Warum braucht man eine notwehr wenn es einen notstand gibt

Der vermutlich bekannteste Rechtfertigungsgrund für eine Rechtsgutverletzung ist die Notwehr – die Legitimierung einer den Umständen angemessenen Abwehr eines rechtswidrigen Angriffes. Bei Fragen zur Notwehr wenden Sie sich an unsere Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte für Strafrecht in St. Gallen, Zürich oder Frauenfeld.

Unterschied zum Notstand

Notwehr wird häufig als Unterart des Notstandes verstanden, jedoch gibt es zwei grundlegende Unterschiede. Einerseits bedingt die Notwehr einen unrechtmässigen Angriff, was beim Notstand nicht gegeben sein muss und häufig auch nicht der Fall ist. Beim Notstand muss lediglich eine Gefahr für ein Rechtsgut gegeben sein, woraus sich diese begründet, ist unerheblich. Die Notstandssituation rechtfertigt damit die Opferung eines Rechtsgutes, um ein anderes zu retten. Das Prinzip der Notwehr ist ein anderes, hier gilt im Sinne des Art. 14 StGB, eine Legitimierung der Abwehrhandlung.

Andererseits erlaubt der Notstand den Eingriff in die Rechtsgüter von unbeteiligten Dritten, weshalb auch der Wert der Rechtsgüter in einem hierarchischen Verhältnis stehen müssen. Notwehrhandlungen dagegen sind nur direkt gegen den Angreifer erlaubt und müssen den Umständen angepasst sein; eine hierarchische Wertung wird hierbei nicht gemacht. Geht die Handlung über die Abwehr hinaus, handelt es sich aber nicht mehr um Notwehr und damit auch nicht um rechtmässiges Handeln. Geht die Notwehrhandlung weiter als eine blosse Abwehr, spricht man von einem Notwehrexzess. Das Schweizer Recht nimmt hierbei aber Rücksicht auf die Umstände und mildert die Strafe. Falls Fragen zur Abgrenzung von Notwehr und Notwehrexzess vorliegen, können diese gerne von unseren Anwältinnen und Anwälten für Strafrecht in Zürich, St.Gallen oder Frauenfeld abklären lassen.

Angriff

Der Angriff muss von einem Menschen ausgehen. Dies bedeutet, der Angreifer kann nicht beispielsweise ein Tier sein, ausser jenes wird als Werkzeug oder Waffe für den Angriff verwendet (BGE 102 IV 1). Für Notwehr muss die Rechtswidrigkeit des Angriffs gegeben sein. Das heisst, dass man beispielsweise nicht zuerst angreifen und auf die Reaktion des angegriffenen mit Notwehr reagieren kann.

Zeitlicher Aspekt

Weiter muss die Abwehrhandlung unmittelbar sein, was bedeutet, dass keine Notwehr mehr gegeben sein kann, wenn die Angriffshandlung bereits abgeschlossen ist. Eine Verletzung muss aber nicht abgewartet werden, die Notwehrhandlung kann bereits erfolgen, wenn der Angriff droht. Dafür müssen aber auch Anzeichen dafür vorliegen, eine Vorahnung der Möglichkeit einer Gefahr reicht nicht aus, denn eine Gefahr, die noch nicht besteht, kann auch nicht abgewendet werden.

Berechtigter

Art. 15 StGB legitimiert den Angegriffenen, aber auch jede andere Person, einen rechtswidrigen Angriff abzuwehren, wobei es sich bei letzterem um Notwehrhilfe handelt. Die Notwehrhilfe ist aber im Falle, dass der Angegriffene urteilsfähig ist und keine Hilfe will, nicht rechtmässig. Notwehrhilfe kann in einigen Fällen zur Pflicht werden, beispielsweise bei einer Garantenstellung.

Sowohl die Notwehr als auch die Nothilfe sind in § 32 StGB geregelt. Während bei der Notwehr ein Angriff auf den in Notwehr handelnden abgewehrt werden soll, bedeutet die Nothilfe die Verteidigung zu Gunsten einer dritten Person.

Grundsätzlich dürfen bei Notwehr und Nothilfe die gleichen Mittel und Maßnahmen ergriffen werden, um einen Angriff von einer dritten Person abzuwenden, als wäre der Angriff direkt gegen einen selbst verübt worden. Auch ist es nicht notwendig, dass der Dritte die Hilfe erbeten oder auch nur erwünscht hätte. Daher sind die Grundsätze für die Notwehr und Nothilfe auch weitestgehend identisch.

Wann liegt eine Notwehrlage vor?

Eine Notwehrlage ist bei einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff gegeben. Per Definition ist ein Angriff gegenwärtig, wenn er unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch fortdauert. Ein klassisches Beispiel für den unmittelbar bevorstehenden Angriff ist der gerade ausholende Faustschlag. Ein Beispiel für den dauernden Angriff ist dagegen ein Festhalten im Schwitzkasten.

Geschützt werden grundsätzlich alle individualen Rechtsgüter. Dies bedeutet, dass nicht nur die körperliche Unversehrtheit im Rahmen einer Körperverletzung oder das Eigentum geschützt wird, sondern auch die Ehre oder das Recht am eigenen Bild. Damit kann grundsätzlich auch Notwehr gegen Beleidigungen oder unerwünschte Bildaufnahmen ausgeübt werden. Beachtet werden muss in diesen Fällen nur, dass der Angriff noch gegenwärtig ist, was gerade bei Beleidigungen durch mündliche Äußerungen selten der Fall ist. Denn nach dem Ausspruch der Worte ist die Beleidigung bereits verwirklicht und der Angriff erledigt.

Nicht notwehrfähig sind dagegen allgemeine Rechtsgüter. Somit darf beispielsweise keine Notwehr gegen einen Falschparker ausgeübt werden, solange es nicht auch zusätzlich ein Angriff auf ein individuelles Rechtsgut ist.

Welche Mittel dürfen bei Notwehr ergriffen werden?

Die Notwehr kennt selbst keine Beschränkung des Mittels. Auch tödliche Gewalt darf grundsätzlich ausgeübt werden. Es muss aber das relativ mildeste Mittel genommen werden. Stehen zwei gleicheffektive Mittel zur Verfügung, muss somit jenes genommen werden, welches den Angreifer am wenigsten schädigt. Dabei muss sich der Verteidigende aber nicht auf ein unsicheres Mittel verweisen lassen. Lediglich wenn zwei Mittel mit Sicherheit den Angriff abwenden, muss das mildere Mittel genommen werden. Eine Abwägung der Verhältnismäßigkeit zwischen den jeweiligen Rechtsgütern findet jedoch im Rahmen der Notwehr anders als beim Notstand nicht statt. Somit darf beispielsweise auch die Ehre mit körperlicher Gewalt verteidigt werden.

Einschränkungen des Notwehrrechts gibt es lediglich bei tödlicher Gewalt. Vor dem Einsatz eines tödlichen Verteidigungsmittels ist in der Regel, wenn es nicht zur weiteren Eskalation führt, eine Warnung notwendig. Beim Schusswaffeneinsatz ist dies somit grundsätzlich ein Warnschuss. Ferner darf die Anwendung nicht völlig außer Verhältnis stehen. Typisches Beispiel: Der im Rollstuhl sitzende Bauer darf nicht obstklauende Kinder von seinem Kirschbaum schießen. In diesen seltenen Ausnahmefällen muss auf das Notwehrrecht dann tatsächlich verzichtet werden.

Zu beachten ist jedoch, dass nur Rechtsgüter des Angreifers verletzt werden dürfen. Werden Rechtsgüter Dritter verletzt, beispielsweise weil zur Abwehr der Gegenstand eines unbeteiligten Dritten genutzt wird, greift die Notwehr nach § 32 StGB nicht. Möglicherweise liegt dann jedoch eine Rechtfertigung über den rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB vor.

Für ein Notwehrrecht muss Notwehrwille vorhanden sein

Ferner muss auch ein Notwehrwille vorliegen. Dies bedeutet, dass der Verteidigende von der Notwehrsituation weiß und auch aufgrund dieser Motivlage handelt. Wenn er dagegen zum Beispiel zufällig vorbei kommt, lediglich seinem Erzfeind eins auswischen möchte und erst später die Notwehrlage erkennt, darf er sich nicht mehr auf diese berufen.

Ein ähnliches Problem gibt es bei der Notwehrprovokation. Hat der Verteidigende den Angriff geradezu provoziert, um anschließend von seinem Notwehrrecht Gebrauch machen zu dürfen, darf er sich nur noch eingeschränkt wehren. Je nach konkretem Einzelfall darf er keine Trutzwehr, sondern nur noch Schutzwehr leisten oder muss sogar dem Angriff ausweichen..

Wie hoch ist die Strafe bei Notwehr?

Sollte tatsächlich die Notwehr bejaht werden, handelt der Beschuldigte nicht rechtswidrig, sondern sein Handeln ist gerechtfertigt. Dies bedeutet auch, dass ihm keine Strafe droht. Beim Tatvorwurf einer Körperverletzung oder sogar Mord bzw. Totschlag hat ein Strafverteidiger daher stets zu prüfen, ob Notwehr vorgelegen hat. Auch in diesen Konstellationen ist Schweigen Gold: Ist noch keine Aussage durch den Beschuldigten erfolgt, kann diese in jedem Stadium des Verfahrens auch nach Erhebung der Anklage noch nachgeholt werden.

Fazit: Welche Bedeutung hat die Notwehr für den Betroffenen?

Die Frage der Notwehr entscheidet im Strafprozess bei Kapitalstrafsachen wie Mord oder Totschlag aber auch bei einer einfachen oder gefährlichen Körperverletzung häufig über Freispruch oder Verurteilung. Aber selbst wenn die Bedingungen der Notwehr nicht vollständig gegeben sind, kann der Strafverteidiger auf mögliche andere Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe hinweisen. Für die Strafverteidigung hilfreich ist dann beispielsweise der bereits angesprochene rechtfertigende Notstand nach § 34 StGB, der Notwehrexzess nach § 33 StGB oder der entschuldigende Notstand nach § 35 StGB, der zwar nicht die Rechtswidrigkeit aber die Schuld entfallen lässt.

Wann Notwehr wann Notstand?

Einerseits bedingt die Notwehr einen unrechtmässigen Angriff, was beim Notstand nicht gegeben sein muss und häufig auch nicht der Fall ist. Beim Notstand muss lediglich eine Gefahr für ein Rechtsgut gegeben sein, woraus sich diese begründet, ist unerheblich.

Wann ist Notwehr erforderlich?

Definition: Notwehrhandlung Die Notwehrhandlung ist erforderlich, wenn sie geeignet ist, den Angriff abzuwehren und darüber hinaus von mehreren gleich wirksamen Mitteln das mildeste zur Verfügung stehende Gegenmittel darstellt.

Was ist Unterschied zwischen Notwehr und Notstand?

Was ist der Unterschied zwischen Notstand und Notwehr? Bei der Notwehr muss grundsätzlich ein rechtswidriger Angriff erfolgen, beim Notstand reicht hingegen bereits eine drohende Gefahr aus.

Warum gibt es Notwehr?

Grundsätzlich ist anzunehmen, dass eine Person, die in Notwehr handelt, vor allem sich selbst schützen und den Angriff schnellstmöglich beenden will. Das Motiv der Notwehrhandlung ist damit auf sie selbst und ihre Rechtsgüter gerichtet. Nach § 33 Strafgesetzbuch kann auch ein Übermaß bei der Notwehr straffrei bleiben.

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