Wer hat gesagt antifaschismus ist faschismus mit gutem gewissen

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Wer hat gesagt antifaschismus ist faschismus mit gutem gewissen

Topnutzer im Thema Politik

Das sieht man an der afd, die unter falscher Flagge ihre demokratiefeindlichen Gedanken unterbringen will.

Wer hat gesagt antifaschismus ist faschismus mit gutem gewissen

Ein aus dem Kontext gerissenes Zitat des Mitbegründers der italienischen KP, der sich ausgiebig mit dem Aufstieg des Faschismus in Italien befasst hat. So aus dem Zusammenhang gerissen wird dieses Zitat von den Faschisten benutzt, um ihre Gegner, die Antifaschisten zu denunzieren.

Silone meint damit, dass Faschisten sich als alles mögliche bezeichnen, aber eben nicht als Faschisten. Sie werden sich auch nicht scheuen, sich als das Gegenteil von dem auszugeben, was sie sind. Doch an ihren ihren Taten und an ihrer menschenverachtenden Hetze werdet ihr sie erkennen.

Sehr schön zu sehen ist das an den Faschisten in der AfD und und den anderen rechten Randparteien. Niemand von denen wird sich je selbst als Faschist bezeichnen. Michela Murgia schreibt in ihrem kleinen, gut zu lesenden Büchlein "Faschist werden - eine Anleitung":

Diese Neigung der Demokraten, alles zu legitimieren, ist zweifellos dumm, aber sehr nützlich für den Faschismus. Wenn man bei den Wahlen antritt und dabei so klug ist, nicht explizit »Wir sind Faschisten« zu rufen, besteht die große Wahrscheinlichkeit, dass die blödsinnigen Demokraten einen antreten, Wählerstimmen einheimsen und sogar regieren lassen, in der hehren Überzeugung, man sei nichts weiter als ein Gegner, der eben etwas andere politische Ideen vertritt. Wie damals in Troja bringt es nichts, die Bastion im Sturm zu erobern. Es genügt, ein Holzpferd zu bauen, und dann werden dir die demokratischen Institutionen schon selbst ihre Türen öffnen. Sich als politischer Gegner darzustellen ist das ideale Trojanische Pferd.

Dabei können sie sich auch auf das Bürgertum verlassen, kommt diese Leugnung Faschist zu sein, doch dem Selbstverständnis des bürgerlichen Verfassungsstaates entgegen.

»Aber wären die progressiven wie konservativen Kräfte der Demokratie wirklich bereit zu glauben, dass wir keine Faschisten sind?«, werdet ihr euch zu Recht fragen. Natürlich - und der Grund dafür liegt auf der Hand: Sie wollen mit aller Macht daran glauben, dass der Faschismus nicht existiert, dass er ein überholtes historisches Phänomen ist und keine Chance besteht, dass er wieder auftaucht. Darum werden sie freiwillig alle Anzeichen ignorieren, die sie dazu zwingen würden, der Tatsache ins Gesicht zu sehen, dass wir immer da waren, dass wir nie verschwunden sind und dass wir uns seit Jahren neu organisieren. Sie werden uns »Reaktionäre« nennen, »neue Rechte«, »Nationalisten« oder wie auch immer, aber sie selbst werden peinlich darauf achten, das Wort »Faschisten« nicht in den Mund zu nehmen, weil es zwar nicht uns weckt, wir sind ja längst hellwach, aber ihre eigenen Dämonen.

(Michela Murgia, Faschist werden - eine Anleitung, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin)

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Silones Verständnis des (italienischen) Faschismus hat er, neben den bekannten Romanen, in mehreren Büchern entwickelt, vor allem in "Der Fascismus. Seine Entstehung und seine Entwicklung" und dem eher satirischen "Die Kunst der Diktatur". In beiden charakterisiert er die faschistischen Führer als Opportunisten, Zyniker und Lügner, die Macht um ihrer selbst willen anstreben, und denen ein politisches Programm und geschlossene Allianzen nur so lange etwas gelten, wie sie Nutzen daraus ziehen können. Darüber hinaus zeichnet er die Ideologie des Faschismus als im Kern leer, amorph und widersprüchlich - und gerade deswegen erfolgreich, weil sie sich der jeweiligen Situation anpassen kann, ohne auf Prinzipien rücksicht nehmen zu müssen. Diese Eigenschaften sah er auch in der Kommunistischen Internationalen unter Stalins Führung, und er schildert mehrere Erlebnisse (Silone hatte selbst eine wichtige Funktion in der Kommunistischen Partei in Italien) mit Stalin und seinen Anhängern, die ihn diese Eigenschaften in der KPdSU wiedererkennen lassen. Darin sah er die Gefahr eines "roten Fascismus", wie er in einem offenen "Brief nach Moskau" schreibt. Aus diesem Grund bricht er in den 30er Jahren mit der KP und wendet sich stärker seinen schriftstellerischen Tätigkeiten zu. Der "Antifaschismus", von dem Silone in dem Zitat spricht, meint wahrscheinlich die offizielle Parteidoktrin, mit der aber auch die Schauprozesse gegen z.B. Trotzky und andere Parteigrößen legitimiert wurden, z.B. in dem Dissidenten als "faschistische Agenten" diffamiert wurden.

Mehr dazu: https://heimatmuseum-mumpitz.de/ignazio-silone-und-der-faschismus

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Es ist gar nicht erwiesen, dass dieser Spruch von Silone stammt. Seit 2009 ist es "der Lieblingsspruch" von Rechtsextremisten und Neurechten und wird propagandistisch in sozialen Medien wie Twitter oder Facebook angewendet. Der Spruch wird nicht nur Silone zugeschrieben, sondern auch unzähligen anderen wie etwa Huey Long, Winston Churchill, Antonio Gramsci, Theodor Adorno oder Jacques Presser, um einige zu nennen. Silone wird es am häufigsten zugeschrieben. Es gibt aber keinen Nachweis. Es findet sich kein Werk, wo Silone diesen, oder einen ähnlich lautenden Satz, geschrieben hätte. In Italien ist das angebliche Zitat zudem vollkommen unbekannt. Es gibt allerdings einen Zeitzeugen, nämlich Francois Bondy, der dies in insgesamt drei Texten aus seiner Erinnerung her behauptet (zwei englische Texte aus 1976 und 1979 und eine deutsche Übersetzung des Textes von 1979 aus 1988). Bondy ist jedoch der Einzige, der dies behauptet und widerspricht sich auch noch in beiden Texten von 1976 und 1979 an entscheidenden Stellen wie etwa im genauen Wortlaut, dem Zeitpunkt (mal 1944, mal 1945), dem Ort (mal Italien, mal Genf) und, er sagt auch nichts darüber, in welchen Zusammenhang Silone den Spruch gesagt haben soll. Dafür bettet er Silones angebliche Aussage in zwei völlig verschiedenen Kontexten ein. Das alles zusammen genommen, spricht nicht für Authentizität.

Wer Interesse an meiner Recherche hat und erfahren möchte, warum Silone und andere von Rechtsextremen gerade im deutschsprachigen Raum seit 2009 als Kronzeugen für den Spruch missbraucht werden, kann das gerne auf meiner Benutzer-Unterseite hier nachlesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Benutzer:KarlV/Faschismus_und_Antifaschismus_in_der_Wikipedia

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Topnutzer im Thema Geschichte

Silone ist ja 1931 als Antistalinist aus der KPI ausgeschieden. Selbst wenn das Zitat also nicht von ihm stammen sollte, beschäftigten ihn offensichtlich die Ausbreitung der "kommunistischen" Diktaturen in Mitteleuropa und der zunehmende Einfluss der der KPI und der KPF nach dem 2. Weltkrieg.

Da diese Parteien auf dem Boden ihres eigenen Programms in keiner Weise mehrheitsfähig waren, haben sie unter dem Firmenschild des "Antifaschismus" (wer kann schon dagegen sein?) versucht, breitere Bevölkerungskreise für sich zu gewinnen. Dabei haben sie stets darauf geachtet, solche "demokratischen", "antifaschistischen" oder "pazifistischen" Vorfeld-Organisationen durch gezielten Personaleinsatz zu kontrollieren. Letztlich wäre es diesen Kräften darum gegangen,
mit Hilfe von antifaschistischen Bündnispartnern (ähnlich wie in der Tschechoslowakei 1948) an die Macht zu kommen, um Gesellschaft und Staat nach sowjetischem Vorbild umzugestalten..

Silone kann für diese Art der Machtausübung durchaus das Konzept eines "roten Faschismus" vertreten haben (so genau weiß ich das nicht; es passt aber zu seiner Biographie), also die Theorie, dass "rote" und "braune" Diktatur sich nur unwesentlich unterscheiden (Totalitarimus).

In diesem Kontext ergäbe dann auch das von dir angeführte Zitat noch aktuell einen gewissen Sinn. Dass es auch in der Gegenwart Bestrebungen gibt, die Meinung anderer unter der Fahne des "Antifaschismus" zu unterdrücken, ist unbestreitbar (Einige der Antworten hier tendieren in diese Richtung.). Aber längst nicht jeder, der Zu-spät-Gekommenen, die heute die "Kämpfe" austragen möchten, die ihre Groß- oder Urgroßeltern bedauerlicherweise nicht ausgetragen haben, ist ein Kandidat für einen "roten Faschismus" à la Sowjetunion und DDR. Insofern würde ich selbst das Zitat nicht unterschreiben.
Kurz nach dem 2. WK war die Gefahr allerdings auch diesseits des Eisernen Vorhangs durchaus real und Silones Warnung, wenn sie denn so gemeint war, mehr als legitim.