Männer umschwirren mich wie motten das licht

90 Jahre "Der blaue Engel" Lesung & Film

Knut Elstermann präsentiert zusammen mit dem Autor Edgar Rai dessen Buch „Im Licht der Zeit“ über die Entstehung des „Blauen Engels“. Im Anschluss der Film, mit dem Marlene Dietrich zum internationalen Star wurde.

„Männer umschwirren mich wie Motten das Licht“ - Genau vor 90 Jahren, am 1. April 1930, feiert der erste, deutsche Ton-Spielfilm „Der blaue Engel“ unter der Regie von Josef von Sternberg mit dem frisch gebackenen Oscar-Preisträger und aus Hollywood zurückgekehrten Emil Jannings und der bis dahin noch relativ unbekannten Marlene Dietrich in den Hauptrollen seine Premiere im Berliner Gloria-Palast. Die Dietrich verkörpert perfekt das Berlin der 20er Jahre: Lebenshungrig, schnoddrig, kühl und zugleich erotisch, Tabus brechend – womit sie auch heute noch manchen irritieren könnte.

Sternberg und Jannings erkennen Marlenes Potential und reagieren ganz gegensätzlich darauf: Jannings wütet gegen die Hauptdarstellerin, würgt sie in der Clownsszene so lebensecht, dass deren Striemen am Hals überschminkt werden müssen. Für Sternberg gilt Friedrich Hollaenders Film-Titelsong „Von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ – er dreht mit Marlene insgesamt sieben Filme. „Der blaue Engel“, bis heute einer der besten deutschen Filme, und ihre ganz eigene Interpretation der Varieté-Sängerin Lola Lola sind das Entree für Hollywood, die Geburt des Stars und Mythos Marlene Dietrich.

Der blaue Engel D 1929, R: Josef von Sternberg mit Marlene Dietrich, Emil Jannings, Kurt Gerron, 108 Min

Das Buch „Im Licht der Zeit“ von Edgar Rai

„Niemand im Raum hätte sagen können, ob ihre Laszivität nur gespielt war, ob Marlene sie angedreht hatte wie einen Lichtschalter, oder ob sie Sternberg tatsächlich im nächsten Moment küssen würde. Nicht einmal sie selbst wusste es. Vollmöller und Pommer hielten den Atem an.“

Frühjahr 1929: Alle Welt redet nur noch vom Tonfilm, der in Amerika längst die Kino-Paläste erobert hat. Deutschland aber droht den Anschluss zu verlieren. Nun soll die mächtige Ufa das Land zurück an die Spitze führen, koste es, was es wolle. Ein halbes Jahr später hat der geniale Karl Vollmöller fast alles beisammen: das modernste Tonfilmstudio, einen grandiosen Stoff, den gefeierten Oscar-Preisträger Emil Jannings, der soeben glorreich aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrt ist, und den perfekten Regisseur. „Der blaue Engel“ wird nicht einfach nur ein Tonfilm sein, er wird ein neues Zeitalter einläuten, davon ist Vollmöller überzeugt. Nur die Hauptdarstellerin fehlt noch. Wer soll die abgründige Figur der Rosa Fröhlich verkörpern, die den biederen Professor ins Unglück stürzt? Etwa Marlene Dietrich? Als Revuegirl ist sie eine Klasse für sich, sie bietet Leichtigkeit, Unterhaltung, zeigt nackte Haut. Aber sie besitzt keinerlei schauspielerisches Talent!

„Im Licht der Zeit“ ist der Roman einer kurzen, rauschhaften Epoche, er ist die Geschichte des „Blauen Engels“, der alle Beteiligten zu legendären Figuren des deutschen Films gemacht hat: Edgar Rai erzählt diese Geschichte mit einer beispiellosen Wucht, Originalität und Bildhaftigkeit.

„Rasant erzählt, präzise recherchiert, hochkarätig besetzt. Dieses Buch ist eine Zeitreise, deren Sog man nicht entkommen möchte.“ Jackie Thomae

Über Marlene Dietrich, die preußische Offizierstochter, die zur Ikone der Filmgeschichte aufstieg, ist viel geschrieben worden. Da war es nur eine Frage der Zeit, wann ihre Biografie Bühnenreife erreichte. Für das Theater Niedersachsen in Hildesheim hat Olaf Graf nun mit „The Kraut“ einen ebenso aufschlussreichen wie unterhaltsamen Marlene-Dietrich-Abend geschaffen. Ein Solo-Musical, das mehr sein will als nur eine Nummern-Revue, in der sich so unvergessene Songs wie „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ oder „Ich bin die fesche Lola“ wie Perlen auf einer Schnur aneinanderreihen.

Dass die Produktion am Mittwoch ihre Premiere im Theater Gütersloh und nicht, wie geplant, schon in der vergangenen Woche in Hildesheim gefeiert hat, lag daran, dass das niedersächsische Haus aufgrund einer kaputten Sprinkleranlage unbespielbar ist. Im Regen stehen blieb die musicalerfahrene Berliner Schauspielerin und Sängerin Silke Dubilier als Protagonistin trotzdem nicht.

Musikalisch charmant begleitet am Klavier von Andreas Unsicker, entgeht sie gekonnt der Versuchung, Marlene einfach nur zu imitieren – wohlwissend, dass sie da nur hätte verlieren können. Ihre Dietrich entwickelt sie mit viel Mut zur Brüchigkeit. Sie mimt nicht nur die weltweit gefeierte Diva, sondern nimmt ihr Publikum zunächst mit den entlarvenden kleinen, schlurfenden Schritten einer 89-jährigen, von Muskelschwund, Alkohol- und Tablettensucht gezeichneten Frau an die Hand, um es in jenem Pariser Appartement an der Avenue Montaigne 12 zu platzieren, wo Marlene Dietrich am 6. Mai 1992 starb.

 Männer umschwirren sie wie Motten das Licht

Ein Ort, an dem sich die Erinnerungen stapeln wie die Scotch-Flaschen unterm Bett. Erinnerungen daran, wie sie ihr bahnbrechender Erfolg in Josef Sternbergs „Der blaue Engel“ (1930) direkt nach Hollywood katapultiert. Fortan gilt, was sie als fesche Nachtclubsängerin Lola singt: „Männer umschwirren mich wie die Motten das Licht.“ Zwar ist sie seit 1923 mit dem jüdischen Aufnahmeleiter Rudolf Sieber verheiratet – und bleibt es bis zu dessen Tod -, aber der schönen Marlene verfallen alle: Von Gary Cooper, John Wayne und Jean Gabin bis hin zu Charles de Gaulle. Nur mit Ernest Hemingway, ihrem „Papa“, dem „Papst in meiner privaten Kirche“, der die Deutsche liebevoll „The Kraut“ nennt, bleibt sie zeitlebens platonisch, aber intensiv verbunden.

Leid und Leidenschaft

Und auch Edith Piaf, die von der bisexuellen Marlene abgöttisch verehrt wird, winkt ab. Umso berührender wirkt es, wenn Silke Dubilier mit melancholischem Timbre deren „La vie en rose“ singt.

Beeindruckend auch der Rückblick auf ihre Zeit als Truppenbetreuerin in amerikanischen Diensten. Von Hitlers Schergen, die sie nicht für sich und ihre Propaganda gewinnen konnten, als „Ami-Hure“ verfemt, tut die Dietrich alles, um gegen Nazi-Deutschland zu agieren. Das Lied „Lili Marleen“, Schnürstiefel, Männerhosen und eine singende Säge gehören fortan ebenso zu ihrem Marschgepäck wie die Erkenntnis, dass ihr die deutsche Sprache, Kultur und Heimat fehlen. Daran zerbricht sie.

Dubilier liefert ein letztes Aufbegehren, in dem sie Marlene mit kodderschnäuziger Stutenbissigkeit gegen den „schwedischen Transvestiten“ Zarah Leander und die „ungarische Hupfdohle“ Marika Röck im deutschen Film wettern lässt. Am Ende bleibt nur der Abgesang auf ein gelebtes Leben, das gänsehauterzeugende „Sag mir, wo die Blumen sind“. Applaus.

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