Ein Rechtsanwaltskollege berichtete mir soeben von einer Mandantin, die eine aufwändige Operation hatte. Es lag eine Krebserkrankung vor, die auch bereits zu erheblichen Arbeitsunfähigkeitszeiten am Arbeitsplatz geführt hatte. In der Rehabilitationsphase nach der Operation war die
Arbeitnehmerin psychisch nicht belastbar und sollte sich aus jeglichen Stresssituationen heraus halten.
Der Arbeitgeber hat es tatsächlich geschafft, die
Arbeitnehmerin trotzdem anzurufen und um Stellungnahme zu einem bereits 4 Monate zurückliegenden Vorfall gebeten. Als diese eine Stellungnahme mit Hinweis auf ihren Gesundheitszustand ablehnte, hat der Arbeitgeber Folgendes gemacht: Er übersandte der Mitarbeiterin eine Beschwerde eines Kunden über sie mit der Bitte um Stellungnahme. Das hat die Arbeitnehmerin natürlich
erneut in eine Stresssituation gebracht und den Heilungsverlauf verzögert. Nun hatte der Kollege eine einstweilige Verfügung gegen den Arbeitgeber beantragt, dass dieser die Arbeitnehmerin in Ruhe lassen solle.
Vor Gericht haben sich die Parteien darauf geeinigt, dass während der schwierigen Arbeitsunfähigkeitsphase keine weiteren Kontakte des Arbeitgebers erfolgen. Sind zwingende, den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses betreffende Mitteilungen erforderlich, laufen diese künftig ausschließlich über den Rechtsanwalt der Arbeitnehmerin. Das ist sicherlich ein guter Kompromiss.
Ich habe auch meine Bedenken, ob man es grundsätzlich einem Arbeitgeber verbieten kann, einen Arbeitnehmer zu kontaktieren. Ich denke, dieses ist so umfassend nicht möglich. Allerdings hat der Arbeitnehmer andererseits auch keine Verpflichtung, ans Telefon zu gehen oder dem Arbeitgeber seine Telefonnummer zur Verfügung zu stellen. Natürlich hat der Arbeitgeber sämtliche Schikanemaßnahmen zu unterlassen. Gegen solche Dinge kann ein Arbeitnehmer sich selbstverständlich jederzeit wehren.
Grundsätzlich ist es dem Arbeitgeber jedoch erlaubt, während einer Arbeitsunfähigkeit den Arbeitnehmer anzurufen, anzuschreiben oder sogar zu besuchen.
Um es vorweg zu nehmen: Prinzipiell ist der Arbeitgeber natürlich nicht berechtigt, den Arbeitnehmer während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit zu einem Personalgespräch einzubestellen. Grund hierfür ist, dass das Weisungsrecht des Arbeitgebers während dieser Zeit stark eingeschränkt ist und den Genesungsprozess des Arbeitnehmers nicht behindern darf. Aber wie im wirklichen Leben gilt auch hier „Ausnahmen bestätigen die Regel“.
Nach Auffassung des BAG darf der Arbeitgeber den erkrankten Arbeitnehmer unter nachfolgenden Voraussetzungen anweisen, mit ihm ein kurzes Personalgespräch zu führen:
1. Dringender betrieblicher Anlass:
Der erkrankte Arbeitnehmer muss über Informationen zu wichtigen betrieblichen Abläufen oder Vorgängen verfügen, ohne deren Weitergabe dem Arbeitgeber die Fortführung der Geschäfte erheblich erschwert oder gar unmöglich würde (vgl. BAG 30. Januar 1976 – 2 AZR 518/74 – zu 4 der Gründe). Beispiel hierfür wären Zugangscodes für die EDV, die nur dem Mitarbeiter bekannt sind.
Ein dringender betrieblicher Anlass für eine solche Weisung kann auch gegeben sein, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über aktuell bevorstehende Änderungen des Arbeitsablaufs, die erhebliche Auswirkungen auf den Arbeitsplatz des Arbeitnehmers haben, informieren und seine Meinung dazu einholen möchte, oder wenn er mit ihm über seine Bereitschaft sprechen will, eine neue Arbeitsaufgabe zu übernehmen, bevor die Stelle anderweitig besetzt wird.
2. Verhältnismäßigkeit:
Weitere Voraussetzung für solche Gespräche ist allerdings stets, dass sie nicht aufschiebbar und dem Arbeitnehmer zumutbar sind. Liegt ein Arbeitnehmer etwa zur Behandlung im Krankenhaus, wäre ein Gespräch beim Arbeitgeber sicher nicht zumutbar.
3. Erforderlichkeit:
Auch wenn diese Anforderungen erfüllt sind, ist der Arbeitgeber nur berechtigt, den erkrankten Arbeitnehmer anzuweisen, im Betrieb zu erscheinen, wenn die persönliche Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb dringend erforderlich ist.
Dies kann zum einen auf technischen Gründen beruhen, z.B. wenn ein Mitarbeiter IT-Zugangscodes besitzt, die auch nur er eingeben kann. Das persönliche Erscheinen des arbeitsunfähigen Arbeitnehmers im Betrieb kann zum anderen aber auch dann ausnahmsweise unumgänglich sein, wenn der Arbeitgeber mit der Planung des zukünftigen Einsatzes, die gravierende Auswirkungen auch auf andere Arbeitnehmer hat, aus betrieblichen Gründen nicht bis nach der Genesung zuwarten kann und vor der Umsetzung seines Plans mit allen Betroffenen ein gemeinsames Gespräch führen möchte, um anderenfalls drohenden erheblichen Störungen des Betriebsfriedens oder des Arbeitsablaufs vorzubeugen.
Die Beweislast, dass alle vorgenannten Voraussetzungen vorliegen, trägt zudem der Arbeitgeber.
Dieses Urteil zeigt sehr schön, dass es eben nicht unmöglich ist, einen Arbeitnehmer während der Arbeitsunfähigkeit in den Betrieb einzubestellen. Allerdings sind die Hürden sehr hoch und tragen damit dem Umstand Rechnung, dass nicht nur der Arbeitnehmer sich nicht genesungswidrig verhalten soll. Auch der Arbeitgeber darf der Gesundung seines Mitarbeiters nicht im Wege stehen.