Es war stets derselbe Trieb, dasselbe Begehren, dasselbe Mi�verst�ndnis. Es war auch stets dieselbe Entt�uschung, dasselbe grimme Leid. Man glaubte, Gott nah zu sein, und hielt ein Weib in den Armen. Man glaubte, Harmonie erreicht zu haben, und hatte nur seine Schuld und seinen Jammer weggew�lzt, auf ein fernes zuk�nftiges Wesen! Ein Weib hielt man in den Armen, k��te ihren Mund, streichelte ihre Brust und zeugte mit ihr ein Kind, und einst w�rde das Kind, vom selben Schicksal ereilt, in einer Nacht ebenso neben einem Weibe liegen und ebenso aus dem Rausch erwachen und mit schmerzenden Augen in den Abgrund sehen, und das Ganze verfluchen. Unertr�glich, das zu Ende zu denken!

Sehr aufmerksam betrachtete er das Gesicht der Schlafenden, die Schulter und Brust, das gelbe Haar. Das alles hatte ihn entz�ckt, hatte ihn get�uscht, hatte ihn verlockt, das alles hatte ihm Lust und Gl�ck vorgelogen. Nun war es aus, nun wurde abgerechnet. Er war in das Theater Wagner eingetreten, er hatte erkannt, warum jedes Gesicht, sobald die T�uschung dahinfiel, so entstellt und unausstehlich war.

Klein stand vom Bett auf und ging auf die Suche nach einem Messer. Im Vorbeischleichen streifte er Teresinas lange hellbraune Str�mpfe vom Stuhl — dabei fiel ihm blitzschnell ein, wie er sie das erstemal gesehen, im Park, und wie von ihrem Gang und von ihrem Schuh und straffen Strumpf der erste Reiz ihm zugeflogen war. Er lachte leise, wie schadenfroh, und nahm Teresinas Kleider, St�ck um St�ck, in die Hand, bef�hlte sie und lie� sie zu Boden fallen. Dann suchte er weiter, dazwischen f�r Momente alles vergessend. Sein Hut lag auf dem Tisch, er nahm ihn gedankenlos in die H�nde, drehte ihn, f�hlte, da� er na� war, und setzte ihn auf. Beim Fenster blieb er stehen, sah in die Schw�rze hinaus, h�rte Regen singen, es klang wie aus verschollenen anderen Zeiten her. Was wollte das alles von ihm, Fenster, Nacht, Regen — was ging es ihn an, das alte Bilderbuch aus der Kinderzeit?

Pl�tzlich blieb er stehen. Er hatte ein Ding in die Hand genommen, das auf einem Tische lag, und sah es an. Es war ein silberner ovaler Handspiegel, und aus dem Spiegel schien ihm sein Gesicht entgegen, das Gesicht Wagners, ein irres verzogenes Gesicht mit tiefen schattigen H�hlen und zerst�rten, zersprungenen Z�gen. Das geschah ihm jetzt so merkw�rdig oft, da� er sich unversehens in einem Spiegel sah, ihm schien, er habe fr�her jahrzehntelang nie in einen geblickt. Auch das, schien es, geh�rte zum Theater Wagner.

Er blieb stehen und blickte lang in das Glas. Dies Gesicht des ehemaligen Friedrich Klein war fertig und verbraucht, es hatte ausgedient, Untergang schrie aus jeder Falte. Dies Gesicht mu�te verschwinden, es mu�te ausgel�scht werden. Es war sehr alt, dies Gesicht, viel hatte sich in ihm gespiegelt, allzu viel, viel Lug und Trug, viel Staub und Regen war dar�ber gegangen. Es war einmal glatt und h�bsch gewesen, er hatte es einst geliebt und gepflegt und Freude daran gehabt, und hatte es oft auch geha�t. Warum? Beides war nicht mehr zu begreifen.

Und warum stand er jetzt da, nachts in diesem kleinen fremden Zimmer, mit einem Glas in der Hand und einem nassen Hut auf dem Kopf, ein seltsamer Hanswurst — was war mit ihm? Was wollte er? Er setzte sich auf den Tischrand. Was hatte er gewollt? Was suchte er? Er hatte doch etwas gesucht, etwas sehr Wichtiges gesucht?

Ja, ein Messer.

Pl�tzlich ungeheuer ersch�ttert sprang er empor und lief zum Bett. Er beugte sich �ber das Kissen, sah das schlafende M�dchen im gelben Haare liegen. Sie lebte noch! Er hatte es noch nicht getan! Grauen �berflo� ihn eisig. Mein Gott, nun war es da! Nun war es so weit, und es geschah, was er schon immer und immer in seinen furchtbarsten Stunden hatte kommen sehen. Nun war es da. Nun stand er, Wagner, am Bett einer Schlafenden, und suchte das Messer! — Nein, er wollte nicht. Nein, er war nicht wahnsinnig. Gott sei Dank, er war nicht wahnsinnig! Nun war es gut.

Es kam Friede �ber ihn. Langsam zog er seine Kleider an, die Hosen, den Rock, die Schuhe. Nun war es gut.

Als er nochmals zum Bett treten wollte, f�hlte er Weiches unter seinem Fu�. Da lagen Teresinas Kleider am Boden, die Str�mpfe, das hellgraue Kleid. Sorgf�ltig hob er sie auf und legte sie �ber den Stuhl.

Er l�schte das Licht und ging aus dem Zimmer. Vor dem Hause troff Regen still und k�hl, nirgends Licht, nirgends ein Mensch, nirgends ein Laut, nur der Regen. Er wandte das Gesicht nach oben und lie� sich den Regen �ber Stirn und Wangen laufen. Kein Himmel zu finden. Wie dunkel es war! Gern, gern h�tte er einen Stern gesehen.

Ruhig ging er durch die Stra�en, vom Regen durchweicht. Kein Mensch, kein Hund begegnete ihm, die Welt war ausgestorben. Am Seeufer ging er von Boot zu Boot, sie waren alle hoch ans Land gezogen und stramm mit Ketten befestigt. Erst ganz in der Vorstadt au�en fand er eins, das locker am Strick hing und sich l�sen lie�. Das machte er los und h�ngte die Ruder ein. Schnell war das Ufer vergangen, es flo� ins Grau hinweg wie nie gewesen, nur Grau und Schwarz und Regen war noch auf der Welt, grauer See, nasser See, grauer See, nasser Himmel, alles ohne Ende.

Drau�en, weit im See, zog er die Ruder ein. Es war nun so weit, und er war zufrieden. Fr�her hatte er, in den Augenblicken, wo Sterben ihm unvermeidlich schien, doch immer gern noch ein wenig gez�gert, die Sache auf morgen verschoben, es erst noch einmal mit dem Weiterleben probiert. Davon war nichts mehr da. Sein kleines Boot, das war er, das war sein kleines, umgrenztes, k�nstlich versichertes Leben — rundum aber das weite Grau, das war die Welt, das war All und Gott, dahinein sich fallen zu lassen war nicht schwer, das war leicht, das war froh.

Er setzte sich auf den Rand des Bootes nach au�en, die F��e hingen ins Wasser. Er neigte sich langsam vor, neigte sich vor, bis hinter ihm das Boot elastisch entglitt. Er war im All.

In die kleine Zahl von Augenblicken, welche er von da an noch lebte, war viel mehr Erlebnis gedr�ngt als in den vierzig Jahren, die er zuvor bis zu diesem Ziel unterwegs gewesen war.

Es begann damit: Im Moment, wo er fiel, wo er einen Blitz lang zwischen Bootsrand und Wasser schwebte, stellte sich ihm dar, da� er einen Selbstmord begehe, eine Kinderei, etwas zwar nicht Schlimmes, aber Komisches und ziemlich T�richtes. Das Pathos des Sterbenwollens und das Pathos des Sterbens selbst fiel in sich zusammen, es war nichts damit. Sein Sterben war nicht mehr notwendig, jetzt nicht mehr. Es war erw�nscht, es war sch�n und willkommen, aber notwendig war es nicht mehr. Seit dem Moment, seit dem aufblitzenden Sekundenteil, wo er sich mit ganzem Wollen, mit ganzem Verzicht auf jedes Wollen, mit ganzer Hingabe hatte vom Bootsrand fallen lassen, in den Scho� der Mutter, in den Arm Gottes — seit diesem Augenblick hatte das Sterben keine Bedeutung mehr. Es war ja alles so einfach, es war ja alles so wunderbar leicht, es gab ja keine Abgr�nde, keine Schwierigkeiten mehr. Die ganze Kunst war: sich fallen lassen! Das leuchtete als Ergebnis seines Lebens hell durch sein ganzes Wesen: sich fallen lassen! Hatte man das einmal getan, hatte man einmal sich dahingegeben, sich anheimgestellt, sich ergeben, hatte man einmal auf alle St�tzen und jeden festen Boden unter sich verzichtet, h�rte man ganz und gar nur noch auf den F�hrer im eigenen Herzen, dann war alles gewonnen, dann war alles gut, keine Angst mehr, keine Gefahr mehr.

Dies war erreicht, dies Gro�e, Einzige: er hatte sich fallen lassen! Da� er sich ins Wasser und in den Tod fallen lie�, w�re nicht notwendig gewesen, ebensogut h�tte er sich ins Leben fallen lassen k�nnen. Aber daran lag nicht viel, wichtig war dies nicht. Er w�rde leben, er w�rde wieder kommen. Dann aber w�rde er keinen Selbstmord mehr brauchen und keinen von all diesen seltsamen Umwegen, keine von all diesen m�hsamen und schmerzlichen Torheiten mehr, denn er w�rde die Angst �berwunden haben.

Wunderbarer Gedanke: ein Leben ohne Angst! Die Angst �berwinden, das war die Seligkeit, das war die Erl�sung. Wie hatte er sein Leben lang Angst gelitten, und nun, wo der Tod ihn schon am Halse w�rgte, f�hlte er nichts mehr davon, keine Angst, kein Grauen, nur L�cheln, nur Erl�sung, nur Einverstandensein. Er wu�te nun pl�tzlich, was Angst ist, und da� sie nur von dem �berwunden werden kann, der sie erkannt hat. Man hatte vor tausend Dingen Angst, vor Schmerzen, vor Richtern, vor dem eigenen Herzen, man hatte Angst vor dem Schlaf, Angst vor dem Erwachen, vor dem Alleinsein, vor der K�lte, vor dem Wahnsinn, vor dem Tode — namentlich vor ihm, vor dem Tode. Aber all das waren nur Masken und Verkleidungen. In Wirklichkeit gab es nur eines, vor dem man Angst hatte: das Sichfallenlassen, den Schritt in das Ungewisse hinaus, den kleinen Schritt hinweg �ber all die Versicherungen, die es gab. Und wer sich einmal, ein einziges Mal hingegeben hatte, wer einmal das gro�e Vertrauen ge�bt und sich dem Schicksal anvertraut hatte, der war befreit. Er gehorchte nicht mehr den Erdgesetzen, er war in den Weltraum gefallen und schwang im Reigen der Gestirne mit. So war das. Es war so einfach, jedes Kind konnte das verstehen, konnte das wissen.

Er dachte dies nicht, wie man Gedanken denkt, er lebte, f�hlte, tastete, roch und schmeckte es. Er schmeckte, roch, sah und verstand, was Leben war. Er sah die Erschaffung der Welt, er sah den Untergang der Welt, beide wie zwei Heerz�ge best�ndig gegeneinander in Bewegung, nie vollendet, ewig unterwegs. Die Welt wurde immerfort geboren, sie starb immerfort. Jedes Leben war ein Atemzug, von Gott ausgesto�en. Jedes Sterben war ein Atemzug, von Gott eingesogen. Wer gelernt hatte, nicht zu widerstreben, sich fallen zu lassen, der starb leicht, der wurde leicht geboren. Wer widerstrebte, der litt Angst, der starb schwer, der wurde ungern geboren.

Im grauen Regendunkel �ber dem Nachtsee sah der Untersinkende das Spiel der Welt gespiegelt und dargestellt: Sonnen und Sterne rollten herauf, rollten hinab, Ch�re von Menschen und Tieren, Geistern und Engeln standen gegeneinander, sangen, schwiegen, schrien, Z�ge von Wesen zogen gegeneinander, jedes sich selbst mi�kennend, sich selbst hassend, und sich in jedem andern Wesen hassend und verfolgend. Ihrer aller Sehnsucht war nach Tod, war nach Ruhe, ihr Ziel war Gott, war die Wiederkehr zu Gott und das Bleiben in Gott. Dies Ziel schuf Angst, denn es war ein Irrtum. Es gab kein Bleiben in Gott! Es gab keine Ruhe! Es gab nur das ewige, ewige, ewige, herrliche, heilige Ausgeatmetwerden und Eingeatmetwerden, Gestaltung und Aufl�sung, Geburt und Tod, Auszug und Wiederkehr, ohne Pause, ohne Ende. Und darum gab es nur eine Kunst, nur eine Lehre, nur ein Geheimnis: sich fallen lassen, sich nicht gegen Gottes Willen str�uben, sich an nichts klammern, nicht an Gut noch B�se. Dann war man erl�st, dann war man frei von Leid, frei von Angst, nur dann.

Sein Leben lag vor ihm wie ein Land mit W�ldern, Talschaften und D�rfern, das man vom Kamm eines hohen Gebirges �bersieht. Alles war gut gewesen, einfach und gut gewesen, und alles war durch seine Angst, durch sein Str�uben zu Qual und Verwicklung, zu schauerlichen Kn�ueln und Kr�mpfen von Jammer und Elend geworden! Es gab keine Frau, ohne die man nicht leben konnte — und es gab auch keine Frau, mit der man nicht h�tte leben k�nnen. Es gab kein Ding in der Welt, das nicht ebenso sch�n, ebenso begehrenswert, ebenso begl�ckend war wie sein Gegenteil! Es war selig zu leben, es war selig zu sterben, sobald man allein im Weltraum hing. Ruhe von au�en gab es nicht, keine Ruhe im Friedhof, keine Ruhe in Gott, kein Zauber unterbrach je die ewige Kette der Geburten, die unendliche Reihe der Atemz�ge Gottes. Aber es gab eine andere Ruhe, im eigenen Innern zu finden. Sie hie�: La� dich fallen! Wehre dich nicht! Stirb gern! Lebe gern!

Alle Gestalten seines Lebens waren bei ihm, alle Gesichter seiner Liebe, alle Wechsel seines Leidens. Seine Frau war rein und ohne Schuld wie er selbst, Teresina l�chelte kindlich her. Der M�rder Wagner, dessen Schatten so breit �ber Kleins Leben gefallen war, l�chelte ihm ernst ins Gesicht, und sein L�cheln erz�hlte, da� auch Wagners Tat ein Weg zur Erl�sung gewesen war, auch sie ein Atemzug, auch sie ein Symbol, und da� auch Mord und Blut und Scheu�lichkeit nicht Dinge sind, welche wahrhaft existieren, sondern nur Wertungen unsrer eigenen, selbstqu�lerischen Seele. Mit dem Morde Wagners hatte er, Klein, Jahre seines Lebens hingebracht, in Verwerfen und Billigen, Verurteilen und Bewundern, Verabscheuen und Nachahmen hatte er sich aus diesem Morde unendliche Ketten von Qualen, von �ngsten, von Elend geschaffen. Er hatte hundertmal voll Angst seinem eigenen Tode beigewohnt, er hatte sich auf dem Schafott sterben sehen, er hatte den Schnitt des Rasiermessers durch seinen Hals gef�hlt und die Kugel in seiner Schl�fe — und nun, da er den gef�rchteten Tod wirklich starb, war es so leicht, war es so einfach, war es Freude und Triumph! Nichts in der Welt war zu f�rchten, nichts war schrecklich — nur im Wahn machten wir uns all diese Furcht, all dies Leid, nur in unsrer eignen, ge�ngsteten Seele entstand Gut und B�se, Wert und Unwert, Begehren und Furcht.

Die Gestalt Wagners versank weit in der Ferne. Er war nicht Wagner, nicht mehr, es gab keinen Wagner, das alles war T�uschung gewesen. Nun, mochte Wagner sterben! Er, Klein, w�rde leben.

Wasser flo� ihm in den Mund, und er trank. Von allen Seiten, durch alle Sinne flo� Wasser herein, alles l�ste sich auf. Er wurde angesogen, er wurde eingeatmet. Neben ihm, an ihn gedr�ngt, so eng beisammen wie die Tropfen im Wasser, schwammen andere Menschen, schwamm Teresina, schwamm der alte S�nger, schwamm seine einstige Frau, sein Vater, seine Mutter und Schwester, und tausend, tausend, tausend andre Menschen, und auch Bilder und H�user, Tizians Venus und der M�nster von Stra�burg, alles schwamm, eng aneinander, in einem ungeheuren Strom dahin, von Notwendigkeit getrieben, rasch und rascher, rasend — und diesem ungeheuern, rasenden Riesenstrom der Gestaltungen kam ein anderer Strom entgegen, ungeheuer, rasend, ein Strom von Gesichtern, Beinen, B�uchen, von Tieren, Blumen, Gedanken, Morden, Selbstmorden, geschriebenen B�chern, geweinten Tr�nen, dicht, dicht, voll, voll, Kinderaugen und schwarze Locken und Fischk�pfe, ein Weib mit langem starren Messer im blutigen Bauch, ein junger Mensch, ihm selbst �hnlich, das Gesicht voll heiliger Leidenschaft, das war er selbst, zwanzigj�hrig, jener verschollene Klein von damals! Wie gut, da� auch diese Erkenntnis nun zu ihm kam: da� es keine Zeit gab! Das einzige, was zwischen Alter und Jugend, zwischen Babylon und Berlin, zwischen Gut und B�se, Geben und Nehmen stand, das einzige, was die Welt mit Unterschieden, Wertungen, Leid, Streit, Krieg erf�llte, war der Menschengeist, der junge ungest�me und grausame Menschengeist im Zustand der tobenden Jugend, noch fern vom Wissen, noch weit von Gott. Er erfand Gegens�tze, er erfand Namen. Dinge nannte er sch�n, Dinge h��lich, diese gut, diese schlecht. Ein St�ck Leben wurde Liebe genannt, ein andres Mord. So war dieser Geist, jung, t�richt, komisch. Eine seiner Erfindungen war die Zeit. Eine feine Erfindung, ein raffiniertes Instrument, sich noch inniger zu qu�len und die Welt vielfach und schwierig zu machen! Von allem, was der Mensch begehrte, war er immer nur durch Zeit getrennt, nur durch diese Zeit, diese tolle Erfindung! Sie war eine der St�tzen, eine der Kr�cken, die man vor allem fahren lassen mu�te, wenn man frei werden wollte.

Weiter quoll der Weltstrom der Gestaltungen, der von Gott eingesogene, und der andere, ihm entgegen, der ausgeatmete. Klein sah Wesen, die sich dem Strom widersetzten, die sich unter furchtbaren Kr�mpfen aufb�umten und sich grauenhafte Qualen schufen: Helden, Verbrecher, Wahnsinnige, Denker, Liebende, Religi�se. Andre sah er, gleich ihm selbst, rasch und leicht in inniger Wollust der Hingabe, des Einverstandenseins dahingetrieben, Selige wie er. Aus dem Gesang der Seligen und aus dem endlosen Qualschrei der Unseligen baute sich �ber den beiden Weltstr�men eine durchsichtige Kugel oder Kuppel aus T�nen, ein Dom von Musik, in dessen Mitte sa� Gott, sa� ein heller, vor Helle unsichtbarer Glanzstern, ein Inbegriff von Licht, umbraust von der Musik der Weltch�re, in ewiger Brandung.

Helden und Denker traten aus dem Weltstrom, Propheten, Verk�nder. „Siehe, das ist Gott der Herr, und sein Weg f�hrt zum Frieden“, rief einer, und viele folgten ihm. Ein andrer verk�ndete, da� Gottes Bahn zum Kampf und Kriege f�hre. Einer nannte ihn Licht, einer nannte ihn Nacht, einer Vater, einer Mutter. Einer pries ihn als Ruhe, einer als Bewegung, als Feuer, als K�hle, als Richter, als Tr�ster, als Sch�pfer, als Vernichter, als Verzeiher, als R�cher. Gott selbst nannte sich nicht. Er wollte genannt, er wollte geliebt, er wollte gepriesen, verflucht, geha�t, angebetet sein, denn die Musik der Weltch�re war sein Gotteshaus und war sein Leben — aber es galt ihm gleich, mit welchen Namen man ihn pries, ob man ihn liebte oder ha�te, ob man bei ihm Ruhe und Schlaf, oder Tanz und Raserei suchte. Jeder konnte suchen. Jeder konnte finden.

Jetzt vernahm Klein seine eigene Stimme. Er sang. Mit einer neuen, gewaltigen, hellen, hallenden Stimme sang er laut, sang er laut und hallend Gottes Lob, Gottes Preis. Er sang im rasenden Dahinschwimmen, inmitten der Millionen Gesch�pfe, ein Prophet und Verk�nder. Laut schallte sein Lied, hoch stieg das Gew�lbe der T�ne auf, strahlend sa� Gott im Innern. Ungeheuer brausten die Str�me hin.

Vorbemerkung

Den letzten Sommer seines Lebens brachte der Maler Klingsor, im Alter von zweiundvierzig Jahren, in jenen s�dlichen Gegenden in der N�he von Pampambio, Kareno und Laguno hin, die er schon in fr�hern Jahren geliebt und oft besucht hatte. Dort entstanden seine letzten Bilder, jene freien Paraphrasen zu den Formen der Erscheinungswelt, jene seltsamen, leuchtenden und doch stillen, traumstillen Bilder mit den gebogenen B�umen und pflanzenhaften H�usern, welche von den Kennern denen seiner „klassischen“ Zeit vorgezogen werden. Seine Palette zeigte damals nur noch wenige, sehr leuchtende Farben: Kadmium gelb und rot, Veronesergr�n, Emerald, Kobalt, Kobaltviolett, franz�sischer Zinnober, Geraniumlack und helles Eilidorot.

Die Nachricht von Klingsors Tode erschreckte seine Freunde im Sp�therbst. Manche seiner Briefe hatten Vorahnungen oder Todesw�nsche enthalten. Hieraus mag das Ger�cht entstanden sein, er habe sich selbst das Leben genommen. Andre Ger�chte, wie sie eben einem umstrittenen Namen anfliegen, sind kaum weniger haltlos als jenes. Viele behaupten, Klingsor sei schon seit Monaten geisteskrank gewesen, und ein wenig einsichtiger Kunstschriftsteller hat versucht, das Verbl�ffende und Ekstatische in seinen letzten Bildern aus diesem angeblichen Wahnsinn zu erkl�ren! Mehr Grund als diese Redereien hat die anekdotenreiche Sage von Klingsors Neigung zum Trunk. Diese Neigung war bei ihm vorhanden, und niemand nannte sie offenherziger mit Namen als er selbst. Er hat zu gewissen Zeiten, und so auch in den letzten Monaten seines Lebens, nicht nur Freude am h�ufigen Pokulieren gehabt, sondern auch den Weinrausch bewu�t als Bet�ubung seiner Schmerzen und einer oft schwer ertr�glichen Schwermut gesucht. Li Tai Pe, der Dichter der tiefsten Trinklieder, war sein Liebling, und im Rausche nannte er oft sich selbst Li Tai Pe und einen seiner Freunde Thu Fu.

Seine Werke leben fort, und nicht minder lebt, im kleinen Kreis seiner N�chsten, die Legende seines Lebens und jenes letzten Sommers weiter.

Klingsor

Ein leidenschaftlicher und raschlebiger Sommer war angebrochen. Die hei�en Tage, so lang sie waren, loderten weg wie brennende Fahnen, den kurzen schw�len Mondn�chten folgten kurze schw�le Regenn�chte, wie Tr�ume schnell und mit Bildern �berf�llt fieberten die gl�nzenden Wochen dahin.

Klingsor stand nach Mitternacht, von einem Nachtgang heimgekehrt, auf dem schmalen Steinbalkon seines Arbeitszimmers. Unter ihm sank tief und schwindelnd der alte Terrassengarten hinab, ein tief durchschattetes Gew�hl dichter Baumwipfel, Palmen, Zedern, Kastanien, Judasbaum, Blutbuche, Eukalyptus, durchklettert von Schlingpflanzen, Lianen, Glyzinen. �ber der Baumschw�rze schimmerten bla�spiegelnd die gro�en blechernen Bl�tter der Sommermagnolien, riesige schneewei�e Bl�ten dazwischen halbgeschlossen, gro� wie Menschenk�pfe, bleich wie Mond und Elfenbein, von denen durchdringend und beschwingt ein inniger Zitronengeruch her�berkam. Aus unbestimmter Ferne her mit m�den Schwingen kam Musik geflogen, vielleicht eine Gitarre, vielleicht ein Klavier, nicht zu unterscheiden. In den Gefl�gelh�fen schrie pl�tzlich ein Pfau auf, zwei- und dreimal, und durchri� die waldige Nacht mit dem kurzen, b�sen und h�lzernen Ton seiner gepeinigten Stimme, wie wenn das Leid aller Tierwelt ungeschlacht und schrill aus der Tiefe schellte. Sternlicht flo� durch das Waldtal, hoch und verlassen blickte eine wei�e Kapelle aus dem endlosen Walde, verzaubert und alt. See, Berge und Himmel flossen in der Ferne ineinander.

Klingsor stand auf dem Balkon, im Hemde, die nackten Arme auf die Eisenbr�stung gest�tzt, und las halb unmutig, mit hei�en Augen, die Schrift der Sterne auf dem bleichen Himmel und der milden Lichter auf dem schwarzen klumpigen Gew�lk der B�ume. Der Pfau erinnerte ihn. Ja, es war wieder Nacht, sp�t, und man h�tte nun schlafen sollen, unbedingt und um jeden Preis. Vielleicht, wenn man eine Reihe von N�chten wirklich schlafen w�rde, sechs oder acht Stunden richtig schlafen, so w�rde man sich erholen k�nnen, so w�rden die Augen wieder gehorsam und geduldig sein, und das Herz ruhiger, und die Schl�fen ohne Schmerzen. Aber dann war dieser Sommer vor�ber, dieser tolle flackernde Sommertraum, und mit ihm tausend ungetrunkene Becher versch�ttet, tausend ungesehene Liebesblicke gebrochen, tausend unwiederbringliche Bilder ungesehen erloschen!

Er legte die Stirn und die schmerzenden Augen auf die k�hle Eisenbr�stung, das erfrischte f�r einen Augenblick. In einem Jahr vielleicht, oder fr�her, waren diese Augen blind, und das Feuer in seinem Herzen gel�scht. Nein, kein Mensch konnte dies flammende Leben lang ertragen, auch nicht er, auch nicht Klingsor, der zehn Leben hatte. Niemand konnte eine lange Zeit hindurch Tag und Nacht alle seine Lichter, alle seine Vulkane brennen haben, niemand konnte mehr als eine kurze Zeit lang Tag und Nacht in Flammen stehen, jeden Tag viele Stunden gl�hender Arbeit, jede Nacht viele Stunden gl�hender Gedanken, immerzu genie�end, immerzu schaffend, immerzu in allen Sinnen und Nerven hell und �berwach wie ein Schlo�, hinter dessen s�mtlichen Fenstern Tag f�r Tag Musik erschallt, Nacht f�r Nacht tausend Kerzen funkeln. Es wird zu Ende gehen, schon ist viel Kraft vertan, viel Augenlicht verbrannt, viel Leben hingeblutet.

Pl�tzlich lachte er und reckte sich auf. Ihm fiel ein: oft schon hatte er so empfunden, oft schon so gedacht, so gef�rchtet. In allen guten, fruchtbaren, gl�henden Zeiten seines Lebens, auch in der Jugend schon, hatte er so gelebt, hatte seine Kerze an beiden Enden brennen gehabt, mit einem bald jubelnden, bald schluchzenden Gef�hl von rasender Verschwendung, von Verbrennen, mit einer verzweifelten Gier, den Becher ganz zu leeren, und mit einer tiefen, verheimlichten Angst vor dem Ende. Oft schon hatte er so gelebt, oft schon den Becher geleert, oft schon lichterloh gebrannt. Zuweilen war das Ende sanft gewesen, wie ein tiefer bewu�tloser Winterschlaf. Zuweilen auch war es schrecklich gewesen, unsinnige Verw�stung, unleidliche Schmerzen, �rzte, trauriger Verzicht, Triumph der Schw�che. Und allerdings war von Mal zu Mal das Ende einer Glutzeit schlimmer geworden, trauriger, vernichtender. Aber immer war auch das �berlebt worden, und nach Wochen oder Monaten, nach Qual oder Bet�ubung war die Auferstehung gekommen, neuer Brand, neuer Ausbruch der unterirdischen Feuer, neue gl�hendere Werke, neuer gl�nzender Lebensrausch. So war es gewesen, und die Zeiten der Qual und des Versagens, die elenden Zwischenzeiten waren vergessen worden und untergesunken. Es war gut so. Es w�rde gehen, wie es oft gegangen war.

L�chelnd dachte er an Gina, die er heut abend gesehen hatte, mit der auf dem ganzen n�chtlichen Heimweg seine z�rtlichen Gedanken gespielt hatten. Wie war dies M�dchen sch�n und warm in seiner noch unerfahrenen und �ngstlichen Glut! Spielend und z�rtlich sagte er vor sich hin, als fl�stere er ihr wieder ins Ohr: „Gina! Gina! Cara Gina! Carina Gina! Bella Gina!“

Er trat ins Zimmer zur�ck und drehte das Licht wieder an. Aus einem kleinen wirren B�cherhaufen zog er einen roten Band Gedichte; ein Vers war ihm eingefallen, ein St�ck eines Verses, der ihm uns�glich sch�n und liebevoll schien. Er suchte lange, bis er ihn fand:

La� mich nicht so der Nacht, dem Schmerze,

Du Allerliebstes, du mein Mondgesicht!

O, du mein Phosphor, meine Kerze,

Du meine Sonne, du mein Licht!

Tief genie�end schl�rfte er den dunklen Wein dieser Worte. Wie sch�n, wie innig und zauberhaft war das: O, du mein Phosphor! Und: Du mein Mondgesicht!

L�chelnd ging er vor den hohen Fenstern auf und ab, sprach die Verse, rief sie der fernen Gina zu: „O, du mein Mondgesicht!“ und seine Stimme wurde dunkel vor Z�rtlichkeit.

Dann schlo� er die Mappe auf, die er nach dem langen Arbeitstage noch den ganzen Abend mit sich getragen hatte. Er �ffnete das Skizzenbuch, das kleine, sein liebstes, und suchte die letzten Bl�tter, die von gestern und heut, auf. Da war der Bergkegel mit den tiefen Felsenschatten; er hatte ihn ganz nahe an ein Fratzengesicht heran modelliert, er schien zu schreien, der Berg, vor Schmerz zu klaffen. Da war der kleine Steinbrunnen, halbrund im Berghang, der gemauerte Bogen schwarz mit Schatten gef�llt, ein bl�hender Granatbaum dr�ber blutig gl�hend. Alles nur f�r ihn zu lesen, nur Geheimschrift f�r ihn selbst, eilige gierige Notiz des Augenblicks, rasch herangerissene Erinnerung an jeden Augenblick, in dem Natur und Herz neu und laut zusammenklangen. Und jetzt die gr��ern Farbskizzen, wei�e Bl�tter mit leuchtenden Farbfl�chen in Wasserfarben: die rote Villa im Geh�lz, feurig gl�hend wie ein Rubin auf gr�nem Sammet, und die eiserne Br�cke bei Castiglia, rot auf blaugr�nem Berg, der violette Damm daneben, die rosige Stra�e. Weiter: der Schlot der Ziegelei, rote Rakete vor k�hlhellem Baumgr�n, blauer Wegweiser, hellvioletter Himmel mit der dicken wie gewalzten Wolke. Dies Blatt war gut, das konnte bleiben. Um die Stalleinfahrt war es schade, das Rotbraun vor dem st�hlernen Himmel war richtig, das sprach und klang; aber es war nur halb fertig, die Sonne hatte ihm aufs Blatt geschienen und wahnsinnige Augenschmerzen gemacht. Er hatte nachher lange das Gesicht in einem Bach gebadet. Nun, das Braunrot vor dem b�sen metallenen Blau war da, das war gut, das war um keine kleine T�nung, um keine kleinste Schwingung gef�lscht oder mi�gl�ckt. Ohne caput mortuum h�tte man das nicht herausbekommen. Hier, auf diesem Gebiet lagen die Geheimnisse. Die Formen der Natur, ihr Oben und Unten, ihr Dick und D�nn konnte verschoben werden, man konnte auf alle die biederen Mittel verzichten, mit denen die Natur nachgeahmt wird. Auch die Farben konnte man f�lschen, gewi�, man konnte sie steigern, d�mpfen, �bersetzen, auf hundert Arten. Aber wenn man mit Farbe ein St�ck Natur umdichten wollte, so kam es darauf an, da� die paar Farben genau, haargenau in gleichem Verh�ltnis, in der gleichen Spannung zueinander standen wie in der Natur. Hier blieb man abh�ngig, hier blieb man Naturalist, einstweilen, auch wenn man statt grau Orange und statt schwarz Krapplack nahm.

Also, ein Tag war wieder vertan, und der Ertrag sp�rlich. Das Blatt mit dem Fabrikschlot und der rotblaue Klang auf dem andern Blatt und vielleicht die Skizze mit dem Brunnen. Wenn morgen bedeckter Himmel war, ging er nach Carabbina; dort war die Halle mit den W�scherinnen. Vielleicht regnete es auch wieder einmal, dann blieb er zu Haus und fing das Bachbild in �l an. Und jetzt zu Bett! Es war wieder ein Uhr vorbei.

Im Schlafzimmer ri� er das Hemd ab, go� sich Wasser �ber die Schultern, da� es auf dem roten Steinboden klatschte, sprang ins hohe Bett und l�schte das Licht. Durchs Fenster sah der blasse Monte Salute herein, tausendmal hatte Klingsor vom Bett aus seine Formen abgelesen. Ein Eulenruf aus der Waldschlucht tief und hohl, wie Schlaf, wie Vergessen.

Er schlo� die Augen und dachte an Gina, und an die Halle mit den W�scherinnen. Gott im Himmel, so viel tausend Dinge warteten, so viel tausend Becher standen eingeschenkt! Kein Ding auf der Erde, das man nicht h�tte malen m�ssen! Keine Frau in der Welt, die man nicht h�tte lieben m�ssen! Warum gab es Zeit! Warum immer nur dies idiotische Nacheinander, und kein brausendes, s�ttigendes Zugleich? Warum lag er jetzt wieder allein im Bett, wie ein Witwer, wie ein Greis? Das ganze kurze Leben hindurch konnte man genie�en, konnte man schaffen, aber man sang immer nur Lied um Lied, nie klang die ganze volle Symphonie mit allen hundert Stimmen und Instrumenten zugleich.

Vor langer Zeit, im Alter von zw�lf Jahren, war er Klingsor mit den zehn Leben gewesen. Es gab da bei den Knaben ein R�uberspiel, und jeder von den R�ubern hatte zehn Leben, von denen er jedesmal eines verlor, wenn er vom Verfolger mit der Hand oder mit dem Wurfspeer ber�hrt wurde. Mit sechs, mit drei, mit einem einzigen Leben konnte man noch davonkommen und sich befreien, erst mit dem zehnten war alles verloren. Er aber, Klingsor, hatte seinen Stolz darein gesetzt, sich mit allen, allen seinen zehn Leben durchzuschlagen, und es f�r eine Schande erkl�rt, wenn er mit neun, mit sieben davonkam. So war er als Knabe gewesen, in jener unglaublichen Zeit, wo nichts auf der Welt unm�glich, nichts auf der Welt schwierig war, wo alle Klingsor liebten, wo Klingsor allen befahl, wo alles Klingsor geh�rte. Und so hatte er es weiter getrieben und immer mit zehn Leben gelebt. Und wenn auch nie die S�ttigung, niemals die volle brausende Symphonie zu erreichen war — einstimmig und arm war sein Lied doch nicht gewesen, immer doch hatte er ein paar Saiten mehr auf seinem Spiel gehabt als andere, ein paar Eisen mehr im Feuer, ein paar Taler mehr im Sack, ein paar Rosse mehr am Wagen! Gott sei Dank!

Wie klang die dunkle Gartenstille voll und durchpulst herein, wie Atem einer schlafenden Frau! Wie schrie der Pfau! Wie brannte das Feuer in der Brust, wie schlug das Herz und schrie und litt und jubelte und blutete. Es war doch ein guter Sommer hier oben in Castagnetta, herrlich wohnte er in seiner alten noblen Ruine, herrlich blickte er auf die raupigen R�cken der hundert Kastanienw�lder hinab, sch�n war es, je und je aus dieser edlen alten Wald- und Schlo�welt gierig hinabzusteigen und das farbige frohe Spielzeug drunten anzuschauen und in seiner guten frohen Grellheit zu malen: die Fabrik, die Eisenbahn, den blauen Tramwagen, die Plakats�ule am Kai, die stolzierenden Pfauen, Weiber, Priester, Automobile. Und wie sch�n und peinigend und unbegreiflich war dies Gef�hl in seiner Brust, diese Liebe und flackernde Gier nach jedem bunten Band und Fetzen des Lebens, dieser s��e wilde Zwang zu schauen und zu gestalten, und doch zugleich heimlich, unter d�nnen Decken, das innige Wissen von der Kindlichkeit und Vergeblichkeit all seines Tuns!

Fiebernd schmolz die kurze Sommernacht hinweg, Dampf stieg aus der gr�nen Taltiefe, in hunderttausend B�umen kochte der Saft, hunderttausend Tr�ume quollen in Klingsors leichtem Schlummer auf, seine Seele schritt durch den Spiegelsaal seines Lebens, wo alle Bilder vervielfacht und jedesmal mit neuem Gesicht und neuer Bedeutung sich begegneten und neue Verbindungen eingingen, als w�rde ein Sternhimmel im W�rfelbecher durcheinander gesch�ttelt.

Ein Traumbild unter den vielen entz�ckte und ersch�tterte ihn: Er lag in einem Walde und hatte ein Weib mit rotem Haar auf seinem Scho�, und eine Schwarze lag an seiner Schulter, und eine andere kniete neben ihm, hielt seine Hand und k��te seine Finger, und �berall und rundum waren Frauen und M�dchen, manche noch Kinder, mit d�nnen hohen Beinen, manche in voller Bl�te, manche reif und mit den Zeichen des Wissens und der Erm�dung in den zuckenden Gesichtern, und alle liebten ihn, und alle wollten von ihm geliebt sein. Da brach Krieg und Flamme zwischen den Weibern aus, da griff die Rote mit rasender Hand in das Haar der Schwarzen und ri� sie daran zu Boden und ward selber hinabgerissen, und alle st�rzten sich aufeinander, jede schrie, jede ri�, jede bi�, jede tat Weh, jede litt Weh, Gel�chter, Wutschrei und Schmerzgeheul klang ineinander verwickelt und verknotet, Blut flo� �berall, Krallen schlugen blutig in feistes Fleisch.

Mit einem Gef�hl von Weh und Beklemmung erwachte Klingsor f�r Minuten, weit offen starrten seine Augen nach dem lichten Loch in der Wand. Noch standen die Gesichter der rasenden Weiber vor seinem Blick, und viele von ihnen kannte und nannte er mit Namen: Nina, Hermine, Elisabeth, Gina, Edith, Bertha und sagte mit heiserer Stimme noch aus dem Traum heraus: „Kinder, h�rt auf! Ihr l�gt ja, ihr l�gt mich ja an; nicht euch m�sset ihr zerrei�en, sondern mich, mich!“

Louis

Louis der Grausame war vom Himmel gefallen, pl�tzlich war er da, Klingsors alter Freund, der Reisende, der Unberechenbare, der in der Eisenbahn wohnte und dessen Atelier sein Rucksack war. Gute Stunden tropften vom Himmel dieser Tage, gute Winde wehten. Sie malten gemeinsam, auf dem �lberg und in Cartago.

„Ob diese ganze Malerei eigentlich einen Wert hat?“ sagte Louis auf dem �lberg, nackt im Grase liegend, den R�cken rot von der Sonne. „Man malt doch blo� faute de mieux, mein Lieber. H�ttest du immer das M�dchen auf dem Scho�, das dir gerade gef�llt, und die Suppe im Teller, nach der heute dein Sinn steht, du w�rdest dich nicht mit dem wahnsinnigen Kinderspiel plagen. Die Natur hat zehntausend Farben, und wir haben uns in den Kopf gesetzt, die Skala auf zwanzig zu reduzieren. Das ist die Malerei. Zufrieden ist man nie, und mu� noch die Kritiker ern�hren helfen. Hingegen eine gute Marseiller Fischsuppe, caro mio, und ein kleiner lauer Burgunder dazu, und nachher ein Mail�nder Schnitzel, zum Dessert Birnen und einen Gorgonzola, und ein t�rkischer Kaffee — das sind Realit�ten, mein Herr, das sind Werte! Wie i�t man schlecht in eurem Pal�stina hier! Ach Gott, ich wollte, ich w�r’ in einem Kirschbaum, und die Kirschen w�chsen mir ins Maul, und grade �ber mir auf der Leiter st�nde das braune heftige M�dchen, dem wir heut fr�h begegnet sind. Klingsor, gib das Malen auf! Ich lade dich zu einem guten Essen in Laguno ein, es wird bald Zeit.“

„Gilt es?“ fragte Klingsor blinzelnd.

„Es gilt. Ich mu� nur vorher noch schnell an den Bahnhof. N�mlich, offen gestanden, ich habe einer Freundin telegraphiert, da� ich am Sterben sei, sie kann um elf Uhr da sein.“

Lachend ri� Klingsor die begonnene Studie vom Brett.

„Recht hast du, Junge. Gehen wir nach Laguno! Zieh dein Hemd an, Luigi. Die Sitten hier sind von gro�er Unschuld, aber nackt kannst du leider nicht in die Stadt gehen.“

Sie gingen ins St�dtchen, sie gingen zum Bahnhof, eine sch�ne Frau kam an, sie a�en sch�n und gut in einem Restaurant, und Klingsor, der dies in seinen l�ndlichen Monaten ganz vergessen hatte, war erstaunt, da� es alle diese Dinge noch gab, diese lieben heiteren Dinge: Forellen, Lachsschinken, Spargeln, Chablis, Waliser D�le, Benediktiner.

Nach dem Essen fuhren sie, alle drei, in der Seilbahn durch die steile Stadt hinauf, quer durch die H�user, an Fenstern und h�ngenden G�rten vor�ber, es war sehr h�bsch, sie blieben sitzen und fuhren wieder hinab, und noch einmal hinauf und hinab. Sonderbar sch�n und seltsam war die Welt, sehr farbig, etwas fragw�rdig, etwas unwahrscheinlich, jedoch wundersch�n. Klingsor nur war ein wenig befangen, er trug Kaltbl�tigkeit zur Schau, wollte sich nicht in Luigis sch�ne Freundin verlieben. Sie gingen nochmals in ein Kaffee, sie gingen in den leeren mitt�glichen Park, legten sich am Wasser unter die Riesenb�ume. Vieles sahen sie, was h�tte gemalt werden m�ssen: rote edelsteinerne H�user in tiefem Gr�n, Schlangenb�ume und Per�ckenb�ume, blau und braun berostet.

„Du hast sehr liebe und lustige Sachen gemalt, Luigi,“ sagte Klingsor, „die ich alle sehr liebe: Fahnenstangen, Clowns, Zirkusse. Aber das Liebste von allem ist mir ein Fleck auf deinem n�chtlichen Karussellbild. Wei�t du, da weht �ber dem violetten Gezelt und fern von all den Lichtern hoch oben in der Nacht eine k�hle kleine Fahne, hellrosa, so sch�n, so k�hl, so einsam, so scheu�lich einsam! Das ist wie ein Gedicht von Li Tai Pe oder von Paul Verlaine. In dieser kleinen, dummen Rosafahne ist alles Weh und alle Resignation der Welt, und auch noch alles gute Lachen �ber Weh und Resignation. Da� du dieses F�hnchen gemalt hast, damit ist dein Leben gerechtfertigt, ich rechne es dir hoch an, das F�hnchen.“

„Ja, ich wei�, da� du es gern hast.“

„Du selber hast es auch gern. Schau, wenn du nicht einige solche Sachen gemalt h�ttest, dann w�rden alle guten Essen und Weine und Weiber und Kaffees dir nichts helfen, du w�rest ein armer Teufel. So aber bist du ein reicher Teufel, und bist ein Kerl, den man lieb hat. Sieh, Luigi, ich denke oft wie du: unsre ganze Kunst ist blo� ein Ersatz, ein m�hsamer und zehnmal zu teuer bezahlter Ersatz f�r vers�umtes Leben, vers�umte Tierheit, vers�umte Liebe. Aber es ist doch nicht so. Es ist ganz anders. Man �bersch�tzt das Sinnliche, wenn man das Geistige nur als einen Notersatz f�r fehlendes Sinnliches ansieht. Das Sinnliche ist um kein Haar mehr wert als der Geist, so wenig wie umgekehrt. Es ist alles eins, es ist alles gleich gut. Ob du ein Weib umarmst oder ein Gedicht machst, ist dasselbe. Wenn nur die Hauptsache da ist, die Liebe, das Brennen, das Ergriffensein, dann ist es einerlei, ob du M�nch auf dem Berge Athos bist oder Lebemann in Paris.“

Louis blickte langsam aus den sp�ttischen Augen her�ber. „Junge, brich dir man keene Verzierungen ab!“

Mit der sch�nen Frau durchstreiften sie die Gegend. Im Sehen waren sie beide stark, das konnten sie. Im Umkreis der paar St�dtchen und D�rfer sahen sie Rom, sahen Japan, sahen die S�dsee und zerst�rten die Illusionen wieder mit spielendem Finger; ihre Laune z�ndete Sterne am Himmel an und l�schte sie wieder aus. Durch die �ppigen N�chte lie�en sie ihre Leuchtkugeln steigen; die Welt war Seifenblase, war Oper, war froher Unsinn.

Louis, der Vogel, schwebte auf seinem Fahrrad durch die H�gelgegend, war da und dort, w�hrend Klingsor malte. Manche Tage opferte Klingsor, dann sa� er wieder verbissen drau�en und arbeitete. Louis wollte nicht arbeiten. Louis war pl�tzlich abgereist, samt der Freundin, schrieb eine Karte aus weiter Ferne. Pl�tzlich war er wieder da, als Klingsor ihn schon verloren gegeben hatte, stand im Strohhut und offnen Hemde vor der T�r, als w�re er nie weggewesen. Noch einmal sog Klingsor aus dem s��esten Becher seiner Jugendzeit den Trank der Freundschaft. Viele Freunde hatte er, viele liebten ihn, vielen hatte er gegeben, vielen sein rasches Herz ge�ffnet, aber nur zwei von den Freunden h�rten auch in diesem Sommer noch den alten Herzensruf von seinen Lippen: Louis der Maler, und der Dichter Hermann, genannt Thu Fu.

An manchen Tagen sa� Louis im Feld auf seinem Malstuhl, im Birnbaumschatten, im Pflaumenbaumschatten, und malte nicht. Er sa� und dachte und hielt Papier auf das Malbrett geheftet und schrieb, schrieb viel, schrieb viele Briefe. Sind Menschen gl�cklich, die so viele Briefe schreiben? Er schrieb angestrengt, Louis, der Sorglose, sein Blick hing eine Stunde lang peinlich am Papier. Viel Verschwiegenes trieb ihn um. Klingsor liebte ihn daf�r.

Anders tat Klingsor. Er konnte nicht schweigen. Er konnte sein Herz nicht verbergen. Von den heimlichen Leiden seines Lebens, von denen wenige wu�ten, lie� er doch die N�chsten wissen. Oft litt er an Angst, an Schwermut, oft lag er im Schacht der Finsternis gefangen, Schatten aus seinem fr�hern Leben fielen zu Zeiten �bergro� in seine Tage und machten sie schwarz. Dann tat es ihm wohl, Luigis Gesicht zu sehen. Dann klagte er ihm zuweilen.

Louis aber sah diese Schw�chen nicht gerne. Sie qu�lten ihn, sie forderten Mitleid. Klingsor gew�hnte sich daran, dem Freund sein Herz zu zeigen, und begriff zu sp�t, da� er ihn damit verliere.

Wieder begann Louis von Abreise zu sprechen. Klingsor wu�te, nun w�rde er ihn noch f�r Tage halten k�nnen, f�r drei, f�r f�nf; pl�tzlich aber w�rde er ihm den gepackten Koffer zeigen und abreisen, um lange Zeit nicht wieder zu kommen. Wie war das Leben kurz, wie unwiederbringlich war alles! Den einzigen seiner Freunde, der seine Kunst ganz verstand, dessen eigene Kunst der seinen nah und ebenb�rtig war, diesen einzigen hatte er nun erschreckt und bel�stigt, ihn verstimmt und abgek�hlt, blo� aus dummer Schw�che und Bequemlichkeit, blo� aus dem kindlichen und unanst�ndigen Bed�rfnis, einem Freund gegen�ber sich keine M�he geben zu m�ssen, keine Geheimnisse vor ihm zu h�ten, keine Haltung vor ihm zu bewahren. Wie dumm, wie knabenhaft war das gewesen! So strafte sich Klingsor, zu sp�t.

Den letzten Tag wanderten sie zusammen durch die goldenen T�ler, Louis war sehr guter Laune, Abreise war Lebenslust f�r sein Vogelherz. Klingsor machte mit, sie hatten wieder den alten, leichten, spielenden und sp�ttischen Ton gefunden, und lie�en ihn nimmer los. Abends sa�en sie im Garten des Wirtshauses. Fische lie�en sie sich backen, Reis mit Pilzen kochen, und gossen Maraschino �ber Pfirsiche.

„Wohin reisest du morgen?“ fragte Klingsor.

„Ich wei� nicht.“

„F�hrst du zu der sch�nen Frau?“

„Ja. Vielleicht. Wer kann das wissen? Frage nicht so viel. Wir wollen jetzt, zum Schlu�, noch einen guten Wei�wein trinken. Ich bin f�r Neuenburger.“

Sie tranken; pl�tzlich rief Louis: „Es ist schon gut, da� ich abreise, alter Seehund. Manchmal, wenn ich so neben dir sitze, zum Beispiel jetzt, f�llt mir pl�tzlich etwas Dummes ein. Es f�llt mir ein, da� jetzt da die zwei Maler sitzen, die unser gutes Vaterland hat, und dann habe ich ein scheu�liches Gef�hl in den Knien, wie wenn wir beide aus Bronze w�ren und Hand in Hand auf einem Denkmal stehen m��ten, wei�t du, so wie der Goethe und der Schiller. Die k�nnen schlie�lich auch nichts daf�r, da� sie ewig dastehen und einander an der Bronzehand halten m�ssen, und da� sie uns allm�hlich so fatal und verha�t geworden sind. Vielleicht waren sie ganz feine Kerle und reizende Burschen, vom Schiller habe ich fr�her einmal ein St�ck gelesen, das war direkt h�bsch. Und doch ist jetzt das aus ihm geworden, da� er ein ber�hmtes Vieh ist, und neben seinem siamesischen Zwilling stehen mu�, Gipskopf neben Gipskopf, und da� man ihre gesammelten Werke herumstehen sieht und sie in den Schulen erkl�rt. Es ist schauderhaft. Denke dir, ein Professor in hundert Jahren, wie er den Gymnasiasten predigt: Klingsor, geboren 1877, und sein Zeitgenosse Louis, genannt der Vielfra�, Erneuerer der Malerei, Befreiung vom Naturalismus der Farbe, bei n�herer Betrachtung zerf�llt dies K�nstlerpaar in drei deutlich unterscheidbare Perioden! Lieber komme ich noch heut unter eine Lokomotive.“

„Gescheiter w�re es, es k�men alle Professoren darunter.“

„So gro�e Lokomotiven gibt es nicht. Du wei�t, wie kleinlich unsre Technik ist.“

Schon kamen Sterne herauf. Pl�tzlich stie� Louis sein Glas an das des Freundes.

„So, wir wollen ansto�en und austrinken. Dann setze ich mich auf mein Rad und adieu. Nur keinen langen Abschied! Der Wirt ist bezahlt. Prosit, Klingsor!“

Sie stie�en an, sie tranken aus, im Garten stieg Louis aufs Zweirad, schwang den Hut, war fort. Nacht, Sterne. Louis war in China. Louis war eine Legende.

Klingsor l�chelte traurig. Wie liebte er diesen Zugvogel! Lange stand er im Kies des Wirtsgartens, sah die leere Stra�e hinab.

Der Kareno-Tag

Zusammen mit den Freunden aus Barengo und mit Agosto und Ersilia unternahm Klingsor die Fu�reise nach Kareno. Sie sanken in der Morgenstunde, zwischen den stark duftenden Spir�en und umzittert von den noch betauten Spinngeweben der Waldr�nder, durch den steilen warmen Wald hinab in das Tal von Pampambio, wo vom Sommertag bet�ubt an der gelben Stra�e grelle gelbe H�user schliefen, vorn�bergeneigt und halbtot, und am versiegten Bach die wei�en metallenen Weiden hingen mit schweren Fl�geln �ber den goldenen Wiesen. Farbig schwamm die Karawane der Freunde auf der rosigen Stra�e durch das dampfende Talgr�n: die M�nner wei� und gelb in Leinen und Seide, die Frauen wei� und rosa, der herrliche veronesergr�ne Sonnenschirm Ersilias funkelte wie ein Kleinod im Zauberring.

Melancholisch klagte der Doktor, mit der menschenfreundlichen Stimme: „Es ist ein Jammer, Klingsor, Ihre wunderbaren Aquarelle werden in zehn Jahren alle wei� sein; diese Farben, die Sie bevorzugen, halten alle nicht.“

Klingsor: „Ja, und was noch schlimmer ist: Ihre sch�nen braunen Haare, Doktor, werden in zehn Jahren alle grau sein, und eine kleine Weile sp�ter liegen unsere h�bschen frohen Knochen irgendwo in einem Loch in der Erde, leider auch Ihre so sch�nen und gesunden Knochen, Ersilia. Kinder, wir wollen nicht so sp�t im Leben noch anfangen vern�nftig zu werden. Hermann, wie spricht Li Tai Pe?“

Hermann der Dichter blieb stehen und sprach:

Das Leben vergeht wie ein Blitzstrahl,

Dessen Glanz kaum so lange w�hrt, da� man ihn sehen kann.

Wenn die Erde und der Himmel ewig unbeweglich stehen,

Wie rasch fliegt die wechselnde Zeit �ber das Antlitz der Menschen.

O du, der du beim vollen Becher sitzest und nicht trinkst,

O sage mir, auf wen wartest du noch?

„Nein,“ sagte Klingsor, „ich meine den andern Vers, mit Reimen, von den Haaren, die am Morgen noch dunkel waren —“

Hermann sagte alsbald den Vers:

Noch am Morgen gl�nzten deine Haare wie schwarze Seide,

Abend hat schon Schnee auf sie getan,

Wer nicht will, da� er lebendigen Leibes sterbend leide,

Schwinge den Becher und fordre den Mond als Kumpan!

Klingsor lachte laut, mit seiner etwas heiseren Stimme.

„Braver Li Tai Pe! Er hatte Ahnungen, er wu�te allerlei. Auch wir wissen allerlei, er ist unser alter kluger Bruder. Dieser trunkene Tag w�rde ihm gefallen, es ist gerade so ein Tag, an dessen Abend es sch�n w�re, den Tod Li Tai Pes zu sterben, im Boot auf dem stillen Flu�. Ihr werdet sehen, alles wird heut wunderbar sein.“

„Was war das f�r ein Tod, den Li Tai Pe auf dem Flu� gestorben ist?“ fragte die Malerin.

Aber Ersilia unterbrach, mit ihrer guten tiefen Stimme: „Nein, jetzt h�ret auf! Wer noch ein Wort von Tod und Sterben sagt, den habe ich nicht mehr lieb. Finisca adesso, brutto Klingsor!“

Klingsor kam lachend zu ihr her�ber: „Wie haben Sie recht, bambina! Wenn ich noch ein Wort vom Sterben sage, d�rfen Sie mir mit dem Sonnenschirm in beide Augen sto�en. Aber im Ernst, es ist heut wunderbar, liebe Menschen! Ein Vogel singt heut, der ist ein M�rchenvogel, ich hab’ ihn schon am Morgen geh�rt. Ein Wind geht heut, der ist ein M�rchenwind, das himmlische Kind, der weckt die schlafenden Prinzessinnen auf und sch�ttelt den Verstand aus den K�pfen. Heut bl�ht eine Blume, die ist eine M�rchenblume, die ist blau und bl�ht nur einmal im Leben, und wer sie pfl�ckt, der hat die Seligkeit.“

„Meint er etwas damit?“ fragte Ersilia den Doktor. Klingsor h�rte es.

„Ich meine damit: Dieser Tag kommt niemals wieder, und wer ihn nicht i�t und trinkt und schmeckt und riecht, dem wird er in aller Ewigkeit kein zweites Mal angeboten. Niemals wird die Sonne so scheinen wie heut, sie hat eine Konstellation am Himmel, eine Verbindung mit Jupiter, mit mir, mit Agosto und Ersilia und uns allen, die kommt nie, niemals wieder, nicht in tausend Jahren. Darum m�chte ich jetzt, weil das Gl�ck bringt, ein wenig an Ihrer linken Seite gehen und Ihren smaragdenen Sonnenschirm tragen, in seinem Licht wird mein Sch�del aussehen wie ein Opal. Sie aber m�ssen auch mittun und m�ssen ein Lied singen, eines von Ihren sch�nsten.“

Er nahm Ersilias Arm, sein scharfes Gesicht tauchte weich in den blaugr�nen Schatten des Schirmes, in den er verliebt war und dessen grells��e Farbe ihn entz�ckte.

Ersilia fing zu singen an:

Il mio papa non vuole,

Ch’ io spos’ un bersaglier —

Stimmen schlossen sich an, man schritt singend bis zum Walde und in den Wald hinein, bis die Steigung zu gro� wurde, der Weg f�hrte wie eine Leiter steil bergan durch die Farnkr�uter den gro�en Berg empor.

„Wie wundervoll gradlinig ist dieses Lied!“ lobte Klingsor. „Der Papa ist gegen die Liebenden, wie er es immer ist. Sie nehmen ein Messer, das gut schneidet, und machen den Papa tot. Weg ist er. Sie machen es in der Nacht, niemand sieht sie als der Mond, der verr�t sie nicht, und die Sterne, die sind stumm, und der liebe Gott, der wird ihnen schon verzeihen. Wie sch�n und aufrichtig ist das! Ein heutiger Dichter w�rde daf�r gesteinigt werden.“

Man klomm im durchsonnten spielenden Kastanienschatten den engen Bergweg hinan. Wenn Klingsor aufblickte, sah er vor seinem Gesicht die d�nnen Waden der Malerin rosig aus durchsichtigen Str�mpfen scheinen. Sah er zur�ck, so w�lbte sich �ber dem schwarzen Negerkopf Ersilias der T�rkis des Sonnenschirmes. Darunter war sie violett in Seide, die einzige Dunkle unter allen Figuren.

Bei einem Bauernhaus blau und orange lagen gefallene gr�ne Sommer�pfel in der Wiese, k�hl und sauer, von denen probierten sie. Die Malerin erz�hlte schw�rmend von einem Ausflug auf der Seine, in Paris, einst, vor dem Kriege. Ja, Paris, und das selige Damals!

„Das kommt nicht wieder. Nie mehr.“

„Es soll auch nicht,“ rief der Maler heftig und sch�ttelte grimmig den scharfen Sperberkopf. „Nichts soll wiederkommen! Wozu denn? Was sind das f�r Kinderw�nsche! Der Krieg hat alles, was vorher war, zu einem Paradies umgemalt, auch das D�mmste, auch das Entbehrlichste. Gut so, es war sch�n in Paris und sch�n in Rom und sch�n in Arles. Aber ist es heut und hier weniger sch�n? Das Paradies ist nicht Paris und nicht die Friedenszeit, das Paradies ist hier, da oben liegt es auf dem Berg, und in einer Stunde sind wir mitten drin und sind die Sch�cher, zu denen gesagt wird: Heut wirst du mit mir im Paradiese sein.“

Sie brachen aus dem durchsprenkelten Schatten des Waldpfades auf die offene breite Fahrstra�e hinaus, die f�hrte licht und hei� in gro�en Spiralen zur H�he. Klingsor, die Augen mit der dunkelgr�nen Brille gesch�tzt, ging als letzter und blieb oft zur�ck, um die Figuren sich bewegen und ihre farbigen Konstellationen zu sehen. Er hatte nichts zum Arbeiten mitgenommen, absichtlich, nicht einmal das kleine Notizbuch, und stand doch hundertmal still, bewegt von Bildern. Einsam stand seine hagere Gestalt, wei� auf der r�tlichen Stra�e, am Rand des Akaziengeh�lzes. Sommer hauchte hei� �ber den Berg, Licht flo� senkrecht herab, Farbe dampfte hundertf�ltig aus der Tiefe herauf. �ber die n�chsten Berge, die gr�n und rot mit wei�en D�rfern aufklangen, schauten bl�uliche Bergz�ge, und lichter und blauer dahinter neue und neue Z�ge und ganz fern und unwirklich die kristallnen Spitzen von Schneebergen. �ber dem Wald von Akazien und Kastanien trat freier und m�chtiger der Felsr�cken und h�ckrige Gipfel des Salute hervor, lila und hellviolett. Sch�ner als alles waren die Menschen, wie Blumen standen sie im Licht unterm Gr�n, wie ein riesiger Skarab�us leuchtete der smaragdne Sonnenschirm, Ersilias schwarzes Haar darunter, die wei�e schlanke Malerin, mit rosigem Gesicht, und alle andern. Klingsor trank sie mit durstigem Auge, seine Gedanken aber waren bei Gina. Erst in einer Woche konnte er sie wieder sehen, sie sa� in einem B�ro in der Stadt und schrieb auf der Maschine, selten nur gl�ckte es, da� er sie sah, und nie allein. Und sie liebte er, gerade sie, die nichts von ihm wu�te, die ihn nicht kannte, nicht verstand, f�r die er nur ein seltner seltsamer Vogel, ein fremder ber�hmter Maler war. Wie seltsam war das, da� gerade an ihr sein Verlangen h�ngen blieb, da� kein anderer Liebesbecher ihm gen�gte. Er war es nicht gewohnt, lange Wege um eine Frau zu gehen. Um Gina ging er sie, um eine Stunde neben ihr zu sein, ihre schlanken kleinen Finger zu halten, seinen Schuh unter ihren zu schieben, einen schnellen Ku� auf ihren Nacken zu dr�cken. Er sann dar�ber nach, sich selbst ein drolliges R�tsel. War dies schon die Wende? Schon das Alter? War es nur das, nur der Johannistrieb des Vierzigj�hrigen zur Zwanzigj�hrigen?

Der Bergr�cken war erreicht, und jenseits brach eine neue Welt dem Blick entgegen: hoch und unwirklich der Monte Gennaro, aufgebaut aus lauter steilen spitzen Pyramiden und Kegeln, die Sonne schr�g dahinter, jedes Plateau emailgl�nzend auf tief violetten Schatten schwimmend. Zwischen dort und hier die flimmernde Luft, und unendlich tief verloren der schmale blaue Seearm, k�hl hinter gr�nen Waldflammen ruhend.

Ein winziges Dorf auf dem Berggrat: ein Herrschaftsgut mit kleinem Wohnhaus, vier, f�nf andere H�user, steinern, blau und rosig bemalt, eine Kapelle, ein Brunnen, Kirschb�ume. Die Gesellschaft hielt in der Sonne am Brunnen, Klingsor ging weiter, durch einen Torbogen in ein schattiges Geh�ft, drei bl�uliche H�user standen hoch, mit wenig kleinen Fenstern, Gras und Ger�ll dazwischen, eine Ziege, Brennesseln. Ein Kind lief vor ihm fort, er lockte es, zog Schokolade aus der Tasche. Es hielt, er fing es ein, streichelte und f�tterte es, es war scheu und sch�n, ein kleines schwarzes M�dchen, erschrockene schwarze Tieraugen, schlanke nackte Beine braun und gl�nzend. „Wo wohnt ihr?“ fragte er, sie lief zur n�chsten T�r, die in dem H�usergekl�ft sich �ffnete. Aus einem finstern Steinraum wie aus H�hlen der Urzeit trat ein Weib, die Mutter, auch sie nahm Schokolade. Aus schmutzigen Kleidern stieg der braune Hals, ein festes breites Gesicht, sonnverbrannt und sch�n, breiter voller Mund, gro�es Auge, roher s��er Liebreiz, Geschlecht und Mutterschaft sprach breit und still aus gro�en asiatischen Z�gen. Er neigte sich verf�hrend zu ihr, sie wich l�chelnd aus, schob das Kind zwischen sich und ihn. Er ging weiter, zu einer Wiederkehr entschlossen. Diese Frau wollte er malen, oder ihr Geliebter sein, sei es nur eine Stunde lang. Sie war alles: Mutter, Kind, Geliebte, Tier, Madonna.

Langsam kehrte er zur Gesellschaft zur�ck, das Herz voll von Tr�umen. Auf der Mauer des Gutes, dessen Wohnhaus leer und geschlossen schien, waren alte rauhe Kanonenkugeln befestigt, eine launische Treppe f�hrte durch Geb�sch zu einem Hain und H�gel, zu oberst ein Denkmal, da stand barock und einsam eine B�ste, Kost�m Wallenstein, Locken, gewellter Spitzbart. Spuk und Phantastik umgl�hte den Berg, im glei�enden Mittagslicht, Wunderliches lag auf der Lauer, auf eine andere, ferne Tonart war die Welt gestimmt. Klingsor trank am Brunnen, ein Segelfalter flog her und sog an den verspritzten Tropfen auf dem kalksteinernen Brunnenrand.

Dem Grat nach f�hrte die Bergstra�e weiter, unter Kastanien, unter Nu�b�umen, sonnig, schattig. An einer Biegung, eine Wegkapelle, alt und gelb, in der Nische verblichene alte Bilder, ein Heiligenkopf engels�� und kindlich, ein St�ck Gewand rot und braun, der Rest verbr�ckelt. Klingsor liebte alte Bilder sehr, wenn sie ihm ungesucht entgegenkamen, er liebte solche Fresken, er liebte die Wiederkehr dieser sch�nen Werke zum Staub und zur Erde.

Wieder B�ume, Reben, hei�e Stra�e blendend, wieder eine Biegung: da war das Ziel, pl�tzlich, unverhofft: ein dunkler Torgang, eine gro�e hohe Kirche aus rotem Stein, froh und selbstbewu�t in den Himmel hinan geschmettert, ein Platz voll Sonne, Staub und Frieden, rot verbrannter Rasen, der unterm Fu�e brach, Mittagslicht von grellen W�nden zur�ckgeworfen, eine S�ule, eine Figur darauf, unsichtbar vor Sonnenschwall, eine Steinbr�stung um weiten Platz �ber blaue Unendlichkeit. Dahinter das Dorf, Kareno, uralt, eng, finster, sarazenisch, d�stere Steinh�hlen unter verblichen braunem Ziegelstein, Gassen bedr�ckend traumschmal und voll Finsternis, kleine Pl�tze pl�tzlich in wei�er Sonne aufschreiend, Afrika und Nagasaki, dar�ber der Wald, darunter der blaue Absturz, wei�e, fette, satte Wolken oben.

„Es ist komisch,“ sagte Klingsor, „wie lange man braucht, bis man sich in der Welt ein bi�chen auskennt! Als ich einmal nach Asien fuhr, vor Jahren, kam ich im Schnellzug in der Nacht sechs Kilometer von hier vorbeigefahren, oder zehn, und wu�te nichts. Ich fuhr nach Asien, und es war damals sehr notwendig, da� ich es tat. Aber alles, was ich dort fand, das finde ich heut auch hier: Urwald, Hitze, sch�ne fremde Menschen ohne Nerven, Sonne, Heiligt�mer. Man braucht so lang, bis man lernt, an einem einzigen Tage drei Erdteile zu besuchen. Hier sind sie. Willkommen, Indien! Willkommen, Afrika! Willkommen, Japan!“

Die Freunde kannten eine junge Dame, die hier oben hauste, und Klingsor freute sich auf den Besuch bei der Unbekannten sehr. Er nannte sie die K�nigin der Gebirge, so hatte eine geheimnisvolle morgenl�ndische Erz�hlung in den B�chern seiner Knabenjahre gehei�en.

Erwartungsvoll brach die Karawane durch die blaue Schattenschlucht der Gassen, kein Mensch, kein Laut, kein Huhn, kein Hund. Aber im Halbschatten eines Fensterbogens sah Klingsor lautlos eine Gestalt stehen, ein sch�nes M�dchen, schwarz�ugig, rotes Kopftuch um schwarzes Haar. Ihr Blick, still nach den Fremden lauernd, traf den seinen, einen langen Atemzug lang schauten sie, Mann und M�dchen, sich in die Augen, voll und ernst, zwei fremde Welten einen Augenblick lang einander nah. Dann l�chelten sich beide kurz und innig den ewigen Gru� der Geschlechter zu, die alte, s��e, gierige Feindschaft, und mit einem Schritt um die Kante des Hauses war der fremde Mann hinweggeflossen, und lag in des M�dchens Truhe, Bild bei vielen Bildern, Traum bei vielen Tr�umen. In Klingsors nie ers�ttigtem Herzen stach der kleine Stachel, einen Augenblick z�gerte er und dachte umzukehren, Agosto rief ihn, Ersilia fing zu singen an, eine Schattenmauer schwand hinweg, und ein kleiner greller Platz mit zwei gelben Pal�sten lag still und blendend im verzauberten Mittag, schmale steinerne Balkone, geschlossene L�den, herrliche B�hne f�r den ersten Akt einer Oper.

„Ankunft in Damaskus,“ rief der Doktor. „Wo wohnt Fatme, die Perle unter den Frauen?“

Antwort kam �berraschend aus dem kleineren Palast. Aus der k�hlen Schw�rze hinter der halbgeschlossenen Balkont�r sprang ein seltsamer Ton, noch einer und zehnmal der gleiche, dann die Oktave dazu, zehnmal — ein Fl�gel, der gestimmt wurde, ein singender Fl�gel voller T�ne mitten in Damaskus.

Hier mu�te es sein, hier wohnte sie. Das Haus schien aber ohne Tor zu sein, nur rosig gelbe Mauer mit zwei Balkonen, dar�ber am Verputz des Giebels eine alte Malerei: Blumen blau und rot und ein Papagei. Eine gemalte T�r h�tte hier sein m�ssen, und wenn man dreimal an sie pochte und den Schl�ssel Salomonis dazu sprach, ging die gemalte Pforte auf, und den Wanderer empfing der Duft von persischen �len, hinter Schleiern thronte hoch die K�nigin der Gebirge. Sklavinnen kauerten auf den Stufen zu ihren F��en, der gemalte Papagei flog kreischend auf die Schulter der Herrin.

Sie fanden eine winzige T�r in einer Nebengasse, eine heftige Glocke, teuflischer Mechanismus, schrillte b�se auf, eng wie eine Leiter f�hrte eine steile Treppe empor. Unausdenklich, wie der Fl�gel in dies Haus gekommen war. Durchs Fenster? Durchs Dach?

Ein gro�er schwarzer Hund kam gest�rzt, ein kleiner blonder L�we ihm nach, gro�er L�rm, die Stiege klapperte, hinten sang der Fl�gel elfmal den gleichen Ton. Aus einem rosig get�nchten Raum quoll sanfts��es Licht, T�ren schlugen. War da ein Papagei?

Pl�tzlich stand die K�nigin der Gebirge da, schlanke elastische Bl�te, straff und federnd, ganz in Rot, brennende Flamme, Bildnis der Jugend. Vor Klingsors Auge stoben hundert geliebte Bilder hinweg, und das neue sprang strahlend auf. Er wu�te sofort, da� er sie malen w�rde, nicht nach der Natur, sondern den Strahl in ihr, den er empfangen hatte, das Gedicht, den holden herben Klang: Jugend, Rot, Blond, Amazone. Er w�rde sie ansehen, eine Stunde lang, vielleicht mehrere Stunden lang. Er w�rde sie gehen sehen, sitzen sehen, lachen sehen, vielleicht tanzen sehen, vielleicht singen h�ren. Der Tag war gekr�nt, der Tag hatte seinen Sinn gefunden. Was weiter dazu kommen mochte, war Geschenk, war �berflu�. Immer war es so: das Erlebnis kam nie allein, immer flogen ihm V�gel voraus, immer gingen ihm Boten und Vorzeichen voran, der m�tterlich asiatische Tierblick unter jener T�r, die schwarze Dorfsch�ne im Fenster, dies und das.

Eine Sekunde lang empfand er aufzuckend: „W�re ich zehn Jahre j�nger, zehn kurze Jahre, so k�nnte diese mich haben, mich fangen, mich um den Finger wickeln! Nein, du bist zu jung, du kleine rote K�nigin, du bist zu jung f�r den alten Zauberer Klingsor! Er wird dich bewundern, er wird dich auswendig lernen, er wird dich malen, er wird das Lied deiner Jugend f�r immer aufzeichnen; aber er wird keine Wallfahrt um dich tun, keine Leiter nach dir steigen, keinen Mord um dich begehen und kein St�ndchen vor deinem h�bschen Balkon bringen. Nein, leider wird er dies alles nicht tun, der alte Maler Klingsor, das alte Schaf. Er wird dich nicht lieben, er wird nicht den Blick nach dir werfen, den er nach der Asiatin, den er nach der Schwarzen im Fenster warf, die vielleicht keinen Tag j�nger ist als du. F�r sie ist er nicht zu alt, nur f�r dich, K�nigin der Gebirge, rote Blume am Berg. F�r dich, Steinnelke, ist er zu alt. F�r dich gen�gt die Liebe nicht, die Klingsor zwischen einem Tag voll Arbeit und einem Abend voll Rotwein zu verschenken hat. Desto besser wird mein Auge dich trinken, schlanke Rakete, und von dir wissen, wenn du mir lang erloschen bist.“

Durch R�ume mit Steinb�den und offenen Bogen kam man in einen Saal, wo barocke wilde Stuckfiguren �ber hohen T�ren emporflackerten und rundum auf dunklem gemalten Fries Delphine, wei�e Rosse und rosenrote Amoretten durch ein dicht bev�lkertes Sagenmeer schwammen. Ein paar St�hle und am Boden die Teile des zerlegten Fl�gels, sonst war nichts in dem gro�en Raum, aber zwei verlockende T�ren f�hrten auf die zwei kleinen Balkone �ber dem strahlenden Opernplatz hinaus, und gegen�ber �ber Eck br�steten sich die Balkone des Nachbarpalastes, auch sie mit Bildern bemalt, dort schwamm ein roter feister Kardinal wie ein Goldfisch in der Sonne.

Man ging nicht wieder fort. Im Saale wurden Vorr�te ausgepackt und ein Tisch gedeckt, Wein kam, seltener Wei�wein aus dem Norden, Schl�ssel f�r Heere von Erinnerungen. Der Klavierstimmer hatte die Flucht ergriffen, der zerst�ckte Fl�gel schwieg. Nachdenklich starrte Klingsor in das entbl��te Saitenged�rme, dann tat er leise den Deckel zu. Seine Augen schmerzten, aber in seinem Herzen sang der Sommertag, sang die sarazenische Mutter, sang blau und schwellend der Traum von Kareno. Er a� und stie� mit seinem Glase an Gl�ser, er sprach hell und froh, und hinter all dem arbeitete der Apparat in seiner Werkstatt, sein Blick war um die Steinnelke, um die Feuerblume ringsum wie das Wasser um den Fisch, ein flei�iger Chronist sa� in seinem Gehirn und schrieb Formen, Rhythmen, Bewegungen genau wie in ehernen Zahlens�ulen auf.

Gespr�ch und Gel�chter f�llten den leeren Saal. Klug und g�tig lachte der Doktor, tief und freundlich Ersilia, stark und unterirdisch Agosto, vogelleicht die Malerin, klug sprach der Dichter, spa�haft sprach Klingsor, beobachtend und ein wenig scheu ging die rote K�nigin unter ihren G�sten, Delphinen und Rossen umher, war hier und dort, stand am Fl�gel, kauerte auf einem Kissen, schnitt Brot, schenkte Wein mit unerfahrener M�dchenhand. Freude scholl im k�hlen Saal, Augen gl�nzten schwarz und blau, vor den lichten hohen Balkont�ren lag starr der blendende Mittag auf Wache.

Hell flo� der edle Wein in die Gl�ser, holder Gegensatz zum einfachen kalten Mahl. Hell flo� der rote Schein vom Kleid der K�nigin durch den hohen Saal, hell und wachsam folgten ihm die Blicke aller M�nner. Sie verschwand, kam wieder und hatte ein gr�nes Brusttuch umgebunden. Sie verschwand, kam wieder und hatte ein blaues Kopftuch umgebunden.

Nach Tische erm�det und ges�ttigt brach man fr�hlich auf, in den Wald, legte sich in Gras und Moos, Sonnenschirme leuchteten, unter Strohh�ten gl�hten Gesichter, glei�end brannte der Sonnenhimmel. Die K�nigin der Gebirge lag rot im gr�nen Gras, hell stieg ihr feiner Hals aus der Flamme, satt und belebt sa� ihr hoher Schuh am schlanken Fu�. Klingsor, ihr nahe, las sie, studierte sie, f�llte sich mit ihr, wie er als Knabe die Zaubergeschichte von der K�nigin der Gebirge gelesen und sich mit ihr erf�llt hatte. Man ruhte, man schlummerte, man plauderte, man k�mpfte mit Ameisen, glaubte Schlangen zu h�ren, stachliche Kastanienschalen blieben in Frauenhaaren h�ngen. Man dachte an abwesende Freunde, die in diese Stunde gepa�t h�tten, es waren nicht viele. Louis der Grausame wurde herbeigesehnt, Klingsors Freund, der Maler der Karusselle und Zirkusse, sein phantastischer Geist schwebte nah �ber der Runde.

Der Nachmittag ging hin, wie ein Jahr im Paradiese. Beim Abschied wurde viel gelacht, Klingsor nahm alles in seinem Herzen mit: die K�nigin, den Wald, den Palast und Delphinensaal, die beiden Hunde, den Papagei.

Im Bergabwandern zwischen den Freunden �berkam ihn allm�hlich die frohe und hingerissene Laune, die er nur an den seltenen Tagen kannte, an denen er freiwillig die Arbeit hatte ruhen lassen. Hand in Hand mit Ersilia, mit Hermann, mit der Malerin tanzte er die besonnte Stra�e hinab, stimmte Lieder an, erg�tzte sich kindlich an Witzen und Wortspielen, lachte hingegeben. Er rannte den andern voraus und versteckte sich in einen Hinterhalt, um sie zu erschrecken.

So rasch man ging, die Sonne ging rascher, schon bei Palazzetto sank sie hinter den Berg, und unten im Tale war es schon Abend. Sie hatten den Weg verfehlt und waren zu tief gestiegen, man war hungrig und m�de und mu�te die Pl�ne aufgeben, die man f�r den Abend gesponnen hatte: Spaziergang durchs Korn nach Barengo, Fischessen im Wirtshaus des Seedorfes.

„Liebe Leute,“ sagte Klingsor, der sich auf eine Mauer am Wege gesetzt hatte, „unsre Pl�ne waren ja sehr sch�n, und ein gutes Abendessen bei den Fischern oder im Monte d’oro w�rde gewi� mich dankbar finden. Aber wir kommen nicht mehr so weit, ich wenigstens nicht. Ich bin m�de, und ich habe Hunger. Ich gehe von hier aus keinen Schritt mehr weiter als bis zum n�chsten Grotto, der gewi� nicht weit ist. Dort gibt es Wein und Brot, das gen�gt. Wer kommt mit?“

Sie kamen alle. Der Grotto wurde gefunden, im steilen Bergwald auf schmaler Terrasse standen Steinb�nke und Tische im Baumdunkel, aus dem Felsenkeller brachte der Wirt den k�hlen Wein, Brot war da. Nun sa� man schweigend und essend, froh, endlich zu sitzen. Hinter den hohen Baumst�mmen erlosch der Tag, der blaue Berg wurde schwarz, die rote Stra�e wurde wei�, man h�rte unten auf der n�chtlichen Stra�e einen Wagen fahren und einen Hund bellen, da und dort gingen am Himmel Sterne und an der Erde Lichter auf, nicht voneinander zu unterscheiden.

Gl�cklich sa� Klingsor, ruhte, sah in die Nacht, f�llte sich langsam mit Schwarzbrot, leerte still die bl�ulichen Tassen mit Wein. Ges�ttigt fing er wieder zu plaudern und zu singen an, schaukelte sich im Takt der Lieder, spielte mit den Frauen, witterte im Duft ihrer Haare. Der Wein schien ihm gut. Alter Verf�hrer, redete er leicht die Vorschl�ge zum Weitergehen nieder, trank Wein, schenkte Wein ein, stie� z�rtlich an, lie� neuen Wein kommen. Langsam stiegen aus den irdenen bl�ulichen Tassen, Sinnbild der Verg�nglichkeit, die bunten Zauber, wandelten die Welt, f�rbten Stern und Licht.

Hoch sa�en sie in schwebender Schaukel �berm Abgrund der Welt und Nacht, V�gel in goldenem K�fig, ohne Heimat, ohne Schwere, den Sternen gegen�ber. Sie sangen, die V�gel, sangen exotische Lieder, sie phantasierten aus berauschten Herzen in die Nacht, in den Himmel, in den Wald, in das fragw�rdige, bezauberte Weltall hinein. Antwort kam von Stern und Mond, von Baum und Gebirg, Goethe sa� da und Hafis, hei� duftete �gypten und innig Griechenland herauf, Mozart l�chelte, Hugo Wolf spielte den Fl�gel in der irren Nacht.

L�rm krachte erschreckend auf, Licht blitzte knallend: unter ihnen mitten durch das Herz der Erde flog mit hundert blendenden Lichtfenstern ein Eisenbahnzug in den Berg und in die Nacht hinein, oben vom Himmel her l�uteten Glocken einer unsichtbaren Kirche. Lauernd stieg der halbe Mond �ber den Tisch, blickte spiegelnd in den dunkeln Wein, ri� Mund und Auge einer Frau aus der Finsternis, l�chelte, stieg weiter, sang den Sternen zu. Der Geist Louis des Grausamen hockte auf einer Bank, einsam, schrieb Briefe.

Klingsor, K�nig der Nacht, hohe Krone im Haar, r�ckgelehnt auf steinernem Sitz, dirigierte den Tanz der Welt, gab den Takt an, rief den Mond hervor, lie� die Eisenbahn verschwinden. Fort war sie, wie ein Sternbild �bern Rand des Himmels f�llt. Wo war die K�nigin der Gebirge? Klang nicht ein Fl�gel im Wald, bellte nicht fern der kleine mi�trauische L�we? Hatte sie nicht eben noch ein blaues Kopftuch getragen? Halloh, alte Welt, trage Sorge, da� du nicht zusammenf�llst! Hierher, Wald! Dorthin, schwarzes Gebirg! Im Takt bleiben! Sterne, wie seid ihr blau und rot, wie im Volkslied: „Deine roten Augen und dein blauer Mund!“

Malen war sch�n, Malen war ein sch�nes, ein liebes Spiel f�r brave Kinder. Anders war es, gr��er und wuchtiger, die Sterne zu dirigieren, Takt des eigenen Blutes, Farbenkreise der eigenen Netzhaut in die Welt hinein fortzusetzen, Schwebungen der eigenen Seele ausschwingen zu lassen im Wind der Nacht. Weg mit dir, schwarzer Berg! Sei Wolke, fliege nach Persien, regne �ber Uganda! Her mit dir, Geist Shakespeares, sing uns dein besoffenes Narrenlied vom Regen, der regnet jeglichen Tag!

Klingsor k��te eine kleine Frauenhand, er lehnte sich an eine wohlig atmende Frauenbrust. Ein Fu� unterm Tische spielte mit seinem. Er wu�te nicht, wessen Hand oder wessen Fu�, er sp�rte Z�rtlichkeit um sich, f�hlte alten Zauber neu und dankbar: er war noch jung, es war noch weit vom Ende, noch ging Strahlung und Verlockung von ihm aus, noch liebten sie ihn, die guten �ngstlichen Weibchen, noch z�hlten sie auf ihn.

Er bl�hte h�her auf. Mit leiser, singender Stimme begann er zu erz�hlen, ein ungeheures Epos, die Geschichte einer Liebe, oder eigentlich einer Reise nach der S�dsee, wo er in Begleitung von Gauguin und Robinson die Papageieninsel entdeckt und den Freistaat der gl�ckseligen Inseln begr�ndet hatte. Wie hatten die tausend Papageien im Abendlicht gefunkelt, wie hatten ihre blauen Schw�nze sich in der gr�nen Bucht gespiegelt! Ihr Geschrei, und das hundertstimmige Geschrei der gro�en Affen hatte ihn wie ein Donner begr��t, ihn, Klingsor, als er seinen Freistaat ausrief. Dem wei�en Kakadu hatte er die Bildung eines Kabinetts aufgetragen, und mit dem m�rrischen Nashornvogel hatte er Palmwein aus schweren Kokosbechern getrunken. O, Mond von damals, Mond der seligen N�chte, Mond �ber der Pfahlh�tte im Schilf! Sie hie� K�l Kal�a, die braune scheue Prinzessin, schlank und langgliedrig schritt sie im Pisanggeh�lz, honiggl�nzend unterm saftigen Dach der Riesenbl�tter, Rehauge im sanften Gesicht, Katzenglut im starken biegsamen R�cken, Katzensprung im federnden Kn�chel und sehnigen Bein. K�l Kal�a, Kind, Urglut und Kinderunschuld des heiligen S�dostens, tausend N�chte lagst du an Klingsors Brust, und jede war neu, jede war inniger, war holder als alle gewesenen. O, Fest des Erdgeistes, wo die Jungfern der Papageieninsel vor dem Gotte tanzten!

�ber Insel, Robinson und Klingsor, �ber Geschichte und Zuh�rer w�lbte sich die wei� gestirnte Nacht, z�rtlich schwoll der Berg wie ein sanfter atmender Bauch und Busen unter den B�umen und H�usern und F��en der Menschen, im Eilschritt tanzte fiebernd der feuchte Mond �ber die Himmelshalbkugel, von den Sternen im wilden schweigenden Tanz verfolgt. Ketten von Sternen waren aufgereiht, glei�ende Schnur der Drahtseilbahn zum Paradiese. Urwald dunkelte m�tterlich, Schlamm der Urwelt duftete Verfall und Zeugung, Schlange kroch und Krokodil, ohne Ufer ergo� sich der Strom der Gestaltungen.

„Ich werde doch wieder malen,“ sagte Klingsor, „schon morgen. Aber nicht mehr diese H�user und Leute und B�ume. Ich male Krokodile und Seesterne, Drachen und Purpurschlangen, und alles im Werden, alles in der Wandlung, voll Sehnsucht, Mensch zu werden, voll Sehnsucht, Stern zu werden, voll Geburt, voll Verwesung, voll Gott und Tod.“

Mitten durch seine leisen Worte und durch die aufgew�hlte trunkne Stunde klang tief und klar Ersilias Stimme, still sang sie das Lied vom bel mazzo di fiori vor sich hin, Friede str�mte von ihrem Liede aus, Klingsor h�rte es wie von einer fernen schwimmenden Insel �ber Meere von Zeit und Einsamkeit her�ber. Er drehte seine leere Weintasse um, er schenkte nimmer ein. Er h�rte zu. Ein Kind sang. Eine Mutter sang. War man nun ein verirrter und verruchter Kerl, im Schlamm der Welt gebadet, ein Strolch und Luder, oder war man ein kleines dummes Kind?

„Sora Ersilia,“ sagte er mit Ehrerbietung, „du bist unser guter Stern.“

Durch steilen finstern Wald bergan, an Zweig und Wurzel geklammert, quoll man hinweg, den Heimweg suchend. Lichter Waldrand ward erreicht, Feld geentert, schmaler Weg im Maisfeld atmete Nacht und Heimkehr, Mondblick im spiegelnden Blatt des Maises, Rebenreihen schr�g entfliehend. Nun sang Klingsor, leise, mit der etwas heiseren Stimme, sang leise und viel, deutsch und malayisch, mit Worten und ohne Worte. Im leisen Gesang str�mte er gestaute F�lle aus, wie eine braune Mauer am Abend gesammeltes Tageslicht ausstrahlt.

Hier nahm einer der Freunde Abschied, und dort einer, schwand im Rebenschatten auf kleinem Pfad dahin. Jeder ging, jeder war f�r sich, suchte Heimkehr, war allein unterm Himmel. Eine Frau k��te Klingsor zur guten Nacht, brennend sog ihr Mund an seinem. Weg rollten sie, weg schmolzen sie, alle. Als Klingsor allein die Treppe zu seiner Wohnung erstieg, sang er noch immer. Er besang und lobte Gott und sich selbst, er pries Li Tai Pe und pries den guten Wein von Pampambio. Wie ein G�tze ruhte er auf Wolken der Bejahung.

„Inwendig,“ sang er, „bin ich wie eine Kugel von Gold, wie die Kuppel eines Domes, man kniet darin, man betet, Gold strahlt von der Wand, auf altem Bilde blutet der Heiland, blutet das Herz der Maria. Wir bluten auch, wir Anderen, wir Irrgegangenen, wir Sterne und Kometen, sieben und vierzehn Schwerter gehn durch unsre selige Brust. Ich liebe dich, blonde und schwarze Frau, ich liebe alle, auch die Philister; ihr seid arme Teufel wie ich, ihr seid arme Kinder und fehlgeratene Halbg�tter wie der betrunkne Klingsor. Sei mir gegr��t, geliebtes Leben! Sei mir gegr��t, geliebter Tod!“

Klingsor an Edith

Lieber Stern am Sommerhimmel!

Wie hast Du mir gut und wahr geschrieben, und wie ruft Deine Liebe mir schmerzlich zu, wie ewiges Leid, wie ewiger Vorwurf. Aber Du bist auf gutem Wege, wenn Du mir, wenn Du Dir selbst jede Empfindung des Herzens eingestehst. Nur nenne keine Empfindung klein, keine Empfindung unw�rdig! Gut, sehr gut ist jede, auch der Ha�, auch der Neid, auch die Eifersucht, auch die Grausamkeit. Von nichts andrem leben wir als von unsern armen, sch�nen, herrlichen Gef�hlen, und jedes, dem wir unrecht tun, ist ein Stern, den wir ausl�schen.

Ob ich Gina liebe, wei� ich nicht. Ich zweifle sehr daran. Ich w�rde kein Opfer f�r sie bringen. Ich wei� nicht, ob ich �berhaupt lieben kann. Ich kann begehren, und kann mich in andern Menschen suchen, nach Echo aushorchen, nach einem Spiegel verlangen, kann Lust suchen, und alles das kann wie Liebe aussehen.

Wir gehen beide, Du und ich, im selben Irrgarten, im Garten unsrer Gef�hle, die in dieser �blen Welt zu kurz gekommen sind, und wir nehmen daf�r, jeder nach seiner Art, Rache an dieser b�sen Welt. Wir wollen aber einer des andern Tr�ume bestehen lassen, weil wir wissen, wie rot und s�� der Wein der Tr�ume schmeckt.

Klarheit �ber ihre Gef�hle und �ber die „Tragweite“ und Folgen ihrer Handlungen haben nur die guten, gesicherten Menschen, die an das Leben glauben und keinen Schritt tun, den sie nicht auch morgen und �bermorgen werden billigen k�nnen. Ich habe nicht das Gl�ck, zu ihnen zu z�hlen, und ich f�hle und handle so, wie einer, der nicht an morgen glaubt und jeden Tag f�r den letzten ansieht.

Liebe schlanke Frau, ich versuche ohne Gl�ck meine Gedanken auszudr�cken. Ausgedr�ckte Gedanken sind immer so tot! Lassen wir sie leben! Ich f�hle tief und dankbar, wie Du mich verstehst, wie etwas in Dir mir verwandt ist. Wie das im Buch des Lebens zu buchen sei, ob unsre Gef�hle Liebe, Wollust, Dankbarkeit, Mitleid, ob sie m�tterlich oder kindlich sind, das wei� ich nicht. Oft sehe ich jede Frau an wie ein alter gewiegter W�stling und oft wie ein kleiner Knabe. Oft hat die keuscheste Frau f�r mich die gr��te Verlockung, oft die �ppigste. Alles ist sch�n, alles ist heilig, alles ist unendlich gut, was ich lieben darf. Warum, wie lange, in welchem Grad, das ist nicht zu messen.

Ich liebe nicht Dich allein, das wei�t Du, ich liebe auch nicht Gina allein, ich werde morgen und �bermorgen andre Bilder lieben, andre Bilder malen. Bereuen aber werde ich keine Liebe, die ich je gef�hlt, und keine Weisheit oder Dummheit, die ich ihretwegen begangen. Dich liebe ich vielleicht, weil Du mir �hnlich bist. Andre liebe ich, weil sie so anders sind als ich.

Es ist sp�t in der Nacht, der Mond steht �berm Salute. Wie lacht das Leben, wie lacht der Tod!

Wirf den dummen Brief ins Feuer, und wirf ins Feuer

Deinen Klingsor.

Die Musik des Untergangs

Der letzte Tag des Juli war gekommen, Klingsors Lieblingsmonat, die hohe Festzeit Li Tai Pes, war verbl�ht, kam nimmer wieder, Sonnenblumen schrien im Garten golden ins Blau empor. Zusammen mit dem treuen Thu Fu pilgerte Klingsor an diesem Tage durch eine Gegend, die er liebte: verbrannte Vorst�dte, staubige Stra�en unter hoher Allee, rot und orange bemalte H�tten am sandigen Ufer, Lastwagen und Ladepl�tze der Schiffe, lange violette Mauern, farbiges armes Volk. Am Abend dieses Tages sa� er am Rand einer Vorstadt im Staube und malte die farbigen Zelte und Wagen eines Karussells, am Stra�enbord auf kahlem, versengtem Anger sa� er hingekauert, angesogen von den starken Farben der Zelte. Tief bi� er sich fest im verschossenen Lila einer Zeltborte, im freudigen Gr�n und Rot der schwerf�lligen Wohnwagen, in den blau-wei� gestrichnen Ger�ststangen. Grimmig w�hlte er im Kadmium, wild im s��k�hlen Kobalt, zog die verflie�enden Striche Krapplack durch den gelb und gr�nen Himmel. Noch eine Stunde, o, weniger, dann war Schlu�, die Nacht kam, und morgen begann schon der August, der brennende Fiebermonat, der so viel Todesfurcht und Bangnis in seine gl�henden Becher mischt. Die Sense war gesch�rft, die Tage neigten sich, der Tod lachte versteckt im br�unenden Laub. Klinge hell und schmettre, Kadmium! Prahle laut, �ppiger Krapplack! Lache grell, Zitrongelb! Her mit dir, tiefblauer Berg der Ferne! An mein Herz ihr, staubgr�ne matte B�ume! Wie seid ihr m�d, wie la�t ihr ergebene fromme �ste sinken! Ich trinke euch, ich schlucke, ich fresse euch, holde Erscheinungen! Ich t�usche euch Dauer und Unsterblichkeit vor, ich, der Verg�nglichste, der Ungl�ubigste, der Traurigste, der mehr als ihr alle an der Angst vor dem Tode leidet. Juli ist verbrannt, August wird schnell verbrannt sein, pl�tzlich fr�stelt uns aus gelbem Laub am betauten Morgen das gro�e Gespenst entgegen. Pl�tzlich fegt November �ber den Wald. Pl�tzlich lacht das gro�e Gespenst, pl�tzlich friert uns das Herz, pl�tzlich f�llt uns das liebe rosige Fleisch von den Knochen, in der W�ste heult der Schakal, heiser singt sein verfluchtes Lied der Aasgeier. Ein verfluchtes Blatt der Gro�stadt bringt mein Bild und darunter steht: „Vortrefflicher Maler, Expressionist, gro�er Kolorist, starb am 16. dieses Monats.“

Voll Ha� ri� er eine Furche Pariserblau unter den gr�nen Zigeunerwagen. Voll Erbitterung schlug er die Kante Chromgelb auf die Prellsteine. Voll tiefer Verzweiflung setzte er Zinnober in einen ausgesparten Fleck, vertilgte das fordernde Wei�, k�mpfte blutend um Fortdauer, schrie hellgr�n und neapelgelb zum unerbittlichen Gott. St�hnend warf er mehr Blau in das fade Staubgr�n, flehend z�ndete er innigere Lichter im Abendhimmel an. Die kleine Palette voll reiner, unvermischter Farben von hellster Leuchtkraft, sie war sein Trost, sein Turm, sein Arsenal, sein Gebetbuch, seine Kanone, aus der er nach dem b�sen Tode scho�. Purpur war Leugnung des Todes, Zinnober war Verh�hnen der Verwesung. Gut war sein Arsenal, gl�nzend stand seine kleine tapfere Truppe, strahlend l�uteten die raschen Sch�sse seiner Kanonen auf. Es half ja nichts, alles Schie�en war ja vergebens, aber Schie�en war doch gut, war Gl�ck und Trost, war noch Leben, war noch Triumphieren.

Thu Fu war gegangen, einen Freund zu besuchen, der dort zwischen Fabrik und Ladeplatz seine Zauberburg bewohnte. Nun kam er und brachte ihn mit, den armenischen Sterndeuter.

Klingsor, mit dem Bilde fertig, atmete tief auf, als er die beiden Gesichter bei sich sah, das blonde gute Haar Thu Fus, den schwarzen Bart und den mit wei�en Z�hnen l�chelnden Mund des Magiers. Und da kam mit ihnen auch der Schatten, der lange, dunkle, mit den weit zur�ckgeflohenen Augen in den tiefen H�hlen. Willkommen auch du, Schatten, lieber Kerl!

„Wei�t du, was f�r ein Tag heut ist?“ fragte Klingsor seinen Freund.

„Der letzte Juli, ich wei�.“

„Ich stellte heut ein Horoskop,“ sagte der Armenier, „und da sah ich, da� dieser Abend mir etwas bringen wird. Saturn steht unheimlich, Mars neutral, Jupiter dominiert. Li Tai Pe, sind Sie nicht ein Julikind?“

„Ich bin am zweiten Juli geboren.“

„Ich dachte es. Ihre Sterne stehen verwirrt, Freund, nur Sie selbst k�nnten sie deuten. Fruchtbarkeit umgibt Sie wie eine Wolke, die nahe am Bersten ist. Seltsam stehen Ihre Sterne, Klingsor, Sie m�ssen es f�hlen.“

Li packte sein Ger�t zusammen. Erloschen war die Welt, die er gemalt hatte, erloschen der gelb und gr�ne Himmel, ertrunken die blaue helle Fahne, ermordet und verwelkt das sch�ne Gelb. Er war hungrig und durstig, die Kehle hing ihm voll Staub.

„Freunde,“ sagte er herzlich, „wir wollen diesen Abend beisammen bleiben. Wir werden nicht mehr zusammen sein, wir alle vier, ich lese das nicht aus den Sternen, es steht mir im Herzen geschrieben. Mein Julimond ist vor�ber, dunkel gl�hn seine letzten Stunden, in der Tiefe ruft die gro�e Mutter. Nie war die Welt so sch�n, nie war ein Bild von mir so sch�n, Wetterleuchten zuckt, Musik des Untergangs ist angestimmt. Wir wollen sie mitsingen, die s��e bange Musik, wir wollen hier beisammen bleiben und Wein trinken und Brot essen.“

Neben dem Karussell, dessen Zelt eben abgedeckt und f�r den Abend ger�stet wurde, standen einige Tische unter B�umen, eine hinkende Magd ging ab und zu, ein kleines Wirtshaus lag im Schatten. Hier blieben sie und sa�en am Brettertisch, Brot wurde gebracht und Wein in die irdenen Schalen geschenkt, unter den B�umen glommen Lichter auf, dr�ben begann die Orgel des Karussells zu erdr�hnen, heftig warf sie ihre br�ckelnde gelle Musik in den Abend.

„Dreihundert Becher will ich heute leeren,“ rief Li Tai Pe und stie� mit dem Schatten an. „Sei gegr��t, Schatten, standhafter Zinnsoldat! Seid gegr��t, Freunde! Seid gegr��t, elektrische Lichter, Bogenlampen und funkelnde Pailletten am Karussell! O, da� Louis da w�re, der fl�chtige Vogel! Vielleicht ist er uns schon vorausgeflogen in den Himmel. Vielleicht auch kommt er morgen wieder, der alte Schakal, und findet uns nicht mehr und lacht und pflanzt Bogenlampen und Fahnenstangen auf unser Grab.“

Still ging der Magier und holte neuen Wein, froh l�chelten seine wei�en Z�hne aus dem roten Mund.

„Schwermut,“ sagte er mit einem Blick zu Klingsor hin�ber, „ist eine Sache, die man nicht mit sich tragen sollte. Es ist so leicht — es ist das Werk einer Stunde, einer kurzen intensiven Stunde mit zusammengebissenen Z�hnen, dann ist man mit der Schwermut f�r immer fertig.“

Klingsor sah aufmerksam auf seinen Mund, auf die hellen klaren Z�hne, welche einst in einer gl�henden Stunde die Schwermut erw�rgt und totgebissen hatten. War auch ihm m�glich, was dem Sterndeuter m�glich gewesen war? O, kurzer s��er Blick in ferne G�rten: Leben ohne Angst, Leben ohne Schwermut! Er wu�te, diese G�rten waren ihm unerreichbar. Er wu�te, ihm war andres bestimmt, anders blickte zu ihm Saturn her�ber, andre Lieder wollte Gott auf seinen Saiten spielen.

„Jeder hat seine Sterne,“ sagte Klingsor langsam, „jeder hat seinen Glauben. Ich glaube nur an Eines: an den Untergang. Wir fahren in einem Wagen �berm Abgrund, und die Pferde sind scheu geworden. Wir stehen im Untergang, wir alle, wir m�ssen sterben, wir m�ssen wieder geboren werden, die gro�e Wende ist f�r uns gekommen. Es ist �berall das Gleiche: der gro�e Krieg, die gro�e Wandlung in der Kunst, der gro�e Zusammenbruch der Staaten des Westens. Bei uns im alten Europa ist alles das gestorben, was bei uns gut und unser eigen war; unsre sch�ne Vernunft ist Irrsinn geworden, unser Geld ist Papier, unsre Maschinen k�nnen blo� noch schie�en und explodieren, unsre Kunst ist Selbstmord. Wir gehen unter, Freunde, so ist es uns bestimmt, die Tonart Tsing Tse ist angestimmt.“

Der Armenier schenkte Wein ein.

„Wie Sie wollen,“ sagte er. „Man kann ja sagen, und man kann nein sagen, das ist nur Kinderspiel. Untergang ist etwas, das nicht existiert. Damit Untergang oder Aufgang w�re, m��te es unten und oben geben. Unten und oben aber gibt es nicht, das lebt nur im Gehirn des Menschen, in der Heimat der T�uschungen. Alle Gegens�tze sind T�uschungen: wei� und schwarz ist T�uschung, Tod und Leben ist T�uschung, gut und b�se ist T�uschung. Es ist das Werk einer Stunde, einer gl�henden Stunde mit zusammengebissenen Z�hnen, dann hat man das Reich der T�uschungen �berwunden.“

Klingsor h�rte seiner guten Stimme zu.

„Ich spreche von uns,“ gab er Antwort, „ich spreche von Europa, von unsrem alten Europa, das zweitausend Jahre lang das Gehirn der Welt zu sein glaubte. Dies geht unter. Meinst du, Magier, ich kenne dich nicht? Du bist ein Bote aus dem Osten, ein Bote auch an mich, vielleicht ein Spion, vielleicht ein verkleideter Feldherr. Du bist hier, weil hier das Ende beginnt, weil du hier Untergang witterst. Aber wir gehen gerne unter, du, wir sterben gerne, wir wehren uns nicht.“

„Du kannst auch sagen: gerne werden wir geboren,“ lachte der Asiate. „Dir scheint es Untergang, mir scheint es vielleicht Geburt. Beides ist T�uschung. Der Mensch, der an die Erde glaubt als an die feststehende Scheibe unterm Himmel, der sieht und glaubt Aufgang und Untergang — und alle, fast alle Menschen glauben an diese feste Scheibe! Die Sterne selbst wissen kein Auf und Unter.“

„Sind nicht Sterne untergegangen?“ rief Thu Fu.

„F�r uns, f�r unsre Augen.“

Er schenkte die Tassen voll, immer machte er den Schenken, immer war er dienstfertig und l�chelte dazu. Er ging mit dem leeren Kruge weg, neuen Wein zu holen. Schmetternd schrie die Karussellmusik.

„Gehen wir hin�ber, es ist so sch�n,“ bat Thu Fu, und sie gingen hin, standen an der bemalten Barriere, sahen im stechenden Glanz der Pailletten und Spiegel das Karussell im Kreise w�ten, hundert Kinder mit den Augen gierig am Glanze h�ngen. Einen Augenblick f�hlte Klingsor tief und lachend das Urt�mliche und Negerhafte dieser kreiselnden Maschine, dieser mechanischen Musik, dieser grellen wilden Bilder und Farben, Spiegel und irrsinnigen Schmucks�ulen, alles trug Z�ge von Medizinmann und Schamane, von Zauber und uralter Rattenf�ngerei, und der ganze wilde w�ste Glanz war im Grund nichts andres als der zuckende Glanz des Blechl�ffels, den der Hecht f�r ein Fischlein h�lt und an dem man ihn herauszieht.

Alle Kinder mu�ten Karussell fahren. Allen Kindern gab Thu Fu Geld, alle Kinder lud der Schatten ein. In Kn�ueln umgaben sie die Schenkenden, hingen sich an, flehten, dankten. Ein sch�nes blondes M�dchen, zw�lfj�hrig, dem gaben sie alle, sie fuhr jede Runde. Im Lichterglanz wehte hold der kurze Rock um ihre sch�nen Knabenbeine. Ein Knabe weinte. Knaben schlugen sich. Peitschend knallten zur Orgel die Tschinellen, gossen Feuer in den Takt, Opium in den Wein. Lange standen die Vier im Get�mmel.

Wieder sa�en sie dann unterm Baume, in die Tassen go� der Armenier den Wein, sch�rte Untergang, l�chelte hell.

„Dreihundert Becher wollen wir heute leeren,“ sang Klingsor; sein verbrannter Sch�del gl�hte gelb, laut schallte sein Gel�chter hin; Schwermut kniete, ein Riese, auf seinem zuckenden Herzen. Er stie� an, er pries den Untergang, das Sterbenwollen, die Tonart Tsing Tse. Brausend erscholl die Karussellmusik. Aber innen im Herzen sa� Angst, das Herz wollte nicht sterben, das Herz ha�te den Tod.

Pl�tzlich klirrte eine zweite Musik w�tend in die Nacht, schrill, hitzig, aus dem Hause her. Im Erdgescho�, neben dem Kamin, dessen Gesimse voll sch�n geordneter Weinflaschen stand, knallte ein Maschinenklavier los, Maschinengewehr, wild, scheltend, �berst�rzt. Leid schrie aus verstimmten T�nen, Rhythmus bog mit schwerer Dampfwalze st�hnende Dissonanzen nieder. Volk war da, Licht, L�rm, Burschen tanzten und M�dchen, auch die hinkende Magd, auch Thu Fu. Er tanzte mit dem blonden kleinen M�dchen, Klingsor sah zu, leicht und hold wehte ihr kurzes Sommerkleid um die d�nnen sch�nen Beine, freundlich l�chelte Thu Fus Gesicht, voll Liebe. An der Kaminecke sa�en die andern, vom Garten hereingekommen, nah bei der Musik, mitten im L�rm. Klingsor sah T�ne, h�rte Farben. Der Magier nahm Flaschen vom Kamin, �ffnete, schenkte ein. Hell stand sein L�cheln auf dem braunen klugen Gesicht. Furchtbar donnerte die Musik im niedern Saal. In die Reihe der alten Flaschen �berm Kamin brach der Armenier langsam eine Bresche, wie ein Tempelr�uber Kelch um Kelch die Ger�te eines Altars wegnimmt.

„Du bist ein gro�er K�nstler,“ fl�sterte der Sterndeuter Klingsor zu, indem er seine Tasse f�llte. „Du bist einer der gr��ten K�nstler dieser Zeit. Du hast das Recht, dich Li Tai Pe zu nennen. Aber du bist, Li Tai, du bist ein gehetzter, armer, ein gepeinigter und angstvoller Mensch. Du hast die Musik des Untergangs angestimmt, du sitzest singend in deinem brennenden Haus, das du selber angez�ndet hast, und es ist dir nicht wohl dabei, Li Tai Pe, auch wenn du jeden Tag dreihundert Becher leerst und mit dem Monde anst��t. Es ist dir nicht wohl dabei, es ist dir sehr weh dabei, S�nger des Untergangs, willst du nicht innehalten? Willst du nicht leben? Willst du nicht fortdauern?“

Klingsor trank und fl�sterte mit seiner etwas heisern Stimme zur�ck: „Kann man denn Schicksal wenden? Gibt es denn Freiheit des Wollens? Kannst denn du, Sterndeuter, meine Sterne anders lenken?“

„Nicht lenken, nur deuten kann ich sie. Lenken kannst nur du dich selbst. Es gibt Freiheit des Wollens. Sie hei�t Magie.“

„Warum soll ich Magie treiben, wenn ich Kunst treiben kann? Ist Kunst nicht ebenso gut?“

„Alles ist gut. Nichts ist gut. Magie hebt T�uschungen auf. Magie hebt jene schlimmste T�uschung auf, die wir ‚Zeit‘ hei�en.“

„Tut das Kunst nicht auch?“

„Sie versucht es. Ist dein gemalter Juli, den du in deinen Mappen hast, dir genug? Hast du Zeit aufgehoben? Bist du ohne Angst vor dem Herbst, vor dem Winter?“

Klingsor seufzte und schwieg, schweigend trank er, schweigend f�llte der Magier seine Tasse. Irrsinnig tobte die entfesselte Klaviermaschine, zwischen den Tanzenden schwebte engelhaft Thu Fus Gesicht. Der Juli war zu Ende.

Klingsor spielte mit den leeren Flaschen auf dem Tische, ordnete sie im Kreise.

„Dies sind unsre Kanonen,“ rief er, „mit diesen Kanonen schie�en wir die Zeit kaputt, den Tod kaputt, das Elend kaputt. Auch mit Farben habe ich auf den Tod geschossen, mit dem feurigen Gr�n, mit dem knallenden Zinnober, mit dem s��en Geraniumlack. Oft habe ich ihn auf den Sch�del getroffen, Wei� und Blau habe ich ihm ins Auge gejagt. Oft habe ich ihn in die Flucht geschlagen. Noch oft werde ich ihn treffen, ihn besiegen, ihn �berlisten. Seht den Armenier, wieder �ffnet er eine alte Flasche, und die eingeschlossene Sonne vergangener Sommer schie�t uns ins Blut. Auch der Armenier hilft uns, auf den Tod zu schie�en, auch der Armenier wei� keine andre Waffe gegen den Tod.“

Der Magier brach Brot und a�.

„Gegen den Tod brauche ich keine Waffe, weil es keinen Tod gibt. Es gibt aber eines: Angst vor dem Tode. Die kann man heilen, gegen die gibt es eine Waffe. Es ist die Sache einer Stunde, die Angst zu �berwinden. Aber Li Tai Pe will nicht. Li liebt ja den Tod, er liebt ja seine Angst vor dem Tode, seine Schwermut, sein Elend, nur die Angst hat ihn ja all das gelehrt, was er kann und wof�r wir ihn lieben.“

Sp�ttisch stie� er an, seine Z�hne blitzten, immer heiterer ward sein Gesicht, Leid schien ihm fremd. Niemand gab Antwort. Klingsor scho� mit der Weinkanone gegen den Tod. Gro� stand der Tod vor den offenen T�ren des Saales, der von Menschen, Wein und Tanzmusik geschwollen war. Gro� stand der Tod vor den T�ren, leise r�ttelte er am schwarzen Akazienbaum, finster stand er im Garten auf der Lauer. Alles war drau�en voll Tod, voll von Tod, nur hier im engen schallenden Saal ward noch gek�mpft, ward noch herrlich und tapfer gek�mpft gegen den schwarzen Belagerer, der nah durch die Fenster greinte.

Sp�ttisch blickte der Magier �ber den Tisch, sp�ttisch schenkte er die Schalen voll. Viele Schalen schon hatte Klingsor zerbrochen, neue hatte er ihm gegeben. Viel hatte auch der Armenier getrunken, aber aufrecht sa� er wie Klingsor.

„La� uns trinken, Li,“ h�hnte er leise. „Du liebst ja den Tod, gerne willst du ja untergehen, gerne den Tod sterben. Sagtest du nicht so, oder habe ich mich get�uscht — oder hast du mich und dich selber am Ende get�uscht? La� uns trinken, Li, la� uns untergehen!“

Zorn quoll in Klingsor empor. Auf stand er, stand aufrecht und hoch, der alte Sperber mit dem scharfen Kopf, spie in den Wein, zerschmi� seine volle Tasse am Boden. Weithin spritzte der rote Wein in den Saal, die Freunde wurden bleich, fremde Menschen lachten.

Aber schweigend und l�chelnd holte der Magier eine neue Tasse, schenkte sie l�chelnd voll, bot sie l�chelnd Li Tai an. Da l�chelte Li, da l�chelte auch er. �ber sein verzerrtes Gesicht lief das L�cheln wie Mondlicht.

„Kinder,“ rief er, „la�t diesen Fremdling reden! Er wei� viel, der alte Fuchs, er kommt aus einem versteckten und tiefen Bau. Er wei� viel, aber er versteht uns nicht. Er ist zu alt, um Kinder zu verstehen. Er ist zu weise, um Narren zu verstehen. Wir, wir Sterbenden, wissen mehr vom Tode als er. Wir sind Menschen, nicht Sterne. Seht da meine Hand, die eine kleine blaue Schale voll Wein h�lt! Sie kann viel, diese Hand, diese braune Hand. Sie hat mit vielen Pinseln gemalt, sie hat neue St�cke der Welt aus dem Finstern gerissen und vor die Augen der Menschen gestellt. Diese braune Hand hat viele Frauen unterm Kinn gestreichelt, und hat viele M�dchen verf�hrt, viel ist sie gek��t worden, Tr�nen sind auf sie gefallen, ein Gedicht hat Thu Fu auf sie gedichtet. Diese liebe Hand, Freunde, wird bald voll Erde und voll Maden sein, keiner von euch w�rde sie mehr anr�hren. Wohl, eben darum liebe ich sie. Ich liebe meine Hand, ich liebe meine Augen, ich liebe meinen wei�en, z�rtlichen Bauch, ich liebe sie mit Bedauern und mit Spott und mit gro�er Z�rtlichkeit, weil sie alle so bald verwelken und verfaulen m�ssen. Schatten du, dunkler Freund, alter Zinnsoldat auf dem Grabe Andersens, auch dir ergeht es so, lieber Kerl! Sto� mit mir an, unsre lieben Glieder und Eingeweide sollen leben!“

Sie stie�en an, dunkel l�chelte der Schatten aus seinen tiefen H�hlenaugen — und pl�tzlich ging etwas durch den Saal, wie ein Wind, wie ein Geist. Verstummt war unversehens die Musik, pl�tzlich, wie erloschen, weggeflossen waren die T�nzer, von der Nacht verschlungen, und die H�lfte der Lichter war verl�scht. Klingsor blickte nach den schwarzen T�ren. Drau�en stand der Tod. Er sah ihn stehen. Er roch ihn. Wie Regentropfen in Landstra�enstaub, so roch der Tod.

Da r�ckte Li die Schale von sich weg, stie� den Stuhl von sich und ging langsam aus dem Saal, in den dunkeln Garten hinaus und fort, im Finstern, Wetterleuchten �berm Haupt, allein. Schwer lag ihm das Herz in der Brust, wie der Stein auf einem Grab.

Abend im August

Im sinkenden Abend kam Klingsor — er hatte den Nachmittag in Sonne und Wind bei Manuzzo und Veglia gemalt — sehr m�de im Wald �ber Veglia zu einem kleinen, schlafenden Canvetto. Es gelang ihm, eine greise Wirtsfrau herbeizurufen, sie brachte ihm eine irdene Tasse voll Wein, er setzte sich auf einen Nu�baumstumpf vor der T�r und packte den Rucksack aus, fand noch ein St�ck K�se und einige Pflaumen darin, und hielt sein Nachtmahl. Die alte Frau sa� dabei, wei�, geb�ckt und zahnlos, und erz�hlte mit faltig arbeitendem Halse und stillgewordenen alten Augen vom Leben ihres Weilers und ihrer Familie, vom Krieg und der Teuerung und vom Stand der Felder, von Wein und Milch und was sie kosten, von gestorbenen Enkeln und ausgewanderten S�hnen; alle Lebenszeiten und Sternbilder dieses kleinen Bauernlebens lagen klar und freundlich ausgebreitet, rauh in d�rftiger Sch�nheit, voll Freude und Sorge, voll Angst und Leben. Klingsor a�, trank, ruhte, h�rte zu, fragte nach Kindern und Vieh, Pfarrer und Bischof, lobte freundlich den �rmlichen Wein, bot eine letzte Pflaume an, gab die Hand, w�nschte eine gl�ckliche Nacht und stieg, am Stock und mit dem Sack beschwert, langsam in den lichten Wald bergaufw�rts, dem Nachtlager entgegen.

Es war die sp�tgoldene Stunde, noch gl�hte Licht des Tages �berall, doch gewann der Mond schon Schimmer, und erste Flederm�use schwammen in der gr�nen Flimmerluft. Ein Waldrand stand sanft im letzten Licht, helle Kastanienst�mme vor schwarzem Schatten, eine gelbe H�tte strahlte leise das eingesogene Tageslicht von sich, sanftgl�hend wie ein gelber Topas, rosenrot und violett f�hrten die kleinen Wege durch Wiesen, Reben und Wald, da und dort schon ein gelber Akazienzweig, der Westhimmel golden und gr�n �ber sammetblauen Bergen.

O, jetzt noch arbeiten zu k�nnen, in der letzten, verzauberten Viertelstunde des reifen Sommertages, der nie wieder kam! Wie namenlos sch�n war alles jetzt, wie ruhig, gut und spendend, wie voll von Gott!

Klingsor setzte sich ins k�hle Gras, griff mechanisch nach dem Bleistift und lie� die Hand l�chelnd wieder sinken. Er war todm�de. Seine Finger betasteten das trockene Gras, die trockene m�rbe Erde. Wie lange noch, dann war dies liebe erregende Spiel vorbei! Wie lange noch, dann hatte man Hand und Mund und Augen voll Erde! Thu Fu hatte ihm dieser Tage ein Gedicht gesandt, dessen erinnerte er sich und sagte es langsam vor sich hin:

Vom Baum des Lebens f�llt

Mir Blatt um Blatt.

O taumelbunte Welt,

Wie machst du satt,

Wie machst du satt und m�d,

Wie machst du trunken!

Was heut noch gl�ht,

Ist bald versunken.

Bald klirrt der Wind

�ber mein braunes Grab,

�ber das kleine Kind

Beugt sich die Mutter herab.

Ihre Augen will ich wiedersehn,

Ihr Blick ist mein Stern,

Alles andre mag gehn und verwehn,

Alles stirbt, alles stirbt gern;

Nur die ewige Mutter bleibt,

Von der wir kamen.

Ihr spielender Finger schreibt

In die fl�chtige Luft unsre Namen.

Nun, es war gut so. Wie viele hatte Klingsor noch von seinen zehn Leben? Drei? Zwei? Mehr als eines war es immer noch, immer noch mehr als ein braves, gew�hnliches Allerwelts- und B�rgerleben. Und viel hatte er getan, viel gesehen, viel Papier und Leinwand bemalt, viele Herzen in Liebe und Ha� erregt, in Kunst und Leben viel �rgernis und frischen Wind in die Welt gebracht. Viel Frauen hatte er geliebt, viele Traditionen und Heiligt�mer zerst�rt, viel neue Dinge gewagt. Viele volle Becher hatte er leergesogen, viel Tage und Sternenn�chte geatmet, unter vielen Sonnen gebrannt, in vielen Wassern geschwommen. Nun sa� er hier, in Italien oder Indien oder China, der Sommerwind stie� launisch in die Kastanienkronen, gut und vollkommen war die Welt. Es war gleichg�ltig, ob er noch hundert Bilder malte oder zehn, ob er noch zwanzig Sommer lebte oder einen. M�de war er geworden, m�de. Alles stirbt, alles stirbt gern. Braver Thu Fu!

Es war Zeit, nach Hause zu kommen. Er w�rde ins Zimmer wanken, vom Wind durch die Balkont�r empfangen. Er w�rde Licht machen und seine Skizzen auspacken. Das Waldinnere mit dem vielen Chromgelb und Chinesischblau war vielleicht gut, es w�rde einmal ein Bild geben. Auf denn, es war Zeit.

Er blieb dennoch sitzen, den Wind im Haar, in der wehenden, beschmierten Leinenjacke, L�cheln und Weh im abendlichen Herzen. Weich und schlaff wehte der Wind, weich und lautlos taumelten die Flederm�use im erl�schenden Himmel. Alles stirbt, alles stirbt gern. Nur die ewige Mutter bleibt.

Er konnte auch hier schlafen, wenigstens eine Stunde, es war ja warm. Er legte den Kopf auf den Rucksack und sah in den Himmel. Wie ist die Welt sch�n, wie macht sie satt und m�d!

Schritte kamen den Berg herab, kr�ftig auf losen h�lzernen Sohlen. Zwischen den Farren und Ginstern erschien eine Gestalt, eine Frau, schon waren die Farben ihrer Kleider nicht mehr zu erkennen. Sie kam n�her, in gesundem, gleichm��igem Tritt. Klingsor sprang auf und rief guten Abend. Sie erschrak ein wenig und blieb einen Augenblick stehen. Er sah ihr ins Gesicht. Er kannte sie, er wu�te nicht, woher. Sie war h�bsch und dunkel, hell blitzten ihre sch�nen, festen Z�hne.

„Sieh da!“ rief er und gab ihr die Hand. Er sp�rte, da� ihn etwas mit dieser Frau verband, irgendeine kleine Erinnerung. „Kennt man sich noch?“

„Madonna! Ihr seid ja der Maler von Castagnetta! Habt Ihr mich noch gekannt?“

Ja, jetzt wu�te er. Sie war eine Bauernfrau vom Taverne-Tal, bei ihrem Hause hatte er einst, in der schon so schattentiefen und verwirrten Vergangenheit dieses Sommers, einige Stunden gemalt, hatte Wasser an ihrem Brunnen gesch�pft, eine Stunde im Schatten des Feigenbaumes geschlummert, und zum Schlu� einen Becher Wein und einen Ku� von ihr bekommen.

„Ihr seid nie mehr wiedergekommen,“ klagte sie. „Ihr hattet es mir doch so sehr versprochen.“

Mutwille und Herausforderung klang in ihrer tiefen Stimme. Klingsor wurde lebendig.

„Ecco, desto besser, da� du nun zu mir gekommen bist! Was f�r ein Gl�ck ich habe, grade jetzt, wo ich so allein und traurig war!“

„Traurig? Machet mir nichts vor, Herr, Ihr seid ein Spa�macher, kein Wort darf man Euch glauben. Na, ich mu� aber weiter.“

„O, dann begleite ich dich.“

„Es ist nicht Euer Weg und ist auch nicht n�tig. Was soll mir passieren?“

„Dir nichts, aber mir. Wie leicht k�nnte einer kommen und dir gefallen und ginge mit dir und k��te deinen lieben Mund und deinen Hals und deine sch�ne Brust, ein andrer statt meiner. Nein, das darf nicht sein.“

Er hatte die Hand um ihren Nacken gelegt und lie� sie nicht mehr los.

„Stern, mein kleiner! Schatz! Meine kleine s��e Pflaume! Bei� mich, sonst esse ich dich.“

Er k��te sie, die sich lachend zur�ckbog, auf den offnen, starken Mund, zwischen Str�uben und Widerreden gab sie nach, k��te wieder, sch�ttelte den Kopf, lachte, suchte sich freizumachen. Er hielt sie an sich gezogen, seinen Mund auf ihrem, seine Hand auf ihrer Brust, ihr Haar roch wie Sommer, nach Heu, Ginster, Farnkraut, Brombeeren. Einen Augenblick tief Atem sch�pfend, bog er den Kopf zur�ck, da sah er am vergl�hten Himmel klein und wei� den ersten Stern aufgegangen. Die Frau schwieg, ihr Gesicht war ernst geworden, sie seufzte, sie legte ihre Hand auf seine und dr�ckte sie fester um ihre Brust. Er b�ckte sich sanft, dr�ckte ihr den Arm in die Kniekehlen, die nicht widerstrebten, und bettete sie ins Gras.

„Hast du mich lieb?“ fragte sie wie ein kleines M�dchen. „Povera me!“

Sie tranken den Becher, Wind strich �ber ihr Haar und nahm ihren Atem mit.

Ehe sie Abschied nahmen, suchte er im Rucksack, in seinen Rocktaschen, ob er ihr nichts zu schenken habe, fand eine kleine silberne Taschendose, noch halb voll von Zigarettentabak, die leerte er aus und gab sie ihr.

„Nein, kein Geschenk, gewi� nicht!“ versicherte er. „Nur ein Andenken, da� du mich nicht vergi�t.“

„Ich vergesse dich nicht,“ sagte sie. Und: „Kommst du wieder?“

Er wurde traurig. Langsam k��te er sie auf beide Augen.

„Ich komme wieder,“ sagte er.

Noch eine Weile h�rte er, regungslos stehend, ihre Schritte auf den Holzsohlen bergabw�rts klingen, �ber den Wiesengrund, durch den Wald, auf Erde, auf Fels, auf Laub, auf Wurzeln. Nun war sie fort. Schwarz stand der Wald in der Nacht, lau strich der Wind �ber die erloschene Erde. Irgend etwas, vielleicht ein Pilz, vielleicht ein welkes Farnkraut, roch scharf und bitter nach Herbst.

Klingsor konnte sich nicht zur Heimkehr entschlie�en. Wozu jetzt den Berg hinaufsteigen, wozu in seine Zimmer zu all den Bildern gehen? Er streckte sich ins Gras und lag und sah die Sterne an, schlief endlich ein und schlief, bis sp�t in der Nacht ein Tierschrei oder ein Windsto� oder die K�hle des Taus ihn erweckte. Dann stieg er nach Castagnetta hinauf, fand sein Haus, seine T�r, seine Zimmer. Briefe lagen da und Blumen, es war Freundesbesuch dagewesen.

So m�de er war, er packte doch, nach der alten z�hen Gew�hnung, in aller Nacht noch seine Sachen aus und sah beim Lampenlicht die Skizzenbl�tter des Tages an. Das Waldinnere war sch�n, Gekr�ut und Gestein im lichtdurchzuckten Schatten gl�nzte k�hl und k�stlich wie eine Schatzkammer. Es war richtig gewesen, da� er nur mit Chromgelb, Orange und Blau gearbeitet und das Zinnobergr�n weggelassen hatte. Lange sah er das Blatt an.

Aber wozu? Wozu alle die Bl�tter voll Farbe? Wozu all die M�he, all der Schwei�, all die kurze, trunkene Schaffenslust? Gab es Erl�sung? Gab es Ruhe? Gab es Frieden?

Ersch�pft sank er, kaum entkleidet, ins Bett, l�schte das Licht, suchte nach Schlaf und summte leise die Verse Thu Fus vor sich hin:

Bald klirrt der Wind

�ber mein braunes Grab.

Klingsor schreibt an Louis den Grausamen

Caro Luigi! Lange hat man Deine Stimme nicht mehr geh�rt. Lebst Du noch am Lichte? Nagt schon der Geier Dein Gebein?

Hast Du einmal mit einer Stricknadel in einer stehengebliebenen Wanduhr gestochert? Ich tat es einmal, und habe es erlebt, da� pl�tzlich der Teufel in das Werk fuhr und die ganze vorhandene Zeit abrasselte, die Zeiger machten Wettrennen ums Zifferblatt, mit einem unheimlichen Ger�usch drehten sie sich wahnsinnig fort, prestissimo, bis ebenso pl�tzlich alles abschnappte und die Uhr den Geist aufgab. Genau so ist es zurzeit hier bei uns: Sonne und Mond rennen gehetzt wie Amokl�ufer �ber den Himmel, die Tage jagen sich, die Zeit l�uft einem davon, wie durch ein Loch im Sack. Hoffentlich wird auch das Ende dann ein pl�tzliches sein und diese betrunkene Welt untergehen, statt wieder in ein b�rgerliches Tempo zu fallen.

Die Tage �ber bin ich zu sehr besch�ftigt, als da� ich etwas denken k�nnte (wie wahnsinnig komisch das �brigens klingt, wenn man einen solchen sogenannten „Satz“ einmal laut vor sich hin sagt: „als da� ich etwas denken k�nnte“)! Aber am Abend fehlst Du mir oft. Ich sitze dann meistens irgendwo im Wald in einem der vielen Keller und trinke den beliebten Rotwein, der zwar meistens nicht gut ist, aber doch auch das Leben tragen hilft und den Schlaf bef�rdert. Einige Male bin ich sogar am Tisch im Grotto eingeschlafen und habe unter dem Grinsen der Eingeborenen bewiesen, da� es mit meiner Neurasthenie doch nicht so schlimm stehen kann. Manchmal sind Freunde und M�dchen dabei, und man �bt seine Finger am Plastizin weiblicher Glieder und spricht �ber H�te und Abs�tze und die Kunst. Manchmal gl�ckt es, da� eine gute Temperatur erreicht wird, dann schreien und lachen wir die ganze Nacht, und die Leute freuen sich, da� Klingsor so ein lustiger Bruder ist. Es gibt hier eine sehr h�bsche Frau, die jedesmal, wenn ich sie sehe, heftig nach Dir fragt.

Die Kunst, die wir beide treiben, h�ngt, wie ein Professor sagen w�rde, noch immer zu eng am Gegenstand (w�re fein als Bilderr�tsel darzustellen). Wir malen immer noch, wenn auch mit etwas freier Handschrift und f�r den Bourgeois aufregend genug, die Dinge der „Wirklichkeit“: Menschen, B�ume, Jahrm�rkte, Eisenbahnen, Landschaften. Darin f�gen wir uns noch einer Konvention. „Wirklich“ nennt ja der B�rger die Dinge, die von allen oder doch vielen �hnlich wahrgenommen und beschrieben werden. Ich habe im Sinn, sobald dieser Sommer herum ist, eine Zeitlang nur noch Phantasien zu malen, namentlich Tr�ume. Es wird darin zum Teil auch nach Deinem Sinn zugehen, n�mlich wahnsinnig lustig und �berraschend, etwa so wie in den Geschichten Collofinos des Hasenj�gers vom K�lner Dom. Wenn ich auch f�hle, da� der Boden unter mir etwas d�nn geworden ist, und wenn ich auch im ganzen mich wenig nach weitern Jahren und Taten sehne, ich m�chte doch immerhin noch einige heftige Raketen dieser Welt in den Rachen jagen. Ein Bilderk�ufer schrieb mir k�rzlich, er sehe mit Bewunderung, wie ich in meinen neuesten Arbeiten eine zweite Jugend erlebe. Etwas daran ist ja richtig. Zu malen habe ich eigentlich erst dies Jahr recht angefangen, scheint mir. Aber es ist weniger ein Fr�hling, was ich da erlebe, als eine Explosion. Erstaunlich, wie viel Dynamit in mir noch steckt; aber Dynamit l��t sich schlecht im Sparherd brennen.

Lieber Louis, schon oft habe ich mich im stillen dar�ber gefreut, da� wir zwei alten W�stlinge im Grunde so r�hrend schamhaft sind und einander lieber die Gl�ser an den Kopf schmei�en, als etwas von unsern Gef�hlen gegeneinander merken zu lassen. M�ge es so bleiben, alter Igel!

Wir haben dieser Tage in jenem Grotto bei Barengo ein Fest mit Brot und Wein gefeiert, herrlich klang unser Gesang im hohen Wald in der Mitternacht, die alten r�mischen Lieder. Man braucht so wenig zum Gl�ck, wenn man �lter wird und an den F��en zu frieren beginnt: acht bis zehn Stunden Arbeit im Tag, einen Liter Piemonteser, ein halbes Pfund Brot, eine Virginia, ein paar Freundinnen, und allerdings W�rme und gutes Wetter. Die haben wir, die Sonne funktioniert prachtvoll, mein Sch�del ist verbrannt wie der einer Mumie.

An manchen Tagen habe ich das Gef�hl, mein Leben und Arbeiten beginne eben erst, manchmal aber kommt es mir vor, ich habe achtzig Jahre schwer gearbeitet und habe bald einen Anspruch auf Ruhe und Feierabend. Jeder kommt einmal an ein Ende, mein Louis, auch ich, auch Du. Wei� Gott, was ich Dir da schreibe, man sieht, da� ich etwas unwohl bin. Es sind wohl Hypochondrien, ich habe viel Augenschmerzen, und manchmal verfolgt mich die Erinnerung an eine Abhandlung �ber Netzhautabl�sung, die ich vor Jahren gelesen habe.

Wenn ich durch meine Balkont�r hinuntersehe, die Du kennst, dann wird mir klar, da� wir noch eine gute Weile flei�ig sein m�ssen. Die Welt ist uns�glich sch�n und mannigfaltig, durch diese gr�ne hohe T�r l�utet sie Tag und Nacht zu mir herauf und schreit und fordert, und immer wieder renne ich hinaus und rei�e ein St�ck davon an mich, ein winziges St�ck. Die gr�ne Gegend hier ist durch den trocknen Sommer jetzt wunderbar licht und r�tlich geworden, ich h�tte nie gedacht, da� ich wieder zu Englischrot und Siena greifen w�rde. Dann steht der ganze Herbst bevor, Stoppelfelder, Weinlese, Maisernte, rote W�lder. Ich werde das alles noch einmal mitmachen, Tag f�r Tag, und noch einige hundert Studien malen. Dann aber, das f�hle ich, werde ich den Weg nach Innen gehen und noch einmal, wie ich es als junger Kerl eine Weile tat, ganz aus der Erinnerung und Phantasie malen, Gedichte machen und Tr�ume spinnen. Auch das mu� sein.

Ein gro�er Pariser Maler, den ein junger K�nstler um Ratschl�ge bat, hat ihm gesagt: „Junger Mann, wenn Sie ein Maler werden wollen, so vergessen Sie nicht, da� man vor allem gut essen mu�. Zweitens ist die Verdauung wichtig, sorgen Sie f�r einen regelm��igen Stuhlgang! Und drittens: halten Sie sich stets eine h�bsche kleine Freundin!“ Ja, man sollte meinen, diese Anf�nge der Kunst habe ich gelernt, und es k�nne mir hierin eigentlich kaum fehlen. Aber dies Jahr, es ist verflucht, stimmt es bei mir auch in diesen einfachen Dingen nicht mehr recht. Ich esse wenig und schlecht, oft ganze Tage nur Brot, ich habe zu Zeiten mit dem Magen zu tun (ich sage Dir: das Unn�tzeste, was man zu tun haben kann!), und ich habe auch keine richtige kleine Freundin, sondern habe mit vier, f�nf Frauen zu tun und bin ebensooft ersch�pft wie hungrig. Es fehlt etwas am Uhrwerk, und seit ich mit der Nadel hineingestochen habe, l�uft es zwar wieder, aber rasch wie der Satan, und rasselt so unvertraut dabei. Wie einfach ist das Leben, wenn man gesund ist! Du hast noch nie einen so langen Brief von mir bekommen, au�er vielleicht damals in der Zeit, wo wir �ber die Palette disputierten. Ich will aufh�ren, es geht gegen f�nf Uhr, das sch�ne Licht f�ngt an. Sei gegr��t von Deinem Klingsor.

Nachschrift:

Ich erinnere mich, da� Du ein kleines Bild von mir gern hattest, das am meisten chinesische, das ich gemacht habe, mit der H�tte, dem roten Weg, den veronesergr�nen Zackenb�umen und der fernen Spielzeugstadt im Hintergrund. Ich kann es jetzt nicht schicken, wei� auch nicht, wo Du bist. Aber es geh�rt Dir, das m�chte ich Dir f�r alle F�lle sagen.

Klingsor schickt seinem Freunde Thu Fu ein Gedicht

(Aus den Tagen, in welchen er an seinem Selbstbildnis malte)

Trunken sitz ich des Nachts im durchwehten Geh�lz,

An den klagenden Zweigen hat Herbst genagt,

Murmelnd l�uft in den Keller,

Meine leere Flasche zu f�llen, der Wirt.

Morgen, morgen haut mir der bleiche Tod

Seine klirrende Sense ins rote Fleisch,

Lange schon auf der Lauer

Wei� ich ihn liegen, den falschen Hund.

Ihn zu h�hnen, sing ich die halbe Nacht,

Lalle mein trunkenes Lied in den m�den Wald;

Seiner Drohung zu spotten

Ist meines Liedes und meines Trinkens Sinn.

Vieles tat und erlitt ich, Wandrer auf langem Weg,

Nun am Abend sitz ich, trinke und warte bang,

Bis die blitzende Sichel

Mir das Haupt vom zuckenden Herzen trennt.

Das Selbstbildnis

In den ersten Septembertagen, nach vielen Wochen einer ungew�hnlichen trocknen Sonnenglut, gab es einige Regentage. In diesen Tagen malte Klingsor, in dem hochfenstrigen Saal seines Palazzos in Castagnetta, sein Selbstportr�t, das jetzt in Frankfurt h�ngt.

Dies furchtbare und doch so zauberhaft sch�ne Bild, sein letztes ganz zu Ende gef�hrtes Werk, steht am Ende der Arbeit jenes Sommers, am Ende einer unerh�rt gl�henden, rasenden Arbeitszeit, als deren Gipfel und Kr�nung. Vielen ist es aufgefallen, da� jeder, der Klingsor kannte, ihn auf diesem Bilde sofort und unfehlbar wiedererkannte, obwohl niemals ein Bildnis sich so weit von jeder naturalistischen �hnlichkeit entfernte.

Wie alle sp�teren Werke Klingsors, so kann man auch dies Selbstbildnis aus den verschiedensten Standpunkten betrachten. F�r manche, zumal solche, die den Maler nicht kannten, ist das Bild vor allem ein Farbenkonzert, ein wunderbar gestimmter, trotz aller heftigen Buntheit still und edel wirkender Teppich. Andre sehen darin einen letzten k�hnen, ja verzweifelten Versuch zur Befreiung vom Gegenst�ndlichen: ein Antlitz wie eine Landschaft gemalt, Haare an Laub und Baumrinde erinnernd, Augenh�hlen wie Felsspalten — sie sagen, dies Bild erinnere an die Natur nur so wie mancher Bergr�cken an ein Menschengesicht, mancher Baumast an H�nde und Beine erinnert, nur von ferne her, nur gleichnishaft. Viele aber sehen im Gegenteil gerade in diesem Werk nur den Gegenstand, das Gesicht Klingsors, von ihm selbst mit unerbittlicher Psychologie zerlegt und gedeutet, eine riesige Konfession, ein r�cksichtsloses, schreiendes, r�hrendes, erschreckendes Bekenntnis. Noch andere, und darunter einige seiner erbittertsten Gegner, sehen in diesem Bildnis lediglich ein Produkt und Zeichen von Klingsors angeblichem Wahnsinn. Sie vergleichen den Kopf des Bildes mit dem naturalistisch gesehenen Original, mit Photographien, und finden in den Deformationen und �bertreibungen der Formen negerhafte, entartete, atavistische, tierische Z�ge. Manche von diesen halten sich auch �ber das G�tzenhafte und Phantastische dieses Bildes auf, sehen eine Art von monomanischer Selbstanbetung darin, eine Blasphemie und Selbstverherrlichung, eine Art von religi�sem Gr��enwahn. Alle diese Arten der Betrachtung sind m�glich und noch viele andere.

W�hrend der Tage, die er an diesem Bilde malte, ging Klingsor nicht aus, au�er des Nachts zum Wein, a� nur Brot und Obst, das ihm die Hauswirtin brachte, blieb unrasiert und sah mit den unter der verbrannten Stirn tief eingesunkenen Augen in dieser Verwahrlosung in der Tat erschreckend aus. Er malte sitzend und auswendig, nur von Zeit zu Zeit, fast nur in den Arbeitspausen, ging er zu dem gro�en, altmodischen, mit Rosenranken bemalten Spiegel an der Nordwand, streckte den Kopf vor, ri� die Augen auf, schnitt Gesichter.

Viele, viele Gesichter sah er hinter dem Klingsor-Gesicht im gro�en Spiegel zwischen den dummen Rosenranken, viele Gesichter malte er in sein Bild hinein: Kindergesichter s�� und erstaunt, J�nglingsschl�fen voll Traum und Glut, sp�ttische Trinkeraugen, Lippen eines D�rstenden, eines Verfolgten, eines Leidenden, eines Suchenden, eines W�stlings, eines enfant perdu. Den Kopf aber baute er majest�tisch und brutal, einen Urwaldg�tzen, einen in sich verliebten, eifers�chtigen Jehova, einen Popanz, vor dem man Erstlinge und Jungfrauen opfert. Dies waren einige seiner Gesichter. Ein andres war das des Verfallenden, des Untergehenden, des mit seinem Untergang Einverstandenen: Moos wuchs auf seinem Sch�del, schief standen die alten Z�hne, Risse durchzogen die welke Haut, und in den Rissen stand Schorf und Schimmel. Das ist es, was einige Freunde an dem Bilde besonders lieben. Sie sagen: es ist der Mensch, ecce homo, der m�de, gierige, wilde, kindliche und raffinierte Mensch unsrer sp�ten Zeit, der sterbende, sterbenwollende Europamensch: von jeder Sehnsucht verfeinert, von jedem Laster krank, vom Wissen um seinen Untergang enthusiastisch beseelt, zu jedem Fortschritt bereit, zu jedem R�ckschritt reif, ganz Glut und auch ganz M�digkeit, dem Schicksal und dem Schmerz ergeben wie der Morphinist dem Gift, vereinsamt, ausgeh�hlt, uralt, Faust zugleich und Karamasow, Tier und Weiser, ganz entbl��t, ganz ohne Ehrgeiz, ganz nackt, voll von Kinderangst vor dem Tode und voll von m�der Bereitschaft, ihn zu sterben.

Und noch weiter, noch tiefer hinter all diesen Gesichtern schliefen fernere, tiefere, �ltere Gesichter, vormenschliche, tierische, pflanzliche, steinerne, so als erinnere sich der letzte Mensch auf Erden im Augenblick vor dem Tode nochmals traumschnell an alle Gestaltungen seiner Vorzeit und Weltenjugend.

In diesen rasend gespannten Tagen lebte Klingsor wie ein Ekstatiker. Nachts f�llte er sich schwer mit Wein und stand dann, die Kerze in der Hand, vor dem alten Spiegel, betrachtete das Gesicht im Glas, das schwerm�tig grinsende Gesicht des S�ufers. Den einen Abend hatte er eine Geliebte bei sich, auf dem Diwan im Studio, und w�hrend er sie nackt an sich gedr�ckt hielt, starrte er �ber ihre Schulter weg in den Spiegel, sah neben ihrem aufgel�sten Haar sein verzerrtes Gesicht, voll Wollust und voll Ekel vor der Wollust, mit ger�teten Augen. Er hie� sie morgen wiederkommen, aber Grauen hatte sie gefa�t, sie kam nicht wieder.

Nachts schlief er wenig. Oft erwachte er aus angstvollen Tr�umen, Schwei� im Gesicht, wild und lebensm�de, und sprang doch alsbald auf, starrte in den Schrankspiegel, las die w�ste Landschaft dieser verst�rten Z�ge ab, d�ster, ha�voll, oder l�chelnd, wie schadenfroh. Er hatte einen Traum, in dem sah er sich selbst, wie er gefoltert wurde, in die Augen wurden N�gel geschlagen, die Nase mit Haken aufgerissen; und er zeichnete dies gefolterte Gesicht, mit den N�geln in den Augen, mit Kohle auf einen Buchdeckel, der ihm zur Hand lag; wir fanden das seltsame Blatt nach seinem Tode. Von einem Anfall von Gesichtsneuralgien befallen, hing er krumm �ber die Lehne eines Stuhles, lachte und schrie vor Pein, und hielt sein entstelltes Gesicht vor das Glas des Spiegels, betrachtete die Zuckungen, verh�hnte die Tr�nen.

Und nicht sein Gesicht allein, oder seine tausend Gesichter, malte er auf dies Bild, nicht blo� seine Augen und Lippen, die leidvolle Talschlucht des Mundes, den gespaltenen Felsen der Stirn, die wurzelhaften H�nde, die zuckenden Finger, den Hohn des Verstandes, den Tod im Auge. Er malte, in seiner eigenwilligen, �berf�llten, gedr�ngten und zuckenden Pinselschrift sein Leben dazu, seine Liebe, seinen Glauben, seine Verzweiflung. Scharen nackter Frauen malte er mit, im Sturm vorbeigetrieben wie V�gel, Schlachtopfer vor dem G�tzen Klingsor, und einen J�ngling mit dem Gesicht des Selbstm�rders, ferne Tempel und W�lder, einen alten b�rtigen Gott m�chtig und dumm, eine Frauenbrust vom Dolch gespalten, Schmetterlinge mit Gesichtern auf den Fl�geln, und zuhinterst im Bilde, am Rande des Chaos den Tod, ein graues Gespenst, der mit einem Speer, klein wie eine Nadel, in das Gehirn des gemalten Klingsor stach.

Wenn er stundenlang gemalt hatte, trieb Unruhe ihn auf, rastlos lief er und flackernd durch seine Zimmer, die T�ren wehten hinter ihm, ri� Flaschen aus dem Schrank, ri� B�cher aus den Sch�ften, Teppiche von den Tischen, lag lesend am Boden, lehnte sich tief atmend aus den Fenstern, suchte alte Zeichnungen und Photographien und f�llte B�den und Tische und Betten und St�hle aller Zimmer mit Papieren, Bildern, B�chern, Briefen an. Alles wehte wirr und traurig durcheinander, wenn der Regenwind durch die Fenster kam. Er fand sein Kinderbildnis unter alten Sachen, Lichtbild aus seinem vierten Jahr, in einem wei�en Sommeranzug, unterm wei�lich hellblonden Haar ein s��trotziges Knabengesicht. Er fand die Bilder seiner Eltern, Photographien von Jugendgeliebten. Alles besch�ftigte, reizte, spannte, qu�lte ihn, ri� ihn hin und her, alles ri� er an sich, warf es wieder hin, bis er wieder davon zuckte, �ber seiner Holztafel hing und weiter malte. Tiefer zog er die Furchen durch das Gekl�ft seines Bildnisses, breiter baute er den Tempel seines Lebens auf, m�chtiger sprach er die Ewigkeit jedes Daseins aus, schluchzender seine Verg�nglichkeit, holder sein l�chelndes Gleichnis, h�hnischer seine Verurteilung zur Verwesung. Dann sprang er wieder auf, gejagter Hirsch, und lief den Trab des Gefangenen durch seine Zimmer. Freude durchzuckte ihn und tiefe Sch�pfungswonne wie ein feuchtes frohlockendes Gewitter, bis Schmerz ihn wieder zu Boden warf und ihm die Scherben seines Lebens und seiner Kunst ins Gesicht schmi�. Er betete vor seinem Bild, und er spie es an. Er war irrsinnig, wie jeder Sch�pfer irrsinnig ist. Aber er tat im Irrsinn des Schaffens unfehlbar klug wie ein Nachtwandler alles, was sein Werk f�rderte. Er f�hlte gl�ubig, da� in diesem grausamen Kampf um sein Bildnis nicht nur Geschick und Rechenschaft eines Einzelnen sich vollziehe, sondern Menschliches, sondern Allgemeines, Notwendiges. Er f�hlte, nun stand er wieder vor einer Aufgabe, vor einem Schicksal, und alle vorhergegangene Angst und Flucht und aller Rausch und Taumel war nur Angst und Flucht vor dieser seiner Aufgabe gewesen. Nun gab es nicht Angst noch Flucht mehr, nur noch Vorw�rts, nur noch Hieb und Stich, Sieg und Untergang. Er siegte, und er ging unter und litt und lachte und bi� sich durch, t�tete und starb, gebar und wurde geboren.

Ein franz�sischer Maler wollte ihn besuchen, die Wirtin f�hrte ihn ins Vorzimmer, Unordnung und Schmutz grinste im �berf�llten Raum. Klingsor kam, Farbe an den �rmeln, Farbe im Gesicht, grau, unrasiert, mit langen Schritten rannte er durch den Raum. Der Fremde brachte Gr��e aus Paris und Genf, sprach seine Verehrung aus. Klingsor ging auf und ab, schien nicht zu h�ren. Verlegen schwieg der Gast und begann sich zur�ckzuziehen, da trat Klingsor zu ihm, legte ihm die farbenbedeckte Hand auf die Schulter, sah ihm nah ins Auge. „Danke,“ sagte er langsam, m�hsam, „danke, lieber Freund. Ich arbeite, ich kann nicht sprechen. Man spricht zu viel, immer. Seien Sie mir nicht b�se, und gr��en Sie mir meine Freunde, sagen Sie ihnen, da� ich sie liebe.“ Und verschwand wieder ins andre Zimmer.

Das fertige Bild stellte er, am Ende dieser gepeitschten Tage, in die unben�tzte leere K�che und schlo� ab. Er hat es nie gezeigt. Dann nahm er Veronal und schlief einen Tag und eine Nacht hindurch. Dann wusch er sich, rasierte sich, legte neue W�sche und Kleider an, fuhr zur Stadt und kaufte Obst und Zigaretten, um sie Gina zu schenken.

Werke von Hermann Hesse

Peter Camenzind.
Roman. 98. Auflage.

Diesseits.
Erz�hlungen. 23. Auflage.

Nachbarn.
Erz�hlungen. 13. Auflage

Umwege.
Erz�hlungen. 13. Auflage.

Aus Indien.
Aufzeichnungen von einer indischen Reise. 9. Auflage.

Ro�halde.
Roman. 42. Auflage.

M�rchen.
21. Auflage.

Unterm Rad.
Roman.

Knulp.
Drei Geschichten aus dem Leben Knulps.

Sch�n ist die Jugend.

Wanderung.
Mit 14 farbigen Bildern vom Verfasser.


Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig

Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Druckfehler wurden unter Verwendung sp�terer Ausgaben korrigiert wie hier aufgef�hrt (vorher/nachher):

  • ... und Zwischenb�den und dem glatten, harth�lzenen Gel�nder, ...
    ... und Zwischenb�den und dem glatten, harth�lzernen Gel�nder, ...
  • ... Dann stie� ich, in pl�tzlichem hellen Schrecken, die Lade ...
    ... Dann stie� ich, in pl�tzlichem hellem Schrecken, die Lade ...
  • ... in meinem Zimmer, im Garten und Hof, auf dem Estrich, ...
    ... in meinem Zimmer, im Garten und Hof, auf dem Estrich. ...
  • ... ausgesehen, genau so gro�, so grau und wei�, so grell bebeleuchtet. ...
    ... ausgesehen, genau so gro�, so grau und wei�, so grell beleuchetet. ...
  • ... 5 ...
    ... V ...
  • ... und schrill aus der Tiefe schelte. Sternlicht flo� durch das ...
    ... und schrill aus der Tiefe schellte. Sternlicht flo� durch das ...
  • ... Arme auf die Eisenbr�stung gest�tzt, und las halb anmutig, ...
    ... Arme auf die Eisenbr�stung gest�tzt, und las halb unmutig, ...
  • ... Klingsor kam lachend zur ihr her�ber: „Wie haben Sie ...
    ... Klingsor kam lachend zu ihr her�ber: „Wie haben Sie ...
  • ... Il mio papa non vole, ...
    ... Il mio papa non vuole, ...
  • ... fest im verschlossenen Lila einer Zeltborte, im freudigen ...
    ... fest im verschossenen Lila einer Zeltborte, im freudigen ...

End of Project Gutenberg's Klingsors letzter Sommer, by Hermann Hesse

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electronic work or group of works on different terms than are set
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both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

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effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
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property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
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or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     www.gutenberg.org

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including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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