Wenn dein linkes bein weihnachten wäre

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Comic-Verfilmung "Deadpool": Harter Sex, loses Mundwerk

Foto: 20th Century Fox

"Wenn Dein linkes Bein Weihnachten ist und Dein rechtes Bein Neujahr - darf ich dann zwischen den Feiertagen mal vorbeischauen?" Das ist so einer von den Sprüchen, die Wade Wilson den ganzen Tag lang aus dem Mund fallen. Adressatin dieses speziellen, ziemlich lustigen, ist seine Freundin Vanessa, die mit einladender Beinstellung vor ihm auf dem Bett liegt. Kurz darauf gehen die beiden einmal mehr ihrer Lieblingsbeschäftigung nach, und die wäre mit Blümchensex sehr verharmlosend umschrieben.

Er ist so eine Art Spider-Man für Erwachsene: Deadpool, so heißt der Antisuperheld, den Wade Wilson in einer Schmuddelecke des Comic-Universums von Marvel verkörpert. Wie der freundliche New Yorker Nachbarschaftsheld quatscht auch Wilson seine Gegner die ganze Zeit zu, während er sie vermöbelt, Deadpools Zoten sind jedoch selten jugendfrei - und auf den Codex des Spinnenmanns, niemals zu töten, pfeift der in schwarz-rotes Leder gekleidete Supersöldner auch. Seit 1997, als er von Joe Kelly und Ed McGuinness seine erste eigene Heftserie im erweiterten Kosmos der X-Men-Mutanten erfunden wurde, treibt dieser politisch unkorrekte Spinner mit Hang zum Splattern sein Unwesen in den Comics und wurde bald zum Liebling der Fans. Nach elf Jahren Hickhack und Entwicklungshölle kommt er nun endlich mit eigenem Spielfilm ins Kino.

Warum es so lange dauerte, Deadpool ins Kino zu bringen, liegt auf der Hand: Ein so durchgeknallter, rabulistischer und irrational brutaler Held passt eigentlich nicht ins düstere, aber weitgehend Teenie-gerechte Cinematic Universe, das Marvel um seine Avengers-Blockbuster herumkonstruiert hat. Gleichzeitig ist der Fan-Druck, dem Comic-Charakter möglichst treu zu bleiben, extrem hoch, seit Deadpool 2009 in "X-Men Origins: Wolverine" zum ersten Mal kurz auf der Leinwand auftauchte - und ausgerechnet seinen Mund, also seine schärfste Waffe zugenäht bekommen hatte. "Merc with a Mouth", der Söldner mit der großen Klappe, diesen Beinamen trägt er schließlich nicht umsonst.

Damals wie heute wurde Wade Wilson von Ryan Reynolds gespielt: Ausgerechnet dem US-Schauspieler, der sich als DC-Held "Green Lantern" hinreichend lächerlich gemacht hat, ist es zu verdanken, dass "Deadpool" ein hinreißend anarchisches Action-Vergnügen geworden ist, dem man die Leidenschaft seiner Macher für Figur und Materie deutlich anmerkt.

Kassengiftiges R-Rating

2004, so will es die Legende, die Reynolds selbst gern verbreitet, bereitete sich der Schauspieler auf eine ähnlich gelagerte Nebenrolle im Vampir-Sequel "Blade: Trinity" mit einem Stapel Deadpool-Comics vor. Schnell reifte die Idee, mit dem Comic-Borderliner einen Film zu machen, und zunächst sollte sogar "Blade"-Regisseur und Comic-Fan David S. Goyer als Regisseur zu agieren. Goyer verlor jedoch das Interesse - und das Projekt landete in der Ablage, bis 20th Century Fox, Inhaber von Marvels Kino-Lizenz für X-Men und assoziierte Figuren, der Sache annahm und Deadpools unrühmlicher Mini-Debüt erfolgte.

Es war wiederum Reynolds, der sich bei den danach mit einem Skript-Entwurf beauftragten Autoren Rhett Reese und Paul Wenick dafür stark machte, die bei "Wolverine" gemachten Fehler im "Deadpool"-Film zu vermeiden. Seine sexualisierten Sprüche, seine explizite Gewaltausübung und Charaktereigenheiten wie den Dialog mit dem Publikum durch die sogenannte vierte Wand wurden ihm also gelassen. Als erster der Marvel-Filme neuerer Generation bekam "Deadpool" daher ein potenziell kassengiftiges R-Rating, das es Teenagern unter 17 in US-Kinos verbietet, ohne erwachsene Begleitung in den Film zu gehen. In Deutschland ist der Film ab 16 freigegeben.

Die Regie dieses ersten Team-ups zwischen Marvel und Fox übernahm dann schließlich der Animationsspezialist Tim Miller, der noch nie zuvor einen Spielfilm gedreht hatte, schon gar keine 50 Millionen schwere Blockbusterproduktion. Eine unorthodoxe Wahl des Studios, das damit seine schon bei "Captain America", "Guardians of the Galaxy" und "Ant-Man" angewandte Politik weiterführt, junge, eher aus der Indie-Welt stammende Regisseure fürs Mainstreamkino zu rekrutieren.

So viel Mut zur Absurdität war selten

Ein Glücksfall für "Deadpool", der nun als Mischung aus Geek-Komödie und Heldenspektakel erstaunlich gut funktioniert. Erzählt wird auf zwei Zeitebenen: In der einen wird rekapituliert, wie sich der an Krebs erkrankte Lohnschläger Wilson sich dem dubiosen, leidvollen Weapon-X-Programm unterzieht, das auch Wolverine zur Kampfmaschine machte. Die Behandlung verleiht ihm Selbstheilkräfte, die nicht nur Schusswunden in Nullkommanichts wieder schließt, sondern auch eine selbst abgehackte Hand wieder nachwachsen lässt - zunächst mit grotesk niedlichen Babyfingerchen. Eine schöne Slapstick-Reverenz an den arm- und beinlosen schwarzen Ritter in Monty Python's "Ritter der Kokosnuss" gibt es, als Wilson es in der zentralen Action-Sequenz mit einer ganzen Bande Bösewichte aufnimmt. So viel Mut zur Absurdität war selten im Marvel-Kosmos.

In der Gegenwartsebene macht Wilson Jagd auf den schurkischen Ajax (Ed Skrein), der ihn im Weapon-X-Labor sadistisch gefoltert hatte und nun Vanessa entführt. Hilfe erhält Deadpool durch zwei X-Men-Mitglieder, darunter der stählerne, aber sanftmütige Colossus, der Wilson sogleich für die heroische Mutantenmiliz gewinnen will und ihm Professor Xavier vorstellen möchte. Aber welchem, fragt Deadpool, auf die unterschiedliche Besetzung der Rolle in den X-Men-Filmen anspielend: Patrick Stewart oder James McAvoy? Man komme ja schon ganz durcheinander!

Durcheinander wirbeln hier auch Popkulturzitate (Wham! Matrix!) und Insider-Gags, die das Genre der Comicverfilmungen und seine Pathos-Topoi immer wieder vorführen, ohne es zu denunzieren. Dadurch wird "Deadpool" zu einem liebevoll ausgestatteten Geschenk für die Fans, die sich allerhöchstens darüber beklagen könnten, dass nicht annähernd so krude und gaga zugeht, wie bei manchen Comic-Inkarnationen des Charakters. Es bleibt ein Mainstream-Film, aber einer, der sich ziemlich viel Subversion traut.

Und eine Heldengeschichte ist diese rührend-rasante Antiheldensaga natürlich auch - vor allem für den ehemals als Hollywood-Beau gehandelten Ryan Reynolds. Dessen Karriere schien eigentlich schon in Romcom-Flops und zu vielen miesen B-Movies untergegangen zu sein. Maskiert oder bis zur Unkenntlichkeit entstellt ("Ich sehe aus wie ein Hoden mit Zähnen!") rehabilitiert er sich hier als komödiantisch begabter Geek. Ein "Deadpool"-Sequel bekam bereits grünes Licht. Wer hätte das gedacht?

"Deadpool": Trailer hier ansehen:

Deadpool

USA 2016

Regie: Tim Miller

Drehbuch: Rhett Reese, Paul Wernick, Rob Liefeld, Fabian Nicieza

Darsteller: Ryan Reynolds, Morena Baccarin, Ed Skrein, Brianna Hildebrand, Gina Carano, T.J. Miller

Produktion: Marvel Studios, Twentieth Century Fox

Verleih: Fox

Länge: 109 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Start: 11. Februar 2016

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