Ab wann darf man die Pille nehmen ohne Eltern

Eine Mutter ist geschockt, als sie erfährt, dass ihre minderjährige Tochte die Antibabypille nimmt. Braucht es ihre Einwilligung dazu?

Bild: Thinkstock Kollektion

Frage: Der Frauenarzt hat meiner Tochter die Antibabypille verschrieben. Sie ist erst 16. Darf er das einfach so ohne meine Einwilligung als Mutter?

Tinka Lazarevic,
aktualisiert am 5. September 2017 - 10:32 Uhr

Die Pille ist das am häufigsten verwendete und beliebteste Verhütungsmittel in Deutschland. Unter der Pille versteht man im Allgemeinen ein Östrogen-Gestagen-Kombinationspräparat. Wenn es, wie heute meist üblich, niedrig dosiert ist - wird es als Mikropille bezeichnet. Daneben gibt es reine Gestagen-Produkte, die so genannten Minipillen oder Gestagenpillen.

Voraussetzung für die Verordnung einer Pille ist eine umfassende gynäkologische Untersuchung einschließlich der Kontrolle der Brüste und ein Vaginalabstrich. Unter der Pilleneinnahme sollte ein regelmäßiger halbjährlicher Besuch beim Frauenarzt erfolgen. Dabei wird unter anderem der Blutdruck kontrolliert, da ein erhöhter Blutdruck einen Risikofaktor z. B. für den Herzinfarkt darstellt.

Ab welchem Alter?

Ein Mindestalter für die Verordnung der Pille gibt es nicht. Die Erstverordnung richtet sich nach der biologischen und psychischen Reife, die der Frauenarzt im Gespräch mit der Patientin überprüft. Bei Mädchen, die jünger als 14 Jahre alt sind, kann der Arzt nach einer eingehenden Beratung entscheiden, ob er der Meinung ist, das Mädchen sei reif genug für einen verantwortungsvollen Umgang mit Sexualität und damit für die Einnahme der Pille oder nicht. Er kann auch darauf bestehen, dass die Pille nur verschrieben wird, wenn die Einwilligung der Eltern vorliegt.

Pille und Schwangerschaft

Bisherige Untersuchungen haben ergeben, dass die Einnahme der Pille auch in einer frühen Phase der Schwangerschaft, in der man selbst noch nichts davon weiß, die Rate von Missbildungen nicht erhöht. Allerdings sollten in einer Schwangerschaft vorsichtshalber grundsätzlich nur Medikamente angewendet werden, die für Mutter oder Kind unentbehrlich sind. Daher ist vor Beginn einer Einnahme der Pille sicherzustellen, dass keine Schwangerschaft vorliegt. Jede Frau sollte darauf hingewiesen werden, dass beim Ausbleiben der Entzugsblutung der Frauenarzt zu konsultieren ist. Wird eine Schwangerschaft festgestellt, muss mit der Einnahme der Pille aufgehört werden. Ein Grund für einen Schwangerschaftsabbruch liegt in keinem Fall vor.

Neben dem Alter muss auch die individuelle Reife des Jugendlichen in die Verordnungsentscheidung eingehen. © iStock.com/gmast3r

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Darf eine 13-Jährige die Pille verschrieben bekommen? Müssen die Eltern über den Arztbesuch der jungen Frau informiert sein? Und wie gehen Sie als Hausarzt mit einer solchen Anfrage um?

Eigentlich verordnen Haus­ärzte nicht die Pille. Und wenn doch mal eine junge Frau in der Praxis steht? Dann würden offensichtlich viele das gewünschte Rezept nach genauer Abwägung ausstellen, so das Ergebnis einer spontanen, nicht repräsentativen Umfrage für Medical Tribune unter 30 Hausärzten.

Wüssten Sie aber auch, wie Sie mit der Anfrage einer Minderjährigen umgehen sollen? Angenommen, eine 16-Jährige kommt in die Sprechstunde. Über Verhütung informiert hat sie sich bisher nicht. Im Gespräch versucht der Arzt, sie über potenzielle Gefahren und mögliche Alternativen zur Pille aufzuklären, doch der Teenager zeigt sich desinteressiert, die Risiken der homonellen Kontrazeption scheint er nicht erfassen zu können. Der Arzt gewinnt den Eindruck, dass das Mädchen nicht wirklich aus eigenem Antrieb gekommen ist, sondern eher von ihrem 21 Jahre alten Freund dazu gedrängt wurde.

Mit 15 Jahren wird der Teenie bedingt handlungsfähig

An diesem Punkt stellen sich mehrere Fragen, mit denen sich die Juristin Dr. Juliane Netzer-Nawrocki von der Kanzlei für Medizinrecht, Möller und Partner in Düsseldorf, beschäftigt hat. Dabei geht es zunächst um die junge Patientin:

  1. Ist die Patientin geschäftsfähig, d.h., kann sie überhaupt einen Behandlungsvertrag abschließen?
  2. Sind die Voraussetzungen erfüllt, dass sie in die Behandlung einwilligen kann?

Kinder unter sieben Jahren sind per Gesetz geschäftsunfähig, sie dürfen also ohne Zustimmung der Eltern keinen Behandlungsvertrag abschließen. Zwischen 7 bis 18 Jahren sind Minderjährige beschränkt geschäftsfähig, aber nur wenn „das Geschäft rechtlich vorteilhaft“ ist (was hier nicht zutrifft, da der Behandlungsvertrag dazu verpflichtet, ärztliches Honorar zu zahlen) oder wenn der „Minderjährige die Kosten der Behandlung aus eigenen Mitteln aufbringen kann“. Ohne vorheriges Einwilligen oder nachträgliches Genehmigen seitens der Erziehungsberechtigten kann also eigentlich kein Behandlungsvertrag entstehen, so Dr. Netzer-Nawrocki.

Für Jugendliche ab dem 15. Geburtstag greift allerdings die sog. gesetzliche Vorverlagerung der Handlungsfähigkeit: Die Jugendlichen können alle Sozialleistungen ohne Zustimmung ihrer Eltern in Anspruch nehmen. Die Geschäftsfähigkeit Ihrer jungen Patientin ist an diesem Punkt also ausreichend.

Schweigepflicht gilt fast immer

Wenn die junge Patientin nicht möchte, dass Sie mit ihren Eltern über ihr Anliegen sprechen, müssen Sie das respektieren. Denn zur Verschwiegenheit gegenüber Dritten sind Sie auch bei Minderjährigen verpflichtet. Mit einer Ausnahme: Muss von einer Sexualstraftat ausgegangen werden, dürfen Eltern und Jugendamt informiert werden. Der Schutz der körperlichen Unversehrtheit des Mädchens wiegt in solch einem Fall schwerer als der Schutz seines persönlichen Lebens- und Geheimbereiches.

Aber was ist mit der Einwilligung? Jeder Heileingriff – auch die Verordnung hormoneller Kontrazeptiva – erfüllt zunächst den Tatbestand einer Körperverletzung, erinnert die Juris­tin. Der Arzt benötigt also eine wirksame Einwilligung in den Eingriff. Ausschlaggebend ist dabei die individuelle „geistige und sittliche Reife“, die ein Verständnis der Tragweite der Behandlung voraussetzt. Diese Reife muss der Arzt in jedem Einzelfall neu prüfen; Leitlinien, die alleine auf das Alter von Patienten abheben, bieten da nur grobe Anhaltspunkte. Im beschriebenen Fall kann der Arzt z.B. aufgrund der mangelnden Urteilsfähigkeit seiner 16-jährigen Patientin nicht davon ausgehen, dass sie einwilligungsfähig ist. Er sollte von der Verschreibung absehen.

Auch eine 13-Jährige kann schon einwilligungsfähig sein

Ein anderer Fall: Eine 13-Jährige hat eine feste Beziehung mit einem vier Jahre älteren Jungen, es kam bereits zu einvernehmlichen Sex. Mit Einwilligung der Eltern erscheint das Mädchen allein beim Arzt, um sich die Pille verschreiben zu lassen. Schon vorab hat es sich über verschiedene Verhütungsmethoden informiert und kann dem Arzt im Aufklärungsgespräch klar darlegen, warum sie glaubt, dass die hormonelle Kontrazeption für sie die sinnvollste Methode ist. Für den Kollegen steht fest, dass sie Vor- und Nachteile der Einnahme verstanden hat. Aufgrund der geistigen und charakterlichen Reife kann er daher von ihrer Einwilligungsfähigkeit ausgehen. In ihrem Fall ist das Einverständnis des gesetzlichen Vertreters zum ärztlichen Heileingriff weder erforderlich noch wäre es ausreichend.

Kann sich der Verschreibende mitschuldig machen?

Allerdings konfrontiert die junge Patientin den Arzt mit einem anderen Problem: Grundsätzlich sind sexuelle Handlungen an unter 14-Jährigen strafbar – macht er sich also mitschuldig, wenn er ihr die Pille verschreibt? Eine eindeutige Rechtslage sieht Dr. Netzer-Nawrocki nicht gegeben. Rein juristisch wäre es möglich, das Verordnen der Pille als eine „Förderung“ oder „Unterstützung der Tat“ auszulegen. Damit wären die Umstände strafbaren Handelns gegeben, so die Expertin. Es wird aber auch der Standpunkt vertreten, dass die Kontrazeptivaverordnung dazu dienen kann, körperlichen oder seelischen Schaden von der Patientin abzuwenden, etwa durch eine unerwünschte Schwangerschaft oder einen Schwangerschaftsabbruch. Bleibt die Frage: Darf der Hausarzt das Verschreiben der Pille aufgrund seiner Ausbildung überhaupt vornehmen? Nach der Richtlinie zur Empfängnisregelung des Gemeinsamen Bundesausschusses darf über Fragen der Empfängnisregelung nur beraten,
  • wer die vorgesehenen Leistungen aufgrund eigener Kenntnisse und Erfahrungen erbringen kann,
  • über die Befugnisse anhand des ärztlichen Berufsrechts verfügt,
  • die erforderlichen Einrichtungen hat.
Wer genau „befugt“ ist, richtet sich nach der Weiterbildungsordnung. Die hormonelle, chemische, mechanische oder operative Kontrazeption gehört auf jeden Fall nicht zur Weiterbildung eines jeden Arztes, warnt die Anwältin. Und spätestens bei der „erforderlichen Einrichtung“ dürften viele Praxen an ihre Grenzen stoßen. Sie haben selten die Mittel, um die notwendige umfassende gynäkologische Untersuchung vorzunehmen. Entsprechend muss man Hausärzten also grundsätzlich empfehlen, Patientinnen nach etwaiger Sexualberatung in eine gynäkologische Praxis zu verweisen. Von dieser Empfehlung ausgenommen sind natürlich gynäkologisch spezialisierte Ärzte sowie begründete Einzelfälle.

Netzer-Nawrocki J. Kinder und Jugendarzt 2018; 49: 524–527

23.11.2018

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Kann man die Pille ohne Erlaubnis der Eltern nehmen?

Hormonelle Verhütungsmittel müssen von einer Ärztin oder einem Arzt verschrieben werden und sind auf Rezept in jeder Apotheke erhältlich. Mädchen bis zum Alter von 14 Jahren darf die Ärztin oder der Arzt die Pille nicht ohne Zustimmung der Eltern verordnen.

Wie viel kostet die Pille ab 16?

Bis zum 18. Lebensjahr übernehmen die Krankenkassen die Kosten für die Pille komplett. Ab 18 Jahren muss die gesetzliche Zuzahlung in Höhe von 10 Prozent des Verkaufspreises selbst bezahlt werden. Die Zuzahlung beträgt mindestens 5 Euro und höchstens 10 Euro.

In welchem Alter die Pille?

Ein Mindestalter für die Verordnung der Pille gibt es nicht. Die Erstverordnung richtet sich nach der biologischen und psychischen Reife, die der Frauenarzt im Gespräch mit der Patientin überprüft.

Kann man mit 13 schon die Pille nehmen?

Es gibt keine medizinische Altersgrenze, unter der die Pille nicht verordnet werden darf. Einige Frauenärztinnen und -ärzte verlangen von Jugendlichen unter 16 Jahren eine Einwilligung der Eltern.